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Sprachskepsis
Es schepperte. Tausend kleine Scherben glitzerten auf dem Asphalt. Maik hatte seine Bierflasche mit voller Wucht gegen eine Straßenlaterne geschleudert. Zufrieden drehte er sich zu seinen breit grinsenden Kumpels um- und erstarrte. Ein hochgeschossener Mann mit Schirmmütze kam mit säuerlicher Miene auf ihn zu. Dummerweise kam die Ähnlichkeit mit seinem Vater daher, dass es sein Vater war. Doch nun war es für alles weitere zu spät. Schizo, der breitere seiner Gefährten, hatte sich bereits umgedreht und rief nun mit drohender Stimme:"Ey was willsu, man! Komm her ey!" Erschrocken starrte Maik in das entsetzte Gesicht seines Vaters. Maik ergriff die Devise:"Verzieh dich man, oda willsu was auf die Gehirnprothese?!", pöbelte er. "Wie bitte?", sein Vater lief langsam aber sicher knallrot an. "Das Opfer peilt`s voll nich, alda!", grölte Schizo. Jetzt mischte sich auch Harkan ein:" Yo, krass öde! Ey lass Party machn!" "Korrekt, alda!", meinte Schizo. Daraufhin verschwanden die drei, obgleich das Gesicht von Maiks Vater mittlerweile magenta leuchtete.
Durch die schweren Stoffvorhänge drang ein Lichtstrahl in den abgedunkelten Raum. Ein älterer Herr starrte, tief über seinen Schreibtisch gebeugt, wie gebannt auf ein leeres Blatt Papier. Plötzlich richtete er seinen Blick erwartungsvoll auf die massive Holztür am Ende des Raumes.
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Vorsichtig lugte ein Junge von höchstens 15 Jahren mit fettigen Haaren und einer Poppersträhne, die das Sehvermögen seines linken Auges deutlich in Frage stellte, in den Raum.
Die Tür schloss sich wieder.
Fünf Sekunden später öffnete die Tür sich zum 2.Mal und schwang mit einem lauten Krachen gegen die sorgfältig weiß getünchte Wand.
Der Junge von eben stellte sich breitbeinig in den Türrahmen.
Dort blieb er dann auch, während er lautstark auf das scheinbar an seinem Ohr klebende kleine, schwarze Telefon einredete.
"Ey fett krass deine heiße Schnegge chillt heute mit som Loser, dabei sollt die noch bei nem Homie von mir, ne ..."
Langsam erhob sich der ältere Herr, bemühte sich redlich seinem Gesicht einen halbwegs freundlichen Ausdruck zu verleihen, und ging dem Jungen, dessen Ohrring im Sonnenlicht metallen glänzte, mit ausgestreckter Hand entgegen.
Dieser ließ sein Handy blitzschnell in die Hosentasche rutschen und machte einen Schritt nach vorne.
Hinter ihm fiel die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss.
"Guten Tag! Eberhardt mein Name, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie", meinte er und reichte dem Jungen die Hand.
"Yo, alda! Maik, ne ...", betont lässig schlenderte er auf den Stuhl vor dem Schreibtisch zu und ließ sich darauf nieder. Wortlos nahm auch Herr Eberhardt Platz. Maik ging das alles viel zu langsam:"Boah ey! Mach ma hinne, alda!", nölte er, ließ sich noch ein paar Millimeter tiefer in den Stuhl sinken und deponierte seine übergroßen, zerschlissenen Turnschuhe mitten auf dem Tisch.
"Bitte? Bilden Sie Sätze anhand satzwertiger Konstruktionen, da ich Ihre Aussage nicht begreifen kann."
Verdutzt glotzte Maik in das faltige Gesicht des Mannes.
"Aus Ihrem Lebenslauf, welchen ich bereits analysierte, entnehme ich, dass Sie Schüler sind, ist das korrekt? Wie mir bekannt ist, endet die Schulpflicht mit 15 Jahren."
Ungläubig starrte Maik ihn an: "Ey leck mich fett, was solln das, hä?!"
"Um genau zu sein spezifische pharmakologische Behandlung und Übertragungs-fokussierte Psychotherapie", erwiderte Dr. Eberhardt, während er den Versuch startete, durch Öffnen des Fensters den Raucheratem zu vertreiben.
Der Junge klappte den Mund auf, und klappte ihn kurz darauf wieder zu.
Ein leichtes Lächeln umspielte Eberhardts Lippen. "Ich vereinfache es insoweit für Sie, dass ich "Argumente" nenne. Als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder auch Psychiater genannt, behandelt man hauptsächlich Menschen, mit psychosozialen Störungen, dazu zählen auch forensische Fälle sowie psychosomatische Fälle. Darunter verstehe man psychische Störungen hervorgerufen durch körperliche Defizite."
"Pzüschiaahsoziieääh...Was?! Ey, abgespackt, alta...", brabbelte Maik.
Unbeirrt fuhr Dr. Eberhardt fort. "Ich nenne Ihnen die bekanntesten:
Schizophrenie, Sexualstörungen, die Borderline-Störung, Psycho- und Soziopathie, Persönlichkeitsstörungen und phobische Veranlagungen.
Mit der Zeit sieht man es bereits als Routine an."
Aufgebracht nuschelte Maik vor sich hin: "Wasn Spack, alda! Boah man ey ..."
Eberhardt grinste: "Nun denn, ich werde von Dannen schreiten, da ich recht wenig Zeit possessiere", er setzte sich in Bewegung. "Ich wünsche einen angenehmen Tag!"
Fassungslos starrte der Junge ihm hinterher.
"Papa?!"
Die Tür schloss sich mit einem leisen "klick".
"Voll fett Party machen!", dröhnte es aus dem Gang.