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Sultana

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30.10.2006
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Sultana

Endlich spürte ich den ersehnten Ruck. Zwar schien es mir, als bewegte sich der Zug auf dem Gleis nebenan, doch die sanfte Vibration unseres eigenen Waggons ließ diese Illusion bald platzen. Ich saß meinem Großvater gegenüber in der zweiten Klasse und ließ meine kurzen Beine von der mit rotem, plastifiziertem Stoff bezogenen Bank baumeln. Die Dunstschwaden aus Großvaters frisch gestopfter Tabakpfeife breiteten sich langsam in unserem Abteil aus. Schon zum dritten Mal durfte ich mit ihm zur großen Landwirtschaftsmesse fahren.
"Um halb neun wartet er auf dich, bei der großen Uhr", hatte meine Mutter gesagt, und damit war klar, dass sie mich in diesem Jahr nicht mehr auf den Bahnhof begleiten würde. Mein Stolz war unübersehbar. Unser Zug schob sich ächzend und knarrend aus dem Hauptbahnhof, holperte über unzählige Weichen und begann schließlich bedächtig, das große Viadukt zu erklimmen.
"Da, schau", sagte Großvater und zeigte auf ein in die Jahre gekommenes Fabrikgebäude, welches auf der rechten Seite erschien. SULTANA CIGARETTEN stand in altmodisch geschwungenen Buchstaben quer über eine fensterlose Wand des Gebäudes geschrieben.
"Damals im Aktivdienst anno Dreiundvierzig haben wir hier meistens etwas zum Rauchen bekommen, bevor unsere Truppe weiter ins Tessin transportiert wurde", fuhr er mit ernster Miene fort.
"Auf dem Lukmanier war es in jenem Winter besonders kalt. Wochenlang haben wir auf den Feind gewartet. Mehr als einmal haben wir gedacht, jetzt kommen sie. Aber dann...". Großvaters Worte begannen sich in meinem Kopf zu drehen und verloren sich bald darauf im stahlblauen Himmel. Häuser, Masten und kurze Zeit später auch Bäume, Kühe und Bäche, alles reihte sich ein zu einem fließenden Reigen. Die Welt tanzte nur für mich, und unser Zug trommelte den Takt dazu. Ba-bamm ba-bamm, ba-bamm ba-bamm.

"Das war doch vergebens, alles für die Katz", hörte ich mich plötzlich sagen.
"Wenn sie gekommen wären, ihr hättet nichts ausrichten können“. Auf einen Schlag war der Tanz der Welt zu Ende. In meinem Kopf sirrte es wie nach dem letzten Böller eines großen Feuerwerks. Großvaters Nasenflügel zitterten, in seinen Augen flackerten Ärger und Enttäuschung. Ich starrte zu Boden. Heißes Blut schoss mir in den Schädel. Meine Ohren glühten, mein Puls und der Takt des Zugs hämmerten gemeinsam in meinem Kopf. Ba-bamm ba-bamm.

Nach ein paar zäh tropfenden, atemlosen Sekunden wagte ich es vorsichtig, zu Großvater hinaufzuschielen.
"Du hast ja keine Ahnung", murmelte er und machte sich umständlich an seiner erloschenen Tabakpfeife zu schaffen. Ich war fest davon überzeugt, in Großvaters Mundwinkeln ein versöhnliches Schmunzeln wahrgenommen zu haben. Erleichtert blinzelte ich in die Sonne und schwor mir leise, so rasch keine altklugen Kommentare mehr abzugeben.

 

Hallo CrissCross
und willkommen auf kg.de

Eine schöne Szene beschreibst du da. Die Atmosphäre der Reiselust ist greifbar und ich hatte das Gefühl als nicht wahrgenommener Dritter in dem Abteil zu sitzen und die Szene zu beobachten.
Etwas enttäuscht bin ich dennoch. Ich habe den Eindruck hier nur einen knappen Ausschnitt von etwas größerem Vorgesetzt zu bekommen, zum Anfüttern sozusagen. Es bleibt bei der kleinen Szene, eine wirkliche Geschichte erzählst du uns nicht. Das finde ich wirklich schade, weil ich den beiden gern noch ein bisschen länger gefolgt wäre. :)

Formalien:
Störend ist deine konsequente Verweigerung des ß. Das behindert den Lesefluss. Aus deinem Profil geht leide rnicht hervor, woher du stammst. Österreich oder Schweiz?
Angenehmer zu lesen wäre der text auch, wenn du hin und wieder einen Absatz mehr investieren würdest. Bedenke, dass wir die geschichte am Compute rlesen, da dürfen die Absatzregeln ruhig etwas gedehnt werden.
Zumindest die Wörtliche Rede würde ich in die nächste Ebene entern.

Ansonsten ein Einstieg, der hoffen lässt :)

viel Spaß noch auf kg.de

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo weltenläufer

Danke für die nette Begrüssung. Diese wirklich kurze Kurzgeschichte habe ich für einen Schreibwettbewerb verfasst, allerdings kam ich damit nicht in die Kränze. Wahrscheinlich deshalb, weil es meine erste und bisher einzige Kurzgeschichte ist, die über das Ideenstadium hinausgewachsen ist.

Richtig, ich bin Schweizer, die "Verweigerung des ß" ist also eidgenössisch. Ich habe Word gebeten, das ß an den richtigen Stellen zu setzen, zudem habe ich ein paar Absätze hinzugefügt. Die Vorgaben beim Schreibwettbewerb waren ziemlich streng (nur eine Normseite), deshalb wollte ich etwas Platz sparen.

Viele Grüsse
ChrisCross

 

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