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Sonntagsspaziergang

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07.12.2008
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Sonntagsspaziergang

Mit leichten Schritten ging ich über die belebte Straße. Links und rechts von mir drängten sich Leute, ebenso wie ich Bewohner dieser Stadt, an mir vorbei. Von Zeit zu Zeit streifte mich ein Mantel, eine Tasche, eine Hand, wie es so oft vorkommt auf der großen Einkaufsmeile. Eine junge Mutter schob einen Kinderwagen vor sich her, bahnte sich langsam einen Weg zwischen den Menschen, die sich nach dem Wagen umdrehten, einen kurzen Blick hinein warfen und beim Anblick des unschuldigen Kindes lächelten. Alle lächelten sie an diesem wundervoll sonnigen Tag und das Kind strahlte mit der Sonne um die Wette.
An beiden Seiten der großen Straße saßen Menschen in den Cafés, tranken fröhlich einen Cappuccino, hielten ihre Gesichter ins Licht und redeten über die neusten Gerüchte in der Klatschpresse. Von überall her drang Gelächter an mein Ohr, vermischte sich mit dem Geräusch der Absätze auf dem Asphalt und dem Gerede. Aus den Läden, welche mit bunten Schaufenstern warben, schallte Musik. Der Bass pulsierte und mit ihm pulsierte das Blut in den Adern aller Menschen, die genau wie ich heute unterwegs waren.
Ich spürte die Wärme meiner Hände, welche ich in den Jackentaschen verborgen hielt. Um mich herum stolzierten junge Mädchen in knappen Shirts und engen Hosen, die glitzernden Gürtel warfen das Licht der Sonne zurück. Sie plapperten und kicherten, drehten sich nach links und rechts wie Mannequins. Ihre kleinen Handtaschen an den dünnen Handgelenken schwangen dabei zur Seite, doch ich störte mich nicht daran und ging weiter auf der langen geraden Straße, welche mich an vielen weiteren Läden und Cafés vorbeiführte, aber ich betrat kein Geschäft, keine Bar, und mein Blick wanderte seltener zu meinen Mitmenschen und blieb öfter an meinen eigenen Schuhen hängen. Alt und ausgetreten sehen sie aus, dachte ich, vielleicht sollte ich mir neue kaufen. Und obwohl ich mir ernsthaft überlegte, wie meine Füße wohl mit weißen Ballerinas oder roten Stiefeln aussehen würden, blieb ich stur auf meinem Wege, lief an immer mehr Menschen vorbei, die ebenfalls auf dem Gehweg schlenderten, standen oder an den kleinen Tischen saßen.
In meinen alten und völlig aus der Mode gekommenen Schuhen lief ich weiter geradeaus und immer noch schien die lange Straße kein Ende zu nehmen. Soweit ich blicken konnte, waren nur Häuser und Menschen zu sehen. In der Ferne schienen die Häuser immer größer zu werden, immer imposanter und zugleich auch bedrohlicher. Ich tat noch einige Schritte auf die gewaltigen Häuser zu, immer noch inmitten von Menschenmassen, die sich fröhlich drängten, dabei lachten, riefen, telefonierten. Schritt um Schritt lief ich weiter, die Hände immer noch in den Jackentaschen, die Ohren offen für alles, was um mich herum geschah.
Kurz blickte ich mich um, fast suchend, obwohl ich nichts suchte. Immer noch ging ich geradeaus auf der schnurgeraden Straße, die bis zum Horizont zu reichen schien. Die Häuser wurden immer größer um mich herum und als ich mich so umblickte, bemerkte ich die kleinen Straßen, aus denen immer mehr Menschen drängten, Menschen die lachten, in freudiger Erwartung auf das, was es zu sehen gab. Flüchtig sah ich sie an und bemerkte keinen Unterschied zu denen, die mir auf der breiten Straße entgegenkamen oder in die gleiche Richtung wie ich drängten.
Wieder richtete ich meinen Blick geradeaus, versuchte das Ende der endlosen Straße zu erspähen und sah doch nur wieder die Häuser, die mir so unwirklich groß erschienen. Ich bahnte mir meinen Weg durch die Masse, die mir entgegenkam. Unter den Menschen sah ich einige bekannte Gesichter, aber ich grüßte nicht. Auch von ihnen schien mich niemand zu bemerken. Sie liefen weiter und ich blieb stur auf meinem Weg, ohne mich umzudrehen oder anzuhalten. Es war Sonntag und ich hatte noch zu tun, aber trotzdem hatte ich mir die Zeit genommen für einen kleinen Spaziergang. Ähnlich wie ich schienen die meisten Menschen es heute nicht in ihren engen Wohnungen ausgehalten zu haben, und so hatten auch sie sich auf die Straße geflüchtet. Und obwohl am Himmel erste Wolken aufzogen, hinderte es sie nicht daran, weiterzulaufen zu den großen Geschäften, den gemütlichen Restaurants an der breiten und überfüllten Straße.
Der warme Schal, den ich heute trug, kratzte an meinem Hals und ich lockerte ihn beiläufig, während sich meine Augen wieder ganz auf meinen Weg konzentrierten. Ich lies die Häuser hinter mir, vereinzelte Geschäfte und Kneipen, die vor Gästen beinahe zu platzen schienen. Mein Blick hatte sich wieder an den Boden geheftet. Ich sah die Schuhe der Menschen, die dicht an mir vorbeiliefen, sah braune Mokassins oder blank geputzte Herrenschuh auf den dreckigen Pflastersteinen. Immer schmutziger wurden diese Steine, je mehr Schritte ich getan hatte, immer neue Schuhe und deren Besitzer kamen an mir vorbei. Ich war so fasziniert von den Schuhen, dass ich nicht mehr aufblickte zu den Gesichtern ihrer Besitzer, nicht mehr hinaufsah zu den Häusern um mich herum. Immer noch drangen die gewöhnlichen Stimmen der Großstadt an mein Ohr. Autos hupten, Motoren brummten, Menschen redeten, Absätze klapperten. Das Grau der Steine vermischte sich mit den Farben der Schuhe. Ich war mittendrin.
Ein kalter Windstoß bließ mir meine Haare ins Gesicht. Mit einer Hand schob ich die Sträne zurück hinter das Ohr, wobei mein Blick sich nach langer Zeit einmal wieder vom Boden löste. Die Straße schien voller geworden zu sein, noch mehr Menschen drängten mir entgegen und weniger mit mir mit, und doch streifte mich immer seltener ein Mantel, eine Tasche oder eine Hand. Am Horizont zeigten sich einige graue Wolken und unwillkürlich zog ich den Schal wieder enger, vergrub meine Hände tiefer in den Taschen.
Immer noch drängten Menschen aus allen Gassen auf die große Straße. Alle zusammen schoben sie sich vorwärts, hin zu den Läden, während ich in die andere Richtung lief, weg von all dem. An den Häuserwänden bröckelte der Putz, alte halb abgerissene Plakate flatterten bei jeder Böe. Immer dunkler wurde es, je mehr Wolken aufzogen, doch keine Laterne schickte sich an, den Weg zu erhellen. Auch hinter den Fenstern der Häuser war es dunkel, nirgendwo ein Licht, und so manche Fensterscheibe blitzte mir schwarz entgegen, ganz ohne Vorhänge oder Gardinen. Ich fröstelte, zog die Mütze tiefer ins Gesicht. Auch jetzt, obwohl ich schon so lange gelaufen war, konnte ich das Ende der Straße nicht sehen. Immer noch war sie gleich breit, immer noch fuhren die Autos, immer noch liefen die Menschen mir entgegen, ganz unbehelligt trotz der im Hintergrund nahenden Dunkelheit.
Unwillkürlich hatte ich meinen Schritt beschleunigt. Ich war ausgebrochen aus dem Schlendern, dem Bummeln, lief nun schneller als die Menschen um mich herum, ohne es recht zu bemerken. Immer neue Häuser tauchten am Horizont auf, je mehr Gebäude ich hinter mir lies. Egal wie schnell ich lief, sah sich niemand gezwungen mir auszuweichen und zu meinem eigenen Erstaunen rempelte ich niemanden an. Ohne Mühe lief ich weiter und weiter, weiter auf das unsichtbare Ende der langen Straße zu ohne es zu sehen. Immer mehr Leute umgaben mich, es wurde immer lauter, kälter, enger. Mein Blick hing nicht länger am Boden, ich sah mich um, rastlos, haltlos. Menschenmassen kamen mir entgegen, sie alle sahen mich an und durch mich hindurch, sahen nur die bunten Warenhäuser, die ich schon längst hinter mir gelassen hatte. Vor ihnen lag Vergnügen, Spaß und Freude, vor mir die eisige Dunkelheit. Ich wollte stehen bleiben, mich umdrehen, ihnen folgen, doch meine Füße gehorchten mir nicht. Immer weiter trugen sie mich, die Schuhe klapperten auf den Steinen, und obwohl mich so viele Menschen umgaben hörte ich nur noch dieses Klappern, das von den Wänden der riesigen Häuser widerhallte. Die grauen Wolken hatten sämtliches Blau verschluckt und auch die Sonne war nicht mehr zu erkennen. Ich lief im Schatten der grauen Häuser, die bei dieser Tageszeit zwischen Abend und Nacht alle gleich aussahen. Ich lief immer schneller, meine Brust hob und senkte sich stark. Schweißtropfen perlten von meiner Stirn und verfingen sich in den Augenbrauen. Immer hastiger blickte ich mich um, ohne zu wissen wonach. Schließlich begann ich zu rennen.
Ich rannte und rannte, ohne Rücksicht zu nehmen auf meine Umgebung. Ich rannte, doch immer tauchten nur mehr graue Wände neben mir auf. Vor mir blieb die Dämmerung, unklare Gebilde aus Schatten, und die Menschenmassen. Ich rannte ihnen entgegen, durch sie hindurch. Ich keuchte, rannte, gab nicht auf. Auf einmal jedoch strauchelte ich, versuchte mich zu fangen, ruderte mit den Armen, doch konnte ich mich nicht halten, stürzte zu Boden. Der Aufprall war kurz, hart, schmerzlos. Doch schon bevor ich den Boden berührt hatte, schrie ich, schrie mit ganzer Kraft aus vollem Halse. Auch als ich lag schrie ich weiter, schrie bis zur Bewusstlosigkeit...

 

Hallo Yoko.

Ein bisschen was hab ich dir ja schon gesagt.

Ich bin absolut nicht rueganerins Meinung. In einem hat sie teilweise Recht, zu einem kleinen Teil - man muss sich erst mal einlesen. Du schreibst so leise, dass das, was die Hauptsache ausmacht, irgendwie hinter den Hintergrund zurücktritt, und daran muss man sich erst gewöhnen. Aber das, finde ich, macht gerade den Reiz an deinem Text aus. Objektiv gesehen passiert nichts Großes, und subjektiv alles. Sie geht, etwas scheint sie zu jagen und sie läuft, sie läuft in eine andere Richtung als alle und in ein Unwetter hinein.
Deine Geschichte entwickelt eine Art langsamen Sog, der einen mit der Protagonistin mitzieht ... ich konnte beim Lesen die Geräuschkulisse hören. Den fröhlichen Lärm der Massen, ihre Schritte, die lauter wurden, je mehr sich die Perspektive auf sie konzentrierte, und die Schritte der Massen als Hintergrund; sie wird schneller und schneller und stürzt - und da kommt das raus, was ich an deinem Stil so mag: Die eigentliche Hauptsache tritt in den Hintergrund; ihr Schrei ist so leise, dass man ihn kaum wahrnimmt und sich anstrengen muss, um zu verstehen.
Mit deinem Text hast du eine bittere Gratwanderung geschafft: Einerseits beschreibst du den langsamen Absturz der Protagonistin aus ihrer Sicht und es wird deutlich, wie quälend es für sie ist - andererseits liegt sie so im Nebel, dass man sie praktisch trotz des privilegierten Blickes auf ihr Innenleben wahrnimmt, wie ein zufälliger Passant das tun würde. Man sieht gleichzeitig, wie sehr es sie umtreibt und bemerkt, dass man nichts bemerkt.
Und genau so ist es. Egal, wie sehr man abstürzt - das Leid eines Menschen endet an der Wand seines eigenen Kopfes, und bei zu vielen Leuten ist es so, dass man nicht sieht, wie sehr sie am Ende sind, weil es für fast alle außer ihnen selbst unsichtbar ist, entweder, weil sie zu gut verstecken, oder weil sich die Mitmenschen um ihren eigenen Kram kümmern. Und diese zwei Perspektiven hast du gleichzeitig untergebracht.
Eine sehr zarte leise Erzählung, die ein verdammt lautes Thema anspricht.
Mag ich. =)

 

"versuchte das Ende der endlosen Straße zu erspähen" => Ja, so geht's mir auch.


Hallo Yoko!

Willkommen auf kg.de.

Eine Frage an dich: Was willst du erzählen? Ist es mehr, als dass da jemand erst durch die Gegend läuft und dann rennt? Falls ja, habe ich es nicht im Text finden können. Falls nein: Warum glaubst du, dass sich irgendein Leser dafür interessieren sollte?

Also, mein Tipp: Kürze das belanglose durch-die-Gegend-laufen (die meisten Leser werden nämlich nicht mitlaufen, stattdessen einfach wegklicken) und konzentriere dich auf das, was deine Protagonistin zum Rennen und Schreien bringt.

Oh, und lass deinen Text in eine passende Rubrik verschieben, also wohl nach "Alltag".

Grüße
Chris

 

Schade. Mehr als das kann ich zu euren Kommentaren eigentlich nicht sagen, aber ich werde es trotzdem versuchen, da ihr euch die scheinbar sehr große Mühe gemacht habt, die Buchstaben wenigstens anzuschaun.

@ rueganerin:
Du hast ganz recht, da steckt schon ne Botschaft dahinter, schließlich lasse ich das Mädchen nicht umsonst losrennen. Allerdings glaube ich nicht (und so war es auf keinen Fall gemeint) dass sie "nur läuft". Ich habe absichtlich nicht viel über das Innenleben der Protagonistin geschrieben, sehr wohl aber darüber, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt. Irgendwann, eigentlich schon sehr bald, hört sie (zumindest für mich) auf, einfach nur zu laufen.

@ Sumitha:
Danke, dass du deine Meinung noch einmal hier hingeschrieben hast, alles Weitere habe ich dir ja schon gesagt.

@ Chris Stone:
Es tut mir aufrichtigst leid, dass ich dem Leser nicht alles vor die Nase setzen möchte. Vielleicht setze ich zu viel vorraus, vielleicht ist die Geschichte keine, die man einfach nur lesen kann, das mag sein, aber muss ich deswegen alle Gefühlsregungen meiner Protagonistin in reine Worte fassen? Hätte ich das gewollt, hätte ich wohl eine andere Perspektive gewählt.

Trotzdem an alle vielen Dank für die rechtherzliche Begrüßung.

 

Hallo Yoko!

Also, ich muss auf deine Antwort zu den Kommentaren eingehen, da sie bei mir Fragezeichen auslöst.
(Und übrigens, ich habe mir nicht nur "scheinbar" Mühe gemacht - und wenn ich nur die Buchstaben angeschaut hätte, wäre wohl kaum ein Kommentar draus geworden.)

"vielleicht ist die Geschichte keine, die man einfach nur lesen kann," => Ja, aber was soll es denn sonst sein? Eine Geschichte, in die der Leser hellseherische Fähigkeiten investieren muss? Ich glaube nicht, dass das (bei der überwiegenden Mehrheit der Leser jedenfalls) möglich ist.
Ist auch interessant, dass du selbst bei konkreter Nachfrage der Kritiker nicht damit rausrückst, was du erzählen willst. Wenn ich wüsste, was du erzählen willst, könnte ich dir vielleicht konkretere Tipps dazu geben - im Moment scheinen wir aneinander vorbeizureden.

"aber muss ich deswegen alle Gefühlsregungen meiner Protagonistin in reine Worte fassen? Hätte ich das gewollt, hätte ich wohl eine andere Perspektive gewählt." => Du hast deinen Text aus der Ich-Perspektive erzählt. Das ist die persönlichste Perspektive, die man wählen kann. Was für eine Perspektive stellst du dir vor, die mehr Gefühlsregungen rüberbringen könnte?

Und nimm Nachfragen nicht persönlich. Wir wollen dir nur helfen, deinen Text und deine Schreibe besser zu machen. Dazu ist kg.de doch da.

Grüße
Chris

 

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