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Spiegelbilder

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08.08.2002
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Spiegelbilder

Vielleicht ist dies keine Geschichte mit Anfang, Mittelstück und Ende. Aber es ist ein Teil meiner Geschichte und somit nicht weniger wichtig erzählt zu werden.

Ich denke da war irgendwo eine Abzweigung. Irgendwo bin ich abgebogen. Ich weiß nicht wo das war, kann mich an dem Moment des Abbiegens nicht erinnern. Aber bin völlig sicher, dass es ein neuer Weg ist den ich beschreite. Manchmal erscheinen die Straßen und Häuser jetzt fremd. Doch es sind dieselben, nach wie vor. Sie haben sich nicht verändert. Es sind die Fassaden von gestern an denen ich heute hochblicke. Und doch findet Veränderung statt, spürbar.

Meine Augen sehen nicht mehr in jene von Menschen die traurig sind, die gezeichnet vom Leben mit verbitterten Gesichtern mir gegenüber im Bus sitzen. Einige Monate lang dachte ich es gibt gar keine anderen Gesichter. Aber nun stelle ich fest, es gibt auch Menschen die einfach Freude leben. Sie lassen mich zusehen wie sie trotz all der Verrücktheiten die auch in ihrem Leben ab und an Chaos verursachen, allem voran Lebenslust empfinden. Wo waren diese Menschen bloß? Wieso sah ich sie nicht?

Weil ich suchte was in mir selbst war. Weil ich in einen Spiegel sah um mich zu erkennen im Menschengewühl der Unglücklichen. Dieser Spiegel brauchte kaum einen Rahmen, es genügte zu erahnen, dass mir Leid gegenüber saß, Bedürftigkeit, Ratlosigkeit.

Es waren immer die gleichen Farben die mich im Spiegelbild erwartet haben. Das Rot der Wut, das Schwarz der Verlorenheit, das unschuldige Weiß welches ablenkte von all dem was man verdrängen wollte.

Auf dem Weg der irgendwo in den letzten Wochen mich aufnahm, erkenne ich wieder die Unmengen von Grüntönen, wenn ich eine Wiese entlang gehe. Ich empfinde die Blumen darin nicht mehr als für mich bereit gestellten Trost. Sondern ich sehe sie als eigenständige Lebewesen die sich ihrer Schönheit bewusst sind. Sie sind nicht verdammt wegen mir ihre Pracht zu entfalten, sondern für sich tun sie es und die Harmonie der Landschaft.

Ich finde mich immer mehr in Gesprächen wieder wo positive Gefühle im Vordergrund stehen. Wo meine Gesprächspartner nicht im Hadern mit den Unzulänglichkeiten des Lebens ihren Sinn finden. Nicht Leidgenossen finden sich um mich ein, sondern dem Leben Zusprechende erkenne ich. Es sind neue Spiegel, blank geputzt, nicht tränenverschmiert wie die altbekannten. Strahlend sind sie, anmutig in ihrer ehrlichen Wiedergabe ihres Selbst ohne Verschleierung.

In diesen Spiegeln sehe ich nicht mehr jene die sich verbergen hinter Masken und in Nischen und allen möglichen Verstecken. Diese haben nicht, wie auch ich es immer tat, Schutzpanzer angezogen, um Distanz zu bewahren.

Ich bemerke seit einigen Tagen Menschen die einfach wissen, dass das Leben unendlich viel Erfüllendes zu bieten hat. Die Hoffnung und Erkenntnis sehen wo andere nur Frust erkennen. Dass man einfach weglassen oder akzeptieren kann was zermürbt, unsicher macht.Es selbst in der Hand zu haben, ob man sich für Flucht entscheidet, aufgibt oder wie sie die Wahrheit zu sehen und anzunehmen. Die eigene Handlungsfähigkeit und das Zulassen von Unvollkommenheit zeigen mir diese Menschen im Spiegel, die authentisch sind, es zumindest allemal versuchen.

Diese Spiegelbilder haben sogar Stimmen welche sich unterscheiden von denen die mir das Leid vorführten. Diese sind leichter, beschwingter, der Ton ist offener und lässt erkennen, dass sich diese Menschen frei gemacht haben von Abhängigkeiten, ihren eigenen Wert erkannt haben ohne Bestätigung einzufordern ob dieser auch anderen genügt.

Manchmal im Laufe eines langes Tages verirrt sich mein Blick in bekannte Spiegelbilder die mich locken hinzusehen in die alte Vertrautheit und dann habe ich Angst, dass der neue Spiegel zerbrechen könnte. Dass ich ihn noch nicht sicher genug positioniert habe in meinem Alltag.

Dann schließe ich die Augen, lasse mich fallen und nehme auch die Tränen an als einen Teil von mir. Wenn ich die Augen wieder öffne, weiß ich, dass alles nur seine Zeit braucht um sich zu festigen. Und mein klarer Blick aus dem Spiegel gegenüber sagt mir, dass alles gut ist, so wie es ist.

 

Ach Schnee.Eule, wie schön tiefsinnig und sensibel.
Schöner schwieriger Schreibstil, wäre es für mich jedenfalls.

Kurzum: es ist so als könnte ich Dich hören.

Liebe Grüße Archetyp

 

Lieber Archetyp !

Diese Antwort bedeutet mir sehr viel, zeigt sie doch, dass ich mit meinem Schreiben die Sinne ansprechen kann, bei dem der liest.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Liebe Schnee.Eule!

Ich wünsche dir alles, alles Liebe auf deinem neuen Weg!

Gruß Sonnenfrau

 

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Schön beschriebener Wendepunkt, ein Neuanfang der im Inneren des Ich-Erzählers passiert. Aus solchen Erzählungen kann der Leser Hoffnung gewinnen, wenn es ihm schlecht geht.

 
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Lieber Peter Pan !

Ein Freund sagte mir ich soll meine Worte verwenden und sie niederschreiben für mich und auch für andere.
Das hab ich getan.
Wenn du darin Hoffnung erkennst die ein Leser daraus schöpfen kann, wenn es ihm schlecht geht, macht mich das ganz schön glücklich.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

Hallo schnee.eule,

jetzt bin ich doch neugierig auf eine Geschichte von Dir geworden. Sehr feinsinnig und persönlich schilderst du diesen Werdegang einer erst traurigen, dann hoffenden, ja sogar überwindenden Person. War schön zu lesen!
Doch noch einige Anmerkungen zu Feinheiten:
„... bereit gestellten Trost – hier ein Komma – sondern sie tun es für sich ...“ (Doch dann kommt schon wieder ein „sondern“, das würde ich ändern).
„... Gesprächen wieder, bei denen ...“ (So vermeidet man zusätzlich das Zweite „wo“).
„... Sinn finden ...“ , „Leidgenossen finden ...“ – Du ahnst es schon – mich stört die Wiederholung.

Tschüß... Woltochinon

 

guten morgen schnee.eule, eine kraftvolle geschichte, die es schafft, ihre kraft auch an die leser weiterzugeben. kraft UND zuversicht - kraft ZUR zuversicht. archetyp schreibt mir aus der seele: ein "schöner, schwieriger" schreibtstil. schön, weil er durch die unzähligen sysnonyme, die du verwendest, zum genauen, oft wiederholten lesen zwingst. schwierig, weil man diesem zwang nicht auskommt - und am schluß froh ist, ihm nicht ausgekommen zu sein!

beim satz

das unschuldige Weiß welches ablenkte von all dem was man verdrängen wollte.
dachte ich spontan an die malfarbe "deckweiß". warum heißt die eigentlich nicht einfach "weiß"? wahrscheinlich, weil man mit ihr allerhand vertuschen kann, ohne dadurch mit der keuschen farbei weiß unwille zu erzeugen. herzliche grüße. ernst

 

Hallo Woltochinon !

Wiederholungen, aber auch Kommas die verloren gehen sind und an falschen Stellen wieder auftauchen, sind Spezialitäten meinerseits. Ich werde mehr darauf achten.

Dass du die Zeilen schön zu lesen fandest,freut mich zusätzlich, und dass da Selbstüberwindung stattfand konnte mir durch deine Worte erst bewusst werden, danke!

Lieben Gruß schnee.eule

Lieber Ernst!

Es ist schön, dass du die Kraft hinter diesen Zeilen vespürt hast und vor allem die Zuversicht, denn dies ist die absolut treffende Bezeichnung für das was vorgeht, den Kern des Geschehens genau genommen.

Dein Gedankengang bezüglich dem "Deckweiß" finde ich höchst interessant und drückt sehr gut aus was ich mit dieser Farbgebung für Empfindungen verbinde.

Lieben Gruß an dich - schnee.eule

 

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