Stille
Stille
Wie jeden Tag kam er genau um 23 Uhr nach Hause. Seine Frau schlief für gewöhnlich um diese Zeit schon, also bemühte er sich leise zu sein, wie immer. Er ging auf die Toilette, putzte sich die Zähne, holte den Pyjama aus dem begehbaren Schrank, zog sich um und legte sich hin. „Gute Nacht!“ flüsterte er. Keine Antwort, seine Frau schlief friedlich neben ihm. „Heute habe ich viel geleistet“, dachte er zufrieden und schloss die Augen. Die regelmäßigen Atemzüge seiner Frau ließen ihn schnell einschlafen.
Am nächsten Morgen läutete wie immer um 6 Uhr 30 der Wecker. Die Sonne erwärmte das große Schlafzimmer und überflutete es mit einer angenehmen Welle von Licht. Seine Frau war schon aufgestanden und bereitete wie jeden Tag das Frühstück vor. Als er die Küche betrat, war sie gerade fertig. Perfektes Timing. Er widmete sich exakt 20 Minuten der Zeitung, zwei Minuten seinem Toast und drei Minuten seinem weich gekochten Ei. Zwischendurch trank er 2 ½ Tassen Kaffee und ein halb volles Glas frisch gepressten Orangensaft, wie er es gewohnt war. Seine Frau saß schweigend neben ihm. Er mochte es nicht, wenn man ihn beim Frühstück störte. „Wann bist du nach Hause gekommen?“ fragte sie, als er fertig war. „Um elf, wie immer“. Er stand auf und holte seinen Mantel. „Am Wochenende leisten wir uns ein Essen im Continental“, sagte er und küsste sie auf die Stirn. Dann war er weg.
Er hatte wie immer viel zu tun an diesem kühlen Herbsttag. Viele Beziehungen gehen in dieser Jahreszeit zugrunde, ein Paradies für Scheidungsanwälte. Manchmal überlegte er, wieso so viele Menschen nicht fähig waren eine Beziehung aufrecht zu erhalten. So schwer war das doch wirklich nicht. Er überarbeitete die ersten drei Fälle bis zur Mittagspause. Frauen vertrat er lieber. Die wurden meistens vernachlässigt und manchmal sogar misshandelt, da hatte er leichtes Spiel. Beim Mittagessen in dem kleinen Bistro gleich gegenüber der Kanzlei lief eine Bibel-Sendung im Fernsehen. Er war nicht interessiert, hörte nur mit einem Ohr hin. Irgendetwas von einem Splitter oder einem Balken im Auge war die Rede. Lächerlich. Er aß auf und ging wieder an die Arbeit. Drei weitere Fälle warteten auf ihn. Zwei vernachlässigt, eine misshandelt. Zum Abendessen traf er sich mit einem Kollegen in einem Lokal in der Nähe. Es war schon nach acht Uhr als er eintraf. Sie beredeten einen komplizierten Fall, aber dennoch war der Abend durchaus angenehm.
Wie jeden Tag kam er genau um 23 Uhr nach Hause. Seine Frau schlief für gewöhnlich um diese Zeit schon, also bemühte er sich leise zu sein, wie immer. Er ging auf die Toilette, putzte sich die Zähne, holte den Pyjama aus dem begehbaren Schrank, zog sich um und legte sich hin. Irgendetwas war anders an diesem Tag. „Gute Nacht!“ flüsterte er. Keine Antwort. „Heute habe ich viel geleistet“ dachte er zufrieden und schloss die Augen. In vollkommener Stille brauchte er etwas länger, bevor er schließlich einschlafen konnte.