Sonne im Café
Ich saß in einem sonnendurchflutenden Café nahe der Fifth Avenue in New York. Ich hatte ein einfaches hellblaues Sommerkleid an, das den perfekten Kontrast für meine orangeroten Haare darstellte, und ein paar schwarze Ballerinas an den Füßen. Die Aussicht auf ein graues eintöniges Wohnhaus war nicht gerade sehenswert. Jedoch lag das Café nicht weit entfernt von mir und es gab dort den besten Kaffee, den ich je getrunken hatte. Ich war so gut wie jeden Tag da. Diese Kaffeestube war ein kleines ruhiges Café, in das sich nicht viele Leute verirrten. Auch ich hatte es nur durch Zufall gefunden, als ich an einem regnerischen Tag, einen Unterschlupf gesucht habe.
Heute waren ebenfalls wenige Gäste, außer mir da. Weiter hinten saß nur ein Mann im Schatten, der Graf Dracula ähnelte. Dieser ausländische aussehende Herr sah sehr abgemagert aus, seine Wangenknochen stachen aus seinen Gesicht heraus und an seiner abgezehrten sehr blassen Fingern klemmte eine Zigarettenstummel. Sein dunkles Haar war streng zurück gegelt und sein Körper steckte in einen anthrazitfarbenen Anzug mit weißem Hemd. All diese Merkmale passten perfekt auf die Beschreibung eines Vampirs. Doch dieses verruchte Typ, obwohl man Typ eigentlich nicht sagen konnte denn dieser Mann bewegte sich so elegant wie ein Hirsch und sah eher wie ein altmodischer Graf aus, fand ich irgendwie anziehend und abstoßend zugleich.
Ich hatte diese Mannesgestalt schon öfters in diesem Café gesehen und hatte ihn manchmal unauffällig beobachtet. Heute behielt er mich im Auge, bloß versuchte er es nicht mal zu verbergen. Dieser Mann war mir eigentlich nur Unheimlich, wenn da nicht diese ausgesprochenen guten Manieren wären, wie der Dame die Tür aufhalten, grüßen und verabschieden, wenn wer kommt oder geht und sogar aufstehen und eine leichte Verbeugung andeuten, wenn eine Dame sich erhebt. Ich habe es bei ihm zwar noch nie gesehen, aber er würde einer ihm bekannten Dame bestimmt auch einen Handkuss zur Begrüßung geben.
Ich bemerkte wie er mich anstarrte und sich ein bisschen in eine bessere Position gleiten ließ, um mich einwandfrei sehen zu können, da gerade der Kellner des Cafés vorbeilief, der nun sein Schicht beendet hatte.
„Auf Wiedersehen, eine schönen Feierabend, Caludio“, verabschiedete der düstere Herr und ich war überrascht, das er den Namen des Kellners kannte, obwohl dieser erst seit etwa zwei Wochen hier arbeitete. „Ciao“, erwiderte Caludio und ging. Nun waren der Mann, der diese Verabschiedung nicht davon abgehalten hatte mich weiter anzustarren, und ich wieder allein.
Ich wollte im Moment nicht weiter über diesen Mann nachdenken, der nur ein Tisch schräg weiter hinter mir saß und mich mit seinen dunklen Augen intensiv anstarrte, mittlerweile konnte man nichts anderes mehr zu dem sagen was er machte.
Da hörte ich ein leises Rascheln, ich dachte mir zuerst nichts dabei, doch dann kamen Schritte in meine Richtung und ich erstarrte. Ich dachte: „Nein, hoffentlich kommt er nicht zu mir, der wird mir jetzt doch langsam unheimlich. Vielleicht ist er ja wirklich ein Vampir und will mich jetzt beißen, weil er Hunger hat und keiner in der Nähe ist.“ - Meine Gedanken spielten verrückt. Dann kam das leise Klacken seiner Designerschuhe immer näher. Ich wollte aufstehen, aber ich war wie festgefroren.
„Bitte nicht, bitte nicht!“, dachte ich hilflos.
Und plötzlich hörte ich seinen Atem hinter mir. „Nein nicht beißen, nicht beißen!“, schrie ich und direkt hinter mir erschallte ein durchdringendes Lachen.
„Also ich glaube, mich halten ja viele Leute für ein Vampir, aber sie, sie sind die erste, die ‚nicht beißen’ ruft“, sagte er und versuchte sein Lachen zu unterdrücken, da er mein nicht gerade freundlichen Blick, um es mal vorsichtig auszudrücken, sah.
„Entschuldigen, sie das konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Wenn ich mich vorstellen darf, Christopher Lee“, sagte er nun mit einer samtenen Stimme, die kein Haar krümmen konnte und gab mir (uuaaaaaaahhhhhhh) tatsächlich und wahrhaftig einen Handkuss.