Sturer Glaube
Sturer Glauben
Die folgenden Zeilen wollen in einem angemessenen Ton belegen, welch peinumrankte Litanei Jakob Sturmhai schicksalsschwer zu meistern hatte. In paraphrasierten Zitaten und zitierten Paraphrasen soll es unser Ziel sein, seinen Leidensweg in und aus der inneren Immigration zu beschreiben. Dabei sei die Nichtigkeit seines Namens betont, deren Preisgabe durch den Autor suggerieren mag, dass weitere Details aus dem Leben Jakob Sturmhais folgen mögen. Doch weder seine Lieblingsspeise noch der Vorname seiner Kindergärtnerin sollen uns im weiteren tangieren.
Schon lange hatte er den zirkulären Charakter der Religion durchschaut. Unmöglich schien es, diesen Christen – es konnten aber auch Juden, Muslime oder Anhänger Quizlipochtlichs sein – beizukommen, wenn man auf der Achse des irdischen transzendente Kausalzusammenhänge zu entwurzeln versuchte. Nicht mit Terroranschlägen, Kreuzzügen oder züchtenden Nonnenhänden ließen sie sich aus der Reserve locken. Auch logische Disharmonien verblassten wie der Rauch eines schief spielenden Pianisten. Die Subjektivität der Moral? Gott wird schon wissen, welche Moral für uns die beste ist! Die Ächtung Homosexueller? Gottes Schöpfung darf sich nicht selbst ausradieren! Sex vor der Ehe? Also bitte…
Religion – so ging ihm auf – ist wie ein Axiom. Ein Kette zusammenhängender Dependenzen, die sich ihre eigene Logik erschafften.
Und dann immer diese Liebesduselei! Gott ist die Liebe, Jesus liebt dich, Höre auf Gott und du findest Erlösung, bla-bla-bla! War es nicht er, der das System durchschaute und der Welt zu offenbaren hatte?
Sein Wirken lässt sich als detailliert platzierter Sprengstoff umschreiben, dessen Positionierung angemessen und nur insofern auffällig war, als dass er als einziger das tat, wonach es allen in den Fingern kribbelte. Kleine Glaubenspamphlete, wie man sie häufig in Telefonzellen findet, fanden ihre Erlösung im Müllcontainer. Lautstark ließ er öffentliche Mülleimerdeckel nach Nahrung betteln, die dann – der piepsig hohen Stimme nachkommend – aus christlichen Flyern bestand. Ein Hupkonzert beim Umfahren einer mormonischen Kirche sollte die Leute aufhorchen lassen. Die Christen handelten ja ähnlich, weshalb er laute Glockenschläge nachzuäffen versuchte. „Gong, Gong, Gong“ ertönte es manches mal aus seinem Halse, eine Tat, die in der Öffentlichkeit zu anstößigen Blicken führte. Doch er war im Recht, zweifelsohne. Was die Christen dürfen, so sagte er gerne, dürfe er ja wohl auch noch.
Zu seinem Entsetzen änderte sich nichts.
Wut brodelte in seinen Gedärmen und forderte in zyklischen Abständen Opfer. Ein Supermarktparkplatz, volle Einkaufstüten, Schokoladensüchtige Kinder, ein Auto mit dem Aufkleber „Jesus ist unser Erlöser“: Hass. Erlöser, Liebe, Schnörkeleien, warum packte niemand das Geschenk aus, riss die schimmernde Fassade entzwei und entlarvte sie als solche? Waren die Drohgebärden der Christen nach Hölle, Leid und Todesqualen nicht der Motor ihres Antriebes, die Druckerschwärze ihrer Pamphlete und der mühselige Schweiß aller Missionare? Das Fenster kurbelte sich wutentbrannt von selbst herunter, das neonrote „t“ zog einen Schleier vor die zu Schlitzen verkommenen Augen. Jakob schrie: „Hööööllllleeee?“, der Christ hörte es. Scham.
Gleicher Abend. Der Drang etwas zu tun wuchs ins unermessliche. Der Hass: endlich nahm er nicht mehr ab und schärfte seinen Geist, der ansonsten für Vernebelungen aller Art empfänglich war (doch auch hier: keine Details!). Es surrte der Drucker das leise Lied der Rache. Rache an all jenen, die das System des panikvollen Glaubens an eine allmächtige Transzendenz am Laufen hielten. Auf den Zetteln stand:
UND BIST DU KEIN AN’STÄNDGER CHRIST
DU BALD SCHON IN DER HÖLLE SITZT!
Endlich ein sichtbarer Akt seiner Mühen. Vermummt in schwarze Stoffe, die sein Konterfei vor der Macht des korrupten Staates schützen sollten, und versorgt mit präpariertem Material aus Papier, Idealismus und Klebestreifen, machte er sich auf den Weg. „DANKE“ gellte es ihm entgegen, jedoch nicht vom Menschenpack, das seine Mühen nicht zu schätzen wissen würde. Was gilt der Prophet schon im eigenen Land? Das Wort zierte eine Tafel, an der Dorfkirche positioniert. „Konfirmanden 2008“, gedruckt auf einem Bild der indoktrinierten Kinder. Verloren an einen Glauben, der auf axiomatischen Ängsten basiert. Ein „Danke“ an die Gemeinde, durch deren Hilfe sie fürstlich entlohnt das Stahlbad durchschritten, an dessen Ende gebleichte Gehirne gewaschen zum Trocknen hingen. Welch Schmach für jeden aufgeklärten Geist.
Am Ende Polizei, Sachbeschädigung, 300 Euro Strafe. Verteidigung in eigenen Worten: „Ich handelte aus hehren Gründen, agierend gegen die zirkulären Kräfte asozialer Monotheisten.“