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Stockholm
Sie lächelte. Lächeln war etwas, dass sie über die letzten Wochen scheinbar vergessen hatte. Doch er ließ Gefühle in ihr aufwogen, die ihr während der zurückliegenden Ereignisse völlig fremd geworden waren. Sie lächelte, weil sie sich so zu ihm hingezogen fühlte und er lächelte zurück. Während er telefonierte strich er sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht. Eine Geste, die auf sie beinahe hypnotisch wirkte. Sein zart geformtes Gesicht und die ruhige Stimme, mit der er sprach, verstärkten diesen Eindruck noch. Auch als er lauter wurde und seinem Gegenüber am Telefon drohte, verlor seine Stimme doch nicht diesen beruhigenden, tiefen Klang. Er legte auf und fuhr sich abermals durchs Haar. Jetzt, weil er nervös war. Er lief auf und ab und brabbelte unverständliche Sachen. Dann hielt er inne. Sie konnte geradezu hören, wie es in seinem Kopf arbeitete. Dann drehte er sich zu ihnen um. „Leute, wir müssen weiter. Es nützt nichts. Diese sturen Schweine gewähren uns keinen Aufschub mehr.“ Alles war still. Auch seine Freunde sagten kein Wort. Er ließ seinen Blick über alle Beteiligten gleiten, bis er auf ihr ruhen blieb. „Auf geht's!“, sagte er und klatschte in die Hände, woraufhin sich seine Freunde in Bewegung setzten. Er sah sie an. Seine strahlend blauen Augen schienen in sie hineinzusehen. Sie glaubte, dass das der Grund war, warum sie sich so bald zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Diese Augen waren für sie die Verheißung einer besseren Welt. Wilde Haare lagen wie ein Vorhang davor. Vergeblich versuchte er sie wegzupusten. Er ging zu ihr. Sanft strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht und ließ ihre Hand auf seiner Wange ruhen. Zärtlich küsste er sie. Ein warmer Schauer durchrann ihren Körper. Jahrelang hatte sie sich nach etwas gesehnt und nun wusste sie auch, was es war. Ohne den Kuss zu unterbrechen, half er ihr aus ihrer Ecke hoch und setzte sie vor sich auf den Tisch. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist.“, hauchte er. Sie nickte und gab ihm so zu verstehen, dass das auch für sie galt. Sie hätte anfangs nie geglaubt, dass sie jemals so viel für einen Menschen und gerade für diesen, empfinden würde.
Als sie ihn das erste Mal traf und er mit seiner harschen und fordernden Art vor ihr stand, war er ihr unsympathisch. Ja, sie hasste ihn, fürchtete sich gar regelrecht. Doch mit der Zeit bildete sie sich ein, ihn zu verstehen. Sie war ihm nach und nach dankbar für jede Kleinigkeit, die er zu ihren Gunsten tat. Von Anfang an ließ er ihr nahezu seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen. Klar, er musste sich auch mit anderen beschäftigen, doch nach einer Weile erschien ihr das als Nebensache und belohnte sein besonderes Interesse an ihr mit Zuneigung. Ganz zu Beginn ihrer Reise wurde er schwer verletzt. Sie war Medizinstudentin im letzten Semester und konnte ihm helfen, diese Krise zu überstehen. Bereits diese Erfahrung schweißte beide mit einem unsichtbaren, aber starkem Band aneinander. Später reisten sie mit den anderen quer durch's ganze Land. Einige stiegen aus, andere verließen die Gemeinschaft auf eine schwerwiegendere Weise. Er verlor auch Freunde, doch nie gab er ihr die Schuld oder einem anderen. Wenn etwas nicht richtig lief, verurteilte er sich selbst, bestrafte sich einmal sogar. Sie konnte das nie verstehen, denn sie wusste, dass stets andere die Schuld trugen. Doch sagte sie es ihm nie. Wenn er seine depressiven Phasen hatte, hielt sie es für richtig, ihn in Ruhe zu lassen und sie wusste, tief im Innern dankte er ihr dafür. Sie waren in kürzester Zeit zu einem eingespielten Team geworden, waren eine Art Symbiose eingegangen.
Doch immer gab es Störenfriede. Leute die neidisch darauf waren, dass diese kleine Gemeinschaft so stark zusammenhielt. Menschen, die vorgaben, ihr helfen zu wollen und im gleichen Moment ihre und seine Freunde verletzten oder folterten. In ihr tief verborgen war zwar das Wissen, dass diese Menschen es eigentlich auch nur mit ihr und den anderen gut meinten, doch schlussendlich führten sie sich doch nur auf wie Störenfriede.
Eben in diesem Moment hörte sie wieder Schreie von der Straße. In letzter Zeit hatten diese Menschen der Gruppe erhebliche Schäden zugefügt und ihnen kaum Zeit für eine Verschnaufpause gelassen. Die Reise durch das Land war in den vergangenen Wochen zu einer billigen Hetzjagd verkommen, so dass der Genuss an dieser Tour kaum noch wahrzunehmen war. Seine Freunde hatten sich gerade an der Tür bereit gemacht, als er auch schon das Vordringen der Störenfriede von der anderen Seite her bemerkte. Schnell reagierte er und verteilte die Gruppe im ganzen Haus. Einzig sie durfte in seiner Nähe bleiben. Das laute Geschrei und die Gewalt drangen nun durch die dünnen Wände in das Innere des Hauses; ängstlich umschlang sie seinen Arm. Er verharrte still und wartete ab. Doch als er die vergeblichen Schreie von zwei seiner Kameraden vernahm, konnte ihn nichts mehr halten. "Bleib hier und pass auf dich auf!" sagte er mit einer Mischung aus Angst und ungewohnter Härte. Dann drängte auch er nach draußen. Mehrere Minuten vergingen, ohne, dass sie einen einzigen Laut von ihm vernahm. Die anderen, knallenden Geräusche waren aber auch geradezu ohrenbetäubend. Erschreckend war, dass sie immer näher zu kommen schienen. Sie zog sich in eine Ecke zurück und ließ sich dort niedersinken. Plötzlich hörte sie jemanden weinen. Entsetzt stellte sie fest, dass sie selbst es war, der die heißen Tränen über die Wangen rannen. Sie, die nun dort in ihrer Ecke kauerte, wie ein Häufchen Elend, und vor sich hinwimmerte. Auf einmal war es totenstill. Ein unangenehme Wärme übermannte sie und sie hatte das Gefühl, dass sie sich gleich übergeben müsste. Dann hörte sie seine Stimme. Aufgeregt und erschöpft. "Hier ist sie drin." Sie spürte förmlich die Blässe ihr geschundenes Gesicht emporsteigen. Dann wieder seine Stimme: "Aber ihr bekommt sie nicht. Wir lieben uns." Eine andere, wohlige Wärme ergriff nun von ihr Besitz und als hätte sie in diesem einen Moment ihren ganzen Stolz und ihre Ehre wiedergewonnen erhob sie sich und reckte ihren Körper den bedrohlich nahen Widersachern entgegen. Doch er kam durch die Tür. Von seinem Kopf rann Blut in Streifen sein Gesicht hinunter. Gleich winkte er ihr zu und gab ihr so zu verstehen, nicht zu ihm hinüber zu kommen, um ihm zu helfen. "Wir gehen durch's Fenster", sagte er und deutete auf den Ausstieg, knapp über dem Boden. Geistesgegenwärtig schob sie den Fensterladen nach oben. Er war inzwischen zu ihr gekommen und half ihr aus dem kleinen Fenster auf den englischen Rasen hinaus. Merkwürdigerweise kam ihr plötzlich der Gedanke, dass er bisher einen verdammt guten Geschmack bei der Wahl ihrer Häuser bewiesen hatte. Doch mit einem Mal verstummte alles in ihrem Kopf. Scheinwerfer blendeten sie, Leute riefen ihren und auch seinen Namen und sie machten drohende Gebärden zu den beiden hinüber. Sie hatte Angst. Das war das Einzige, was sie in diesem Augenblick zu fühlen im Stande war. Dann spürte sie, wie sein starker Arm ihre Hüfte umschloss. Sanft schob er ihr Gesicht an das ihre und hauchte ihr ein "Ich liebe dich." ins Ohr.
Dann erschoss er sie. Gleich darauf wurde auch er von mehrern Kugeln durchbohrt. Beide wurden gegen 19:37 für tot befunden. Was der Arzt allerdings als erstaunlich empfand: Sie lächelte.