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Still Blue.

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21.05.2008
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Still Blue.

[Die Wolken ziehen so schnell, dass das Bild verschwommen wäre, würde man sie fotografieren.]

Das Zerplatzen der Kohlensäure-Bläschen an der Wasseroberfläche war das einzige Geräusch, das sie hörte. Die Küche war von kaltblauem Licht erfüllt. Sie hob das Glas und auf dem dunklen Holztisch blieb ein Wasserrand zurück. Mit ihren Fingern folgte sie den Konturen des Kreises bis sie sich verliefen und kein Kreis mehr zu erkennen war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, die Arme. Sie fröstelte.
Es war so still in ihrer Wohnung, dass ihr davon kalt wurde.
Als sie aufstand, pendelte ihre Halskette ein bisschen, sodass sie spürte, wie kalt auch das Silber des Medaillons war, das daran hing. Sie schloss eine Hand um das Medaillon und spürte das Pochen ihres Herzens in den darum geschlungenen Fingern. Leben. Ha. Ein Lächeln huschte wie ein Schatten über ihr Gesicht.
Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. Leben. Ha.
Seit Monaten schon beschränkte sie ihre zwischenmenschlichen Kontakte auf ein Telefonat pro Woche mit ihrer Mutter. Tom und Moritz kamen noch ab und zu vorbei. Jedoch nie gleichzeitig. Natürlich. Sie fühlte sich den beiden gegenüber zu nichts verpflichtet. Sie war selbst anfangs erstaunt gewesen über die Kälte, die sie plötzlich ausstrahlte. Ob die beiden eigentlich mit ihrer Rolle als relativ regelmäßiger Bettbesuch zufrieden waren? Sie hatte sich noch nie zuvor diese Frage gestellt.
Und sie wollte auch jetzt nicht darüber nachdenken. Was ging das sie an? Sie war ihnen nichts schuldig. Nichts.
Ihre nackten Schritte auf den abgewetzten Dielenbrettern waren kaum zu hören. Langsam ging sie um den Küchentisch herum und ließ in der Spüle heißes Wasser über ihre Hände laufen. Dieser Schmerz, der sich in jeden Finger brennt, wenn die Kälte plötzlich hinausgeschwemmt wird, faszinierte sie schon als kleines Kind. Damals hatte sie aus dem heißen Händewaschen ein Ritual gemacht. Immer nach dem Schneemannbauen oder Schlittenfahren oder Schneeburgerrichten hatte sie ihre tropfenden Winterstiefel von den Kinderfüßen geschüttelt und war ins Bad gelaufen, um die Kälte aus ihren Händen zu spülen.
Der Wasserhahn tropfte noch ein paar Mal trotzig, nachdem sie ihn zugedreht hatte. Die nassen, rot-heißen Hände ließ sie neben ihrem dünnen Körper baumeln. Tom oder Moritz, wer von beiden würde heute kommen? Es gab eine Abmachung, aber sie vergaß sie von Mal zu Mal. Es war egal, sie würde schon sehen, wer dann vor ihrer Tür stand.
Mittlerweile war das Blau aus ihrer Küche verschwunden. Sie auch. Der Spiegel im Badezimmer zeigte ihr ein Bild von einer Person, die wohl sie selbst sein sollte. Das dunkle Haar hing in gewellten Strähnen in ihr Gesicht. Die Augen: Dunkelgrüne Glasperlen ohne Glanz. Das weiße Kleid umgab ihren kantigen Körper wie Nebel. Nebel, den sie leid war. Sie streifte das Kleid ab, ging in ihr Schlafzimmer und zog den dunkelblauen Rock, den man so oft an ihr sah, und ein dunkelblaues Shirt an. Hinaus, sie würde hinaus gehen. Wohin war egal. Nur hinaus. Hinaus. Die zerschlissenen Stiefel an den Füßen, den Schlüssel für die schwere Haustür in der Hand, verließ sie ihre Wohnung.
Es war Abend geworden, endlich. Grelles Straßenlaternenweiß hatte das Sonnenlicht abgelöst, das den ganzen Tag ihre Wohnung erwärmt und gelb getüncht hatte. Sie hörte ihre gleichmäßigen Schritte, fast war es ihr, als würde sie jeden Schritt schon hören, bevor sie ihn machte. In ihrer Hand hielt sie den Schlüssel, die Finger darum geschlossen. Da spürte sie das Medaillon auf ihrem Dekolletee und wie sehr es in ihrem Herzen stach, wenn sie daran dachte, dass es keinen Menschen gab, dessen Bild sie in ihm bei sich tragen konnte.

 

Hallo clementine,

und herzlich Willkommen hier :)

Die Atmosphäre hast du stimmungsvoll beschrieben, die Traurigkeit kam bei mir an. Einige Formulierungen fand ich sehr gut, wie z.B. die Stille, die Kälte erzeugt.

Nun gibt es ja zahlreiche Gründe, sich so zu fühlen wie deine Protagonistin. Mich hätten ihre interessiert, die Geschichte dahinter. Eine unglückliche Liebe? Der Tod eines geliebten Menschen? Ich habe mir an einigen Stellen gewünscht, dass sie sich an den Grund ihrer Traurigkeit erinnert und ihn damit auch dem Leser mitteilt.

Dein Text ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Stimmungbild und als solches hat es mir auch gefallen. Schade fand ich, dass die Geschichte und deine Protagonistin in der selben Stimmung enden, wie sie begonnen haben. Hast Du mal darüber nachgedacht, eine Entwicklung, eine Erkenntnis, vielleicht ein Licht am Ende des Tunnels darzustellen und damit ein wenig Handlung zu ergänzen? Vielleicht beim nächsten Mal ;)

Viele Grüße
Juschi

 

Hi Clementine

Der Text strahlt schon einen gewissen Reiz aus und dein einfacher Stil, der wohl die Gleichgültigkeit des Textes spiegelt, ist auf seine Art nett zu lesen. Und diese künstliche Stimmung, die du versuchst aufzubauen, gelingt dir nur bedingt, zusehr wurde ich durch ein paar Satzkonstruktionen gestört, die sich dann doch nicht so einfach lesen ließen. Manchmal hatte ich aber schon das ganze als einen Kurzfilm im Kopf, und diese künstliche, alles in blau gehaltene Atmosphäre konntest du teilweise gut rüberbringen. Jedoch gibt es viele Bilder, die bei mir einfach nicht entstehen wollten, weil sie unglaublich schief hängen, oder mir hat sich der Sinn einfach nicht entschlüsselt. Einerseits kann es daran liegen, dass du selbst kein Bild im Kopf hattest oder nur als Puzzleteile und das ganze Puzzle - also das Gesamtbild - hattest du dir selbst im Kopf nicht zuende zusammengesetzt, deshalb musste ich manchmal in die vorletzte Passage zurückgehen und lesen, ob das, was ich jetzt lese auch richtig ist.

[Die Wolken ziehen so schnell, dass das Bild verschwommen wäre, würde man sie fotografieren.]
Wer sagt das? Wenn es nicht von dir ist, dann würde ich den Namen drunter schreiben, wenn es einer von den Sätzen ist, die du mal sagen wolltest, dann würde ich die eckige Klammer löschen, und das vielleicht auch irgendwie in die Geschichte einarbeiten.

Die Küche war von kaltblauem Licht erfüllt.
Wer hat blaues Licht in der Küche? Aber okay, das geht wohl unter künstlerische Freiheit durch, dass die Prota. in einem Kühllager wohnt. ; )
Sie hob das Glas und auf dem dunklen Holztisch blieb ein Wasserrand zurück.
Das hier zum Beispiel, das ist vielleicht jetzt pedantisch von mir, aber es sind Kleinigkeiten, die die Stimmung bei so einem kleinen Text ausmachen. Holz ist ja, wenn ich jetzt übertreibe etwas eher Lebendiges, Natürliches, Naturelles. Hier wäre also ein Tisch aus Glas angebracht.
Mit ihren Fingern folgte sie den Konturen des Kreises bis sie sich verliefen und kein Kreis mehr zu erkennen war.
Verliefen ist hier das falsche Verb. Und der Bezug ist auch nicht klar. Da die Konturen als letzte erwähnt werden, bezieht sich das Verlaufen auf die Konturen, aber die Finger haben sich ja "verlaufen". Du wolltest wahrscheinlich eher verwischen sagen, jedenfalls etwas, was die Kreise bzw. das Wasser auf dem Tisch so verteilt, dass da keine Kreise mehr sind.
Ein Schauer lief ihr über den Rücken, die Arme.
Das ist so eine abgelutschte Phrase, die mich kurzzeitig aus dem Text geworfen hat, weil man das wirklich in fast jeder Geschichte liest, die versucht Kälte zu transportieren, in echt stellt sich das keiner mehr vor, weil dieses Bild durchs inflationäre Verwenden derart geschwächt worden ist.
Einfach streichen, denn der nächste Satz ist stark genug, um die richtige Stimmung zu erzeugen.
Es war so still in ihrer Wohnung, dass ihr davon kalt wurde.
Mehr von diesem Satz, die also in diesem Ton geschrieben worden sind, und dann hast du auch ein stimmiges Bild und die Gesamtstimmung ist richtig.
Als sie aufstand, pendelte ihre Halskette ein bisschen, sodass sie spürte, wie kalt auch das Silber des Medaillons war, das daran hing.
Mach einfach zwei Sätze daraus.
Sie schloss eine Hand um das Medaillon und spürte das Pochen ihres Herzens in den darum geschlungenen Fingern.
Nein, nein, nein. Dein Text lebt gerade von der kalten Realität, surreale Elemente passen hier nicht rein. Und auch wenn, es passt nicht, weil "Pochen" wieder so etwas wie eine Erwiderung wäre, etwas Lebendiges, und das hat sie ja nicht, sie lebt allein mit toten Gegenständen um sich oder ich hab deine Intention nicht verstanden. :)
Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. Leben. Ha.
Was ist "Ha"? Soll das der Atem sein? Ein Seufzer oder kA? :)
Der Spiegel im Badezimmer zeigte ihr ein Bild von einer Person, die wohl sie selbst sein sollte.
Auch wieder umständlich formuliert. Machs dir doch nicht so schwer.
Sonnenlicht abgelöst, das den ganzen Tag ihre Wohnung erwärmt und gelb getüncht hatte.
Das meine ich. In der Wohnung war es eben nicht warm gewesen, und nicht einmal ein Lichtstrahl war in der Küche. Der Leser vertraut einfach dem Autor, und weiß nur soviel, wie er liest, und das hier ist dann ein Fehler des Autors.
und wie sehr es in ihrem Herzen stach, wenn sie daran dachte, dass es keinen Menschen gab, dessen Bild sie in ihm bei sich tragen konnte.
Das ist auch so ein Bild, das ich mir kaum vorstelle, weil ich eben auf deine vorigen Beschreibungen vertraue.
Das Mädchen leidet zwar, aber sie scheint doch den Kampf schon aufgegeben zu haben, das heißt, sie hat gelitten und nun ist es ihr schon fast gleichgültig, aber dann schreibst du soetwas als "Pointe".
Das nennt man auch Effekthascherei. Er ist auch einer der Sätze, die dem Leser sagen; jetzt musst du das und das fühlen, in diesem Fall: Mitleid.
Habe ich aber nicht, entweder weil der Text mich nicht erreicht hat, das hat deiner aber, oder weil mir die Person egal ist, die ist mir nicht egal, oder weil das einfach nicht zu dem Rest passt, und letzteres ist der Fall.
Lass dir da was Neues einfallen, oder formuliere es um.

Man könnte auch jeden Satz durchgehen und unter die Lupe nehmen, weil die GEschichte ja sehr kurz ist, und bei diesen kurzen Geschichten jeder Satz wichtig für die Mini-Handlung ist, das erspare ich mir aber hier, mach das mal selbst. :P

An einigen Stellen einfach glätten, damit das Gesamtbild einfach stimmt. Ansonsten ist die Geschichte, wie ich am Anfang schon sagte, reizvoll, aber auch nicht mehr, sie ist noch zu bearbeitungswürdig, als dass ich sie toll finden könnte.

Herzlich willkommen auf kg.de und viel Spaß, wünsche ich dir hier.

JoBlack


edit:

Juschi schrieb:
Hast Du mal darüber nachgedacht, eine Entwicklung, eine Erkenntnis, vielleicht ein Licht am Ende des Tunnels darzustellen und damit ein wenig Handlung zu ergänzen?
Würde ich unterlassen, weil die GEschichte dann wie alle anderen Geschichten wäre, aber genau dieser Kreis, in dem die Geschichte wieder an den Anfang (fast) anknüpft, macht die Geschichte aus.

 

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