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Straßenhaltgewalt

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28.02.2008
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Straßenhaltgewalt

Fußballfans von Bayern München, die wohl schon einige Flaschen Bier getrunken hatten, standen an der Straßenbahnhaltestelle und grölten ihre Parolen. Man konnte bei ihnen einen ständigen Kampf um die allgemeine Aufmerksamkeit beobachten, konnte hören, wie es bisweilen dem Einen, dann einem anderen gelang, das Geplapper zu unterbrechen und ein lautstarkes Lachen auszulösen. Das Imponiergehabe war jedoch nicht auf verbale Grobheiten beschränkt, denn ein jeder unterstrich seine Wichtigkeit durch extrovertiert wirkende Gesten. Es schien, als wäre hier eine Gruppe humanoider Primaten versammelt, die rote Schals und Schirmmützen trugen.
Hätte ich dort ebenfalls auf diese Straßenbahn gewartet, so lehnte ich vermutlich in einigem Abstand von genannter Versammlung an der kalten Glaswand des Haltestellenhäuschens, denn es läge mir fern, die Aufmerksamkeit auf meine eigene Person zu lenken. Auch wenn ich keine begründete Furcht vor einer solchen Konfrontation vorweisen könnte, erwartete ich selbige als ein unangenehmes Erlebnis, weil unvorhersehbare Gruppendynamik stets gefahrvolle Situationen heraufbeschwören kann.

Ich stünde abseits und rauchte nicht, da ich sowieso niemals rauchte, und könnte beobachten, wie sich ein kleinwüchsiger Herr einen Weg bahnte durch die Menge der Angestellten, welche ebenfalls hier warteten und graue Anzüge trugen. Dieser Herr, welchen man unfreundlicherweise als Zwerg bezeichnet hätte, war, nach dem Drängeln durch einen grauen Anzugwald, plötzlich mitten in die Gesellschaft der Fußballbegeisterten geraten. Er wollte rasch weitergehen, doch ein Mann mit rotem Schal sah die körperliche Unterlegenheit des Kleinwüchsigen als Möglichkeit, sich selbst vor der Gruppe zu profilieren: Der Fan gröhlte etwas Verletzendes und trat mit seinem Turnschuh nach dem Vorbeigehenden. So getroffen, entfuhr dem kleinen Herrn ein ebenfalls grober Ausspruch, der besagte, eine solche Handlung sei gefälligst zu unterlassen.
Daraufhin schritt er jedoch schnell weiter, denn das Aggressionspotential der zahlenmäßig und körperlich überlegenen Fußballfans schien wohl auch ihm gefährlich. Biergefüllte Gedanken feierten die eigene Stärke und begannen, noch im allgemeinen Gelächter, zu stutzen ob des groben Kommentars, welcher in der gegebenen Situation als Frechheit des Zwerges aufgefasst wurde. Ein stämmiger Mann mit kurzem Stoppelbart und roter Bayern-München-Mütze rannte zu dem Kleinwüchsigen, der inzwischen die Straße überquert hatte, trat vor ihn hin und spuckte ihm Beleidigungen entgegen, wonach der Kleine auf den harten Bordstein stürzte, weil er auch ein weiteres Mal von Straßenschuhen getroffen wurde. Schließlich ließ man ihn in Ruhe.
Der Rächer in roter Fankleidung kehrte zurück zur Haltestelle und obwohl sein Gesicht – zumindest aus der Sicht eines unbeteiligten Beobachters - schwache Züge von Verlegenheit wegen der angewendeten Gewalt zeigen musste, wurde er in seiner Gesellschaft gefeiert. Er hatte sich wohl zusätzlichen Respekt verdient, was dazu geführt haben könnte, dass er im selben Augenblick in der unausgesprochenen Gruppenhierarchie zu einer höheren Position aufgestiegen war.

Unter den Angestellten in grauen Anzügen wurden verlegene Blicke getauscht. Sie fragten sich wohl, was eine vernünftige Reaktion auf die soeben erlebte Situation wäre: Ein jeder war sich gewiss, dass ein schlimmes Unrecht geschehen war und ein jeder hoffte, dass irgendein anderer vorträte und die verwerfliche Handlung anklagte. Doch die Wartenden an der Haltestelle zeigten keinerlei äußerliche Reaktion, sie taten rein gar nichts und nur innerlich schien sich ein eisernes Schweigen in ihre Seelen geschlichen zu haben. Als die Straßenbahn schließlich eingerollt und die Fahrgäste zugestiegen waren, blieb eine leere Haltestelle zurück, die sich um Nichts von den anderen ihrer Art unterschied. Es schien gerade so, als wäre hier nichts von Bedeutung geschehen. Nur wenige Menschen, die irgendwo durch die Straßen der Stadt rollten, trugen in ihren Gedanken eine schwache Erinnerung daran, dass sie nichts getan hatten. Wäre ich ebenfalls dort gewesen, dann wäre mir diese Erinnerung so peinlich, dass ich nur im Konjunktiv davon schriebe.

 

Hallo tobi mit 3 i

Fußballfans von Bayern München, die wohl schon einige Flaschen Bier getrunken hatten, standen an der Straßenbahnhaltestelle und gröhlten ihre Parolen.
grölen ohne h. Mal abgesehen davon ist das wirklich kein guter Anfang für eine Geschichte.
dann einem Anderen,
anderen
weil unvorhersehbare Gruppendynamik stets gefahrvolle Situationen heraufbeschwören könnte.
Kein Konjunktiv, würde ich meinen.
da ich sowieso niemals rauchte
Hier doch auch nicht, oder?

Du neigst ein bisschen dazu, die Handlung unter wahnsinnigen Wortmonstern zu begraben. Ich sag nichts gegen den generellen Erzählton und hin und wieder ist das auch ein gutes Stilmittel, aber stellenweise erstickt diese Formuliersucht den Inhalt. Das eigentlich Interessante an der Geschichte ist ja der Erzähler, der sich irgendwie hinter dem Text versteckt, der ja zugesehen hat, so tut, als wäre er gar nicht da gewesen, und trotzdem die Geschichte erzählt, obwohl er seine Anwesenheit damit eingesteht. Dieser Widersinn, der im Prinzip völlig logisch ist, macht schon den Reiz der Geschichte aus. Am Ende hätte ich mir etwas weniger moralischen Zeigefinger gewünscht (die grauen Anzüge, die nichts tun usw), aber sonst ist das ne hübsche Geschichte.

Gruß
strudel

 

Hallo Tobiii,

hätte ich Deine Geschichte gelesen, würde ich Dir jetzt sagen, dass ich sie gut fand.

Wie klingt das für Dich?

Sie hat mir wirklich gefallen, Deine kleine Geschichte. Gruppendynamik in die eine und die andere Richtung, am Ende zweimal in die "Falsche" :).
Zutreten und wegsehen, und so sein wie die anderen, zum Alphatierchen werden, wie auch immer.

Als störend habe ich Deinen letzten Satz empfunden. Der Leser bemerkt doch, dass Du im Konjunktiv bleibst, dass Du Dich distanzieren möchtest, aber am Ende einer von den "Grauen" bist. Das muss nicht noch mal so dicke aufs Brot. Passt auch nicht so gut in den Fluss Deiner Geschichte.
Wie wäre es, wenn er in der Straßenbahn versucht, die Szene und sein Fehlverhalten schnellstmöglich zu verdrängen, indem er angestrengt in seiner Zeitung liest, oder so etwas.

Ich mag Deine Geschichte. Ganz ehrlich. Mag mich auch nicht im Konjunktiv verstecken. Fast bis zum Ende ;).

Beste Grüße
Fliege

 

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