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Sterne sterben doch
Es sind nun schon einige Wochen her seit dem Amoklauf an meiner Schule. Eigentlich sollte ich zufrieden sein. In meinem Zimmer liegen noch die Artikel aus den Zeitungen. Eigentlich sollte ich mit dem Thema bereits meinen Frieden gefunden haben, doch irgendwie muss ich diesen Text schreiben, vielleicht mein Geständnis, mein Eingeständnis oder vielleicht auch mein Testament. Wer weiß. Was niemand wissen kann und mit Glück auch nie erfahren wird, ist, dass ich diesen Amoklauf provoziert und inszeniert habe. Doch ich sollte erstmal erzählen, wie alles begann. Ich dachte, Sterne sterben nicht.
Es war am Anfang des Schuljahres, Mitte August würde ich sagen. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet, ein weiteres Schuljahr auf dem Gymnasium mit diesen Idioten von Klassenkameraden zu überleben. Ich hoffte, sie würden den Sprung in die elfte Klasse nicht schaffen. Aber vermutlich war diese Hoffnung vergebens. Einige Tage nachdem ich mich langsam wieder an alles gewöhnt hatte, kam sie in die Klasse. Sie, das war Sabrina, gut aussehend, neu in der Stadt. Von ihren Noten erfuhr ich nichts, doch sie sah nicht sonderlich intelligent aus. Sehr schnell musste ich mir eingestehen, dass ich mich getäuscht hatte. Sie war besser als ich und dass obwohl ich sonst die unangefochtene Nummer eins der Klasse in Sachen schulischer Leistung war. Ich war hier der Star, nicht sie. Doch sie überstrahlte mich. Am Anfang habe ich noch versucht ein, zwei Gänge zuzulegen, aber ich blieb trotzdem hinter ihr zurück. Das konnte und durfte nicht sein. Ich hasse Konkurrenz. Sie durfte hier nicht der Star sein. Nur ich durfte das. Die anderen konnten sie auch nicht leiden, wenn auch aus anderen Gründen als ich. Sabrina war jetzt das Hass- und Spottobjekt. Vorher war ich es, aber das war mir egal. Sabrina verstand es offensichtlich nicht so mit den anderen zu kooperieren, wie ich es tat. Abschreiben, Hausaufgaben machen und Souffleuse spielen, wollte sie nicht. Das sagte sie ihnen direkt ins Gesicht. Das war nicht wirklich intelligent von ihr. Sie fand keine Freunde in der Schule. Ich vermutete, dass die anderen Leistungsverweigerer dahinter steckten, bei mir lief das ähnlich. Doch anstatt mich mit ihr zu verbünden, sah ich in ihr nur eine Konkurrentin, die es galt, aus dem Weg zu räumen. Und so beteiligte ich mich an den Aktionen der anderen. Ich hoffte, ihre Leistung würde dadurch zu meinem Vorteil beeinflusst werden.
Aber Pustekuchen. Sie blieb unbeeindruckt, aber meine Gedanken kreisten nur noch um sie. Dementsprechend brachen meine Leistungen ein. Ich schaffte es zwar, mich wieder zu fangen, aber von da an war ich besessen von dem Gedanken, so viel wie nur möglich über sie zu erfahren. Irgendeine Schwachstelle, an der ich sie brechen könnte, musste es doch geben. Also fing ich an einige Gespräche mit ihr zu führen, um mehr über sie zu erfahren. Die Gespräche waren teilweise aufschlussreich, teilweise belanglos. Ich musste aufpassen, dass die anderen nicht dachten, ich würde etwas von Sabrina wollen. So etwas hätte mich den Kopf kosten können. Deswegen führte ich die Gespräche über einen Zeitraum von mehreren Wochen. Gleichzeitig begann ich mich über Privatspionage, Stalking, u.ä. zu informieren. Ich hatte drei Optionen: entweder sie so stark psychisch zu verletzten, dass ihre Leistungen einbrechen, dass sie die Schule verlässt oder dass sie Selbstmord begeht. An das, was später kommen sollte, dachte ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Die ersten Arbeiten wurden geschrieben. Der Ausfall der Arbeiten war genau der, den ich befürchtet hatte. Sie war besser als ich. Ich hatte mich noch nie nach einer zwei plus in einer Arbeit so beschissen gefühlt. Ich musste meine Aktivitäten verstärken. Ich konnte nicht zulassen, dass mein Stern stirbt. Ich wollte nicht bedeutungslos werden. So war es an mir dafür zu kämpfen. Die Verfolgung konnte beginnen. Nach der Schule folgte ich Sabrina. Ich war stets hinter ihr, ihr Schatten. Wohin sie regelmäßig ging, ob sie noch Freunde hatte, ihre Vorlieben jeglicher Art und was sie zu Hause machte, alles wollte ich in Erfahrung bringen. Das war die härteste Zeit meines Lebens: jemanden zu verfolgen, dabei noch seine Leistung in der Schule zu bringen und sich nicht bei Gesprächen mit ihr anmerken lassen, dass sie meine Obsession war. Und die anderen durften auch nichts mitbekommen. Niemand sollte irgendetwas merken.
Ich lernte recht schnell von ihr, dass sie unter der Situation in der Schule litt, aber nicht wie stark. Außerdem konnte sie nicht die Schule wechseln. Ich hatte diese Möglichkeit einmal erwähnt und mich so beinahe selbst verraten. Ich machte ihr sogar Vorschläge wie sie besser mit den anderen zurechtkommen würde. Oh man, war ich bescheuert oder vielleicht doch ansatzweise verliebt in meinen Feind? Na ja, wie auch immer. Sie wollte mein Vorschläge nicht annehmen. Sie meinte, sie würde über den Angriffen stehen und die anderen müssten später auch alleine zurechtkommen. Ich versuchte ihr klarzumachen, dass das im Moment hier nicht zählen würde. Sie konterte darauf nur, dass sie das wüsste. Also musste ich weiter an ihr arbeiten. Inzwischen waren schon weit mehr als zwei Monate ins Land gegangen und es war nicht viel Brauchbares dabei herausgesprungen. Nebenbei begab ich mich auf die Jagd nach ihrem PC im Internet. Relativ schnell lernte ich das Hacken auf dem Niveau eines Skriptkiddies. Das sollte ausreichen, um Zugriff auf ihren PC zu kriegen. Durch meine Fernglasbeobachtungen wusste ich, dass sie chatete und wie sie im Chat hieß. Mit diesen Informationen konnte ich sie recht schnell ausfindig machen und ihren PC hacken. Von PC-Sicherheit schien sie glücklicherweise nicht viel zu verstehen. Ein Trojaner und ein Keylogger waren sehr schnell eingerichtet. Während ich meine Informationen sammelte, gingen die anderen nicht gerade freundlich mit ihr um. Kleine physische Attacken, vorzugsweise von den Mädchen, wurden bald die Regel. Hier ein kleiner Schubser, da ein Griff an ihren Arsch. Sabrina sollte zerstört werden, aber es zeigte keine Wirkung. Die Jungs hielten sich zwar zurück. Dass aber auch nur weil sie es geil fanden wie sich die Mädchen über Sabrina hermachten, ansonsten standen sie nur zur Absicherung der Mädchen in der Gegend mit einem breiten Grinsen rum. Hilfe konnte Sabrina von niemandem erwarten weder von Mitschülern, noch von den Lehrern und erst recht nicht von mir.
Nachdem sie seit etwa vier Monaten gequält wurde, konnte ich das erste Mal live sehen, dass sie verletzt war. Dem Fernglas und einem sau teuren Richtmikrofon sei dank, konnte ich sehen und hören, dass sie weinte und worüber sie weinte. Mein erster Erfolg. Tränen der Freude bei mir an Weihnachten darüber. Ich hatte in Erfahrung gebracht, dass ihre Eltern nicht sonderlich viel taten, um ihr zu helfen. Sie waren berufstätig und bei den Lehrern konnten sie nicht viel erreicht haben. Wie dem auch sei. Ich hoffte von diesem Tag an auf ihren Selbstmord oder zumindest ein Einbrechen ihrer Leistung. Doch wieder nichts. Ich musste mir langsam etwas anderes ausdenken, denn der „Krieg“ zwischen ihr und den anderen eskalierte von Januar bis März von Tag zu Tag mehr erst nur verbal, dann nonverbal. Meine Angst wuchs, dass ich selbst irgendwann zwischen die Fronten geraten könnte. Bislang war ich nur ein Beobachter gewesen, doch wie leicht könnte sich das Blatt gegen mich wenden? Ich lieferte den anderen bislang nur aus meinen Beobachtungen gefundene Munition für ihre Angriffe auf Sabrina, aber wenn Sabrina irgendwann weg sein sollte, so wäre ich das nächste Ziel. Eine Lösung musste her, mit der ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte. Die anderen und Sabrina mussten verschwinden. Sie mussten sich gegenseitig auslöschen. Doch wie sollte ich Sabrina den anderen gegenüber ebenbürtig machen. Sie hatte bis jetzt immer wieder Blutergüsse, Abschürfungen und ähnliche kleine Verletzung von den Auseinandersetzungen davon getragen. Als ich gerade wieder beim Surfen im Internet war, fiel mein Blick auf einen Artikel über den Amoklauf von Erfurt. Plötzlich schien mir die Lösung so klar zu sein. Ich musste Sabrina zu einem Amoklauf bewegen, bei dem sie die anderen töten und ich am Leben bleiben würde. Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen eben. Ich wäre wieder ein Star und sie würde für immer aus meinem Leben verschwinden. Perfekt. Blieb nur noch das Problem an die Waffen heranzukommen und sie Sabrina zu lancieren. Sie hatte sich in letzter Zeit zu meinem Vorteil verändert. Ihre Klamotten waren dunkler geworden, ihre Leistung nahm langsam ab, die Fröhlichkeit verschwand auch zusehends aus ihrem Gesicht. Sie litt. Ich hatte sie innerhalb der letzten drei Monate, seit dem sie zum ersten Mal geweint hatte, immer wieder dabei beobachtet wie sie verzweifelt war und litt, als sie in ihrem Zimmer war. Auf ihrem PC pflegte sie mittlerweile ein Tagebuch zuführen. Ich las es mit diabolischer Freude. Das Ziel war in Sicht. Nachdem sie nun keinen Selbstmord begehen wollte, sie wollte es nicht, weil nicht sie sondern die anderen Schuld hätten, musste ich sie eben zu ihrem Glück zwingen. Den Frühling sollte man gemeinhin für einen Neuanfang nutzen, den bereitete ich nun vor. Ich sah, dass die Lage bald explodieren würde, wenn ich nicht zu meinen Gunsten, also diesmal auf Sabrinas Seite, eingreifen würde. Schon hatte ich vernommen, dass ich der nächste sein sollte. Die anderen waren von mir in Folge meiner „Arbeit“ nicht mehr so gut unterstützt worden. Das wäre Grund genug gewesen für die anderen mit mir zu spielen, aber zum Glück war Sabrina ja deren Spielzeug. Ein Gedanke, der mir in dieser Zeit häufiger gekommen, war es die anderen Klassen mit in den „Krieg“ zwischen Sabrina und den anderen einzubeziehen. Doch die Sympathien der meisten Schüler aus den Klassen des 10.Jahrganges lagen eindeutig auf der Seite des Stärkeren. Einige von denen halfen tatkräftig mit Sabrina zu vermöbeln. Hatte ich schon erwähnt, dass sie Karate machte? Nein? Nun gut, so sei gesagt, dass sie sich recht ordentlich verteidigt hat. Kein Wunder, dass die anderen das nicht auf sich sitzen lassen konnten. Irgendwie war es mir gelungen im Internet eine Adresse für Schusswaffen ausfindig zu machen, die auch für Sabrina lieferbare Waffen bereitstellte. Also fertigte ich einen Zettel mit dem Text „Wenn du deine Sorgen loswerden willst, schau auf der folgenden Internetseite nach Glücklichmachern um deinen Problemen zu entkommen.“ und platzierte diesen Zettel innerhalb der nächsten Tage so, dass sie ihn finden musste. Es wurde ja auch Zeit. Schließlich war es schon April und ihre Depressionen näherten sich einem weiteren Höhepunkt. Ihre Leistungen waren aber immer noch über meinen, obwohl ich mich mehr denn je anstrengte. Ich war am Boden zerstört. Wie hatte sie das bloß gemacht? Ich werde es wohl nie verstehen.
Obwohl ich von ihrem PC wusste, dass sie jetzt vorhatte alle Register zu ziehen, um sich die anderen vom Halse zu schaffen, war ich mir sicher, dass sie nicht so dachte wie ich. Wie dem auch sei, sie verstand den Hinweis, den ich ihr gegeben hatte. Ich hatte die Möglichkeit eines Amoklaufes schon früher, vier oder fünf Monate zuvor, mit ihr durchdiskutiert. Meine Versuche sie und die anderen zu manipulieren waren spätestens nach den Weihnachtsferien überflüssig geworden. Die beiden Fraktionen waren einfach zu verfeindet, als dass ich hätte noch Einfluss nehmen können. Dennoch versuchte ich die Atmosphäre weiter aufzuheizen. Es lag jetzt an mir lediglich den letzten Schritt zu tun. Als ich eines Tages im Mai, etwa zwei Wochen nachdem sie die Waffen erhalten hatte, bemerkte, dass Sabrina die Waffen mit in der Schule hatte, beschloss ich mein Werk zu vollenden. Der Tag war warm. In der ersten großen Pause ging ich zu an deren und fragte sie, ob sie nicht Sabrina bitten könnten ihre „Waffen“ zu zeigen. Ich wusste, dass das funktionieren würde. Die anderen hatten ähnliche Versuche schon früher unternommen mit mehr oder minder großem Erfolg. Außer einem Griff eines Jungen an ihre Brüste, den dieser mit beinahe Kastration bezahlte, war nicht viel dabei herausgesprungen. Doch diesmal sollte alles anders kommen. Ich verzog mich verflucht schnell ins Schulgebäude, angeblich weil ich dringend pissen musste. Von einem Fenster aus sah ich, was geschah. Die anderen sprachen sie an, wie ich es wollte. Sabrina lächelte, zog ihre Pistolen heraus und schoss die anderen, die vor und neben ihr standen, nieder. Es gab eine Panik. Schüler und Lehrer aus anderen Klassen wollten Sabrina stoppen, sie wurden ebenfalls erschossen. Wo hatte dieses Mädchen nur das Schießen gelernt? Ich hatte gedacht, ich hätte sie die ganze Zeit kontrolliert. Der Rest der Anwesenden war so klug zu fliehen. Ich sah zu, dass sie mich nicht bemerkte. Nach kurzer Zeit hatte sie keine Munition mehr, dafür aber ein Lächeln in ihrem Gesicht, wie ich es noch nie vorher gesehen hatte.
Auch ich lächelte. Zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Perfekt. Ich bin Genie, oder ich schien es zu sein. Sabrina ließ sich ohne weitere Gegenwehr festnehmen. Ich hoffe, sie wird niemals bemerken, dass ich sie benutzt habe. Die Schule wurde danach für einige Tage geschlossen. Als die Schule wieder geöffnet wurde, kam es nach dem Vorbild Sabrinas zu ähnlichen „Auseinandersetzungen“ in anderen Klassen, woraufhin die Schule bis auf weiteres geschlossen wurde, um den Grund dieser Miniamokläufe zu klären. Ich musste die Schule wechseln. Sabrina werde ich nicht in der Haft besuchen. Mir sind erst im Nachhinein einige Dinge klar geworden bzw. ich habe erst nach dem Amoklauf einige beunruhigende Details erfahren. So hatten die ersten Opfer Sabrinas lange Messer bei sich und sie hatten wohl vorgehabt, Sabrina nach der Schule zu vergewaltigen, so eines der Gerüchte. Sabrina hatte massiven Druck auf den Direktor und die Lehrer ausgeübt, ihr zu helfen. Die erschossenen Lehrer waren die Lehrer, an die sich Sabrina mit der Bitte um Unterstützung gewandt hatte.
Ich scheine, wohl doch nicht alles unter Kontrolle gehabt zu haben.
Was mich persönlich betrifft, so muss ich mir leider eingestehen, dass ich versagt habe. Zwar bin ich Sabrina und die anderen aus meiner Klasse sowie einige Idioten aus den anderen Klassen los, aber ich musste die Schule wechseln aufgrund der Schließung meiner Schule. Auf dieser Schule bin ich nur mittelklassig. Im Übrigen war ich wohl nur im Verhältnis zu den Schwachmaten aus meiner Klasse so gut bewertet worden. Und dass ich mich mehr denn je angestrengt hätte, war wohl eine klassische Selbstlüge. In Wahrheit waren Sabrina und ich gleichmäßig schlechter geworden, nur der Bewertungsmaßstab bzw. die Schwierigkeit des Unterrichts und der Arbeiten war heruntergefahren worden. Mein Stern und Sabrinas Stern sind beide vergangen. Ich dachte, ich würde gewinnen, doch nun? Alle Spuren, die von mir zu Sabrina führen könnten, habe ich vernichtet oder im Falle ihres PCs so getarnt, dass keine Spur zu mir führt.
Insgesamt gesehen musste ich erkennen, Sterne sterben doch.
P.S.: Momentan bin ich am überlegen, ob ich nicht den Schritt wagen sollte, den Sabrina nicht gehen wollte. Ohne meinen Stern fühle ich mich so verloren.