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Souvenance
Souvenance
Ein eisiger Wind wehte über den verlassenen Friedhof, der in bedrückenden Stille der Nacht dalag.
Die alten, fast zerfallenen Gemäuer wurden vom nächtlichen Sternenlicht spärlich beleuchtet.
Die Stille wurde durch einen gleichmäßigen Singsang durchbrochen. Die Melodie war leise, fast wie ein Flüstern. Doch trotzdem konnte man sie auf dem gesamtem Friedhof hören. In jedem der alten Mausoleen schien die sanfte Stimme wiederzuhallen.
Fast wie magisch.
Genau wie das Mädchen, dem die Stimme gehörte. Schon ihre Erscheinung hatte etwas zauberhaftes.
Ihr langes, altmodisches, französisches Kleid hinterlies eine leichte Schweifspur am Boden, während sie zwischen den verfallenen Gräbern förmlich hindurchschwebte.
Der Wind spielte mit den dunkelbraunen Haaren, welche ihr Gesicht umrahmten.
Die blasse Haut erinnerte, durch das weiße mit Spitzen verzierte Kleid, an Porzellan.
Der Blick des Mädchens war glasig und wirkte, als wäre sie in weiter Ferne. Irgendwo in vergangenen Zeiten hängen geblieben. Vom damals träumend schlich sich ein Lächeln auf ihre blutroten Lippen.
Ein unheimliches Lächeln.
Doch lange konnte sie nicht in ihren Erinnerungen schwelgen, da die Melodie, die sie selbst eben noch gesungen hatte, ausgehend von einer kleinen Spieluhr wiederholt erklang.
Als sie die Spieluhr bemerkte, die sich auf einem der zahllosen moosbewachsenen Steinen befand, formten ihre Lippen fast tonlos einen Namen.
„Luke“
Leises Lachen erklang hinter ihr. Ein modern gekleideter Mann trat aus dem Schatten und verbeugte sich übertrieben.
„My Lady, nicht bleibt euch verborgen“
Mit einer Hand fuhr er sich durch die dunkelblonden Haare und sah die Gestalt, die ihn keines Blickes würdigte, vor sich an.
„Luke“ wiederholte sie erneut leise, aber dennoch lauter als das letzte mal.
Der Mann schmunzelte und atmete tief die kühle Luft ein.
Er seufzte.
„Die Luft ist noch wie damals, Cherry. Riechst du es, diesen Geruch von Tod? Nur noch ganz leicht liegt er in der Luft und trotzdem noch so nah, als bräuchte man nur die Hand auszustrecken und danach zu greifen.“
„Ich weiß nichts von damals.“ antwortete sie leicht lächelnd.
Ohne auf ihre Antwort zu achten, fuhr Luke fort.
„Damals war noch alles in Ordnung. Ich erinnere mich noch an deine Geburt, es war genau so eine Nacht. Eine Dezembernacht. Eine kalte.“
„Ich erinnere mich nicht“
Wieder achtete er nicht auf sie.
„Das war vielleicht eine schöne Nacht so friedlich und ruhig. Man glaubt gar nicht, dass du schon so groß geworden bist. Wie viele Jahre ist es her, Justine?“
Justine antworte nicht, sondern betrachtete nur den klaren Sternenhimmel. Ihr Blick streifte über die Sterne, als wollte sie diese zählen.
„Hach ich weiß!“ führte Luke das Gespräch fort. „160 Jahre. Eine lange Zeit. Wenn man bedenkt was alles passiert ist, kommt es einem so kurz vor.“
„Die Ewigkeit ist nur ein Wort, ein Wort für einen Zeitabschnitt, einen Abschnitt, den es nicht gibt. Die Menschen wollen es sich nur einfach machen.“
„Das Stimmt, Darling aber wechsle doch nicht einfach das Thema. Die Ewigkeit ist ein Begriff. Ein Wort. So etwas hat weder für dich noch für mich Bedeutung.“
Justin lachte leicht.
„Keine Bedeutung? Ich wünschte, es wäre so.“ Ihre Stimme veränderte sich, während sie die Worte aussprach. Aber für Luke war klar, dass das zierliche Mädchen vor ihm wütend war.
Sehr wütend.
Wieder lachte sie, doch diesmal war es kein normales Lachen. Dieses Lachen hatte etwas Furcht einflößendes.
Für einen Moment fiel das silberne Mondlicht auf ihr Gesicht und entblößte eine Narbe, die sich durch ihr rechtes Auge zog.
Luke achtete nicht auf ihre Wut und trat mit wenigen Schritten vor Justine. Mit dem Zeigefinger fuhr er einmal die Narbe endlang.
Das Mädchen lies das alles willenlos geschehen und sah ihren Gegenüber nur aus leeren Augen an.
„Was wünschst du dir zum Geburtstag, Liebling?“ Luke legte den Kopf schief und blickte die kalte Schönheit vor sich wissend an .
Einen Moment blickte Justine den Jungen fragend an, bevor ihr klar wurde, dass sie gemeint war.
„Ich wünsche mir...“ sie stockte und sah in weite ferne „...zu sterben“ ihre Augen glitzerten in Vorfreude, als sie in Lukes silberblaue blickte.
Die Gesichtszüge des Jungen waren sanft und von Mitleid durchzogen. Noch immer stand er vor ihr und sah sie durchdringend an. Langsam drehte er ihr Gesicht zu sich und strich noch einmal über die Narbe, bevor er mit einem schnellen Griff einen tiefen Stich in den Arm versetzte.
„He...“ mit Bedauern im Blick sah Justine Luke an.
Das Blut aus ihrer Wunde tropfe langsam ihren Arm hinunter und hinterlies unschöne Flecken auf ihrem weißem Kleid.
Doch das schien sie wenig stören.
Selbst als der blonde Junge ihren Arm in seine Hand nahm und langsam das Blut von diesem leckte, brachte sie lediglich dazu leicht zu kichern.
„Liebling, du schmeckst mal wieder himmlisch“ schnurrte Luke bevor er anfing, auf ihrem Hals leichte Küsse zu verteilen. Als er die Halsschlagader erreicht hatte, hielt er kurz inne und blicke auf Justine, bevor er seine weißen Reiszähne in ihrem Hals versenkte.
Auch das entlockte dem Mädchen nicht mehr als ein leises Stöhnen, doch diesmal war es von einer leichten Angst begleitet. Sie wusste was jetzt kommen würde und sie wurde nicht enttäuscht.
Nachdem Luke sich von Justine gelöst hatte versetzte er ihr einen weiteren Schnitt, doch diesmal durch die Kehle.
Mit einem leisem Wimmern fiel das Mädchen zu Boden und tonlos formten ihre Lippen noch `Danke`. bevor sich ihre Augen schlossen und ihr Kopf sich zu Seite neigte.
Wie das braunhaarige Mädchen so dalag, erinnerte sie Luke an eine kaputte Porzellanpuppe, die irgendjemand achtlos liegen gelassen hatte.
Mit einem traurigem Lächeln auf den Lippen kniete der Blonde sich nieder und strich ihr eine Strähne ihre Haares aus der Stirn.
„Happy Birthday“ flüsterte er noch, als von einem nah gelegenem Kirchturm der mitternächtliche Schlag erklang .
Wie auf Befehl fing es zur gleichen Zeit an zu schneien.
„Justine liebte Schnee er würde ihr sicher gefallen“ flüsterte Luke noch mit belegter Stimme, bevor er aufstand und schnellen Schrittes den Friedhof verlies, immer noch die Melodie der Spieluhr im Hinterkopf und den passenden Text auf den Lippen.
~EndlessRain~