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Solokarriere
Alles ist klasse. Ich fühl mich gut. Bin die Ruhe selbst! Es dauert ja auch noch zwei Stücke, bis ich dran bin.
Gar kein Problem. Ich hab die Stelle zuhause bis zum Abwinken geübt. Könnte sie inzwischen auswendig spielen, und nebenbei das Aerobic Programm im Fernsehen mitmachen.
Unwillkürlich zuckt es mich im Arm, weil ich die sadistische Trainerin im Fernsehen brüllen höre: “Und hoch und eins und....“ Ihre autoritäre Stimme jagt mir noch hier, mitten auf der Bühne der Musikhalle Respekt ein. Kann den langen Ton gerade noch sauber zuende spielen.
Noch ist ja Zeit, keine Panik. Erst mal hat ja Torben sein Oboen Solo. Das hat noch nie geklappt. Bei keiner einzigen Probe. Schadensvorfreude bekriecht mich. Trotzdem sieht er erstaunlich gelassen aus. Er hat sich locker in seinem Stuhl zurückgelehnt, während mir der Schweiß auf die Stirn steigt.
Mario, mein dicklicher Dirigent lächelt mir aufmunternd zu.
Aha! Er glaubt wohl ich bin aufgeregt. Meint wohl er muss mich aufbauen oder was?
Sofort lege ich eine eisern überlegene Miene auf. Jetzt der hohe Ton. Er zittert so sehr, dass er sich wie eine Feuerwehrsirene anhört und der ein oder andere schlafende Zuschauer erstaunt aufschreckt.
Tu einfach so, als war das ein geschultes Vibrato, denke ich verzweifelt, während mir Maja, meine Geigennachbarin, die Hand auf den Arm legt.
„Das wird schon, mach dir bloß keine Sorgen“, flüstert sie mir mitleidig ins Ohr.
Ich mache mir keine Sorgen! Ich bin vollkommen entspannt! Ist ja nur irgendsoein Solo, die Zuschauer merken wahrscheinlich sowieso nix, egal wie ich spiele.
Sehe ich da die Fitnesstante aus dem Fernsehen in der dritten Reihe?
Das Stück ist vorbei, jetzt das nächste und Torbens Solo. Ein leiser Einstieg von uns Geigen, dann setzen die Klarinetten ein. Gleich ist seine Solo Stelle. Er steht auf, eine Lächeln im Gesicht, das allen Schwiegermüttern in der ersten Reihe den Blutdruck in die Höhe schnellen lässt.
Er spielt gefühlvoll, sein Ton ist hell und klar, nebenbei zwinkert er einer Oma aus dem Publikum zu die gerade den Tränen nahe ist.
Mein kleiner Zeh macht sich mit eigenartigen Zuckungen bemerkbar. „Ruhe“, sage ich ihm halblaut in meiner Spielpause, was mir erzürnte Blicke der Klarinettisten einbringt. Ich sehe die Fitnesstussi mitschunkeln. Vorbei das Solo. Hervorragend, es hat geklappt, zum ersten Mal. Das freut mich jetzt aber! Riesenapplaus auch vom Publikum.
Jetzt kommt mein Stück. Ich rieche die Erwartung in der Luft. Ein erneutes Zunicken von Mario. Aber diesmal scheint sein Blick zu sagen „Enttäusch mich nicht!“. Torben dagegen signalisiert mir mit herablassender Geste: „Tja, mach mir das mal erst mal nach“ und die Augen der Fitnesstussi sind fest auf mich fixiert:„Und hoch und eins und...“
Meine Kehle schnürt sich zu, der Schweiß strömt nun geradezu von meiner Stirn und ich spüre meine Arme nicht mehr. „Hey Arme, ist doch nur ein Solo, nun stellt euch nicht so an“ sage ich ihnen, und glaube mir selbst nicht. Bin auch grad nicht in der Lage, schlüssige Gedankenfolgen zu produzieren.
Die Oma hat inzwischen ihre Tränen getrocknet und zieht mir eine Grimasse während Maja ein teuflisches Grinsen aufgesetzt hat. Die Finger meiner linken Hand krallen sich an die Geige, die der rechten flattern wirr in der Gegend herum, bei dem Versuch die Noten zu ordnen. Welche Noten, welches Stück? Ich will nicht!
Ich bin ganz ruhig. Atmen, atmen. Jedes einzelne Körperteil scheint mir flehende Bitten zuzurufen und keins tut mehr das, was es soll.
Ich kann das. In der Probe hat das immer geklappt.
Jetzt fängt das Stück an. Noch acht Takte bis zu meinem Einsatz. Das Blut ist aus meinem Kopf und den Händen geflüchtet, aus der letzten Reihe zeigt jemand mit dem Finger auf mich. Seine Augen leuchten rot.
Gleich ist es soweit. Aufstehen. Meine Beine schlabbern und schlottern. Alle schauen mich an. Die Hörner schlagen einen bedrohlichen Ton an. Mein Einsatz. Verpasst.
Mario schaut grantig herüber. Einfach wieder hinsetzen denke ich, dann merkts keiner. Geht nicht.
Ich finde den Anschluss, die Töne zittern. Es kann nur besser werden. Vor Augen habe ich diese typischen Fernsehkomödien, wo standardmäßig eine kleine schüchterne Sängerin bei ihrem ersten Auftritt erst vollkommen unsicher ein paar zaghafte Töne von sich gibt und dann ganz plötzlich zu ungeahntem Selbstbewusstsein findet.
Sie wirft dann üblicherweise ihre schwarze Strickjacke von dannen und trägt darunter ein sexy getigertes Top. Dann gibt sie eine perfekte Bühnenshow zum besten, kommt auf Platz 1 der Charts und heiratet einen gutaussehenden reichen Schauspieler.
Ich werfe meine Bluse nicht davon und bleibe wohl noch längere Zeit Single. Die ersten Zuschauer verlassen den Raum. Über die nächsten zwei Takte kann ich mich so rüberretten, dann die schnelle Passage. Naja, im Durchschnitt hat jede zweite Note gestimmt. Ich ernte einen abfälligen Blick von der Fitnesstussi, er sagt soviel wie „Versuchen wirs erst mal mit Dehnübungen“ und die Oma hält sich die Ohren zu. Nun gut, jetzt ist alles egal. Der Rest läuft so einigermaßen. Die Stunde um Stunde perfekt einstudierte Dramaturgie fällt völlig flach. Immerhin, überstanden.
Ich setze mich wieder. Plötzlich scheint alles um mich herum ganz fern zu sein. Die letzten Takte des Stückes habe ich ein irres Grinsen im Gesicht, sehe Farben, Grün und Blau.
„Na, war doch ganz gut“, meint Mario später. Vielleicht werde ich ihm das irgendwann nach jahrelangen Verdrängungsanstrengungen glauben. Jetzt brauch ist erst mal ein Bier, oder doch besser nen Vodka. Das mit der Solokarriere wird wohl noch ein bisschen warten müssen.