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Sonntagnachmittag
Sonntagnachmittag. Ein gewöhnlicher, heißer Sonntagnachmittag im August. Es war einer dieser Nachmittage an denen man spazieren gehen sollte, frische Luft und Sonne tanken, am besten mit seiner Familie oder seinem Freund, seiner Freundin oder dem Hund. David hatte sich an diesem heißen Sonntagnachmittag dazu entschlossen, seiner Mutter diesen Wunsch zu erfüllen und sich selbst vermeintlich auch etwas Gutes zu tun. David wollte spazieren gehen. Mit seiner Mutter. Sie trug wie an jedem Sonntag ihre türkisfarbene Bluse mit doppelter Knopfreihe, darüber Ihren Strickblouson, dessen weiße Wolle (falls man hier überhaupt noch von einem weiß reden konnte) auch schon bessere Zeiten gesehen hatte und Ihre zerlaufenen Absatzschuhe, deren kleine Lederriemchen sich tief in die dicken, aufgequollenen Beine schnitten so das man denken konnte, das blasse, ausgetrocknete Fleisch glich einem ausgehungerten Tier auf Beutezug, das die kleinen zarten Riemchen gierig zu verschlingen versuchte.
Fertig hergerichtet zogen David und seine Mutter los, raus in die Sonne. David hatte wie jedes Mal wenn er seine Mutter nach draußen begleitete Probleme, den Rollstuhl, auf den Sie angewiesen war, über verschiedene Bordsteinkanten und später auf den etwas schlechteren Radwegen rund um den See im nahegelegenen Stadtpark zu manövrieren. Die Tatsache das Davids Mutter leider nicht mehr in der Lage war, in irgendeiner Weise etwas zur Fortbewegung Ihres nicht unbeachtlichen Körpergewichtes beizutragen, erschwerte das Ganze nicht unerheblich.
War das Gespann gerade einmal in Fahrt gekommen, und David musste sich nicht mehr mit aller Kraft gegen diesen Berg von Mutter stemmen, passierte das, was immer genau zu diesem Zeitpunkt passieren musste. Der Arm seiner Mutter fiel herab, baumelte leblos herunter und geriet nach einem gewissen Augenblick in die massiven Speichen des Rollstuhles, besser gesagt dessen Rades, genauer seines linken Rades da Davids Mutter bevorzugt Ihren linken Arm herabfallen lies. Viel davon spüren dürfte sie zwar nicht mehr, aber David ging das Geräusch der Finger auf die Nerven, die von den Speichen des sich drehenden Rades immer wieder abprallten, so als hätten ein paar kleine Kinder ihre alten Baseball Karten an die Gabel ihres Bonanza-Rades geklebt. David hielt also wieder an, hob den im Durchmesser doch sehr stabilen Arm seiner Mutter wieder auf deren Schoss und brachte das Gefährt samt Mutter wieder ins Rollen.
Die Zeit verging und nach ungefähr einer halben Stunde fand David endlich ein ruhiges, schattiges Plätzchen, das zudem glücklicherweise noch mit einer der schönsten Holzbänke in der Umgebung gesegnet war.
David richtete seine Mutter zum Seeufer aus, setze sich auf die Bank und genoss eine wohlverdiente Pause und den wirklich schönen Ausblick auf den See, indem sich die Sonne an diesem Tag grell auf der Wasseroberfläche spiegelte. David versank einige Sekunden in diesem traumhaften Sonntagnachmittagswetter. Jedenfalls so lange, bis er von dem beißenden Geruch, der mittlerweile von seiner Begleitung ausging, wieder in die immerhin genauso sonnige Realität gerissen wurde. Mutter hatte inzwischen ihren Kopf so beachtlich zur Seite geneigt, das es der Mundhöhle nunmehr unmöglich war, den Speichel am Austritt aus ihrem Mund zu hindern. Langsam bahnte er sich seinen Weg zwischen den ausgetrockneten Lippen bis hinunter auf den bereits angesprochenen, ursprünglich weißen Strickblouson. Es wurde Zeit zu gehen.
Auf dem Weg nach Hause verschwand die Sonne auch schon allmählich wieder vom Himmel. Kein Wunder, war es doch immerhin mittlerweile schon weit nach 18 Uhr. Davids Mutter hatte es bestimmt gefallen, die Sonne schien, die Luft war recht erfrischend und die kleinen Kinder, die ihnen auf dem Nachhauseweg begegneten, haben nach einem anfänglichen, unsicheren Starren doch noch ein paar Minuten fröhlich mit ihr gespielt. Zumindest solange, bis Davids Mutter mit einem donnernden Schlag auf dem Kopfsteinpflaster direkt vor den Füssen der kleinen Maria aufschlug.
Die Kinder waren überrascht, wobei sich einige Sekunden später herausstellen sollte, das die Reaktion der Kinder treffender als schockiert zu beschreiben wäre. Nachdem David die klaffende Platzwunde an der Stirn seiner Mutter mit einem Taschentuch so gut es eben ging von diesen kleinen, schwarzen Steinchen befreit hatte und er den schlaffen Körper wieder an seinen festen Platz gehievt hatte, konnte er endlich die restlichen Meter zu seinem Elternhaus zurücklegen.
Ein schöner Tag neigte sich seinem Ende entgegen. David war erschöpft aber doch irgendwie glücklich als er seiner Mutter die Schuhe auszog und sie ins Wohnzimmer brachte. Dort wo sie dann gemeinsam noch etwas fernsehen, bevor er Sie dann gegen 19.30 Uhr wieder zurück in den Keller bringen würde und Sie dort bis zum nächsten Ausflug wieder in der Tiefkühltruhe verweilen muss. Dort lag übrigens auch sein Hund Boxer. Der wurde vor ziemlich genau drei Jahren von einem Auto überfahren.
Mal sehen. Vielleicht ist aber auch Boxer nächsten Sonntag dran. Vielleicht darf er dann mit David spazieren gehen.