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Sonne über Schweden

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09.05.2004
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Sonne über Schweden

„Was ist das?“
Die Worte dringen zu mir vor und mir wird wieder bewusst, dass ich auf dem Tisch in meinem Klassenzimmer sitze. Dass ich wieder nur Pause habe, lediglich fünf Minuten, in denen man all das Unwichtige der letzten Dreiviertelstunde aus dem Kopf bekommen muss. Damit Platz ist für das wirklich Wichtige.
„Ein Foto“, sage ich, ohne aufzusehen. Ich weiß auch so, dass es Jeremy ist, der vor mir steht. Ich habe seine Stimme erkannt. Vielleicht geht er ja wieder, wenn ich kaum etwas erwidere, und ich kann zurück. Eintauchen in das Bild auf meinen Knien.
Doch er rührt sich nicht, antwortet, und man hört das Lächeln in seiner Stimme: „Das sehe ich.“ Nicht verärgert sagt er es, sondern irgendwie belustigt. Mit seinem amerikanischen Akzent, den er noch immer hat, auch wenn er hier schon Jahre lebt. „Sagst du mir auch, was drauf ist?“
Ich habe keine Zeit dafür. Die Pause ist doch nur so kurz. Viel zu kurz für eine so lange Reise in mein Bild.
„Das rechts von mir ist meine Freundin Jana. Links steht ihre kleine Schwester“, höre ich mich sagen. Und frage mich, warum ich jetzt nicht dort bin. Jetzt, sofort, bei ihnen.
„Wo habt ihr das Bild aufgenommen?“, fragt Jeremy. Er hat sich inzwischen auf den Tisch vor mir gesetzt. Ich sehe es aus den Augenwinkeln, denn noch immer ruht mein Blick auf dem Foto.
„Schweden.“ Das kleine Haus meiner Freundin taucht in Gedanken vor mir auf. Meine Freundin, die früher im Nachbarort gewohnt hat und nun schon so lange in Schweden lebt. In einem Land, das nicht nur ihr, sondern auch mir Heimat geworden ist. Und es jedes Jahr, in jeden Sommerferien noch ein bisschen mehr wird.
„Du warst schon einmal in Schweden?“
Ich nicke. „Dreimal“, sage ich und weiß, es ist gelogen. In Wahrheit bin ich hundertmal am Tag dort. Beim Abendessen. Wenn ich die Sonne morgens aufgehen sehe. Wenn ich die Bilder an meiner Wand betrachte. Wenn ich eine E-Mail an Jana schreibe. Während ich Hausaufgaben mache. Davor. Oder danach. Und in den kurzen Pausen, den fünf Minuten Freiheit.
Ich merke plötzlich, dass mein Blick wieder glasig geworden ist, während ich das Foto betrachte. Es ist mein Lieblingsbild und die Ecken sind ganz geknickt. Aber das macht nichts. Denn in drei Wochen sind wieder Sommerferien und wenn das neue Schuljahr beginnt, werde ich viele neue Fotos haben.
„Ich glaube, dorthin würde ich auch mal reisen. Es soll ja echt schön sein.“
Ich sehe auf, nun doch.
„Ja“, antworte ich. „Es ist... wundervoll.“ Lüge, geht mir durch den Kopf. Wundervoll, das Wort ist viel zu schwach. Doch es gibt keines, das meine Gefühle beschreibt, wenn ich ankomme. Wenn ich dort bin. Wenn ich lebe.
Jeremy sieht mich an.
Das Licht scheint durch das Fenster, fällt auf sein Gesicht. Auf einmal möchte ich ihm von diesem Land erzählen. Erzählen, dass dort alles anders ist. Die Bäume, die Städte, die Menschen. Ja, dass sogar die Sonne dort ganz anders ist.
Das Ding, das in Deutschland am Himmel hängt, das ist nicht echt. Die Sonne in Deutschland hat ein Ziffernblatt. Sie lässt die Menschen durch die Straßen hasten und lügt und sagt, wir hätten keine Zeit mehr. Vielleicht bauen die, die immer so viel arbeiten, deshalb Hochhäuser. Damit die Menschen auf der Straße die Sonne nicht mehr sehen und sich mehr Zeit nehmen.
In Schweden, da gibt es keine Hochhäuser. Da ist die Sonne echt.
Das möchte ich Jeremy erzählen. Ich will ihm sagen, dass ich mich hier fremd fühle, in diesem Land, obwohl ich hier geboren bin. Ich will ihn fragen, weshalb er hier leben kann, obwohl er doch hier gar nicht geboren ist. Und er doch wissen muss, dass es anderswo besser ist als hier.
Vielleicht steht die Frage schon in meinen Augen, bevor mein Mund die Worte findet. Augen wissen ja sowieso mehr als Worte. Und sie können nicht lügen.
Jeremy hat mich jedenfalls verstanden. Er sieht mich nachdenklich an, dann schweift sein Blick aus dem Fenster, zur Sonne.
Es klingelt. Die nächste Stunde beginnt.

 

Hallo Ratte,
ich finde deine Geschichte echt schön. Die Sehnsucht nach der echten Heimat kommt gut zur Geltung. Man spürt richtig wie sehr sich deine Hauptperson wünscht wieder in Schweden zu sein.

Richtig schön zu lesen, alles supi beschrieben und eine tolle Geschichte.

mit Freundlichen

Mort F.

 

Hallo, Mort F.

Vielen Dank für deine Meinung!
Es ist die erste Kurzgeschichte, die ich hier reinstelle und ich freue mich sehr, dass sie dir gefallen hat! :)

LG,
Nanine

 

hallo leseratte,

auch mir hat diese geschichte gefallen. sie ist nicht zu lang, das ist ganz wichtig. eine lange geschichte mit diesem erzählstil kann unerträglich werden. so aber hast du alles gesagt ohne dich in langen ausschweifungen zu verlieren. die sehnsucht kommt gut herüber, dabei frage ich mich, ob es tatsächlcih die sehnsucht nach dem land ist oder vielmehr die sehnsucht nach dem mädchen ist. wahrscheinlich möchtest du das untrennbar voneinander sehen *smile*.
kleine stilistische fehler sollten noch beachtet werden. in der geschichte erwähnst du dreimal "lügen". das ist 2 mal zuviel, denn sonst verschiebst du den focus auf lügen und verlierst ihn bei der eigentlichen sachen "Schweden" und "Sehnsucht"

warum muss der gesprächspartner einen amerikanischen akzent haben? welche bedeutung hat das für den inhalt deiner geschichte?

Dass ich wieder nur Pause habe, fünf Minuten, in denen man all das Unwichtige der letzten Dreiviertelstunde aus dem Kopf bekommen muss. Damit Platz ist für das wirklich Wichtige.

"nur" nicht vor pause sondern vor "fünf"?
vor damit sollte ein komma anstatt ein punkt.

aber ansonsten, solide geschichte, die ich gern gelesen habe

bis dann

barde

 

Hallo, barde!

Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, die Geschichte zu lesen!
Ich freue mich sehr, dass sie dir gefällt :)

Die Sehnsucht nach dem Land oder der Freundin: Ich denke, dass ist der Prot. selbst nicht genau klar. Sie verlebt dort einfach eine wunderschöne Zeit, was nat. auch mit der Anwesenheit der Freundin zusammenhängt. Eine genaue Grenze lässt sich da bestimmt nicht ziehen.

warum muss der gesprächspartner einen amerikanischen akzent haben? welche bedeutung hat das für den inhalt deiner geschichte?
Nun ja, zum einen wollte ich Jeremy einfach ein bisschen mehr "Farbe" geben, ein bisschen mehr Eigenheit. Ich hatte Angst, dass er die Rolle eines "Interviewers" übernimmt, der halt da ist, aber im Grunde unwichtig.
Und dann sollte es noch darauf hinweisen, dass er aus Amerika ist. Okay, der das wird eigentlich nur insofern aufgegriffen, dass sie sich fragt, wie er dann hier leben kann.
Also zentral wichtig ist es eigentlich nicht. Ich schau noch mal drüber, ob ich es streiche. Vielleicht ist seine Herkunft ja auch schon allein durch den Namen klar...?

"nur" nicht vor pause sondern vor "fünf"?
vor damit sollte ein komma anstatt ein punkt.
Hm, das nur sollte eigentlich sagen, dass der Unterricht danach noch weitergeht, dass die Schule noch nicht aus ist. Und was den Punkt angeht: Sollte eine kleine Pause im Lesefluss bringen, weil der Satz mir sonst zu lang wird. Wirkt aber anscheinend nicht. Okay, ich schau mir beides nochmal an.

Vielen Dank jedenfalls noch mal - hab mich sehr über die Kritik gefreut :)

LG,
Nanine

 

Hallo Leseratte,

deine Geschichte hat mir gefallen.

Der Stil war sehr angenehm und hat, wie Barde schon erwähnte, genau für eine Geschichte dieser Länge gepasst. Die Sehnsucht nach dem Land, nach der Freundin, hast du für meinen Geschmack sehr gut eingefangen. Fast hab ich selbst ein bissl Sehnsucht nach Schweden bekommen, obwohl ich das Land gar nicht kenne.
Ich glaube allerdings auch, dass es eher das Mädchen ist, nach dem er sich sehnt, als Schweden selbst. Man sagt ja: Heimat ist immer da, wo man sich am wohlsten fühlt. Ich glaube nicht, dass ihm Schweden so gut gefallen würde, wenn seine Freundin nicht dort wäre.
Klar, dass er die Zeit dort genießt. Immerhin hat er Ferien, er sieht nach langer Zeit endlich seine Freundin wieder....

Trotzdem kann die Vermischung bleiben. Ich als Leser kann es mir so interpretieren, wie ich es möchte.

LG
Bella

 

Hallo, Bella!

Auch dir vielen, vielen Dank für deine Meinung und deine Gedanken zu der Geschichte!
Super, dass sie dir gefällt; ich freue mir sehr! :)

LG,
Nanine

 

"Hm, das nur sollte eigentlich sagen, dass der Unterricht danach noch weitergeht, dass die Schule noch nicht aus ist."

es ist der charakter einer pause, dass es danach weiter geht! *smile*

 

Ja... und genau das wollte ich betonen :D

Ich weiß nicht, der Satz "Dass ich wieder Pause habe...", das klingt ja nicht unbedingt bedauernd, sondern ziemlich neutral.
Was ist mit "Dass ich wieder nur Pause habe, lediglich fünf Minuten, ..." ? Stolpert man da immer noch? Falls ja, kannst du dich gerne nochmal melden, barde - aber irgendwie häng' ich an dem "nur" :D

Also, ich änder's jetzt mal so, wenn nicht noch andere meinen, es sollte besser raus. ;)

 

Hallo Nanine,

auch mir hat deine Geschichte gut gefallen. Wie die anderen (so lese ich das heraus) dachte ich, es handle sich um einen Jungen, der sich nach der Freundin sehnt, hätte ich nicht die Antwort von dir gelesen, in der du von einer weiblichen Person schreibst :).
Umso schöner, wenn die Prot so eine Freundin hat, mit der sie so dick zusammen ist.
Es ist manchmal schwer, liebe Menschen weit weg zu wissen; aber richtige Freundschaft leidet nicht darunter. Im Gegenteil, dadurch kann auch eine andere Qualität entstehen.

Lieber Gruß
bernadette

 

Hallo bernadette!

Auch dir vielen Dank für deine Meinung! Es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallen hat :) Mit so viel positiver Resonanz hatte ich gar nicht gerechnet =)

Ja, ich selbst bin beim Schreiben eigentlich von einem Mädchen ausgegangen, aber es ist ja für die Geschichte selbst nicht von wesentlicher Bedeutung. Nun ja, meine Freundin hat den Text gelesen und ist aufgrund des Ich-Erzählers gleich auch ein bisschen von mir ausgegangen, so dass sie sofort an eine weibl. Prot. dachte - und war sicher, dass sich bei Jeremy und der Prot. noch was entwickeln könnte... :shy:

Aber wie gesagt, ist nat. Interpretationssache und eigentlich nicht sonderlich wichtig; Bella sagte ja schon

Ich als Leser kann es mir so interpretieren, wie ich es möchte.

Also, vielen Dank noch einmal für deine Meinung! :)

LG,
Nanine

 

Hey groper!

Vielen Dank für deinen Kommentar! :)

falls du selbst noch zur schule gehen solltest: wirst mal eine ganz große...*promise*...

Oh, hey, vielen Dank *versprechen gerne abnehm* :D Schön wär's bestimmt... :)

LG,
Nanine

 

Liebe Nanina!

jep. Daumen hoch. Hat mir gefallen.

1. Gelungene Beschreibung der Sehnsucht. Intensiv, aber nicht kitschig. Und aus meiner Sicht sehr verständlich = Schweden ist "wundervoll". Ich weiß, deine KG soll ein Gefühl, eine Szene, einen Lebenswunsch darstellen. das ist dir gelungen. Obwohl ich grundlegend nicht dafür bin, sein Leben mit den Träumen von anderen Orten zu verbringen, sondern damit, die Schönheiten im eigenen Umwelt zu genießen. Aber deine KG steht ja nicht bei Philosophisches, daher geht das voll in Ordnung. Ist ja auch deine KG.

2. Mein Lieblingssatz ist der mit der Sonne in Deutschland. Das Ziffernblatt. Sehr gute Metapher mit Herz, die ich eigentlich nicht erwartet hatte. Lob. Auch gut, dass du sie gezielt einsetzt und nicht die ganze Storie damit zupflasterst (dazu neige ich manchmal).

3. Ich finde es sehr gut, dass jeremy Amerikaner ist. Ich weiß nicht, ob das beabsichtigt war, aber durch dieses detail und durch das Ende der KG interpretiere ich: Deutschland ist für Jeremy wie Schweden für deine Hauptfigur. Und ganz vielleicht ist deine Hauptfigur ja eine Sie und ganz vielleicht ist diese sie ja der Grund für Jeremys Aufenthalt, so wie die Freundin auf dem Foto. Kann ja sein. Das war jedenfalls ein schönes Ende. Auch, weil es mir zeigt, dass das, was wir als furchtbaren Alltag unter dem Ziffernblatt sehen, für andere ein zeitloser Ort ist.

Die einzige negative Kritik, die mir bleibt ist: Ich will mehr lesen!

LG Fee

 

Hey Fee!

Oh hey, vielen Dank für deine Meinung - ich hatte nun schon wirklich nicht mehr damit gerechnet, noch eine weitere Rückmeldung zu bekommen; umso mehr freut's mich :)

Es freut mich sehr, dass die Geschichte dir gefällt!
Schön, dass du das mit dem Ziffernblatt erwähnst - da hatte ich nämlich wirklich Angst, zu übertreiben, "bemüht" zu klingen oder was auch immer.

Und was Jeremy angeht: Wer weiß? ;)

Also, vielen Dank noch mal und Gute Nacht :)
LG,
Nanine ( :D )

 

Hallo Leseratte,

hey, eine Geschichte nicht in aber über Schweden, schön. Ein tolles Land. Deine Geschichte hat mir gut gefallen, das Gefühl, die Sehnsucht hast du deutlich herausgestellt. Wie oft sind wir eigentlich ganz wo anders als dort, wo unser Körper ist...

Eins weiß ich nur nicht: Ob die Grundszene, das Foto anschauen in der Pause, vor allen anderen, ob das realistisch ist. Geht sie (für mich war es eine sie) nicht eher die Gefahr ein, gefragt und vielleicht sogar gehänselt zu werden, weil sie sich so abkapselt? Kommt wahrscheinlich auf das Alter deiner Prot an.

Besonders gelungen fand auch ich das Bild mit der Sonne.

Eins nur:

Vielleicht geht er ja wieder, wenn ich nicht richtig etwas erwidere, und ich kann zurück. Eintauchen in das Bild auf meinen Knien.
das "nicht richtig" gefällt mir nicht, klingt irgendwie unschön. Wie wäre es mit "kaum"

Liebe Grüße,
Juschi

 

Hallo Juschi!

Vielen Dank fürs Lesen und Meinung sagen :)
Es freut mich sehr, dass es dir gefallen hat!

Eins weiß ich nur nicht: Ob die Grundszene, das Foto anschauen in der Pause, vor allen anderen, ob das realistisch ist. Geht sie (für mich war es eine sie) nicht eher die Gefahr ein, gefragt und vielleicht sogar gehänselt zu werden, weil sie sich so abkapselt? Kommt wahrscheinlich auf das Alter deiner Prot an.

Ich bezweifle, dass sie darüber nachgedacht hat. Sie war in dieser Stimmung und wollte allein sein; wenn für jemanden die "echte" Welt sowieso nicht hier ist, dann sind für ihn die Meinungen der Menschen hier meist auch nicht so wichtig ;)
Und ob sie gehänselt wird, hängt ja von vielem ab: Wie sie sich sonst verhält (und man das daher vll einfach respektiert), wie selbstbewusst sie ist und ob sie sich provozieren lässt und sicher auch, wie du schreibst, von dem Alter der Prot.

Besonders gelungen fand auch ich das Bild mit der Sonne.
Das freut mich :)

das "nicht richtig" gefällt mir nicht, klingt irgendwie unschön. Wie wäre es mit "kaum"?
Das trifft zwar nicht hunterpro meine Absicht, aber du hast Recht, es klingt besser. Ich ändere es :)

Viele Grüße,
Nanine

 

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