Sternensplitter
Es begab sich zu jener Zeit, da noch Indianer die Steppen und die Einöde jenen Landes besiedelten, das später unter dem Namen Amerika bekannt werden und zu Weltruhm gelangen sollte. Damals, werte Freunde, versichere ich Ihnen, kannte man die modernen Probleme unserer Gesellschaft noch nicht. Am Tage konnte man, wenn man wollte, durch die weiten Gegenden streifen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Die Luft war noch frisch und unverbraucht und man sah Bisons, die unbeirrt durch die Steppe zogen. In der Nacht funkelten die Sterne kühl und wie Diamanten am eisigen Nachthimmel und die Glut der Lagerfeuer zeichnete Schatten an die Wände der Zelte. Das Lachen der Menschen war noch nicht verloschen und in jenem See versunken, den wir heute Alltag nennen. In den wilden Flüssen schwammen noch Fische, die Natur beherrschte den Menschen und was war schon der Mensch? Ein Spielball im Sturm der Naturgewalten. Ich komme wohl ins Schwärmen, Freunde. Doch was ist anmutiger, was ergreifender als die entblößte Schönheit der Natur? Zu jener Zeit beschlossen die Menschen das Zepter der Macht zu ergeifen, den König zu stürzen, in den Dreck zu ziehen und seine Krone an sich zu reissen, seinen Mantel zu verbrennen. Was war nur der Grund dafür? Waren sie denn nicht glücklich mit ihrem Dasein? Ich weiß nun die Antwort, ich kenne die Lösung des Rätsels, nach der ich mein ganzes Leben lang gesucht habe. Und auf meinem Sterbebett werde ich sie jetzt enthüllen. So werde ich euch nun erläutern, was der Mantel des Schweigens so lange verbergen konnte. Die Menschen hatten beschlossen sich einen eigenen Garten Eden zu pflanzen und ihn mit dem Blut der Rache zu besäen. Einfach so beschlossen? Nein. Sie wurden dazu gezwungen! Durch sich selbst. Denn in jenen Tagen waren Lichter dort oben am Himmel zu sehen, die wie Fackeln nachts den Horizont in Dämmerlicht tauchten und über Siedlungen flatterten, wie Geier mit toten blicklosen Augen. Die Menschen hatten Angst, sie versteckten sich ich ihren Zelten, um dem Grauen zu entgehen, das sie heimsuchte. Doch sie konnten nicht fliehen. Sie wurden beobachtet. Sie wussten es. Es waren Augen munkelte man, die auf sie niederstarrten. Die Augen eines dunklen Gottes, der gekommen war, um ihre Seelen zu holen. Bald schon gab es keine Harmonie mehr unter den Menschen, die da auf Erden wandelten. Niemand schlief mehr des Nachts und am Tage waren die Blicke gebannt gen Himmel gerichtet, um die Augen zu sehen. Doch wenn die Sonne den Himmel erklomm waren sie wieder verschwunden. Die Wilden spürten die Blicke, die sich starr in ihre Körper gruben und konnten es nicht verstehen. Aber sie sollten verstehen. Sie sollten es wahrhaftig verstehen, wahrhaftig! Ich kann meine Stimme kaum mehr bändigen, so schrecklich ist das alles, die Wahrheit droht mich zu verschlingen. Mein Herz, mein Verstand, welch unglückselige Wurzeln, die mir innewohnen! In einer sternenklaren Nacht, viele Menschen schliefen schon in ihren Zelten und träumten von den bösen Augen, konnte man etwas wie ein Surren hören, das über der Steppe verhallte. Und wiederkam. Und sich näherte. Fast wieder verstummte. Dann wieder lauter wurde. Und lauter. Und anhaltender. Es war nicht der Wind. Sie waren es. Sie waren gekommen. Das Astwerk der Bäume begann erst leicht zu zittern, dann zu schwanken, dann zu flattern, dann zu reissen und hinauszufliegen in die Nacht. Niemand schlief mehr in den Zelten. Kinder zitterten und schrien, Frauen weinten und Männer verstummten. Sie waren gekommen. Ein großes Auge hing über ihren Köpfen wie eine überreife Tomate und glühte heller als der Tag. Sie wussten nun, dass es kein Auge war. Es war ein Stern, der glitzerte und funkelte. Staunenden Blickes versammelte sich das Volk. Der Stern schwoll an und zerriss die Nacht mit seinem Leuchten. Ein greller Lichtblitz. Und er barst in tausend Stücke, die prasselnd auf die Erde fielen. Die Sternensplitter glitzerten lockend dort am Boden und schienen kostbar und edel. Die Menschen rannten und keiften und rafften Stück um Sück in ihre Taschen. Das war der Anfang vom Ende. Die Tage und Wochen darauf sah man sie rastlos durch die Lande ziehen und sich zerstreuen, denn was hielt sie noch hier? Sie konnten jedes Gut bekommen, das ihr Herz ersehnte. Das Lachen war aus allen Gesichtern verschwunden und jeder beäugte seinen Nächsten und wägte ab, wie vermögend er wohl sei. Viele konnten aus Habsucht nicht genug bekommen und man sah die ersten Leichen in den Flüssen dahintreiben, mit starren Blicken und leeren Taschen und die Gewässer waren rot vom Blut der Brüder. Das ist die wahre Geschichte, wie alles begann. Ihr werdet mich, Freunde, sicherlich fragen woher ich dies alles erfahren habe. Sind es die Hirngespinste eines Greises, mit denen er sich den Lebensabend zu versüßen sucht? Nein. Seit Wochen sehe ich Augen in meinen Träumen. Große, zornerfüllte Augen, die näherkommen. Doch es sind keine Augen, es sind Sterne. Sie wollen unsere schwarzen Seelen. Wenn ich des Nachts aus dem Fenster blicke, so kann ich die Sterne durch den dichten Rauch der Fabriken betrachten. Ich wünsche mir, dass ich mich irre. Denn einige scheinen näher gekommen und heller geworden zu sein. Sie kommen - um sich zu holen was ihnen gehört.
Tobias Rösch