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So wie früher

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10.11.2007
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So wie früher

Geduld muss man haben.
Irgendwann werden sie doch zu mir kommen.
Aha, Frau Meyer kriegt wohl Besuch von ihrer Kusine dritten Grades väterlicherseits. Und ein neues Auto hat sie auch noch gekauft. Ich frage mich woher sie das ganze Geld nimmt. Ach, und der Sascha von nebenan hat wohl eine neue Freundin, bestimmt ein nettes Mädchen. Sie muss wohl in demselben Alter wie meine Julia sein.
Gestern hat man mir gesagt, die Miete werde im nächsten Jahr steigen. Wie soll ich denn mit meinem Geld noch auskommen? Seitdem Herbert nicht mehr da ist, wird die Lage immer schwieriger. Jetzt sind es schon neun Jahre her, seitdem Herbert tot ist.
Ich sehe ihn immer noch vor mir, wie er mit Julia und dem kleinen Klaus durch das Wohnzimmer hüpft. Was haben die Kinder gelacht. Tja, und jetzt sind sie auch schon groß geworden. Und Oma besuchen sie nur noch selten. Aber das ist nicht so schlimm. Ich weiß doch, dass sie viel zu tun haben. Das sagen sie ja immer, wenn ich anrufe.
In letzter Zeit kann ich die Tasten des Telefons gar nicht erkennen. Ich muss meine Brille verlegt haben und finde sie nicht wieder.
Frau Müller von gegenüber ist schon lange weggezogen. Sie hat im selben Stockwerk gewohnt wie ich. Jetzt sehe ich kahle Fenster teilweise mit Zeitungspapier abgeklebt. Sie hat für mich ab und zu die Einkäufe erledigt. Nun muss ich das selbst machen. Aber das schaffe ich noch. Nur die vielen Stufen zu meiner Wohnung machen mir zu schaffen.
Am Dienstag hat das Telefon geklingelt. Ich muss wohl lange nicht drangegangen sein, weil der Mann so genervt erschien, nachdem ich den Hörer abgenommen hatte. Der Klang meines Telefons drang nur ganz leise zu mir durch. Ich glaube, ich brauche ein neues Hörgerät.
Von meinen Kindern habe ich schon lange nichts gehört. Früher hat mich mein Sohn noch ab und zu besucht, und auch mal die kleine Julia mitgebracht. Aber er hat zur Zeit viel zu erledigen. Er muss ja schließlich seine Familie ernähren.
Sie kommen mich bald bestimmt besuchen und dann kommt auch meine Tochter, so wie früher. Zu Weihnachten kommen sie bestimmt und dann können wir zusammen feiern, wie damals als Herbert noch lebte.
Geduld muss man haben.

 

Hallo Kassia,

Deine kleine Miniatur über die Einsamkeit des Alters gefällt mir in ihrer Eindringlichkeit sehr gut. Mit knappen Sätzen und Bildern schilderst Du eine Stimmung, durch die Erzählstimme eine glaubwürdig erlebte, erlebbare, zeigst mir eine Innenwelt, die ich nachvollziehen kann und deren Melancholie weniger in den Erzählungen der Prot als meinen Gedanken zu diesen Erzählungen entsteht. Was mir ebenfalls gefällt.

Jetzt sind es schon neun Jahre her, seitdem Herbert tot ist.
entweder jetzt ist es schon neun Jahre her, seitdem... oder jetzt sind es schon neun Jahre, seitdem...
Ich muss wohl lange nicht drangegangen sein, weil der Mann so genervt erschien, nachdem ich den Hörer abgenommen hatte.
so klingt es, also ob sie nicht drangegangen ist, weil der Mann so genevert erschien, solltest Du also umstellen oder umformulieren.

Schöne Geschichte, habe ich gerne dran teilgehabt.

Grüße
C. Seltsem

 

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