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Steh auf, wenn du ein Dümpelfelder bist
Ich besaß eine Karte für das Konzert von Depeche Mode, dem ich beizuwohnen gedachte, und ich erwarb sie wie einen Bausparvertrag: Lange im Voraus, hoffend, dass sich die Investition lohnen würde.
Ich besitze übrigens auch einen drolligen Pocket-PC, den ich allerdings niemals in die Tasche stecke, da er ein Touchscreen-Display besitzt, und das Innenfutter meiner »Pocket« offenbar in der Lage ist, Excel-Tabellen zu öffnen wie ein entfesselter Buchprüfer.
Wäre ich der Entwickler solcher Prachtelektronik, würde ich als erstes eine Software entwickeln, die das Display in der Empfindlichkeit verstellbar machen würde.
Der werkseitige Status bei meinem Gerät: Der Hauch des Schmetterlings.
In dieser Einstellung reagiert das Display eilfertig wie ein junger Hund, wenn man im Nebenraum »Leckerchen« murmelt – schräge Blicke reichen, um noch die sinnlosesten Anwendungen aufschnacken zu lassen. Das Display ist so empfindlich wie die eigene Hirnhaut.
Wünschenswert wäre allerdings:
Normal! Das Display reagiert völlig, nun, normal. Wenn man den Plastikstift aufs Glas titscht, wird eine Anwendung geöffnet. Und nur dann.
Und durchaus cool wäre:
Maximus! Nach dem Obergladiator benannt, steckt diese Displayeinstellung alles weg. Dokumente lassen sich nur mit dem Akkuschrauber öffnen, der Off-Schalter wird per Faustschlag bedient. So hätte ich’s gern, wenn ich mal wieder feststelle, dass für die Entwicklung von »Normal« die nötigen Milliarden fehlten, die Scheißwiese, die Windows XP als Hintergrund festgenagelt hat, aber immer noch existiert. Es bringt mich zum Verzweifeln.
Auf diesem Pocket-PC befindet sich nämlich eine Navigation von Falk, seit je her Nummer Eins unter den Kartenanbietern, sozusagen der König der Straßenverkäufer.
Jene sollte mich dann auch zum Konzert nach Düsseldorf lotsen, also versuchte ich
DÜSSELDORF
EUROPAPLATZ
einzugeben.
Meine Position, Dortmund, erkannte der kleine Teufelskerl ja dank GPS.
Ich bediente den Eingabestift wie ein talentierter Chirurg.
Klick.
Die Navi schlug nicht nur auf der Stelle DÜRRRHÖRSDORF-DITTERSBACH vor, sondern fügte es gleich als Zielort ein und implantierte ohne große Nachfrage EUPELWEG in meinen Spätnachmittag, da es in Dürrrhörsdorf-Dittersbach noch keinen Europaplatz gibt, auch wenn Depeche Mode selbst dann nicht dort aufspielen würden, wenn es ihn gäbe.
Ruhig, Gevatter, ermahnte ich mich, und fixierte den stiftführenden Arm mit der freien Hand.
Noch mal.
DÜMPELFELD liegt im Postleitzahlenbereich 53.
Generell gute Richtung. Ich fuhr los.
Der Nachteil von Navigationssoftware, die sich auf zehennagelgroßen Speicherkarten befindet, ist vor allem, dass kein Platz mehr fürs Konkrete ist.
Eine ausgewachsene, reife Navi würde »Befahren Sie in 300 Metern die A1 Richtung X« von sich geben, aber Sparnavigationen auf PCs, die vor allem auf die eigene Jackentasche hören, sagen: »In 300 Metern recht, dann halblinks halten.«
Dies zwingt einen dazu, den Blick aufs Display zu heften, um durch die Balkengrafik einen ungefähren Weg zu erahnen, hoffend, das der tschechische Schweinetransporter hinter einem einen ausgeschlafenen Piloten beherbergt, denn smarte Spurwechsel sind Programm.
Irgendwo zwischen »Der Straße 28 Kilometer folgen« und »JETZT RECHTS!« befuhr ich einen Autobahnrastplatz - Orte, die mir stets wie das Weltraum - Lloret de Mar MOS EYSLEY aus STAR WARS vorkommen: Mitten im Nirgendwo, bevölkert von marodierenden Allesfressern, brandgefährlich für Mensch und Tier. Alle gesellschaftlichen Regeln sind außer Kraft gesetzt. Ein gekochtes Ei kostet zwei Euro, sehr spezielle Fernfahrer-Pornos mit Namen wie »MELKMASCHINEN IIIV« - auf denen in Vinyl gerollte Russinnen so die Beine spreizen, dass ihre Knie die Heftklammern des Einbandes berühren - stehen direkt neben der HÖR ZU und die Toilettenfrauen sehen aus wie Herbert Fux.
Ich wollte nur eine Schachtel Zigaretten, rempelte aber versehentlich einen Mann an.
Eigentlich waren es drei Mann, stellte ich fest, als sie sich umdrehten, aber sie trugen nur eine Hose, ein paar Schlappen mit Korksohle und einen Kopf. Was für ein Gigant; in seinem Kosakenbart klebten Hackfragmente einer vermutlich in mitternächtlicher Raserei verschlungenen Frikadelle. Ich nickte ihm zu, um meinen Rempler auszubügeln, und er legte mir seine riesige Hand auf die Schulter. »Rostock Köln«, sagte er roh. »Weißt du was das für eine Strecke ist, Bube? Rostock Köln? Das ist eine beschissene Wallfahrt. Und weißt du, was ich den verstörten Kölnern rankarre?«
Ich schüttelte devot den Kopf.
»Hollywood-Schaukeln. Ich bringe diesem derangierten Haufen von Trinkern Hollywoodschaukeln.« Er beugte sich dicht zu mir runter. »Ich kann sie hinten im Laderaum stöhnen hören«, raunte er. »Diese in Plastik gepackten, knarrenden Hollywoodschaukeln. In jeder Kurve lachen sie über mich. Sie schlappen mit ihren Stoffdächern, die Luder. Da sind Seerosen drauf, und so abgewichste Hawaiilandschaften.«
Ich tastete zu der Stelle meines Oberschenkels, an der in meinen Tagträumen meine halbautomatische Waffe baumelte; nur die Jeansnaht war da, gerade und ruhig und völlig nutzlos, sieht man vom Vorteil einer nicht idiotisch aufklaffenden Hose ab.
»Diese Luder«, stimmte ich ihm zu, während ich einen Schritt zurück machte und gegen das Regal mit überteuerten Zigarettenanzünderadaptern stieß. Sackgasse.
»Ich werd draufpissen«, setzte er mich verschwörerisch ins Bild. »Ich werde die ganze Fuhre voll strullen.« Er hielt einen Zwölferpack Caprisonne hoch. »Hiermit. Und weißt du warum?«
»Logo«, sagte ich, und niemand war gespannter als ich, wie ich diese schwachsinnige Antwort aufzulösen gedachte. Aber er kam mir zuvor. »Weil der ganze Tag scheiße war. Der komplette 32-Stundentag, den ich nun unterwegs bin, Bursche. Die Staus, die ganzen Arschlöcher in ihren Seifenkisten, die wie Käfer vor meinem LKW herkrabbeln. Und die Drahtschlampen hinten, die keuchen und knarren. Ich werde es ihnen besorgen, weil ich wusste, dass einer wie du kommt.«
Er trat zur Seite und gab den Blick auf die Mautstation frei.
»Ich hab mich vertippt, als du mich angerempelt hast, du Suppenkasper.«
»Empfindliches Display, was?« gab ich leise zurück, und er lächelte strahlend.
Einen Moment lang sah er mich an wie einen verlorenen Bruder, voller Zuneigung und neu gewonnener Zuversicht. Ich strahlte zurück, als hätte ich einen Halogenstrahler im Schädel.
»Ich werde auch dich voll strullen«, sagte er dann.
Ich drehte mich um und stieß gegen einen alten Mann, der gerade in der GALA blätterte, dabei aber ganz klar aufs ANALJOURNAL spähte.
Seine Flüche folgten mir.
Ich hielt mich 59 Kilometer gut, meistens ganz rechts und lauschte dem Orakel, das übrigens niemals »Wenn möglich, bitte wenden« sagt, sondern allen Ernstes stets nur »Bitte«, und dabei einen Bumerang anzeigt. Ich hätte mir gern eine geraucht.
Unter Zuhilfenahme der einbetonierten Metallnavigationshilfen am Straßenrand erreichte ich Düsseldorf, hängte mich hinten in den Stau der Depeche Mode - Fans und war guter Dinge.
Die Navigation schwieg betreten, zeigte mir aber vorwurfsvoll meine Durchschnittsgeschwindigkeit von 2 Km/h an.
300 Meter vor der Ausfahrt trumpfte sie dann mit »in 300 Metern rechts ab, dann…« auf, aber das war mir gleichgültig. Ich zog sogar in Erwägung, irgendeinen Käse in Pocket-Word einzuhacken, um dem Luder zu zeigen, wer hier das Sagen hatte, verwarf den Gedanken aber zügig, als mir einfiel, dass ich dafür die Pforte der Schrifterkennungshölle aufstoßen müsste.
Selbst Worte wie »Hallo«, oder »Hall«, oder auch nur »H« wurden zu digitalen Kackschemeln, die weniger Futter für Word als vielmehr für Dan Browns Kryptographierhengst aus DIABOLUS waren.
Dann sah ich die Halle und lies ein »HA-HAAAA!« durch den Innenraum meines Fahrzeugs schallen, wobei ich durch die Rückspiegel der anderen Wagen - die meisten mit EXITER- Aufklebern auf der Heckscheibe - erspähte, dass meine Leidgenossen es mir nachtaten.
Ich hatte aus eigener Kraft bis zur Halle gefunden - ohne Navigation, die mich wohl nicht zur Halle, aber nach Halle gebracht hätte.
Als ich in die fragliche Straße einbog, kamen mir sehr viele Wagen entgegen, und die meisten Fahrer sahen aus wie eine Mischung aus Robert Smith von the Cure und dem aufgelösten Tuschekasper von Edward Munchs »Der Schrei«.
Ich fand schnell heraus, warum sie die Gesichter verzogen: Ein paar hundert Meter weiter hatte sich ein orangefarbener Kerl mit Kelle aufgebaut, der mit der Hand kurbelnde Bewegungen machte. Ich brüllte ihm durch die Scheibe zu, dass ich ihm nicht helfen könne: Elektrische Fensterheber. Sein Humor war faktisch nicht vorhanden.
»Hier lang nur für Taxen«, bellte er durch den schmalen Fensterschlitz, den ich ihm gönnte.
»Warum denn?«
»Nur für T-A-X-E-N«, buchstabierte er.
»Ja doch. Das Wort hab ich verstanden, nicht jedoch den Sinn.«
»Dreh um, Kerl!«
Ich drehte um und zog ein Gesicht, das mich wie eine Mischung aus dem Tuschekasper von Edward Munchs »Der Schrei« und einem Typen aussehen ließ, der weder mit seiner Navigation noch mit Primaten in grellen Plastikwesten klarkam.
Ich fand ein Gässlein, drei Kilometer entfernt vom Austragungsort des Konzertes.
Kopfsteinbepflastert, still und von Parkgelegenheiten gesegnet lag es im Licht meiner Scheinwerfer. Irgendwo miaute eine Katze.
Mein Plan hatte Gestalt angenommen: Am Arsch des Planeten parken, ein Taxi nehmen und den Fahrer anweisen kurz beim Kellenmann zu halten.
Dann »NUR FÜR LEUTE MIT HIRN HIER!!! MIT H-I-R-N! DREH UM!« brüllen.
Dann Depeche Mode.
Ich parkte ein. Das Fahrzeug hinter mir hatte was Knallrotes auf der Ablage.
Einen Anwohnerparkausweis.
Ich schritt die anderen Fahrzeuge ab: Anwohnerparkausweise.
Ich war in eine Gemeinde in der Gemeinde geraten; man wollte seine Ruhe hier, wie es aussah. Die Katze kam in Sicht.
Sie trug etwas Knallrotes im Maul.
Tote Ratte, Lobet den Herrn.
»Verpiss dich«, rief ich, kramte im Handschuhfach und fand die Abonnentenkarte einer alten MAXIM- Ausgabe. Machte sich nicht schlecht im Halbdunkel, aber ich ging auf Nummer sicher und häufte benutzte Taschentücher über die Karte.
Die Anwohnerkatze trollte sich, und ich hielt meinen Freibeuterdaumen raus und fischte mir ein Taxi.
Am Wendepunkt des T-A-X-I-Mannes hatte der Schichtwechsel stattgefunden, also fuhren wir durch, ohne dass ich meine kleine, schmierige Rache bekam.
Ich brauchte ein Bier.
Oberrang bedeutet unterm Hallendach, oder wie es Han Solo in STAR WARS formulierte: »Wenn es einen hellen Punkt im Universum gibt, bist du hier am weitesten davon entfernt.«
Ich verstehe die Begeisterungsfähigkeit von Menschen, die sich Karten für den Innenraum kaufen. Schulter an Schulter mit Gleichgesinnten kippt man sich gegenseitig Bier über die Jacke oder schwenkt Feuerzeuge zu »Personal Jesus«. Man geht aus sich raus, lässt Fünfe gerade sein und fällt auch nicht um, wenn man will oder muss, weil die anderen Fans einen zwangsläufig stützen.
Genau diese Klientel hatte sich in Form eines Pärchens mit mir im Oberrang eingefunden, er mit Lederhose zu Polohemd und Oberlippenbart, seine Gattin ganz Batikgespenst.
Irgendein Parfum klammerte sich an den beiden fest, ein bitterer Duft von etwas, auf dessen Flasche vermutlich »Hornbach pour Homme« stand. Sie hätten so gern in den Innenraum gewollt, waren aber durch eine Grausamkeit des Lebens auf dem Dach der Welt gelandet, und ich wurde dafür bestraft.
Ich ging raus und stellte mich für ein Bier an, während ich die Taxisache nicht aus dem Kopf bekam.
Nur für Taxen.
Das war, als würde man bei C&A die Rolltreppe mit der Bemerkung sperren, diese sei nur für Augenärzte. Ich erstand ein Bier mit dem Bild der Band auf dem Becher und dem scharfen Hinweis, dass »Zwei Euro Pfand auf dem Becher« seien.
Plötzlich Musik.
Oder vielmehr: Plötzlich apokalyptischer Bass.
Ich verkippte in bester Innenraumtradition mein Bier, als ich durchs Dunkel zurück zu meinem Platz hetzte, fand jedoch nicht Depeche Mode bei der Ouvertüre, sondern eine mir unbekannte Band bei der Kuvertüre vor, die sie quer durch die Halle verspritzen.
Ich hasse Vorgruppen.
In diesem Fall handelte es sich um eine New Yorker Band, die nicht einmal ansatzweise dazu auserkoren war, Depeche Mode - Menschen anzuwärmen. Der Sänger trug überdies einen grünen Pulli mit Rautenmuster, für den ich einfach nicht weit genug entfernt war.
Außerdem sind Songs, bei dessen Live-Darbietung sämtliche Bandmitglieder dazu verdammt sind, permanent »Uhh-uhh« zu singen, uncooler Blödsinn.
Ich starrte auf den lichter werdenden Hinterkopf des Lederhosenmannes und wartete.
21.00
Von meiner Wolke aus beobachtete ich den Auftritt von Depeche Mode.
Furios!
Hammerheftig!
Legendär!
Von hier oben aus nicht für fuffzig Pfennig zu erkennen!
Dann erhob sich das Pärchen vor mir; sie wippten mit den Füßen, sie schwenkten die Arme, kurz vor der Ekstase, noch kürzer davor, von mir notgeschlachtet zu werden. Sie waren für den Innenraum geboren worden, oder besser noch für eine Fernsehübertragung des Konzertes auf VOX, wobei sie Chips essend die Wohnungseinrichtung zerschunkeln konnten.
Aber sie waren hier, in meinem Fadenkreuz, meiner Sicht, meinem Leben.
Vermutlich wohnten sie in Düsseldorf und hatten Anwohnerparkplätze.
Ich verschwand noch vor der Zugabe.
Als ich meinen Becher abgeben wollte, um den Pfand zurück zu erhalten, sagte der Typ hinterm Tresen:
»Was soll ich damit? Beim nächsten Eros Ramazzotti – Konzert rausgeben? Du Idiot?«
Ich verließ grußlos den Ort des Geschehens.
An meinem Scheibenwischer hing ein Zettel.
»HIER PARKEN kostet VIEL GELD! WAS DENKEN Sie sich dabei? WAS?«
Der Zettel war mit Schrödinger unterschrieben.
Ich checkte den Straßennamen, füllte die Abonnementenkarte aus und warf sie in den nächsten Postkasten, nachdem ich festgestellt hatte, dass Frau Schrödinger Lisbeth gerufen wurde, wobei ich mir vorstellte, wie sie die ganzen Carmen Electra – Poster, die sie für die nächsten zwölf Monate aus der Maxim trennen durfte, neben die Anrichte aus Eiche nagelte,.
So.
Ich bin nun seit drei Tagen in DORFPROZELTEN. Netter Fleck.
Für Dortmund hat’s nicht ganz gereicht.
Also bleib ich hier und trinke die Spezialität des Ortes, einen Kohlrabilikör, der hier auch zum Beizen der Jägerzäune verwendet wird.
Ich reise ab, sobald meine Hand ruhig genug ist.