Sturzflug
Ich stehe an der Bar. Der Technokrach hämmert auf mich ein, wie ein Presslufthammer. Es ist unerträglich heiß und voll. Warum musste es unbedingt diese Raverbude sein? Tobias hatte mich hier hergeschleppt. Ich sollte mal wieder leben, anstatt ihr dauernd hinterherzutrauern. Jetzt ist er verschwunden. Und ich kippe mich zu. Ob er das so gemeint hatte? Bierfluten stürzen meine Kehle hinunter. Sie werden bloß von kurzen Tequilaschauern unterbrochen. Ich spekuliere darauf, dass sich meine Stimmung mit meinem Alkoholpegel hebt. Der Zigarettenrauch kratzt in der Lunge wie eine Drahtbürste und brennt in meinen Augen.
Ich beobachte die Tanzfläche. Die Menschenmenge ist bunt beleuchtet. Mal rot, mal grün, mal gelb. Ich fühle mich an einen riesigen Wackelpudding erinnert. Eine – achtung Wortwitz- Schnapsidee. Dekolletees hüpfen im Takt der Musik. Wohl das einzige was meine Aufmerksamkeit an diesem Abend länger fesseln könnte.
Tanzen lehne ich kategorisch ab. Erstens bin ich als Tänzer ungefähr so gut wie Reiner Callmund als Vegetarier, zweitens bin ich schlecht drauf. Alle meine Gedanken kreisen nur um sie. Also passt Thekenwalzer heute Abend besser. Irgendwann beschließe ich, mich vielleicht doch nicht ganz zu ertränken. Ich unterhalte mich mit einem blonden Mädchen. Sie steht auch an der Bar, holt gerade Getränke. Wie heißt du? Was machst du? Hübsch siehst du aus! Tut sie wirklich! Trotzdem habe ich schon wieder das Interesse verloren. An SIE kommt sie eh nicht heran. Außerdem laufen Bekanntschaften an solchen Abenden sowieso immer genauso. Meist ist die Unterhaltung so tiefsinnig wie mit einer Sprechanlage am Fast Food Restaurant. Wenn es mal wirklich interessant wird, ist man zu betrunken um weiterzusprechen. Sollte man sich mal verlieben sieht man sie garantiert nie wieder. Ich widme mich lieber weiter meiner Betäubung.
Wie soll man sich in diesem Haufen zugedröhnter grenzdebiler Wackelelvise auch sonst amüsieren?
Langsam wird mir schlecht. Meine Laune hat sich nicht gebessert. Im Gegenteil, sie steuert unbeirrbar auf den Abgrund zu. Ich suche das Klo. In der Menschenmenge verliere ich die Orientierung. Alles dreht sich, rast an mir vorbei wie in der Achterbahn. Die Musik dröhnt, hämmert und schlägt. Es stinkt nach Bier, Rauch und Schweiß. Alles verschwimmt. Oben, Unten, Rechts und Links werden Eins. Ich taumle, remple Irgendjemanden an. Irgendwie gelange ich ins Freie, übergebe mich. Die Türsteher, die sich mit Sicherheit das letzte bisschen Verstand aus ihren Erbsenhirnen herausgekokst haben, reißen Witze über mich. Regen prasselt in Strömen herab. Ich knie im Dreck, bin klatschnass. Der Uzz-Uzz-Hölle entkommen und zurück in der Realität! Kurze Bestandsaufnahme: Ein Kopf, zwei Arme, zwei Beine. Äußerlich bin ich also unbeschädigt. Aber sie fehlt noch immer. Und Morgen droht ein neuer Tag.