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Stirnstriche

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05.09.2008
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Stirnstriche

„Abendbrot“, ruft Mama von unten, aber meinem Legoflugzeug fehlt noch die überlebenswichtige gelbe Bombenabschussvorrichtung. Die anderen Kampfbomber sind schließlich schon einsatzbereit auf meinem Teppich aufgereiht und ohne diese wird der Flieger keine Schlacht mit ihnen überstehen. Schnell suchen meine Finger in dem großen Legosteinhaufen nach den richtigen Teilen, inzwischen tue ich eben so, als wäre ich taub.

Sie muss mich ja auch immer gerade dann rufen, wenn ich überhaupt nicht kann. 'Alexander, komm essen! Alexander, mach jetzt Deine Hausaufgaben! Alexander dies, Alexander das!' Ich bin doch nicht wie mein Roboter, ein Knopfdruck und er tut, was man von ihm will. Jetzt höre ich einfach gar nicht mehr. Die gelbe Düse liegt in meiner Hand, jetzt noch die orangen Rundteile, dann ist die Abschussröhre fertig.

„Alexander, komm jetzt endlich!“, hallt es über die Treppe in mein Zimmer. Ich kann die Runzeln auf Mamas Stirn in den Worten hören und sehe sogar ihr Gesicht vor mir. Manchmal, wenn ich ganz nah an Mamas Gesicht herangehe, kann ich die Striche auf ihrer Stirn sehen, in die dann die Runzeln fallen. Wie die Risse in der ausgetrockneten Lehmkuhle, in der ich immer in Opas Garten spiele, sehen sie aus. Wäre Mama ohne diese Striche geboren worden, wäre sie vielleicht nicht so oft böse auf mich. Wenn ich mal wieder auf der Couch herumspringe, meine Mandarinenschalen auf die Tischdecke lege oder lieber U-Boot spiele, statt mir die Zähne zu putzen. Wütend krame ich in meinem Haufen, mir fehlen immer noch zwei orange Teile.

Wenn ich Mamas Strinstriche mit meinem Laserschwert wegblitzen könnte, dann würde sie vielleicht lächeln. Sie würde die anderen Striche zeigen, die sich neben ihren Mundwinkeln verstecken. Die sind zwar viel kleiner, aber viel stärker und außerdem besitzen sie Zauberkräfte: wenn sie kommen, müssen alle Runzeln verschwinden, dann werden Mamas Augen plötzlich zu blauen Leuchtdüsen, aus denen das Licht strömt, ihre Nasenlöcher werden breiter, wie um mich ganz aufzuriechen, ihre Hände streichen unsichtbar über meinen Kopf und ich fühle mich warm und richtig.

Das Laserschwert wird zwar nicht funktionieren, aber ich habe eine andere Idee. Ich lasse das letzte orange Röhrenteil einfach weg, krame noch schnell in meiner Schultasche nach dem Sonnenbild, das ich heute gemalt habe und stürme die Treppe herunter.

 

Hallo shamrock!

Der Titel ist toll. Was die Stirnstriche genau sind, habe ich nicht verstanden, oder naja, ich dachte, ich hätte es verstanden, bis zu dieser Stelle hier:

Manchmal, wenn ich ganz nah an Mamas Gesicht herangehe, kann ich die Striche auf ihrer Stirn sehen, in die dann die Runzeln fallen.
Und:
Wäre Mama ohne diese Striche geboren worden, wäre sie vielleicht nicht so oft böse auf mich.
Sind die Stirnstriche jetzt normale Falten, oder etwas anderes? Und wie können Runzeln in Striche hineinfallen? Das Bild ist schief.
Mir gefällt aber die Geschichte in ihrer Kürze sehr gut. Die Kinderstimme klingt in keiner Weise aufgesetzt und dadurch nervig, das ist alles sehr glaubwürdig. Die Geschichte hat auch etwas Bedrohliches, was ich im Moment nicht entziffern kann. Jedenfalls macht sie nachdenklich.

Ein paar Anmerkungen noch, ist nur Kleinkram, du schreibst ja sehr sauber:

„Abendbrot“ ruft Mama
„Abendbrot“, ruft Mama
`Alexander, komm essen! Alexander, mach jetzt Deine Hausaufgaben! Alexander dies, Alexander das!`
Die Accents sind weder Apostrophe noch einfache Anführungszeichen. Die sind auf der #-Taste.
„Alexander, komm jetzt endlich!“ hallt es
„Alexander, komm jetzt endlich!“, hallt es

Das wars. Hab ich gern gelesen.

Liebe Grüße,
strudel

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo strudel,

erstmal vielen Dank für dein Feedback!
Das hier ist mein erster Beitrag, deshalb bin ich wirklich sehr erleichtert nicht zu lesen "Lass den Stift in der Schublade und geh lieber Angeln" ;)

Den 'Kleinkram' (mit der #-Taste habe ich mich nun auch angefreundet :)) habe ich gerade geändert.

Sind die Stirnstriche jetzt normale Falten, oder etwas anderes? Und wie können Runzeln in Striche hineinfallen? Das Bild ist schief.

Tja, das war auch meine Befürchtung, dass das Bild nicht richtig rüberkommt (obwohl ich gerade dieses so gerne habe *seuftz*). Die Stirnstriche sind tatsächlich normale Falten die zu Runzeln werden, wenn die Augenbrauen hoch gezogen werden (Stirnrunzeln eben), aus der Sicht des Kindes 'fallen' die Runzeln dann hinein. Ich werde es nochmal überarbeiten, um es deutlicher zu machen.

Die Geschichte hat auch etwas Bedrohliches, was ich im Moment nicht entziffern kann. Jedenfalls macht sie nachdenklich.

Das sie nachdenklich macht, freut mich erst mal. Ich denke, Kinder haben in der Regel eine sehr subjektive, sprunghafte und extreme Gefühlswelt. Ein lautes Wort, ein schiefer Blick, ein "Stirnrunzeln" kann da schon das Gefühl "ich bin böse" auslösen, ein Lächeln dagegen schon wieder alles "heilmachen". Das Bedrohliche vielleicht aus diesem kindlich extremen Empfinden des Jungen heraus, in eine andere Richtung hatte ich jedenfalls keine Hintergedanken.

Ich freue mich, dass es dir sonst gefallen hat und danke dir nochmal herzlich fürs lesen!

Liebe Grüße
shamrock

 

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