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So muss man Halloween feiern
„Böser Kürbis! Grrrrr!“
Mr. Alistair tätschelte dem Kürbis die Wangen und streckte ihm die Zunge heraus. Der Kürbis funkelte ihn mit seinen Kerzenaugen dreieckig an und grinste tückisch, als wollte er sagen: Pass auf, du.
Was war das? Als ob ein kalter Finger über sein Gehirn gestreichelt hätte. Für einen ganz kurzen Moment war Mr. Alistair verunsichert. Dann schüttelte er, verwundert über sich selbst, den Kopf.
Auch er musste grinsen. Dieser Kürbis war ihm wirklich recht gut gelungen , wie er da so auf seiner Stange steckte und in der Abenddämmerung wie eine rötliche Eiterbeule leuchtete. Eigentlich schade. Seine Farm war so abgelegen, dass keins dieser kleinen Bälger vorbeikommen und sich gruseln würde. Egal. Martha und er brauchten kein Publikum, um Halloween zünftig zu begehen. Er würde dieses Fest zu etwas ganz Besonderem machen, einem Höhepunkt in seinem sonst recht tristen Leben. Die Vorbereitungen waren getroffen. Martha wartete im Wohnzimmer. Nach einem letzten Blick auf den Kürbis wandte sich Mr. Alistair um und ging durch den Garten zum Haus zurück.
Hoppla, fast wäre er über den Erdhaufen in das Grab gestolpert. Er hätte vielleicht doch besser eine Taschenlampe mitnehmen sollen.
Bald darauf saß er im Wohnzimmer vor dem Kamin, in dem prasselnde Buchenscheite für wohlige Wärme sorgten. Ein Glas Whisky stand vor ihm und wenn er den Blick hob, konnte er durch das Fenster den Kürbiskopf zu ihnen herüber grinsen sehen. Später würde er einige Seiten in dem neuesten Gruselroman von Stephen King lesen. Doch jetzt wollte er noch ein wenig die Atmosphäre dieses ganz besonderen Abends genießen. Zärtlich strich er über Marthas kahlen Schädel und seine Finger erfühlten das schartige Loch – ein Andenken an ihren letzten Ehestreit. Er seufzte. Lang ist’s her, dachte er. Dann zündete er die Kerze an, und Marthas Augenhöhlen begannen magisch zu schimmern und in stillem Einvernehmen Blicke mit dem Kürbis zu wechseln.
Täuschte ihn seine Fantasie? Der Kürbis da draußen schien irgendwie heller zu werden, regelrecht zu glühen und mit seinem flackernden Blick geheime Botschaften auszusenden, die er nicht entziffern konnte. Er nicht, aber vielleicht Martha? Sie schien auf die Signale zu antworten und dieser Fratze da drüben zuzuzwinkern!
Mr. Alistairs Blick wanderte von einem zum anderen. Dann verschwand die steile Falte auf seiner Stirn wieder und er lächelte nachsichtig.
Seine Martha. Konnte es einfach nicht lassen, mit Fremden zu flirten. Doch was spielte das jetzt noch für eine Rolle. Sollte sie doch ihren Spaß haben. Heute war schließlich Halloween.
Liebevoll betrachtete er das ihm so vertraute Gesicht – die grauweiße wachsartige Masse, in die sich ihr Fleisch verwandelt hatte, kaschierte mildtätig jede Falte und Runzel. Die Nase fehlte, aber was machte das schon. In seiner Fantasie war sie vorhanden, da musste er sich gar nicht groß anstrengen. Ein niedliches Näschen. Die Spitze zeigte etwas nach oben. Und die Augen! Er konnte sich nicht satt sehen an diesen großen dunklen Augen. Einst hatten sie ihn mit diesem Leuchten angesehen, in der ersten Zeit ihrer Ehe, wenn er abends von der Farmarbeit nach Hause gekommen war. Bevor dieser Williams ... Doch nein, er wollte nicht daran denken. Nicht heute. Das alles war Vergangenheit. Sie war ein böses Mädchen gewesen, aber sie hatte gebüßt und jetzt gehörte sie ihm ganz.
Mr. Alistair hob seine Hand und streichelte über Marthas Wachswangen. Sie ließ es geschehen. War da ein Zucken ihres Mundschlitzes gewesen? Und wieso Mundschlitz? Volle Lippen von der Farbe wilder Rosen lächelten ihn an. Mr. Alistair konnte nicht anders, presste seine darauf zu einem leidenschaftlichen Kuss. Vom Küssen verstand sie was, keine Frage. Das hatte ihm an ihr schon immer am besten gefallen ...
Mr. Alistairs Puls beschleunigte sich. Seine Hände wanderten über Marthas Hals, ihre Brüste. Vergessen waren der Whisky und der Roman von Stephen King. Das hier war besser.
„Oh Darling“, hauchte Mrs. Alistair, „leg die CD auf. Du weißt schon, welche.“
Mr. Alistair löste sich von seiner Frau. Natürlich wusste er, welche.
Er erhob sich und legte seine Lieblingsmusik auf – „Where the wild Roses grow“ mit Nick Cave und Kylie Minogue.
Der Kürbis sah zum Fenster herein und sein Gesicht war jetzt ein weißglühender Kreis, aus dessen Augen Flammen schossen. Martha stand mit jugendlichem Schwung auf und brachte dabei die Kerze in ihrem Schädel zu Fall. Die Flamme brannte weiter in ihrem Inneren, ein Feuer der Leidenschaft.
Federleicht lag sie in Alistairs Armen, als er sich mit ihr im Takt der Musik durch den Raum bewegte. Tanzen hatte ihr schon immer großen Spaß gemacht. Früher hatte Martha gerne geführt, aber heute – an diesem ganz besonderen Abend – schmolz sie in seinen Armen dahin und er beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte ihr verrückte Sachen ins Ohr und was er heute noch alles mit ihr machen würde.
„I know, she was the one ...“, sang Mr. Alistair mit heiserer Stimme im Duett mit Nick Cave. Ja, die Einzige. Für immer. „... her lips ... the colour of the roses ...“
Er schloss die Augen, drehte sich mit Martha im Kreis und ein Bild aus seiner Vergangenheit tauchte vor ihm auf. Martha im Hochzeitskleid, die sich ihm in der Kirche zu wandte, der Blick ihrer glänzenden Augen tief in seine Augen versenkt, ein Ja auf ihren Rosenlippen. Für immer und ewig. Eine Träne kullerte seine Wange hinab. Er spürte die Wärme ihres Körpers, der sich an ihn drängte. So heiß! Er machte die Augen wieder auf. Eine schwarze Fratze starrte ihn an, die wachsartige Masse zu Klumpen verschmolzen, dazwischen der bleiche Schädel hervorschimmernd.
Der Kürbis lugte durchs Fenster und genoss das Schauspiel. Eine lichterloh brennende Puppe mit schwarzem Gesicht, die einen Mann herum schwenkte, der mit den Armen ruderte und schrie.
Er sah, wie das Feuer der Leidenschaft Mr. Alistair entflammte und grinste dazu.
Er hatte ihn gewarnt.