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Stumme Liebe
Der Wind strich durch die Gardinen. Er brachte warme Luft mit sich. Es waren die warme Luft und jener warme Wind, die die Sinne verwirren, die alles so unwirklich scheinen lassen.
Sie stand ihm gegenüber, sah ihm in die Augen. Alles was sie trennte, war die Straße zwischen ihren Häusern.
Um sie herum - Dunkelheit. Sie schien sie zu erdrücken. Doch der Lichtstrahl, der sie umgab lag wie eine schützende Glasglocke über ihr.
Geschützt vor allem, was um sie herum war; doch auch getrennt davon.
Sie und er waren sich so nahe und konnten sich doch nicht erreichen.
So starrten sie sich an. Sie sprachen miteinander. Wortlos. Mundbewegungen, zarte Gesten, glänzende Augen. Leuchtend, nicht wie aufflammende Laternen unter der Sonne, sondern wir blitzende Sterne in der Nacht.
Sie spielten Theater. Mal spielte sie die schöne Julia, mal er den tapferen Helden. Bald wurden ihre kleinen Käfige zu großen Bühnen der Emotionen, ihre Seelen formten gewaltige Gedichte und packende Dialoge. Bald tanzend, bald sterbend zeigten sie sich. Und spürten diese Verbundenheit zwischen ihnen. Dieses Verständnis ohne Worte.
Dieses „sich so nahe sein“, ohne einen Zusammenstoß fürchten zu müssen.
Wochenlang trafen sich ihre Blicke und sie wurden einander nicht müde, an Ideen nicht arm. In immer neuen Rollen warfen sie sich.
Bis er eines Tages einen Fehler beging.
Er brach die stille Vereinbarung. Er schrieb ihr. Er wolle sie wirklich sehen, wolle mit ihr sprechen, sie berühren.
Doch nun hatte er einen Stab aus ihrem Gitter gebrochen. Das Dunkel drohte sie zu erdrücken, das Leuchten um sie zu erlöschen, wie das Leuchten ihrer Augen erlosch mit Öffnen des Briefes.
Sie wusste, dass er nicht mehr der Schauspieler sein würde, der er gewesen war. Die Worte hatten das wortlose Verständnis zu wortreichem Unverständnis gemacht. Sie wusste das. So war es immer.
Der Wind strich durch die Gardinen. Er nahm all das, was er Wochen zuvor mit sich gebracht hatte wieder mit fort. Dieses Gefühl, das sie gewärmt hatte, flog mit dem Winde davon.
Sie fröstelte. Dann schloss sie das Fenster und zog die Gardinen vor. Und starrte ins Leere. Geschützt von ihrer Glasglocke, gefangen in ihrem Gefängnis - im Dunkeln.