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Spannung

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Tristan Harzen

Guest

Spannung

Das allem Sein zu Grunde und im Kerne liegende Urprinzip ist die Vielseitigkeit, die Gegensätzlichkeit, die zwischen geschiedenen Polen und Ausrichtungen fliessende Energie. Die Bögen, die zwischen positiv und negativ, gut und böse, hier und dort, Geist und Fleisch, zwischen Tod und Leben, Sein und Nichtsein, Streben und Ruhen, endlich und unendlich, zwischen Alpha und Omega gespannt sind, sie sind das Kraftwerk aller Bewegung und aller Existenz, sie bringen die alles antreibende Kraft hervor. Wohin sich diese Kraft aber wenden soll, auf welche Ziele die Spannungsbögen ihre Pfeile schiessen sollen, zu welchem Zweck die Saiten aufgezogen wurden - - das ist das über allen anderen Geheimnissen des Universums schwebende grösste Geheimnis, das sich allein den Köpfen einiger Erleuchteter löst und es dort womöglich auf unaussprechlich einfältige Weise tut. Mir allerdings, als Unerleuchtetem, scheint oft dies bedenkliche die Antwort zu sein: dass die Spannung sich selbst der einzige Zweck und Sinn ist; dass sie das ziellose Grundgesetz ist, das von den kleinsten Teilchen und Kräften, von den Atomen und den Ladungen, bis hinauf zu den sublimsten Prinzipien und den abstraktesten Antinomien allem auferlegt ist und dem alles künstlich verschleiert oder nackt offenbar, kleinstenteils bewusst, grösstenteils unbewusst, immer aber ohnmächtig und ungefragt unterworfen ist. Nach dieser Mechanik läuft und knirscht, rast, blutet und atmet vom kleinsten Rädchen bis hin zum grossen Weltrade, vom Morgenwind, der über die sich öffnende Blüte streicht, bis zum menschlichen Gedanken alles. Hieraus erklärt sich, dass alle Gestaltungen des Seins sich metaphorisch und analog verwandt erscheinen, dass der geworfene Stein Gleichnis eines Menschen und der strömende Fluss Gleichnis eines Gedankenganges zu sein vermögen: es funktioniert und waltet nämlich alles nach der einen Grundidee, nach dem nicht hinterfragbaren Dogma der Spannung, der unruhigen Schlängelbewegung zwischen zwei und mehr Tendenzen und Richtungen.
Das bedeutet ewiges, niemals ausruhendes Streben und Kämpfen, und das All, so stumm, still und tot es auch des Nachts über uns gebreitet scheint, ist erfüllt von dem ungeheuren Schlachtengetümmel aggressiver oder defensiver, ihren Raum suchender und verteidigender Materien; hier wird vernichtet, was dort geboren wird; hier stürzt ein gleissendes, uraltes Gestirn zu einem schwarzen Loch zusammen und reisst eine gesamte Galaxie mit sich in die Schwärze, während dort eine neue Sonne in der Wiege liegt, die Sonne vielleicht einer neuen Menschheit.
Ein quantitativ unsäglich winziges, jedoch in seiner bild-, farben- und facettenreichen Gestaltenfülle wunderbar vielfältiges und buntes Abbild von diesem friedlosen Getümmel und Gekriege bietet die Erde, unter deren atmosphärischen Schutzmantel sich Pflanzen, Tiere und insbesondere die Menschen sich gebildet haben. Rastlos und hilflos stur, unter ständiger Spannung taumelt, wabert und zuckt ein jeder Stoff und ein jedes Wesen umher, frisst den Nächsten, teils mit Zähnen und leibhaftig, teils vermöge atomarer Bindungen und Wasserstoffbrücken, teils vermöge Aktienkäufen, teils aber auch bloss stofflos-subtil, in Worten, Gesten und Gedanken, gewollt oder ungewollt, ein jedes Wesen ist immer Täter und immer Opfer, ist hilflos und unverantwortlich für all sein Tun und muss das Getanwerden hilflos hinnehmen, ohne eigentliche Verantwortung und Strafung einfordern zu können. Zwischen Adler und Hase liegt die Spannung des Jägers und des Gejagten, im Adler die Spannung zwischen Verhungern und Sättigung, zwischen Magenfülle und Magenvakuum, im Hasen die Spannung zwischen Fliehen und Sterben. Alles Wesen ist angespannt, mal ganz heftig und offensichtlich, wie die besinnungslos kämpfenden Hunde mit schäumenden Mäulern oder wie der schreiende Soldat, der mit Spaten und Faust seinem Gegner den Schädel einschlägt, mal ist die Anspannung auch unscheinbar und kaum spür- oder sichtbar - aber niemals, niemals ist etwas ganz entspannt. Dem mächtigen Hünengrab oder der trotzigen Burg mit den starken, erhaben ruhenden Mauern mag man zunächst keinerlei Anspannung anzusehen. Wie stark aber unterliegen beide Bauten tatsächlich der Spannung der Schwerkraft, der Spannung zwischen oben und unten, wie lautlos gewaltig, wie stumm ächzend stemmen sich die Steine und Streben gegen das Einbrechen!
Und wie rastlos, hilflos und friedlos ist erst der einzelne Mensch mit seinem Geist und seiner Seele! Er ist es ja, der den grössten Spannungsbogen kennt, den des Bewusstseins nämlich, den zwischen Gott und Tier, Himmel und Erde; er ist ja mit seinem Bewusstsein, seiner grenzenlosen Phantasie und seinen tiefen, weltflüchtigen Ahnungen zwischen die minütliche Vergänglichkeit und die Ewigkeit, zwischen die alltäglichsten Nötigkeiten und die phantastischsten und heiligsten Möglichkeiten, zwischen dem festen Glück eines geruhigen, bodenständigen Lebens und dem kaum fassbaren Glück einer ewigen Seligkeit gespannt. Da hängt der empfindsam-bewusste Mensch, der Künstler, bis zum Auseinanderplatzen gespannt, bis zum Zerreissen gedehnt und ersehnt sich nur noch dieses: aus dem Bereich der Pole und der Spannung zwischen ihnen herauszutreten; er fleht und betet um Ruhe, um eine Insel im brausenden Meer des Unfriedens, sehnt sich nach einen erhabenen Fels des Friedens, auf dem er ein einziges Mal alles bedenken und die Spannungen im Inneren erforschen und zum Ausdruck bringen könnte - und indem er so sehnt, unterliegt er wieder gar nichts anderem als der Spannung, zwar feinerer, aber umso inniger empfundener. Wie rasch wandelt sich bei manchem dieses Sehnen nach Frieden zu einem Sehnen nach dem Friedhof; und oft ist es dann nicht mehr ein bewusstes Sehnen, das den unerträglich Gespannten dorthin schnellt, sondern eine unbeeinflussbare, unbewusste Notwendigkeit und Unausweichlichkeit.

 

Mahlzeit!

Ist ja nun nix Neues, was Du uns offenbarst, werter Tristan. Vielleicht in einen komplexeren Mantel gehüllt. Dieses Mal hast Du eine modernere Wortwahl getroffen. Beim letzten Mal klang das alles sehr künstlich. Jetzt würde ich nur zu gerne wissen, welcher tiefere philosophische Sinn sich dahinter verbirgt? Oder wolltest Du uns das Thema einfach noch mal in Erinnerung rufen?

Heiko

 

Tieferer Sinn? Vielleicht der: Nachdem man den Text, mit seinen (fast suggestiven) Schilderungen von alles durchdringenden Spannungsfeldern verinnerlicht hat, muß man zu dieser tobenden Bilderflut den Ruhepol selbst herstellen, höchstpersönlich den Beweis antreten, daß alles im Universum nur einem harmonischen Gleichgewicht zustrebt und daß der Text das konsequent verschwiegen hat ;-)

*übertreib*
Martin

 

Oh! Tristan "Ihre Dichtung ist unnötig" Harzen ist zurück auf den Brettern des Literatur-Theaters!
Zum Text selber kann ich leider nicht viel sagen - ich habe ihn durchgelesen, ein paar mal gedacht "Aha", einmal sogar ein "Hmmm" gebrummt, und nach dem letzten Satz schon wieder vergessen, um was es eigentlich geht.
Als Unterhaltungs-Literat kann ich mit solch wohlgestalten, inhaltsleeren Texten überhaupt nix anfangen.

Wenn ich denke, dass man mir "schwülstigen Stil" vorwirft... :)

 

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