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Sonnenstich
Es war so heiß, dass es sogar zu heiß war, um zu denken.
Wir lagen bei ihr im Garten auf der Wiese und bestaunten die weißen zarten Wolken, die sich scheinbar überhaupt nicht veränderten, wenn man sie beobachtete. Wenn man aber den Blick abwandte, waren die Bilder verschwunden und andere Bilder erschienen am blauen Himmel.
Ich wollte sie gerade darauf hinweisen, als sie sagte: „Du, was passiert eigentlich mit den Schäfchen, wenn sie nicht gezählt werden?“
Obwohl es heiß war, richtete ich mich auf, um sie anzusehen.
„Was meinst Du?“, fragte ich und beobachtete, wie sie mit ihrem großen Zeh Grashalme aus der Wiese pflückte.
„Naja, überleg doch mal. Den ganzen Tag sind wir beschäftigt und verschwenden keinen Gedanken an die kleinen Schäfchen. Und abends zwingen wir sie dazu, über Zäune zu springen, nur damit wir einschlafen können.“
Darauf konnte ich nichts sagen. Ich legte mich wieder auf den Rücken und beobachtete weiterhin die Wolken. Auch wenn ich sie nicht verstand, erschienen sie mir logischer, als das eben fast zu Stande gekommene Gespräch.
Wie, um mich zum Thema zurückzubringen, formte sich tatsächlich aus einer Wolke ein Schaf.
„Vielleicht“, sagte ich, „ruhen sie sich tagsüber aus.“
Dann schwiegen wir wieder und ich glaubte, sie sei über den Gedanken an hüpfende Schäfchen vielleicht eingeschlafen.
Ich verbannte dieses Gespräch aus meinem Kopf und versuchte, an nichts zu denken.
Irgendwann glaubte ich wirklich, leises Schnarchen aus ihrer Richtung zu hören.
Als die Sonne sich senkte und ich zurück ins Haus gehen wollte, kam aus ihrer Richtung noch ein Gedanke: „Glaubst du, die Schäfchen zählen uns, wenn sie nicht schlafen können?“