Sturmtochter, Wolkenkind
und die Liebe das leise Flüstern eines Traums.“
Der Tag war, wie ich ihn mochte. Die Sonne schien, doch hellgraue Wolken ließen den Himmel bedrohlich erscheinen und nur ab und zu durchdrang ein Sonnenstrahl diese Wand, um kurzzeitig Licht zu schenken. Mit leichten Fingern wob ich Wolkenfäden um mich, um zur Erde hinabzusteigen. Sie kitzelten meine Wangen und zerzausten mein Haar, während ich mit geöffnetem Mund die Farben des Himmels aufnahm. Und obwohl die Windgeister mich festhalten wollten, obwohl der Himmel erzitterte und die Wolken dichter zusammenrückten in ihrem Schmerz, setzte ich meinen Fuß zum ersten Mal auf die Welt.
Die Welt war anders, als ich sie erwartet hatte. Die Farben waren kräftiger, dunkler, als ich es gewohnt war, und anfangs schmerzten sie in meinen Augen, wenn ich versuchte, die Fülle um mich herum ganz zu erfassen. Auch die Geräusche waren mir fremd, mir, die ich Stille und nur das gelegentliche Seufzen der Wolken oder das gepolsterte Heulen des Windes kannte. Doch allmählich, langsam, wie das träge Dahinziehen der Wolken am Himmel, lernte ich, sie zu schätzen. Mein Blick wandte sich vom Himmel ab und ich wurde ihnen, denen, die ich seit jeher beneidet hatte, immer ähnlicher: Den Menschen.
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Makanids Augen waren grau wie ein Gewitterhimmel und ihre langen Wimpern warfen scharfe Schatten auf ihr Gesicht. Jedesmal, wenn Aidan sie ansah, glaubte er für einen kurzen Moment, die Freiheit eines fliegenden Adlers zu spüren. Er beobachtete sie fast täglich: Wenn sie aus dem Haus trat, in das sie vor Jahren aufgenommen worden war, nachdem sie vollkommen mittellos in ihr Dorf gekommen war, wenn sie am Marktplatz Wasser holte oder in eins der Geschäfte trat. Aidan war erst diesen Sommer, mit Abschluss seiner Ausbildungszeit, in sein Heimatdorf zurückgekommen. Sie war ihm sofort aufgefallen, Wolkenkind, wie er sie insgeheim nannte, obwohl sie längst kein Kind mehr war. Auch jetzt, als sie zum Bach ging und er ihr in einigem Abstand folgte, war ihre Figur unter ihrem dünnen Kleid deutlich zu erkennen und er versuchte einmal mehr, sein brennendes Verlangen zu unterdrücken.
Am Bach angekommen, begann Makanid mit fließenden Bewegungen, die Wäsche in das klare Wasser zu tauchen. Er konnte jetzt nurmehr ihren gebeugten Rücken erkennen, der von pechschwarzen Haaren halb verdeckt war. Blinzelnd trat er einen weiteren Schritt nach vorne, als plötzlich ein Lichtstrahl auf sie fiel und ihre helle Haut sekundenlang mit blauem Schimmer bedeckte.
„Makanid!“ Sie sah mit Sturmaugen fragend zu ihm auf, als er ihren Namen aussprach und im selben Moment bedauerte er fast, es getan zu haben.
Er schluckte, bot ihr dann seine Hilfe an, und sie ließ es nach einem forschenden Blick in sein sonnengebräuntes Gesicht zu. Stumm kniete sich Aidan neben sie und begann nun seinerseits, Kleidung ins Wasser zu tauchen und anschließend auszuwringen. Mehr als einmal musste er sich zusammenreißen, um sie nicht anzustarren. Makanid arbeitete vollkommen stumm, mechanisch schon fast, wären nicht ihre Bewegungen anmutig und leicht gewesen wie der Wind, der das Herbstlaub rascheln lässt.
Er versuchte, nicht allzu sehr an die Nähe zu denken, in der sie sich nun befand, jetzt, nachdem er sich endlich getraut hatte, sie anzusprechen, doch es fiel ihm schwer. Ihr Duft, der Geruch nach endlosen Feldern und der Weite des Himmels, umschmeichelte ihn und sein Kopf schmerzte bereits, so sehr musste er sich auf seine Hände konzentrieren.
Beinahe gleichzeitig wurden sie fertig, und als sie sich erhob, stand er hastig ebenfalls auf. Ihre Haut wirkte kühl in der Hitze des Tages und er war erstaunt, dass sie warm war, als er nun seine Hand auf ihren Arm legte. Sie bewegte sich nicht, sah ihn nur reglos an und murmelte ein leises „Danke“. Leichter Wind kam auf, brachte ihm den Traum von Freiheit noch näher, und so erschrak er nicht, als er ihr endlich direkt in die Augen blickte und dort ebenjene Freiheit sah.
Makanid schwankte in seine Richtung. Der leise Schrei eines Raubvogels war das Letzte, was er vor seinem inneren Auge sah, bevor er sie küsste.
„Aidan.“ Makanids Stimme wurde beinahe verschluckt von der Dunkelheit, die sich scheinbar bedrohlich auf den Wald gesenkt hatte. Trotzdem war Aidan mit zwei, drei Schritten bei ihr, um sie zu umarmen. Sie vergrub ihren Kopf an seiner Schulter und er strich ihr übers Haar, bevor er sie sanft küsste. Ihre weichen Lippen öffneten sich unter seinen und er drückte sie noch fester an sich.
„War es schwierig für dich, hierher zu kommen?“
Makanid schüttelte den Kopf. Mehr sagte sie nicht dazu. Doch Aidan wusste auch so, dass die alte Frau, bei der sie lebte, sich ihr gegenüber ziemlich gleichgültig verhielt.
Er nahm sie bei der Hand, um sie tiefer in den Wald hinein, weiter weg vom Dorf zu führen. „Die Leute hier haben sich nicht verändert“, meinte er, „Moral und Anstand steht bei ihnen immer noch an erster Stelle. Nicht, dass das, was wir hier tun, falsch wäre“, fügte er eilig hinzu, denn er spürte Makanids kurzes Zusammenzucken, „aber es ist trotzdem nicht ratsam, dass wir gesehen werden. Du weißt doch, es schädigt deinen Ruf, wenn du dich mit Männern zeigst, mit denen du nicht verheiratet bist.“ Sie nickte nur, oder zumindest nahm er an, dass sie es tat.
Endlich waren sie an der kleinen Waldlichtung, ihrer Lichtung, angekommen. Nicht mehr im Schatten der hohen Bäume und im milden Licht des Mondes waren Makanids Züge etwas besser zu erkennen. Ihr Gesicht erschien weich und verletzlich und er beugte sich erneut zu ihr, um sie zu küssen.
„Was hast du?“ Sie zögerte. „Ich bin es leid, dass wir uns verstecken müssen, das geht nun schon seit zwei Monaten so. Wie stellst du dir das in Zukunft vor? Du kannst mich nicht ewig geheim halten.“
Aidan roch an ihrem Windhaar und gab sich kurz der Vorstellung hin, er wäre ein Adler, der fliegen könnte, wohin er wollte. Dann öffnete er die Augen wieder.
„Ich weiß es nicht, Makanid. Ich weiß gar nichts. Außer, dass ich mit dir zusammen sein will.“
Sie seufzte. „Das will ich auch.“
Aidan saß auf einem Stein und dachte an Makanid. Er dachte eigentlich ständig an sie- an ihr Haar und ihre weiche Haut, und an das plötzliche Himmelblau ihn ihren Augen, wenn sie lächelte- doch jetzt vermisste er sie noch mehr als sonst. Und er vermisste ihre Ausstrahlung, die ihn an Wind erinnerte, an Sturm und Himmel, an Freiheit. Er stammte aus wohlhabendem Elternhaus, in dem es nie an etwas fehlte, und er hielt sehr viel von seinen Eltern, auch wenn er ihre Lebensweise und Ansichten von Zeit zu Zeit etwas kleinkariert fand. Außer Frage stand jedoch, dass sie nur sein Bestes wollte, und da er das einzige Kind war, bemühten sie sich sehr um ihn. Erst heute Morgen hatten sie ihn nach seinen Zukunftsplänen gefragt, nach seinem Beruf, und, zu seinem Entsetzen, auch danach, wann er denn endlich heiraten würde. Mit knapp zweiundzwanzig Jahren fühlte er sich eigentlich zu jung zum Heiraten, doch sein Vater hatte so etwas angedeutet. Mit der richtigen Ehefrau und wenn er die notwendigen Qualitäten besaß, konnte er vielleicht schon bald den familieneigenen Handelsbetrieb übernehmen, einem Betrieb, der seine Ausläufer überall im Land besaß. Seit Aidan denken konnte, war es sein Traum, eines Tages unabhängig zu sein und eine eigene Firma zu verwalten. Er würde sich ein eigenes Haus bauen können, reisen, Menschen kennen lernen, Städte besuchen. Er würde landesweites Ansehen erlangen, wenn er nur zeigte, dass er etwas von seinem Geschäft verstand.
Hoch oben am Himmel stieß ein einsamer Raubvogel seine Schreie aus, und diesmal fuhren sie Aidan durch Mark und Bein. „Makanid“, dachte er, doch plötzlich fiel es ihm schwer, ihr Bild heraufzubeschwören. Der Wind streichelte sanft seine Wange, aber er bemerkte es nicht. Seine Augen waren in die Ferne gerichtet.
Makanid seufzte leise, während Aidans Hand langsam von ihrer Wange weiter zu ihrem Hals fuhr und schließlich die sanfte Rundung ihrer bloßen Brust streichelte. Die Nachmittagssonne brannte unbarmherzig auf sie herab und eigentlich hätte sie es wenigstens ein bisschen riskant finden müssen, sich mit ihm mitten am Tag zu treffen, doch es war ihr egal. Der Schweiß prickelte noch auf ihren Leibern und sie überließ sich nur zu gerne seiner tastenden Hand.
Wenn sie die Augen öffnete, konnte sie das makellose Blau des Himmels sehen, das von keiner einzigen Wolke unterbrochen wurde. Die Sonne blendete sie und träge schloss sie die Augen wieder. Aidan lag ihr zugewandt im Gras, mit wachem Blick, den er über ihren Körper wandern ließ.
Ein Schatten fiel über sie und kurz darauf fühlte sie seine Lippen auf ihren, und seine Zunge, die sich vorsichtig in ihren Mund schob. Sie erwiderte den Kuss mit einer Intensität, die sie selbst überraschte, schlang dabei die Arme um ihn und presste ihren Körper an seinen. Als er sich zurückzog, atmeten sie beide schwer.
Aidan konnte es kaum aushalten, so sehr wollte er sie. Ganz, für immer, jede Minute, jede Sekunde. Kleine Schweißperlen ließen ihren Körper nur noch begehrenswerter erscheinen und er betrachtete zufrieden die Gänsehaut, die seine Hände und sein Mund hinterließen.
Sie blickte ihn an und ließ ihn teilhaben an dem Sturmgewitter in ihren Augen, bis er den Blick abwenden musste.
„liebst du mich?“, fragte sie leise. Seine Hände streichelten ihre Wangen, fuhren die Linie ihrer Lippen nach, dicht gefolgt von seinem Mund. Er legte sich auf sie. „Ja“, flüsterte er in ihr Ohr, während sie ihn bereitwillig in sich aufnahm.
In Makanids Ohren peitschte der Sturmwind lauter, als sie ihn jemals gehört hatte und ihr Körper wurde von den umherwehenden Blättern eingehüllt.
„Ich kann nicht!“, schrie sie mit zurückgeworfenem Kopf dem Brausen des Windes entgegen, während ihre Augen die Wolken fixierten. „Ich kann nicht“, wiederholte sie leiser. Der Wind ebbte langsam ab. „Ich liebe ihn doch.“
Langsam verschwanden die Wolken vom Himmel und die Nachmittagssonne trat wieder zum Vorschein. Ihre wärmenden Strahlen erhellten die Wiesen.
Makanid fror.
Die ganzen letzten Tage, die er Makanid schon nicht mehr gesehen hatte- und das waren viele gewesen, denn sein Vater hatte ihm verschiedene Aufgaben in anderen Dörfern aufgetragen, die er zu erledigen hatte- und seit Anbruch dieses Tages dachte Aidan nach. Die Worte seines Vaters hallten in seinen Ohren wider: „Wir haben eine Frau für dich gefunden.“ Eine Braut. Er sollte Shaina, die Tochter eines Geschäftsfreundes seines Vaters heiraten. Ein guter Fang, wie er gesagt hatte. Geschäft und Ehe wurden verbunden. Zu einem anderen Augenblick, wäre er mit der Wahl seiner Eltern einverstanden gewesen, hätte sich vielleicht sogar gefreut, denn Shaina war ein hübsches Mädchen mit braunen Locken und dunklen Augen. Aber nicht jetzt, nicht hier in diesem Augenblick, in dieser Zeit, die nur Makanid und ihm gehören sollte.
Nachts träumte er von ihr: Wie sie ihn mit traurigen Wolkenaugen ansah und ihr Mund zitterte, bevor eine Träne über ihre Wange rann. Sie stand weit entfernt von ihm, sah genau in seine Richtung, doch er konnte sie nicht erreichen. Und zuletzt verwandelte sie sich in einen Adler, der in den Weiten des Himmels davonflog.
Makanid war mehr als ein einfaches Mädchen, mehr als nur ein Mensch, das spürte er. Unbewusst, und eigentlich nicht bereit, es anzuerkennen. Oft war er sich nicht sicher, ob sie wirklich ihn ansah, oder ob ihre Augen durch in hindurch in den Himmel starrten. Bei Stürmen sah er sie manchmal draußen stehen: Der Wind wirbelte durch ihr Haar, so dass es wie eine schwarze Wolke um ihren Kopf wehte, ihr Körper schien mit der Luft zu verschmelzen, ihre Augen waren starr nach oben gerichtet. „Sturmtochter“, dachte er in diesen Augenblicken, er wusste selbst nicht warum, und „Wolkenkind“, wenn ihre Haut in der Sonne bläulich schimmerte.
Nachdenklich sah er ins Feuer, das ihm so ähnlich war, ebenso, wie zu Makanid der Himmel gehörte. Ein Luftzug ließ die Flammen kurz auflodern, sie bäumten sich auf, griffen nach etwas, das unsichtbar war. Dann kamen sie wieder zur Ruhe, langsam fraßen sie sich gleichmäßig in das Holz. Sie hatten ihren Platz gefunden.
Der Himmel war grau wie Makanids bewölkte Augen, als er sie endlich wiedertraf. Sie sah müde aus, mit blasser Haut und ihr sonst so glattes Haar kringelte sich in der nebligen Luft um ihr Gesicht, sodass sie noch jünger und schutzbedürftiger aussah.
Stumm umarmte er sie und hielt sie dann ein Stückchen von sich weg, um ihr Gesicht genauer betrachten zu können. Er musste sich beherrschen, um ihren hellroten Mund nicht zu küssen, während ein einzelner Regentropfen auf ihrer Nase landete. Sanft wischte er ihn fort, bevor er sich räusperte.
„Makanid, ich…“ Aus irgendeinem Grund schien seine Kehle wie ausgetrocknet und Schmerz machte sich langsam in seiner Brust breit. Doch er wusste, dass er es jetzt tun musste, sagen musste, jetzt, in diesem Augenblick.
„Ich werde heiraten.“ Die Worte standen zwischen ihnen, während sich Unglauben auf Makanids Gesicht abzeichnete. „Es hat auch etwas mit meiner beruflichen Zukunft zu tun, weißt du“, sprach er schnell weiter, um nicht den Mut zu verlieren, „Heutzutage muss schließlich jeder sehen, wo er bleibt. Und ich habe jetzt die einmalige Chance, einen eigenen Betrieb zu haben. Sie ist die Tochter eines Geschäftspartners…“ Aidan wurde immer leiser und verstummte schließlich.
Die sanfte Traurigkeit, die in Makanids Gesicht schlich, machte ihm Angst. Mit allem hatte er gerechnet, mit Tränen oder mit Vorwürfen, aber nicht mit dieser wortlosen, stillen Trauer. Dies war noch schlimmer. Die Wolken, die den bevorstehenden Sturm ankündigten, schienen näher zu kommen und zum ersten Mal kam es ihm so vor, als würden sie ihn erdrücken.
„Und was ist mit uns? Hat dir das gar nichts bedeutet?“ Makanids Stimme war kaum laut genug, um den leichten Wind zu übertönen und er musste sich zu ihr beugen, um sie zu verstehen. Ihre Gesichter kamen sich so entsetzlich nah und der Ausdruck in ihren Augen zog ihn wie magisch an. Obwohl er sie nicht berührte, vermeinte er, ihre weiche Haut zu spüren, ihren zärtlichen Mund und ihre tastenden Hände. Außerstande, sie aus dem Bann zu lösen, näherten sich ihre Lippen immer mehr, doch im allerletzten Moment trat Aidan einen Schritt zurück.
„Doch. Ich liebe dich, Makanid. Aber ich kann nicht ewig meinen Träumen von Freiheit hinterherlaufen, während die wirkliche Welt an mir vorbeizieht.“
Makanids Mundwinkel zitterten. „Aber ich bin wirklich.“
Er nickte. „Ja. Aber nicht auf die Art, auf die ich es bin. Verstehst du nicht, ich brauche keinen Wind mehr, der mich antreibt. Ich brauche jemanden, der mich festhält.“
„Ich…“ Sie ergriff seine Hände. Lange Zeit standen sie nur so da, versunken ineinander, bis der Sturm begann. Der Wind heulte auf und Äste knackten, als er durch den Wald fuhr und Blätter aufwirbelte. Aidan beugte sich vor, ihre Lippen berührten sich und Makanid spürte, dass es ein Abschiedskuss war. Der Himmel verdunkelte sich weiter und er sah sie fragend an. „Komm, ich bringe dich zum Dorf zurück.“ Sie blickte ihm direkt in die Augen. Einen Moment lang glaubte er, Zorn aufblitzen zu sehen, doch genauso schnell verblasste er wieder.
„Ich werde nicht mehr zurück gehen“, sagte sie nur. Ihr Haar peitschte ungebändigt um ihr Gesicht.
„Aber du kannst nicht-“
„Ich kann“, antwortete sie bestimmt. Ihr Gesichtsausdruck ließ ihn verstummen. Er dachte an den grimmigen Blick des Adlers und an dessen Schwingen, mit denen er sich in die Lüfte erhob. Schmerz durchfuhr ihn, als er daran dachte, was er soeben verloren hatte. Vielleicht würde er seine Entscheidung später bedauern, doch nun gab es kein Zurück mehr. „Lebwohl“, flüsterte sie leise.
„Lebwohl, Makanid“, erwiderte er. Sie drehte sich um. Ihr Kleid flatterte ihm Wind und die stolze Art, mit der sie den Kopf hielt und die Schultern hochzog, berührte ihn. Ihre Gestalt wurde immer kleiner und mit ihr seine Träume von Freiheit, die er solange gehütet hatte. Ihre Sturmaugen und ihr Wolkenhaar würde er nie vergessen. „Danke, dass du mir geholfen hast, meinen Weg zu finden“, wisperte er dem Wind zu. Irgendwo in der Ferne schrie ein Adler.
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Sturm zieht an mir und doch brauche ich noch Zeit.
So ist das also, denke ich mir, während sich meine Menschenfinger ineinander verflechten, so ist das also. Die Liebe, und der Schmerz.
Die ganze Welt ist voll davon und ich habe nur von diesem Getränk gekostet, das noch so unendlich viel mehr beinhalten würde. Doch die Traurigkeit ist schon jetzt kaum auszuhalten und meine Seele ist müde.
Sie sehnt sich, danach, mit dem Wind zu wehen und über die Wolken zu springen, eins zu werden mit dem Himmel und nachts als leiser Lufthauch die Welt zu streicheln.
Aidan hatte Recht, ich bin nicht wirklich. Nicht hier, nicht auf dieser Welt. Wieso es nur niemand außer ihm erkannt hat?
Der Schmerz lässt langsam, schleichend nach, je mehr ich an die Wolken und an Sturm denke. Denn er ist hier, streichelt meine verletzte Seele und heilt meine Wunden. Er ist ein Teil von mir, und ich weiß, er wird mich nie verlassen.
Es ist soweit. Meine Augen trinken noch einmal von der Fülle auf der Erde, den Farben, den Gerüchen. Meine bloßen Füße streicheln ein letztes Mal das Gras.
Ich strecke die Arme nach oben und Wolkenfäden kommen, mich zu holen. Mich heimzubringen. Lächelnd versinke ich in ihrer freudigen Umarmung und Wind trägt mich empor. Sturm hüllt mich ein, ein Lufthauch streichelt meine Wange. Dann schlüpfe ich hinter die Wolken und verschwinde.