Suizid
Verdammt noch mal was soll das??? Wie lange soll ich mich noch belügen??? Wie lange willst du mich noch belügen und wie lange soll ich mir noch anhören wie wahnsinnig lebens- und liebenswert dieses verdammte Scheißleben doch ist???
Schluss mit Lügen – ich sehe keinen Sinn mehr darin mir etwas vorzumachen: ich konnte dieses verfluchte Leben noch nie lieben, ich kann es heute nicht lieben und ich werde es voraussichtlich auch niemals lieben können.
Dass ich nicht lache – hörst du nicht selbst wie absurd du klingst??? Das Leben lieben – nein ich kann das einfach nicht. Ich hasse das Leben. Ich hasse es so unsäglich und abgrundtief, dass ich es nicht beschreiben kann.
All die guten Vorsätze, all meine Bemühungen vieles leichter zu nehmen – völlig zwecklos. Und ich habe mich bemüht – ich schwörs dir, ich habe mich wirklich bemüht – ich wollte dieses Leben lieben, ich habe ihm Chance um Chance gegeben, immer wieder, nach jeder noch so tiefen Enttäuschung riss ich mich am Riemen und bemühte mich vorbehaltlos neu anzufangen. Wie oft ich wohl neu angefangen habe... nein ich möchte es gar nicht wissen, wie deprimierend naiv ich doch nur war.... doch nun ist mir endgültig klar: das alles hat keinen Sinn, so leid es mir tut...
„So denk doch an die schönen Dinge des Lebens – an Blumenwiesen, an die Menschen, die dich lieben, an all die schönen Erlebnisse die du gemacht hast, an den Sommer, an kleine lachende und unbeschwerte Kinder... Das alles ist doch sehr lebenswert!“
Oh ja... wie oft habe ich Sätze wie diese nun wohl schon zu hören bekommen??? Und glaub mir – ich habe mir wirklich Gedanken darüber gemacht, habe mich bemüht etwas positives zu finden, wirklich bemüht, aber ich sage dir – es ist zwecklos. Beispiele gefällig?
Bei dem Gedanken an Blumenwiesen muss ich mich übergeben! Dieser wahnsinnig süßliche Geruch, der uns eine ach so heile Welt vorheuchelt, der uns vorgaukelt, alles wäre süß und schön, und all diese Farben, die uns eine, in Wirklichkeit nicht vorhandene, Vielfältigkeit dieses Lebens vorspielen... ich kann es einfach nicht ertragen. Das Leben ist nicht süß – nach jedem Frühling kommt ein heißer Sommer der all diese Blumen zu Staub werden lässt, der alles niederbrennt, genau so, wie es das Leben auch tut, der alles bunte und süßliche vernichtet, der uns zeigt, dass alles nur Hauch und Schein ist, der die Farben verdorren lässt und uns beweist dass nichts ewig ist, dass alles ein übles Ende nehmen wird, einfach alles. Ja genau solche Gedanken kommen mir in den Sinn, wenn ich an Blumenwiesen denke – also vielen Dank für den tollen Tipp!
Und Menschen die mich lieben??? Oh hör doch auf mit diesen Utopien! Wir Menschen lieben doch alle nur uns selbst – jeder ist auf sein eigenes Wohl aus – ja, ausschließlich auf sein eigenes, mach dir doch nichts vor! Die anderen sind uns doch alle völlig egal!
Mama, weißt du noch damals vor zehn Jahren??? Als die Nacht einmal um so viel dunkler war als bisher und als ich weinend und schlotternd aus meinem Bettchen kroch und mir einfach nur wünschte von dir ganz fest in den Arm genommen und ein klitzekleines bisschen geliebt zu werden? Weißt du noch Mama??? In dieser Nacht habe ich dich erwischt, mit ihm – deinem neuen. Wo Papa war weiß ich bis heute nicht, aber das ist mir auch egal... Sobald Papa seine Flasche Bier und seinen Fernseher hatte, hörte ich mit meinen Monsterträumen, die mich doch so unbeschreiblich quälten, auch schon auf zu existieren. Und du Mama – du hast mich aus dem Schlafzimmer geworfen und die Türe abgeschlossen. Damals kauerte ich mich auf den kalten Steinboden vor deiner Schlafzimmertür und konnte mich keinen Zentimeter mehr bewegen - alles war schwarz und kalt und einsam... so einsam... ja – in dieser Nacht hatte ich noch Angst davor zu sterben – schreckliche, unbeschreibliche Angst davor, dass mich dieses Monster holen kommt und tötet... wenn ich damals nur gewusst hätte, wie oft ich mich ein paar Jahre später danach sehnen würde einfach nicht mehr zu existieren. Oh wenn ich gewusst hätte, wenn du gewusst hättest Mama...
Schöne Erlebnisse, die ich gemacht habe??? Du wirst es mir nicht glauben, aber das letzte Mal, dass ich wirklich glücklich war ist mittlerweile 2 Jahre her... damals, als es mir in der achten Klasse endlich gelang der kleinen Ines mit ihren ach so tollen blonden Zöpfen nach der Schule aufzulauern und mit dieser großen schmutzigen Scherbe exakt ihr so verdammt hübsches Gesichtchen zu treffen.
Die dicke rote Narbe sieht man heute noch... und ja, wie stolz war ich doch damals darauf, dass ich ihrem ewigen Gepose nun endlich ein Ende gesetzt hatte... Heute bin ich nicht mehr stolz darauf... die Narbe erinnert mich ausschließlich daran, wozu Menschen aus reinem Neid, aus reiner Missgunst fähig sind... ja, wozu sogar ich selbst fähig war. Und wenn ich mir dessen bewusst werde erschaudere ich – nicht äußerlich, nein innerlich, ganz tief in mir selbst, denn meine Gefühle zeige ich schon seit Jahren nicht mehr... das habe ich mir abgewohnt, nachdem mir ein „Freund“ nach dem anderen das Herz brach, weil ich ihnen viel zu viel von mir offenbarte und mich damit viel zu verletzlich für sie alle machte. Und ja – wie sollte es anders sein – natürlich nützten sie dieses Wissen über mich, diese Kenntnis meiner innersten, wirklich meiner aller innersten Gedanken und Gefühle aus und verletzten mich so tief, dass meine Tränen wochenlang flossen... und als ich wieder zur Schule musste flossen sie nur noch nachts, denn tagsüber durfte niemand mehr sehen, wer ich wirklich war, das hätte ihnen nur wieder neue Schwächen aufgezeigt und ich hatte mir ja geschworen nie, nie wieder irgend jemandem mein wahres Ich zu offenbaren. Ja und irgendwann hörte ich schließlich auch auf damit nachts zu weinen... ich hatte wohl wirklich verlernt, wie es war Gefühle zuzulassen... so viel zum Thema glückliche Augenblicke meines Lebens...
Nein, da gibt es doch noch etwas – ich habe eine andere Möglichkeit gefunden eine Art Glück zu empfinden... und ja, für einige Monate war ich in der Tat recht „glücklich“... nur dass mein Glück von diesen kleinen lustigen Pillen abhing, die so verdammt teuer waren, dass ich anfing meine Mutter zu beklauen. Und stehlen wollte ich nicht, denn das war unter meinem Niveau, so tief war ich nun also schon gesunken.... ich schämte mich vor mir selbst und beschloss diese scheiß Welt von nun an wieder ohne bunte Pillen, ohne falschem Glück und dafür mit Ehrlichkeit zu ertragen... ich fragte mich nur wie lange man so etwas ertragen konnte....
Jedes Mal wenn ich eines dieser wehrlosen Geschöpfe sehe, würde ich ihnen am liebsten eine ganze Hand voll Strychnin in ihr gelbes Limo kippen um sie vor den Schrecken dieser Welt zu bewahren, die auch sie zweifellos und viel zu früh einholen werden. Nein – auch Kinder sind nichts lebenswertes, denn sie werden früher oder später selbst zu diesen Monstern, die sich Erwachsene nennen und die meinen so schrecklich viel Ahnung vom Leben und von lebenswerten Dingen zu haben.
Verstehst du nun, warum ich diese Sätze nicht mehr hören kann? Sie führen mir die Grausamkeiten dieses Lebens - oder sollte ich besser sagen, diese einzige große Grausamkeit - nur noch deutlicher vor Augen und dieses Gefühl der Ausweglosigkeit, der Einsamkeit und der Verzweiflung steigt vom ohnehin schon Unerträglichen weiter ins absolut Unermessliche.
Du denkst nun wohl, ich würde dies alles hier in einem Stadium der Unzurechenbarkeit schreiben. In einem Rausch von Weltschmerz, von Depression... doch ich muss dich enttäuschen. Ich bin klar im Kopf, völlig klar. Vielleicht sogar viel zu klar für dich, klarer als ihr alle! Und sind wir doch mal ehrlich – ist denn nicht mein ganzes Leben eine einzige Depression???
Glaube mir, ich weiß wovon ich rede – ich selbst habe dieses Leben schließlich 16 Jahre lang miterleben müssen, ertragen müssen. Das Leben ist völlig sinnlos. Keine Aussicht auf Besserung – niemals. Die Menschen sind berechnende, gefühllose Monster, die nur um ihr eigenes Überleben kämpfen und unter dem Wort Menschlichkeit versteht man höchstens noch Grausamkeit, Verachtung und Hass. Ja genau das ist es, was man heutzutage mit Menschen gleichsetzen muss, was „menschlich“ (monsterhaft?) ist. Wobei ich ohnehin bezweifle, ob es eine Menschlichkeit im ursprünglichen Sinne überhaupt jemals gegeben hat...
Oh ja – und bitte werfe mir nicht vor, ich hätte kein Recht dazu mein Leben zu beklagen, weil es Menschen gibt, die es deutlich schwerer haben als ich. Wie kannst du dir auch nur im Geringsten anmaßen, beurteilen zu können, wie schwer ich es mit meinem Leben habe??? Mir ist völlig klar, dass es objektiv gesehen Menschen gibt, denen es schlechter geht als mir (dabei möchte ich anmerken, dass es mir ohnehin schon immer ein Rätsel war, warum diese Menschen ihrer jämmerlichen Existenz nicht schon längst ein Ende gesetzt haben...), doch du hast ja keine Ahnung davon, was sich wirklich in meinem Kopf abspielt! Habe ich denn kein Recht darauf, mein Leben dann zu beenden, wenn ich es für richtig erachte? Schließlich wurde ich nie gefragt ob ich leben möchte! Darf ich mein Leben also deshalb nicht auch einfach dann beenden, wenn es für mich einfach keinen Sinn mehr macht, auch nur eine klitzekleine Sekunde länger unter diesem Haufen Irrer zu verweilen, wenn es mir ein Ding absoluter Unmöglichkeit ist, auch nur einen weiteren Atemzug zu machen, weil mir diese Ausweglosigkeit die Kehle zuschnürt und mein Herz so heftig schlagen lässt, dass ich glaube von Innen heraus zerspringen zu müssen. Wenn mir meine Verzweiflung die Stimme raubt, die Hände und Füße fesselt, die Augen verschließt und alles um mich herum in Sekundenschnelle auf mich zu rasen lässt, so dass ich die Sonne nicht mehr sehen kann und von einer Kälte umgeben werde, die meinen ganzen Körper, ja alles an mir lähmt, wirklich alles, außer diesen penetranten, vernichtenden Gedanken, die in meinem Schädel immer weiter hämmern, unauslöschbar immer weiter, weiter, weiter... So lange, bis sie das einzige sind, was für mich noch existiert in meiner Welt. Und nun verrate mir – was bleibt mir anderes übrig, als all diesen Qualen ein Ende zu setzen?! Was kann ich tun, außer vor ihnen zu fliehen, um mich zu befreien? Es ist so unbeschreiblich aussichtslos, ich habe keine Kraft mehr, ich bin so müde.... bin zu müde um zu schlafen, zu müde um zu überleben... habe ich in Wirklichkeit nicht vielleicht schon längst aufgehört zu existieren??? Nein, das kann nicht sein, woher kämen dann all diese Gedanken??? Hilfe – ich kann nicht mehr, ich falle, ich kann nicht mehr sehn, ich kann nicht mehr, kann nicht mehr, kann einfach nicht mehr!!! Es geht nicht, ich muss weg hier... ich laufe schnell, schneller als je zuvor – ich muss fliehen, fliehen vor dieser Welt, die mich zu verfolgen scheint, raus hier, weg von hier, fort – hoch auf die Brücke, sehe das Geländer, schneller, schneller, bald ist es geschafft, bald bin ich frei, ich umklammere das Geländer, blicke auf zum Himmel, lasse los, und falle...