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Stockholm

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15.03.2002
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Stockholm

Sie lächelte. Lächeln war etwas, dass sie über die letzten Wochen scheinbar vergessen hatte. Doch er ließ Gefühle in ihr aufwogen, die ihr während der zurückliegenden Ereignisse völlig fremd geworden waren. Sie lächelte, weil sie sich so zu ihm hingezogen fühlte und er lächelte zurück. Während er telefonierte strich er sich immer wieder die Haare aus dem Gesicht. Eine Geste, die auf sie beinahe hypnotisch wirkte. Sein zart geformtes Gesicht und die ruhige Stimme, mit der er sprach, verstärkten diesen Eindruck noch. Auch als er lauter wurde und seinem Gegenüber am Telefon drohte, verlor seine Stimme doch nicht diesen beruhigenden, tiefen Klang. Er legte auf und fuhr sich abermals durchs Haar. Jetzt, weil er nervös war. Er lief auf und ab und brabbelte unverständliche Sachen. Dann hielt er inne. Sie konnte geradezu hören, wie es in seinem Kopf arbeitete. Dann drehte er sich zu ihnen um. „Leute, wir müssen weiter. Es nützt nichts. Diese sturen Schweine gewähren uns keinen Aufschub mehr.“ Alles war still. Auch seine Freunde sagten kein Wort. Er ließ seinen Blick über alle Beteiligten gleiten, bis er auf ihr ruhen blieb. „Auf geht's!“, sagte er und klatschte in die Hände, woraufhin sich seine Freunde in Bewegung setzten. Er sah sie an. Seine strahlend blauen Augen schienen in sie hineinzusehen. Sie glaubte, dass das der Grund war, warum sie sich so bald zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Diese Augen waren für sie die Verheißung einer besseren Welt. Wilde Haare lagen wie ein Vorhang davor. Vergeblich versuchte er sie wegzupusten. Er ging zu ihr. Sanft strich sie ihm die Haare aus dem Gesicht und ließ ihre Hand auf seiner Wange ruhen. Zärtlich küsste er sie. Ein warmer Schauer durchrann ihren Körper. Jahrelang hatte sie sich nach etwas gesehnt und nun wusste sie auch, was es war. Ohne den Kuss zu unterbrechen, half er ihr aus ihrer Ecke hoch und setzte sie vor sich auf den Tisch. „Du bist das Beste, was mir je passiert ist.“, hauchte er. Sie nickte und gab ihm so zu verstehen, dass das auch für sie galt. Sie hätte anfangs nie geglaubt, dass sie jemals so viel für einen Menschen und gerade für diesen, empfinden würde.
Als sie ihn das erste Mal traf und er mit seiner harschen und fordernden Art vor ihr stand, war er ihr unsympathisch. Ja, sie hasste ihn, fürchtete sich gar regelrecht. Doch mit der Zeit bildete sie sich ein, ihn zu verstehen. Sie war ihm nach und nach dankbar für jede Kleinigkeit, die er zu ihren Gunsten tat. Von Anfang an ließ er ihr nahezu seine ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen. Klar, er musste sich auch mit anderen beschäftigen, doch nach einer Weile erschien ihr das als Nebensache und belohnte sein besonderes Interesse an ihr mit Zuneigung. Ganz zu Beginn ihrer Reise wurde er schwer verletzt. Sie war Medizinstudentin im letzten Semester und konnte ihm helfen, diese Krise zu überstehen. Bereits diese Erfahrung schweißte beide mit einem unsichtbaren, aber starkem Band aneinander. Später reisten sie mit den anderen quer durch's ganze Land. Einige stiegen aus, andere verließen die Gemeinschaft auf eine schwerwiegendere Weise. Er verlor auch Freunde, doch nie gab er ihr die Schuld oder einem anderen. Wenn etwas nicht richtig lief, verurteilte er sich selbst, bestrafte sich einmal sogar. Sie konnte das nie verstehen, denn sie wusste, dass stets andere die Schuld trugen. Doch sagte sie es ihm nie. Wenn er seine depressiven Phasen hatte, hielt sie es für richtig, ihn in Ruhe zu lassen und sie wusste, tief im Innern dankte er ihr dafür. Sie waren in kürzester Zeit zu einem eingespielten Team geworden, waren eine Art Symbiose eingegangen.
Doch immer gab es Störenfriede. Leute die neidisch darauf waren, dass diese kleine Gemeinschaft so stark zusammenhielt. Menschen, die vorgaben, ihr helfen zu wollen und im gleichen Moment ihre und seine Freunde verletzten oder folterten. In ihr tief verborgen war zwar das Wissen, dass diese Menschen es eigentlich auch nur mit ihr und den anderen gut meinten, doch schlussendlich führten sie sich doch nur auf wie Störenfriede.
Eben in diesem Moment hörte sie wieder Schreie von der Straße. In letzter Zeit hatten diese Menschen der Gruppe erhebliche Schäden zugefügt und ihnen kaum Zeit für eine Verschnaufpause gelassen. Die Reise durch das Land war in den vergangenen Wochen zu einer billigen Hetzjagd verkommen, so dass der Genuss an dieser Tour kaum noch wahrzunehmen war. Seine Freunde hatten sich gerade an der Tür bereit gemacht, als er auch schon das Vordringen der Störenfriede von der anderen Seite her bemerkte. Schnell reagierte er und verteilte die Gruppe im ganzen Haus. Einzig sie durfte in seiner Nähe bleiben. Das laute Geschrei und die Gewalt drangen nun durch die dünnen Wände in das Innere des Hauses; ängstlich umschlang sie seinen Arm. Er verharrte still und wartete ab. Doch als er die vergeblichen Schreie von zwei seiner Kameraden vernahm, konnte ihn nichts mehr halten. "Bleib hier und pass auf dich auf!" sagte er mit einer Mischung aus Angst und ungewohnter Härte. Dann drängte auch er nach draußen. Mehrere Minuten vergingen, ohne, dass sie einen einzigen Laut von ihm vernahm. Die anderen, knallenden Geräusche waren aber auch geradezu ohrenbetäubend. Erschreckend war, dass sie immer näher zu kommen schienen. Sie zog sich in eine Ecke zurück und ließ sich dort niedersinken. Plötzlich hörte sie jemanden weinen. Entsetzt stellte sie fest, dass sie selbst es war, der die heißen Tränen über die Wangen rannen. Sie, die nun dort in ihrer Ecke kauerte, wie ein Häufchen Elend, und vor sich hinwimmerte. Auf einmal war es totenstill. Ein unangenehme Wärme übermannte sie und sie hatte das Gefühl, dass sie sich gleich übergeben müsste. Dann hörte sie seine Stimme. Aufgeregt und erschöpft. "Hier ist sie drin." Sie spürte förmlich die Blässe ihr geschundenes Gesicht emporsteigen. Dann wieder seine Stimme: "Aber ihr bekommt sie nicht. Wir lieben uns." Eine andere, wohlige Wärme ergriff nun von ihr Besitz und als hätte sie in diesem einen Moment ihren ganzen Stolz und ihre Ehre wiedergewonnen erhob sie sich und reckte ihren Körper den bedrohlich nahen Widersachern entgegen. Doch er kam durch die Tür. Von seinem Kopf rann Blut in Streifen sein Gesicht hinunter. Gleich winkte er ihr zu und gab ihr so zu verstehen, nicht zu ihm hinüber zu kommen, um ihm zu helfen. "Wir gehen durch's Fenster", sagte er und deutete auf den Ausstieg, knapp über dem Boden. Geistesgegenwärtig schob sie den Fensterladen nach oben. Er war inzwischen zu ihr gekommen und half ihr aus dem kleinen Fenster auf den englischen Rasen hinaus. Merkwürdigerweise kam ihr plötzlich der Gedanke, dass er bisher einen verdammt guten Geschmack bei der Wahl ihrer Häuser bewiesen hatte. Doch mit einem Mal verstummte alles in ihrem Kopf. Scheinwerfer blendeten sie, Leute riefen ihren und auch seinen Namen und sie machten drohende Gebärden zu den beiden hinüber. Sie hatte Angst. Das war das Einzige, was sie in diesem Augenblick zu fühlen im Stande war. Dann spürte sie, wie sein starker Arm ihre Hüfte umschloss. Sanft schob er ihr Gesicht an das ihre und hauchte ihr ein "Ich liebe dich." ins Ohr.
Dann erschoss er sie. Gleich darauf wurde auch er von mehrern Kugeln durchbohrt. Beide wurden gegen 19:37 für tot befunden. Was der Arzt allerdings als erstaunlich empfand: Sie lächelte.

 

Impulse schrieb unter die Geschichte:

Unter dem Stockholm-Syndrom versteht die Wissenschaft ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Peinigern aufbauen. Dies kann dazu führen, dass Opfer mit den Tätern Mitleid fühlen. Es kann sogar darin münden, dass Täter und Opfer sich ineinander verlieben oder kooperieren. www.wikipedia.org

Hallo Impulse,

solche Kommentare bitte immer als separates Posting unter die Geschichte setzen. :)

 

Hallo Impulse,

mich hat deine Geschichte leider nicht überzeugt. Der Kontrast zwischen Bedrohung und Liebe, den du in deinem Kommentar ja ansprichst, wird mir nicht deutlich genug. Die Frau wird sich ihrer Entführungssituation zum Beispiel bewusst sein. Sie verdrängt ja mit den romantischen Empdindungen auch die eigene Todesangst. Wenn er sie liebt, wird er sie vielleicht nicht töten. Das ist ein Gedanke, der in deiner Erzählung zum Beispiel zu kurz kommt, weil du dich sprachlich eher auf das Liebesgesäusel einlässt Heiße Tränen).
Ich weiß nicht, ob du die Geschichte nicht besser als "Ich-Erzählerin" aus ihrer Perspektive erzählt hättest. Da hättest du über ihre Beobachtungen subjektiver erzählen können, ohne, dass es stört.
Auch drückst du dich mit dem Tod der beiden um einen seher interessanten Aspekt des Stockholmsyndroms. Wie ambivalent müssen die Gefühle erst sein, wenn nur der Täter erschossen wird, sie aber gerettet? Wie arbeitet sie den Konflikt aus tötlicher Bedrohung und Liebe dann auf? wie leidet sie unter dem Verlust, während alle von ihr erwarten, dass sie sich dankbar zeigt?
Das alles sind Überlegungen, aus denen heraus ich deine Geschichte eher als unbefriedigend empfand. Das erzählerische Potential des Syndroms gibt sehr viel mehr her, als du bewältigt hast.

Dann hielt er inne. Sie konnte geradezu hören, wie es in seinem Kopf arbeitete. Dann drehte er sich zu ihnen um. „Leute, wir müssen weiter.
Vielleicht findest du ja noch einen anderen Satzeinstieg.
dass diese Menschen es eigentlich auch nur mit ihr und den anderen gut meinten
"gut" solltest du hier vorziehen und eigentlich eventuell streichen: dass diese Menschen es auch nur gut mit ihr und den anderen meinten
Die anderen, knallenden Geräusche waren aber auch geradezu ohrenbetäubend.
Anders als du es wahrscheinlich bezweckst, gibt dieser Satz den knallenden Geräuschen nur Beiläufigkeit. Ich vermute, es handelt sich um Schüsse, auch wenn du das nicht explizit schreiben möchtest. Vielleicht fällt dir für die Formulierung ja noch etwas ein, was die Spannung hält und trotzdem nichts verrät.
Beide wurden gegen 19:37 für tot befunden.
würde statt "befunden" eher erklärt wählen, weil es sachlicher ist.

Lieben Gruß, sim

 

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