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- 24.04.2003
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So gehts.
Routine ist mächtig.
Doch gelegentlich kann selbst sie sich im Blick des Betrachters verlieren. Dann ist es schwierig, sich selbst wiederzufinden.
Maya mochte das Cafe nicht sonderlich. Die Kellner traten zu arrogant auf, als müssten sie ihren Anzügen und korrekt gebundenen Krawatten einen nicht greifbaren Tribut zollen.
Dementsprechend fielen die Preise aus.
Der Milchkaffee verschluckte den spärlichen Schaum, als sei er ebenso gierig wie die übertriebenen Zahlen, die sich auf der Getränkekarte fanden.
Als Maya sich eine zweite Zigarette anzündete, wurde der noch fast leere Aschenbecher gegen einen gänzlich leeren ausgetauscht.
Kundenfreundlicher Automatismus in einstudierten, extra-schnellen Bewegungen, für die das verwöhnte Auge zu träge oder zu gleichgültig war.
Ihr Blick blieb an dem dreistöckigen Gebäude haften. Die Pupillen waren derart auf den schlichten Bau fixiert, dass man meinen konnte, der Mittelpunkt des Universums bestünde aus wenigen Türen und Fenstern, die ein genügsamer Architekt inmitten massiven Betons eingebettet hatte.
"Du wirst kommen", flüsterte Maya.
Dann: "Früher oder später wirst du herausgekrochen kommen, wie ein Wurm."
Ein Bediensteter, der kein Wort verstanden, wohl aber die Bewegung der Lippen wahrgenommen hatte, eilte zu Mayas Tisch.
"Sie haben noch einen Wunsch?"
Sie holte aus, etwas Denunzierendes zu antworten, beließ es dann aber bei einem: "Nein, danke".
Gebieterhaft entfernte sich der untersetzte Mann.
Minutenlang geschah nichts.
Maya bestellte einen weiteren Milchkaffee.
Sie hatte doch noch einen Wunsch. Frauen wie sie haben immer irgendwelche Wünsche.
Als der Wurm schlussendlich kam, zerbrach er die vorderste Front des Universitätsgebäudes, und zäher Schleim kroch nach ihm die Straße der Stadt entlang.
Der Wurm erreichte das Cafe und wölbte seine knochenlosen Gliedmaßen auf den Plastikstühlen aus.
Dann begann der Wurm zu diskutieren.
Maya schüttelte den Kopf, und plötzlich lag eine Steppe mit verbrannten Schädeln vor ihr.
Haufenweise verqualmter Studentenköpfe, die alle munter redeten, Kekse in teure Getränke tauchten, und lächelten wie eine Illusion des Unmachbaren.
Dann war es vorbei.
Die Routine kehrte zurück.
Maya zahlte, stand auf, und schnappte sich die nächste Straßenbahn.
In ihrer vierzig Quadrameter kleinen Wohnung herrschte Ordnung. Wie hätte es auch sonst sein können?
Am Anfang die Idee; und nun, viel später, ein ausführbarer Gedanke.
Sie konnte, wenn sie wollte.
Der Wurm würde bald das Wohnheim erreichen.
Maya öffnete das Regal unterhalb des Fernsehers. Genügend Sprengstoff für ein Massengrab.
Nach wie vor wirkte es wie ein Traum; viel zu einfach war alles abgelaufen.
In den Medien erscheinen. Die Schlagzeile vor Augen.
Suizid war immer schon ein Thema gewesen. Doch heute sollte es ein Feuerwerk geben.
Sie wartete.
Kein konkreter Grund. Nichts, was sich in einer Schlagzeile zusammenfassen lässt.
Dann geschah es. Einfach so.
***
JUDENHASSERIN sprengt sich und ZWEIHUNDERT MENSCHEN IN DEN TOD!!!
Israel ... Maya F. (24), unerfolgreiche Studentin mit riesigen Wissenslücken und ehemalige Prostituierte im Gottesstaat, ist ihren Lehrern zwar als unbegabt und aggressiv aufgefallen.
An ein Blutbad wie jenes am gestrigen Donnerstag hätte aber dennoch niemand geglaubt.
BILD hat recherchiert und sensationelle Tatsachen hervorgebracht!
Bereits vor Tagen gab es erste Anzeichen, dass Maya F. von bislang unbekannten Personen in aller Öffentlichkeit angesprochen worden war. Handelte es sich hier um die Drahtzieher?
Ist Maya F. in Wirklichkeit die Todes-Maya? Kommt der Gottesstaat nun auch zu uns nach Deutschland?
BILD-Exklusiv haben wir ein Interview mit dem ...
***
"Sie können frei reden. Mein Name ist Meier."
Nervöse Blicke zu allen Seiten.
"Kann ich wirklich? Was da von mir verlangt wird ... ich weiß nicht ..."
"Seien Sie ganz Sie selbst. Sie planen etwas?"
"Ich denke ... ja."
"Erzählen Sie mir davon. Es wird unser Geheimnis bleiben."
"Hören Sie, es geht Sie nichts ..."
"Sie reden, und wir berichten erst, wenn alles vorbei ist. Dann haben Sie Ihre Schlagzeile."
Diese Geschichte ist einer großen Boulevardzeitung gewidmet.