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Stilempfinden
Ich gebe zu, ich kenne mich weder mit Design aus, noch habe ich von Stil eine Ahnung. Meine Freundin sagt, ich könne nicht mal Dolce von Gabbana unterscheiden. Das sind allerdings auch zwei Sorten, die meine Lieblingseisdiele gar nicht hat.
Stilempfinden ist etwas, das ich in meinem Leben so dringend brauche, wie eine Wiederholung von „Meine kleine Farm“. Meine kleine Freundin ist da etwas anders drauf. Zuerst war ich ja ganz froh, dass ihr Ikea-Wahn geheilt zu sein schien, bis ich feststellen musste, dass er durch etwas Schlimmeres ersetz worden war: Wohnqualität.
Ich liebe meine Freundin. Manchmal merkt man das von außen nicht so. Manchmal merkt sie das auch nicht, zum Beispiel wenn sie feststellt, dass ich mich nicht für ihren Kleidungsstil interessiere. Neulich habe ich das kurzzeitig selbst nicht gemerkt.
Sie kam mal wieder mit ihrem Gewürzregal an. Besser gesagt ohne, also damit, dass wir keins in der Wohnung haben. Dafür aber jede Menge Gewürze. Überall. Salz auf dem Kühlschrank, Chili im Kühlschrank, Zimt neben dem Reis, Kardamom neben dem Kaffee, Lavendel im Wäscheschrank, Zitronengras in der Badewanne, Eukalypthus auf dem Nachttisch und Sesamknäckekrümel im Bett. Es hat alles seinen Platz, ist leicht zu finden und ist im Überfluss vorhanden. Ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wozu sie ein Gewürzregal braucht?
Aber Frauen sind nicht logisch, und deshalb ließ ich mich von ihr zu ihrem neuen Lieblingsmöbelgeschäft "Lebensraum" zerren, wo mein Blick sofort auf ein Gewürzregal fiel, das zwischen den Möbeln stand. Möbel? Dort gibt es natürlich auch Besteck, Geschirr, Lebensmittel, Bilder, Büsten, Kleiderbügel, Haken, Ösen, Nadeln und vor allem tolle Frauen. Und alles stilistisch top aufeinander abgestimmt. Das meiste davon langweilte mich zu Tode.
Meine Freundin dagegen juchzte, als wir den Laden betraten. Es hätte mich schon sehr gewundert, wenn sie auf das Gewürzregal zugestrebt, es ausgehängt und damit zur Kasse gegangen wäre. Aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Zentralrechner ihn ihrem Kopf ausgerechnet die Suchfunktion: "search all - exclude Möbel" aufrief. Plötzlich war für sie das Gewürzregal völlig nebensächlich. Die Extras im „Lebensraum“, waren wie für sie wie das Köttbuller bei Ikea, das Snickers an der Tankstelle und die Musik bei einem Rockfestival. Meiner Ansicht alles Dinge, die ersatzlos gestrichen werden könnten, damit man sich endlich wieder auf Billigmöbel, Benzin und Bumsen konzentrieren kann. Aber vermutlich habe ich dafür einfach zu wenig Stilempfinden.
Aber zurück zu dem, was ich in meiner grenzenlos männlichen Naivität für das Wesentliche an diesem Einkauf hielt: die Frauen. Ich muss sagen, dieser Laden hatte nicht nur erstklassige Möbel, Besteck, Geschirr, ... und so ... sondern auch eine exquisite Vorauswahl an Frauen, die meinem laienhaften Geschmacksurteil mit Bravour standhielten. Bei der Betrachtung der aufgestellten Betten schoss mir ein Wort in den Sinn: Lagerfeld.
Nachdem ich mich umgesehen hatte, um einen Überblick über die Situation zu bekommen, stellte ich fest, dass meine Freundin sich inzwischen auf die Suche nach wasauchimmer gemacht hatte. Ich meinte sie gerade noch zwischen zwei Regalen verschwinden zu sehen. Also machte ich mich auf die Suche nach ihr. In der entgegen gesetzten Richtung.
Ausnahmslos alle Frauen, die in diesem Laden einkauften hatten Stil. Nicht zu aufgesetzt und nicht zu zurückhaltend. Nicht zu bieder und nicht zu schlampig. Nicht zu extravagant und nicht zu langweilig. Nicht zu hip und nicht zu abgetragen. Zumindest, was mein Stilempfinden anging. Ich dankte Magellan für die Entdeckung der gleichnamigen Straße, denn ohne ihn, weniger Zimt in Europa und keine Gewürzregale in Deutschland und kein Mangel an diesen in unserer Wohnung. Plötzlich verstand ich auch, wozu wir es brauchten und war bereit, in jeder Ecke des Ladens nach einem Gewürzbord zu suchen. Also folgte ich unauffällig einer Frau mit Schal, denn die kannte sich bestimmt aus.
Nachdem ich der Schalträgerin ein Weile gefolgt war, beziehungsweise zahlreiche Designerschneebesen, Kleiderbügel, Sofas und Woks begutachtet hatte – sogar von Designerzahnstochern hatten sie ein Prada - fiel mir ein Fräulein auf, dass mein bisheriges Forschungsobjekt in meinem neu entdeckten Lieblingsfach Design sogar noch übertraf. Nicht, dass die Kleiderkombination besonders ausgefallen gewesen wäre, aber sie hatte etwas, auf das sich der Finger nicht legen lässt. Schade, dass sie mit dem Rücken zu mir an dem Regal stand. Heutzutage sehen die Frauen von hinten ja ziemlich gleich aus. Wie oft wirft man beim Überholen einen verstohlenen Blick zur Seite und wundert sich über das Gesicht, das Alter oder das Geschlecht. Es galt also herauszufinden, ob die Schönheit von vorne das hielt, was sie von hinten versprach.
Ich schlenderte also beiläufig näher, strich über eine Tischfläche, nahm hier eine Tierfigur in die Hand und spannte dort einen Papierschirm auf. Mein ernsthaftes Interesse für das Ladenangebot muss wohl tatsächlich gestiegen sein, denn irgendwie schaffte es die Frau unbemerkt, mein Blickfeld zu räumen. Sie konnte nicht weit sein.
Mit dem zusammengeklappten Schirm im Anschlag pirschte ich um die nächste Ecke. Gerade rechtzeitig, um zwei elegante Beine um die übernächste verschwinden zu sehen. Mein Jagdinstinkt war geweckt. Mein Designjagdinstinkt. Ich war Nimrod und die Frau war ein Weißer Hirsch. Wer hätte gedacht, dass der junge Mann soviel Testosteron in sich hätte. Jedenfalls war in dem Augenblick alles andere vergessen: meine Freundin, die reduzierten Angebote und sogar das Gewürzregal.
Ehe ich mich versace, war ich mitten in einer Verfolgungsjagd durch die Regale, denn ich wollte ihr zeigen, wer hier der BOSS ist. Ich versuchte sie in Gedanken zu mir zu locken - Gucci, Gucci - aber sie reagierte nicht. Ich verfolgte sie bis zum Ausgang, wo sie an dem Gewürzregal stehen blieb. Mir fiel meine Liebste wieder ein und ich bekam schlagartig ein schlechtes Gewissen. Da sah sich die Frau suchend um, und ich erblickte zum ersten Mal ihr Gesicht. Ich freute mich – Klum-Heidi, Klum-Heida - denn ich stellte fest, dass ich die ganze Zeit meiner Freundin hinterhergelaufen war. Sie strahlte mich an und deutete auf das Gewürzregal. Erleichtert und geräuschvoll atmete ich aus, wie das Balg von einem Schiffer-Klaudia.
Vielleicht bin ich wirklich kein Experte für Design. Aber wenn es um Frauen geht, dann habe ich einen unfehlbaren Geschmack. Und ich gebe zu, ich selbst habe auch nicht gerade den Bizeps von Schwarzenegger, aber wer braucht schon den Arm-Arnis, wenn er geistig ausreichend chanel ist?