Sommercamp
Sommercamp 1994. Damals war ich gerade mal 14 Jahre alt. Und ich glaube, ich war auch der einzige 14-jährige, der von seinen Eltern zum Geburtstag und zu Weihnachten noch Micky Mouse T-Shirts und Tweety-Socken geschenkt bekam. Ich wollte eigentlich nicht mit auf dieses Camp, obwohl es doch mal eine Abwechslung zu dem üblichen Sommer-Urlaub war. Meine Eltern und ich sind sonst nämlich meist nach Holland gefahren, auf Texel um genau zu sein. Glücklicherweise haben wir das meist ohne einen Wohnwagen gemacht und sind in einen Bungalow Park am nördlichen Ende der Insel untergekommen. Jedenfalls war dieses Sommercamp das erste Mal, dass ich alleine unterwegs war. Wieder nach Holland. Wieder auf Texel. Dafür aber wie gesagt ohne Eltern. Mein bester Freund, Tim, war auch dabei. Und zum Glück war auch Kathi da. Kathi ist ein Jahr älter als ich und ging in die neunte Klasse unseres Gymnasiums. Es war das einzige Gymnasium bei uns in der Nähe und ich habe gerade noch die achte Klasse geschafft mit einer glatten fünf in Englisch, und einer knappen vier in Französisch. Auf einem Elternsprechtag meinten meine Sprachlehrer zu meinen Eltern, dass ich nicht mal über einen Funken Sprachtalent verfüge. Mich störte es wenig, so lange ich nicht sitzen blieb. Kathi war auch der Grund warum ich überhaupt mit in dieses Camp gefahren bin. Ich hatte von einer Klassenkameradin erfahren, dass Kathi auch hier sein würde. Blöderweise hat mir die gleiche Klassenkameradin auch gesagt, dass sie mit Ralf aus der zehn D zusammen ist. Ich konnte das natürlich nicht glauben, und mich störte es auch nicht, weil ich ebenfalls wusste, dass Ralf nicht mit in dieses Camp fahren würde, was er auch nicht tat. Seit dem ich auf das Gymnasium ging bin ich in Kathi verliebt gewesen. Sie war damals meine „Patin“ gewesen und hatte mir die Schule gezeigt, bei einem Treffen unserer Klasse wenige Monate bevor wir die Schule gewechselt hatten. Sie beeindruckte mich schon damals, mit ihren schmutzig blonden Haaren und ihren grünen Augen. Seit dem Tag bin ich heimlich in sie verliebt gewesen. Und nun fuhren wir zusammen ins Camp. Na ja, vielleicht nicht alleine, aber das störte mich nicht. Ich wusste, ich musste hier meine Chancen wahren und sie ansprechen. Auch wenn ich noch nicht genau wusste wie ich das anstellen sollte.
An jenem morgen als es losgehen sollte, hatten wir unpassender Weise in der Nacht einen Stromausfall, sodass nicht nur mein Wecker, sondern auch der Wecker meiner Eltern ausgefallen war, und wir zu spät aufgestanden sind. Zum Glück haben wir dann doch noch den Bus erreicht, nach dem wir über die eine oder andere rote Ampel gefahren sind. Außerdem hatte ich die Wahl zwischen Duschen und Frühstücken. Da ich wirklich Hunger hatte, hatte ich mich für letzteres entschieden. Keine gute Idee wie sich herausstellte, da es eben Sommer war, und der Bus damals natürlich noch keine Klimaanlage hatte. Aber wenigstens hatte mir Tim in einem der drei Busse einen Platz freigehalten. Es machten sich ca. 150 Jugendliche im Alter von 13 bis 16 Jahren auf nach Holland, um für zwei Wochen das Camp zu genießen. „Na, hast du schon gesehen wer weiter vorne im Bus sitzt?“ fragte mich Tim. „Wer denn?“ entgegnete ich. „Kathi natürlich, wer denn sonst. Mit Steffie und Andrea.“ Steffie Klos und Andrea Herbig. Die beiden konnte ich nicht ausstehen. Ich stellte sie mir beide immer als böse Teufelchen vor, die Kathi immer schlecht beeinflussen wollten, zumindest in dem Umfang, dass ich niemals mit Kathi zusammen kommen würde. „Das ist natürlich Bockmist.“ meinte ich zu Tim, der bejahend den Kopf nickte. Ich musste mir mit ihm eine Taktik ausdenken wie ich Kathi näher kommen könnte, ohne dass die beiden Hexen etwas davon bemerken würden.
Die Fahrt nach Holland dauerte länger als ich gewohnt war, und wir hatten Glück das wir nach einer vierstündigen Wartezeit an der Fähre es doch noch auf die Letzte geschafft hatten. Wir kamen also völlig übermüdet an unserem Zeltplatz an, und mussten jetzt auch noch die Zelte aufbauen. Wir Jungs wurden in Sechserzelten untergebracht, weit weg von den Zelten, die von den Mädchen bewohnt wurden. Das Zeltlager war durch eine 15 Zentimeter breite weiße Linie geteilt, über die sich kein Junge und kein Mädchen nach 21 Uhr begeben durfte. Ansonsten hätte es mächtig Ärger gegeben, was natürlich jeden Abend der Fall war, weil sich keiner an die Regeln hielt. Ich teilte mir mein Zelt mit Tim, Olli, einem 15 jährigen aus Salzgitter, Knud, der so dick war, das wir Ihn nur noch Klößchen nannten, nach den damals so beliebten Jungdetektiven TKKG. Außerdem waren noch Phillip, aus Papenburg, der nur von der dort ansässigen Meyer-Werft redete, bei der er später wahnsinnig gerne arbeiten würde, und Jens, ein schweigsamer der uns partout nicht verraten wollte, woher er kam. Vielleicht habe ich es nach zehn Jahren auch einfach nur vergessen.
Wir hatten echt wahnsinnig viel Spaß zusammen. Jeden Tag spielten die Jungs Fußball, die Mädels feuerten uns an und danach gingen wir zusammen an den Strand. Die meisten Fußballspiele hatte meine Mannschaft gewonnen. Ich war damals ein recht guter linker Stürmer gewesen und hatte das eine oder andere Tor gemacht, weshalb die Mädchen auch schnell meinen Namen kannten, damit sie wussten wen sie anfeuern sollten. Kathi hatte ich jedoch nie bei einem von den Spielen gesehen.
Es bildeten sich viele Pärchen. Ich jedoch war daran nicht wirklich interessiert mit irgendeiner zusammen zu sein. Meine große Liebe war Kathi. Zumindest dachte ich dass es meine große Liebe ist, war ich doch vorher nie verliebt gewesen. Die zwei Tage Beziehung mit Alexandra aus der Grundschule zähle ich nicht dazu. Tim und ich grübelten jeden Abend darüber nach, wann, wo und vor allem wie ich Kathi auf mich aufmerksam machen würde. Jedes mal wenn ich sie im Camp oder am Strand gesehen hatte, drehte ich mich ganz verschüchtert weg und ging in die andere Richtung. Ungefähr so verliefen fast die gesamten zwei Wochen. Nicht einmal hatte ich mit ihr gesprochen und Tim konnte mich auch nicht überreden doch noch einfach zu ihr zu gehen.
So saß ich nun am vorletzten Tag alleine am Strand, nachdem sich alle wieder zum Zeltlager begeben hatten und schaute mir den Sonnenuntergang an. Vereinzelt waren noch Leute am Strand, doch an jenem Abend war es kühler gewesen als sonst. Plötzlich sprach mich jemand von hinten an: „Hallo“ sagte die Stimme, „so spät noch alleine hier am Strand?“ Die Stimme kam mir bekannt vor und ich dachte zunächst ich würde mir das alles nur einbilden, doch ich drehte mich um und wer stand vor mir: Kathi. „Ähh…“ stammelte ich. Sie fing an zu kichern und sagte: „Mir ist etwas kühl, darf ich mich zu dir setzen? Ich hab dich Fußballspielen sehen.“ Sie hatte also doch bei den Spielen zugesehen, aber offenbar war ihr nicht mehr bewusst das wir auf die selbe Schule gingen. „Ja, klar darfst du dich setzen“ entgegnete ich. „Ich wusste gar nicht, dass du dich für Fußball interessierst.“ Sie lächelte mich an, setzte sich und meinte, dass sie sich dafür auch gar nicht interessieren würde. „Ach so“ erwiderte ich, „aber warum schaust du uns dann zu?“ – „Na weil ich dich ganz süß fand. Und mir ist aufgefallen das du dich immer von mir weggedreht hast, wenn wir uns irgendwo begegnet sind. Schon seit dem ersten Tag.“ Mann, damit hätte ich ja niemals in meinem Leben gerechnet. Kathi fand mich, der Junge mit den Micky Mouse T-Shirts und den Tweety-Socken süß! „Kannst du deinen Arm um mich legen? Mir ist doch so kalt.“ bittete sie mich. Und ob ich das konnte, und natürlich habe ich es auch gemacht. Nun saßen wir da, zusammen und ich hielt sie in meinen Armen. „Ich dachte, du wärst mit Ralf aus der 10 d zusammen“ fragte ich sie vorsichtig. „Mit Ralf? Ach das ist doch ein Spinner. Wir waren nur mal zusammen im Kino, und das war’s.“ Wir schauten uns gemeinsam den Blutroten Sonnenuntergang an und dann passierte es plötzlich: Wir küssten uns. Mein erster Kuss, und dann auch noch mit Kathi. Es war einfach unglaublich. Hand in Hand gingen wir zurück ins Zeltlager. Ich brachte sie zu ihrem Zelt, das sie sich mit den beiden Hexen teilte und schlich mich dann über die weiße Linie, vorbei an den Aufsehern, wieder zu meinem Zelt zurück. Es war leer. Ich fand heraus, dass die Jungen-Gruppe ein Lagerfeuer zum Abschluss veranstaltete und beeilte mich dorthin zu kommen. Schnell fand ich Tim und wie es unter uns Jungen so üblich ist erzählte ich ihm was draußen am Strand passiert ist. „Endlich“ schrie Tim auf und freute sich für mich. Er fragte: „Seit ihr denn nun zusammen?“ – „Ich denke schon“ antwortete ich. Sicher war ich mir natürlich nicht, da wir nicht darüber gesprochen hatten. Ich genoss das Feuer und war schwer verliebt. Noch mehr als vorher schon. Dieses Gefühl war damals einfach unglaublich für mich gewesen.