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Sohn
Da lag er nun, gerade mal 20 Sekunden alt, mit frisch durchtrennter Nabelschnur.
Vollkommen unwissend, rein, keine selbstauferlegten Normen und Zweifel.
Unschuldig, kein Gut und Böse, nur Leben, ein Einzigartiges dazu.
Nichtsahnend welche unbeschreiblichen Wunder vor ihm lagen.
Sonne, die seine ungeschützte Haut wärmen wird. Seine unzähligen Träumereien, denen er in seinen Gedanken nachhängen wird und die unbegrenzten Möglichkeiten auszuschöpfen, sich auf die erfolgreiche Reise nach Liebe, Glück und Geborgenheit zu machen.
Neben Ihm stand seine Mutter. Noch nahe an die Bewußtlosigkeit erschöpft, durchzuckt von den süßen Schmerzen der Geburt ihres ersten, lieblichen Sohnes. Sie spürte die Leere in sich, hatte sie doch sein Heranwachsen Sekunde um Sekunde in sich gespürt, seinen Herzschlag, seine Bewegungen,
seine ersten zaghaften Träume. Jetzt war nichts Lebendiges mehr in ihr, nur r Schmerz.
Sie wollte sich zu ihm beugen, ihn wärmen, doch sie wurde von den weißen Männern gepackt und von ihm weggezerrt.
Zu schwach sich dagegen zu wehren gaben ihr Körper und Geist auf.
Keine Schmerzen mehr, nur noch Trauer.
So war ihr nicht einmal gestattet in seine Augen zu blicken. Ihr Herz zerbrach.
August wuchs auf und entwickelte sich großartig.
Jeden einzelnen Augenblick seiner jugendlichen Leichtigkeit genoß er verschwenderisch.
Warum auch nicht?
Noch immer waren ihm Zwänge und Verpflichtungen unbekannt.
Er wurde jeden Morgengeweckt, bekam ein ausgiebiges Frühstück und durfte anschließend raus ins Freie,den endlosen, blauen Himmel zu bewundern, zusammen mit allen seinen Freunden unter der Sonne zu tollen, ein Nickerchen im Schatten der Bäume zu genießen.
Abends, wieder mit allen seinen Freunden zurück ins frisch gemachte Bettenlager gebracht,und wieder reichlich Essen zu bekommen. Er fühlte sich wie ein König und lebte auch fast dessen Leben.
Und doch begann er sich in sich, seinem Herzen, etwas zu vermissen.
Richtig beschreiben konnte er es aber nicht.
Trotz seiner vielen Freunde und seines wundervollen Daseins fühlte er sich manchmal alleine.
Er hatte den Wunsch zu weinen, damit ihn jemand tröstend in die schützenden Arme nahm und ihn in den Schlaf sang.
Von einigen seiner Freunde erfuhr er etwas über seltsame Dinge.
Sie nannten es Familie, Eltern, Vater, Mutter und Kinder.
Aber er hatte keinen Vater und keine Mutter.
Oder vielleicht wollten ihn seine Eltern nicht,
genauso wie die Eltern seiner Freunde diese vielleicht nicht wollten.
Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher als eine Mutter.
In August lebte jetzt nur noch 1 Traum.
Es geschah an einem Dienstag im Frühling.
August beobachtete den herannahenden LKW und die anschließende Unterhaltung mehrerer weißer Männer.
Sie verschwanden im hinteren Teil seines Hauses, in dem er noch nie gewesen war, da er dort keinen Zutritt hatte.
Eine riesige, graue Stahltür wurde geöffnet und eine Masse drängte nach draußen.
Alle wurden von den weißen Männern durch einen metallgittergesäumten Weg getrieben, an dessen Ende ein vollkommen abgeschotteter LKW stand.
Mitleid für diese armen Geschöpfe stoppte seinen Atem.
Plötzlich blickte er in der Menge in 2 auf seltsam Weise vertraute Augen.
Die Augen seiner Mutter, er spürte es.
Sie wurde durch Schläge mit Metallstangen vorwärts getrieben,
aber sie konnte einfach nicht schneller laufen. Vor ihr war jemand in der Schlange gestürzt.
Alle trampelten über den am Boden Liegenden hinweg.
Sie kannte ihn, er hatte seinen Schlafplatz ein Stück weiter hinten gehabt.
Sie versuchte über ihn zu springen, ohne auf ihn zu treten.
Überall das Gebrüll und die Schläge der weißen Männer.
Sie stand vor der geöffneten Lade des LKWs, ein schwarzes, dunkles Nichts.
Panik überströmte sie, roch die Angst der Anderen, wollte dort auf keinen Fall hineingehen und wartete zu lange.
Ein Stromstoß ließ ihre rechte Körperhälfte aufschreien,
ihr Bein schluck zuckend nach hinten und wurde von einem erbarmunsgslosen Hieb einer Metallstange getroffen.
Sie hörte das trockene, endgültige Krachen ihres gebrochenen Oberschenkels.
Unaufhörlich wurde sie von Tritten, Schlägen und Stromstößen der weißen Männer die Rampe hinauf in den LKW getrieben, bis sie schließlich in die maßlos überfüllte Enge dieser lichtlosen Leere eintrat.
Zusammengequetscht, blind, standen sie alle da.
Eine vor Panik und Platzangst hysterisch bebende Masse.
Dann ging die Fahrt los, und diese endete erst 21 Stunden später.
Ohne Licht, frische Luft, Essen, Wasser oder die Möglichkeit sich kurz zu setzen um ihren gebrochenen Oberschenkel zu entlasten.
21 lange Stunden im Geruch von Angst, Urin, Kot, Erbrochenem, Blut und Tod.
Der LKW stoppte, die Lade sprang auf und sie wurde von den Anderen zu schnell in Richtung der noch nicht vorhandenen Rampe geschoben.
Sie rutschte aus und fiel und krachte 2 Meter tiefer auf eine eisige Stahlplatte.
Die Anderen sprangen jetzt so gut sie konnten über sie hinweg, doch einige trafen sie.
Sie spürte nach und nach immer mehr ihrer Knochen zersplittern.
Ihr Körper war nur noch ein einziger tauber Schmerz.
Die Anderen liefen vor ihr durch einen wieder mit Metallgittern gesäumten Weg in ein Haus.
Sie wollte auch aufstehen, denn sie sah schon die wütenden weißen Männer auf sich zukommen.
Aber sie konnte ihre Beine nicht mehr fühlen.
Die weißen Männer schlugen ihr einen riesigen, gekrümmten Haken durch ihre linke Schulter.
Den Haken hängten sie an eine dicke Metallkette, die sie dann langsam über den Boden in Richtung des Hauses schleifte.
Als ob es dadurch schneller gehen würde schlugen und traten die weißen Männer sie unablässig.
Der Haken an der Kette zerrte sie durch eine aufschwingende, milchglasige Plastiktür in einen weißen Raum.
Sie lag in einer Blutlache auf dem Boden und sah in die leeren, teilnahmslosen Augen eines Mannes in einem weißen Mantel.
Er drückte ihr ein kaltes Metallrohr an die Stirn, legte am Ende des Rohres einen schweren Metallbolzen ein, schloss die Verriegelung und grinste sie amüsiert an.
Sie dachte noch mal an ihren in ihr heranwachsenden Sohn,
den sie niemals an ihre Brust drücken oder in ihre Arme nehmen durfte.
Eine einzelne Träne lief über ihre Wange.
Er drückte ab. Ihr Gehirns spritzte aus ihren Ohren.
Dann ein Schwall warmen Blutes aus dem Loch in Ihrem Schädel.
"Und Frau Schrambacher, sonst noch einen Wunsch?"
"Ja gerne, bitte noch 2 Pfund Hack. Und 4 saftige Rinderfilets fürs Wochenende.
Da haben wir uns doch was richtig Leckeres verdient!"