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So nah und doch so fern

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15.09.2005
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So nah und doch so fern

„Der Schlaf ist der kleine Bruder des Todes.“​

Ich sitze an deinem Bett, halte deine Hand und weiß nicht, wer du bist. Deine jungfräuliche Schönheit zieht mich an, der Kuss des Todes schreckt mich nicht ab. Deine Hände sind kalt, deine Augen sind geschlossen; ich weiß nicht welche Farbe deine Augen haben.
Man kennt mich hier, man weiß wer ich bin. Ich brauche keine Rechenschaft mehr ab zu legen, dich zu besuchen, bei dir zu sein. Meine Besuche bei dir sind zu meiner Routine geworden. Die Ärzte und Schwestern lächeln mir zu. Sie haben keine Hoffnung mehr für dich. Habe ich noch Hoffnung? Ich weiß es nicht. Dich zu besuchen, gehört zu mir wie das tägliche Atmen zum Leben.
Mein Praktikum hier im Krankenhaus liegt schon eineinhalb Jahre zurück. Jetzt bin ich kurz vor dem Abitur, sollte viel zu Hause lernen. Wie das Lernen, habe ich auch einen Großteil meines Alltags in dein Krankenzimmer verlegt. Mein Stundenplan ermöglicht es mir, dass ich den Nachmittag bis oft in die späten Abendstunden mit dir verbringen kann. Die üblichen Besuchszeiten gelten nicht mehr für mich. Ich gehöre wohl hier her wie jeder Arzt und jede Schwester.
Ich sitze an deinem Bett. Mache meine Hausaufgaben, diskutiere mit dir. Ich rede überhaupt sehr viel mit dir. Dabei sitze ich an deinem Bettrand, halte Deine Hand und versuche oft vergebens deine Frisur zurecht zu zupfen. Dir kann ich alles erzählen. Kein Widerspruch. Ich lese dir aus der Tageszeitung vor und oft gerne aus meinen unseren Büchern.
Es hat sich eine traute, aber einseitige Zweisamkeit entwickelt. Wenn ich jemals Freunde hatte, so bist du jetzt mein einziger. Meinen Alltag habe ich an deinen Bedürfnissen ausgerichtet.
Ich wurde auf dich aufmerksam, als du schon im Koma lagst. Mein Praktikum bestand leider oft darin Bettpfannen zu säubern. Ich kam in dein Zimmer, da lagst du noch mit anderen in einem Zimmer, und sammelte die Bettpfannen ein. Ich hatte mir als Praktikant vorgenommen, für jeden Patienten ein nettes Wort übrig zu haben. Als ich dich ansprechen wollte, sagte man mir, dass es zwecklos sei, du seiest wie tot. Ich sah dich an und sah einen schlafenden Prinzen. Vom ersten Augenblick spürte ich Zuneigung zu dir. Jetzt kannte ich dich. Von da an besuchte ich dich täglich. Erst saß ich nur an deinem Bett und schaute dich an. Später nahm ich auch deine Hand und fing an mit dir ganz selbstverständlich mich zu unterhalten. Den Ärzten und Schwestern fiel es positiv auf, dass sich jemand um dich kümmert. Mir fiel auf, dass dich außer mir keiner besuchte. Dein zuständiger Arzt erzählte mir, dass du ein unbekanntes Unfallopfer warst. Niemand hätte sich nach dir erkundigt, keiner hat auf die Aufrufe in Radio und Fernsehen reagiert. Man wusste auch deiner Namen nicht, denn du hattest keine Papiere bei dir. Ich fing an mir Namen für dich aus zu denken.
Nach meinem Praktikum besuchte ich dich weiter, es wurde wohlwollend vom Krankenhauspersonal aufgenommen. Nach und nach wurde alles dich betreffende an mich heran getragen. Ich wurde deine einzige Bezugsperson. Später erreichte ich auch, dass du ein Einzelzimmer bekamst. Das richtete ich dir liebevoll ein
Nun sind seit unserer ersten Begegnung eineinhalb Jahre vergangen und ich bin dir so nah und doch so fern… .

 

Hi JH.Rilke,

ich wüsste schon gern mehr über deinen Prot, der sich so in eine platonische Liebe zu einem Komapatienten steigert. Ich kann mir schon vorstellen, dass es möglich ist, schließlich ist eine Fantasie oft reizvoller als ihre Erfüllung und auf diese Weise kann dein Prot zum Teil in der Fantasie bleiben.
Und doch frage ich mich, wie wohl sein Hintergrund ist?
Aber nicht nur deshalb erscheint mir deine Geschichte merkwürdig unfertig. Auch die Geschichte des Komapatienten mag so möglich sein, wirkt aber irgendwie recht konstruiert.
Auch habe ich das Gefühl, dass die Sehnsucht deines Icherzählers recht distanziert wirkt, was natürlich auch durch Begriffe wie Routine oder Betreffende erreicht wird.
In der Fantasie eigentlich eine recht schöne Idee, auch wenn ich den gesellschaftlichen Bezug nicht entdecke. Wo ist hier der Kritikpunkt?
Ein Thema für "Gesellschaft" wäre es erst, wenn es, bei einem unbekannten Patienten gar nicht so unwahrscheinlich, wenn es zum Hickhack über die Kostenübernahme käme.
Details:

Deine Hände sind kalt, deine Augen sind geschlossen; ich weiß nicht welche Farbe deine Augen haben
Hier dachte ich wegen der jungfräulichen Schönheit noch an eine tote Frau.
Die Doppelung der Augen liest sich nicht nach geplanter stilistischer Wiederholung. Vorschlag: deine Augen sind geschlossen; ich kenne nicht einmal ihre Farbe.
So hast du gleich mehr Sehnsucht drin.
Ich brauche keine Rechenschaft mehr ab zu legen
abzulegen
Dich zu besuchen, gehört zu mir wie das tägliche Atmen zum Leben.
einmal täglich?
Jetzt bin ich kurz vor dem Abitur, sollte viel zu Hause lernen. Wie das Lernen, habe ich auch einen Großteil meines Alltags in dein Krankenzimmer verlegt.
eine unnötige Einleitung, da ich gleich gedachthabe, dass kann er ja auch am Krankenbett machen. Und eine unsinnige Reihenfolge, besser wäre: Wie einen Großteil meines Alltags, habe ich auch das Lernen in dein Krankenzimmer verlegt.
Der Alltag ist als größerer Begriff dem Lernen überzuordnen.
Ich lese dir aus der Tageszeitung vor und oft gerne aus meinen unseren Büchern.
würde ich so schreiben: aus meinen - unseren - Büchern
Ich kam in dein Zimmer, da lagst du noch mit anderen in einem Zimmer, und sammelte die Bettpfannen ein.
Auch diese Doppelung von "Zimmer" liest sich nicht nach stilistiscehr Wiederholung. Vorschlag: Ich kam zu dir, du lagst noch mit anderen in einem Zimmer, und sammelte die ...
Später nahm ich auch deine Hand und fing an mit dir ganz selbstverständlich mich zu unterhalten.
sehr verdrehter Satz und ein fehlendes Komma. Vorschlag: Später nahm ich auch deine Hand und fing an, mich ganz selbstverständlich mit dir zu unterhalten.
Den Ärzten und Schwestern fiel es positiv auf, dass sich jemand um dich kümmert.
Das hatten wir schon mal. Ausschlaggebend ist der Tempus des Satzes, da der hier in der Vergangenheit ist, gehört auch "kümmerte" in die Vergangenheit: kümmerte.
Ich fing an mir Namen für dich aus zu denken.
auszudenken
Nach und nach wurde alles dich betreffende an mich heran getragen.
Betreffende

Lieben Gruß, sim

 

Hello JH.Rilke,

eine Geschichte, die eigentlich berühren sollte, die auf mich aber belanglos wirkt und mich kalt läßt. Das könnte daran liegen, dass der Text sehr berichthaft abgefaßt ist, kaum Bilder und Gefühle erzeugt. Wie habe ich mir 'jungfräuliche Schönheit' vorzustellen? Das ist abstrakt, da gehe ich nicht mit. Es könnte auch an den vielen passiven Formen ('wurde') liegen, da kommt träge Unlebendigkeit auf.

Hier: 'wie das tägliche Atmen' mußte ich doch schmunzeln. ;-)

Viele Grüße vom gox

 

hallo Rilke,

an sich hat mir dein Text gefallen, aber wie schon erwähnt stört tatsächlich dieser erzählende Ton. Das nimmt dem Ganzen einen Teil seiner Kraft, und das ist schade, gerade bei einem solch sensiblen Thema.
Was mich allerdings viel mehr stört, ist das abrupte Ende. Das wirkt einfach zu sehr nach Ideenausfall.
Um wirklich was aus diesem Einfall zu machen, solltest du dich um ein runderes Ende kuemmern...

gruesslichst
weltenläufer

 

Hallo J.H. Rilke,

ich fand deine Geschichte ganz nett.

Die Grundidee hat mir gefallen, jedoch solltest du das Ganze - meiner Ansicht nach - gefühlvoller gestalten. Du erzählst so vor dich hin. Da gehört mehr Leben rein, die ein oder andere Metapher würde bestimmt auch nicht schaden.

Du könntest zum Beispiel schildern, was der Ich-Erzähler am Koma Patienten alles mag. Kleine Details, die den Reiz ausmachen...

Was der Text in Gesellschaft soll, versteh ich nicht so ganz. Ich würde für eine Verschiebung nach Romantik plädieren. Ist ja eigentlich eine Liebesgeschichte.

Fazit: Noch ein bißchen mehr Charakterstudie und ein bißchen mehr Gefühl dann passt´s.

lg neukerchemer

 

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