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Sunshine Motel
Es regnete stark. Die dicken Tropfen prasselten unaufhörlich auf die Erde. In einem scheinbar unendlichen Fluss, lief das Wasser aus der Regenrinne auf den ohnehin schon matschigen Boden. Es entstand ein Geräusch, das einer defekten, permanent laufenden Toilettenspülung gleichkam.
Im Zimmer Nr. 8 konnte Bud das Unwetter hören, ohne seine müden Augen aufmachen zu müssen. Er hielt es nicht mehr aus. Jede Bewegung seines Kopfes tat weh. Er wälzte sich im Bett seines kleinen Motelzimmers herum.
´Nach einer so strapaziösen Reise, kann man sich doch mal ein paar Stunden extra Schlaf gönnen´, dachte er. Langsam öffnete er die Augen und schaute auf den Radiowecker, der auf dem Nachttisch stand. Die großen roten Digitalziffern zeigten 6.55 Uhr an.
Bud und Mike hatten gestern Abend, zur Feier des Tages, einen kleinen Umtrunk, der zu einem waschechten Besäufnis ausartete.
Die Kopfschmerzen ließen Bud seinen gestrigen Alkoholexzess zutiefst bereuen.
Sie hatten ausnahmsweise keine Zeitnot. Niemand würde vermuten, dass sie sich an solch einem Ort aufhielten. Um das Motel herum fand man nur totes, staubiges Land. Keine Menschenseele war weit und breit in Sicht. Bud wunderte sich schon eine ganze Weile darüber, dass es hier überhaupt ein Motel gab. Sie hatten nicht geplant hier zu rasten, aber durch seine Unauffälligkeit bot es sich an.
Bei ihrer Ankunft hatten sie kein Fahrzeug auf dem Parkplatz gesehen. Das bedeutete, sie würden die einzigen Gäste sein.
Die Inhaberin, Mrs Phillys, gab ihnen die Schlüssel und erklärte ihnen alles Nötige.
Ihr Mann, den Bud und Mike auf diversen Fotos an der Wand hinter der Rezeption sahen, hielt sich anscheinend zur Zeit nicht im Motel auf.
Bud gähnte lange und streckte sich, wobei er mit einem Arm über das Kissen fuhr, welches neben ihm lag. Er merkte, dass etwas fehlte. Ohne hinzuschauen lies er seine Hand wandern und durchwühlte die Stellen, wo er sie vermutete. Das flauschige, warme Daunenkissen war das Einzige, was seine Fingerkuppen fühlten. ´Das kann doch nicht sein!` Er drehte seinen Kopf in Richtung des Kissens und schreckte augenblicklich hoch. „Scheiße!“, entfuhr es ihm. Sie lag nicht mehr da. Unter dem Kissen war sie auch nicht. Er sprang augenblicklich, in tiefste Panik versetzt, in die Dunkelheit des Raumes.
Ein lautes, metallisches Klicken ertönte im Zimmer. Jede Bewegung, ja, jeder Muskel seines Körpers erfror in der Bewegung, vom einen Augenblick zum Anderen.
Das Klicken war kein gutes Zeichen. Alles andere als gut. Eine zittrige Frauenstimme schrie ihn an: „Keine einzige Bewegung, sonst...sonst schieße ich!“
Das Adrenalin und die Angst, von der eigenen Waffe abgeknallt zu werden, spülte jede Spur von Müdigkeit in ihm weg. Auch die Kopfschmerzen verliessen ihn für einen Moment.
Er hatte keine andere Wahl, als der Unbekannten zu gehorchen. Er unterdrückte den Instinkt, sich zu ihr umzudrehen. Bei dem schwachen Licht würde er ohnehin nicht viel mehr sehen, als er schon wußte.
Die Frau war jedoch zu angespannt, um zu bemerken, dass sich etwas hinter ihr bewegte. Sie vernahm ein Geräusch hinter ihr auf dem Raufaserteppich. Bevor sie sich jedoch umdrehen konnte, spürte sie einen Schlag auf den Kopf, gefolgt von einer Schwärze, die weitaus dunkler war, als das Zimmer.
Dass sie wie ein nasser Sack zu Boden fiel, bemerkte sie gar nicht mehr. Nur Bud und Mike schauten ihrem Fall zu. Mike, der Retter der frühen Stunde, hastete zum Deckenfluter und knipste ihn an. Die beiden erkannten die Frau sofort wieder. Es war die Besitzerin des Motels. Oder die Frau des Besitzers. So genau wussten sie das auch nicht.
Sie waren mit dem Fluchtauto locker fünfhundert Meilen durch die verwahrlosesten Landschaften, die diese Welt besaß, gereist, um in diesem absolut unscheinbaren Motel am Rande des Nichts ihre erste Rast zu machen. Beide fühlten sich am diesem Ort so sicher, wie man sich als Krimineller nur sicher fühlen kann.
Der Kopf war Bud. Er war sechsunddreißig, von schlanker Statur, jedoch relativ klein. Sein sonniger Teint und sein schwarzes Haar ließen ihn auf die Frauenwelt anziehend wirken. Sein „Beruf“ ließ jedoch keine Abenteuer zu. ´Eine Frau wäre eine Schwachstelle´, dachte er immer, wenn er kurz davor war, mit einer hübschen Dame zu flirten. Er war einfach zu clever, und ließ deshalb lieber seine Hormone brav zu Hause sitzen.
Mike war nicht minder schlau, denn seine gesunde menschliche Anspannung bei ihren langen Briefings sorgte für den nötigen Zweifel, den ein Plan nun mal braucht, um zu gelingen. Die darauf folgenden, lebenswichtigen Fragen, die die möglichen Schwächen des Plans ausbügelten, mochte Bud nicht missen. Viel wichtiger war jedoch Mikes „Ausstrahlung“. Mike war ein zwei Meter großer Muskelberg, der zumindest im Alltag einen weichen, in sich ruhenden Kern hatte. Wenn er jedoch erstmal seinen bösen Blick aufsetzte, dann spürte jeder, dass er keine Chance haben würde, sich zu wehren. Demnach kam Buds Revolver bis jetzt immer nur zum Zweck der Abschreckung zum Einsatz.
„Gute Idee, ihr mit dem Zeitungsklemmer eine überzubraten. Diese Schlampe von einer Motelbesitzerin!“, sagte Bud erleichtert, jedoch verwirrt.
Mike erwiderte: „Ja, ich war auf der Schüssel als ich ihren spitzen Schrei gehört habe. „KEINE EINZIGE BEWEGUNG!“ "
Die Art, wie Mike die Frauenstimme immitierte lies beide herzhaft auflachen. Das Lachen in dieser beschissenen Situation gab ihnen ihr Sicherheitsgefühl für ein paar Sekunden zurück. Es tat ihnen gut.
„So jetzt hab ich mein Baby wieder“, bemerkte Bud und hob seinen Revolver vom Boden auf. Sein Kopf versuchte immernoch das zu entschlüsseln, was passiert war. Ihm wurde klar, dass man in diesem Fall nicht von Einbruch sprechen konnte, da die Frau bestimmt einen Zweitschlüssel für das Zimmer Nr.8 benutzte. So ein mieses Biest. Wut, Angst und Verwirrung machten sich in Buds Kopf breit. Er schüttelte gedankenverloren den Kopf.
Instinktiv spürte er, dass etwas faul war. Mit einem üblen Gefühl in der Magengrube inspizierte er seinen Revolver.
Zunächst mußte er gesichert werden, damit er nicht aus Versehen los ging. Als die Sicherung eingerastet war, riskierte er einen Blick auf die Ladung.
„Mike!?“
„Ja, Bud, was ist denn?“
„Mike, da... da fehlen zwei Kugeln in der Trommel!“
„Was?“
„Sieh doch hin!“
Mike konnte seinen Augen nicht trauen.
„Verdammt!“
„Die Kugeln wurden nicht per Hand entfernt. Da sind Schmauchspuren an der Mündung!"
Buds Blick haftete auf Mrs Phyllis.
"Also, wen oder was hast du abgeknallt?“ Es war mehr eine Frage in den Raum, als eine ernstgemeinte an die bewusstlose Frau.
In Mike brannte Wut und Verzweiflung auf. Und vielleicht ein wenig Angst.
„Wir müssen sie fesseln. Wenn sie aufwacht, werden wir sie ausquetschen, wie eine verdammte Zitrone!“
„Ok, Bud!“, erwiderte Mike mit bebender Stimme und zog sich an, während Bud in seinen Boxershorts immernoch perplex dastand und auf die bewußtlose Frau starrte. Sie war körperlich vielleicht dreißig, ihr Gesicht wirkte jedoch älter, irgendwie verlebt, als ob sie in ihrem Leben eine Menge mitgemacht hatte. Sie trug dunkelbraune Lederhandschuhe, einen dunkelgrünen Parka mit Regencape und schwarze Jeans. Die Kapuze war über ihr blondes Haar gezogen, welches trotzdem triefend nass war. Bud versank förmlich in Fragen und versuchte aus dem Äußeren der Frau Antworten herauszusaugen. Ohne Erfolg. Er schaute zu seinem Kumpel hoch. Mike schien in dieser miserablen Lage immer nervöser zu werden. Er neigte sowieso dazu, mehr aus dem Bauch zu handeln, während Bud ein Kopfmensch war. Bud hatte seit den vielen Jahren ihrer Freundschaft schon bei diversen Begebenheiten diesen menschlichen Bulldozer vor unüberlegten Handlungen aufhalten müssen. Er würde ihn auch jetzt beschwichtigen müssen.
„Mike! Sieh mich an! Bleib cool, ok? Wir können es uns nicht erlauben durchzudrehen! Deine Nerven können unsere Situation nur verschlechtern. Also, sei ruhig und hör auf das, was ich dir sage.“ Mike hörte jetzt aufmerksam zu. Bud nickte seinem Kumpel zu. „Okay, du hast doch in deinem Zimmer unseren Rucksack. Da ist bestimmt noch Iso-Band drin.“
Mike, der schon fertig angezogen war, nickte.
Zur Tarnung hatten sie zwei Zimmer gebucht, Zimmer Nr.7 und Zimmer Nr.8. Die Frau wußte anscheinend nichts von ihrem exzessiven Besäufnis. Da sie am gestrigen Abend so voll waren, dass sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, schliefen beide in Zimmer Nr.8 ein, Buds Zimmer. ´Pech für dich´, dachte Bud und lenkte seinen Blick von der Motelbesitzerin auf seinen Kumpel und Komplizen.
„Moment mal. Warte noch auf mich, bis ich mich auch angezogen habe. Vielleicht müssen wir schnell von hier verschwinden. Aber vorher habe ich noch ein paar Fragen an diese Lady.“
Langsam ging die Sonne auf. Der nächtliche Regen würde dann schnell aufhören, da es Sommer war und die enorme Hitze dieser wüsten Gegend den Niederschlag verdunsten lies. Langsam wurde es dämmrig, während sich die Ahnungen in Mike und Bud verdüsterten. Ohne auch nur ein weiteres Wort zu wechseln rauchten sie und warteten auf eine Regung der Frau.
Es dauerte mehr als eine halbe Stunde, bis Mrs. Phillys benommen die Augen öffnete. Sofort zurrte sie an ihren Fesseln. Bud bemerkte, wie stark sie war. Wie kräftig ihre Oberarme waren, konnte er selbst unter ihrem durchnässten Parka ausmachen.
„Das bringt nichts Mrs. Phillys!“, brüllte Mike wütend.
„Nun musst du uns einiges erklären Schlampe!“, schrie Bud. Er ermahnte sich selber, ruhiger zu werden, da jetzt ein klarer Kopf gefragt war. Eigentlich war er nicht der Typ, der schnell ausrasten konnte. Er erschrak vor sich selber.
Seine Kopfschmerzen hatten nicht die Intention zu gehorchen und machten sich schon wieder bemerkbar.
„Auf wen oder was hast du geschossen?“
Sie zögerte einen Moment, bevor sie nervös und mit leiser Stimme zu erzählen begann: „Ich weiß, wer ihr beiden seid. Gestern nacht schaute ich noch spät fern. Die haben Phantomfotos von euch in den Nachrichten gebracht. Ich-“
„Auf was zum Geier hast du geschossen?“
„Ich wollte es ja gleich sagen! Also, ich bekam Angst, weil die im Fernsehen davon sprachen, dass ihr bewaffnet und gefährlich seid.“
„Und ob wir das sind.“
„Nun, ich nahm euch die Knarre weg. Ich hab mich in dein Zimmer geschlichen.“ Der Blick der Motelbesitzerin streifte Bud. Für einen Augenblick blitzte eine Spur von Wahnsinn in ihren Augen auf.
„Ich hab in zwei eurer Reifen geschossen. Und die Polizei gerufen.“
„Du hast was?“, schrien Bud und Mike fast gleichzeitig. Panik breitete sich aus. Gedanken rasten durch ihre Köpfe.
Bud wandte sich an Mike. „Schau nach, ob das wahr ist! Schau nach der Karre!“ Dann fragte er die Frau: „Wo ist dein Mann?“
„Er ist einkaufen. Wir leben hier nur von den Konserven und dem Tiefkühlzeug, das uns ein befreundeter Trucker mitbringt. Manchmal fährt mein Mann mit ihm.“
„Ok.“
´Wenigstens macht der uns keine Probleme. Wir haben schon genug davon.`, dachte Bud.
Er schaute Mrs Phillys nochmals durchdringend an.
"Was hast du nur gemacht?", flüsterte er gedankenverloren. Bud löste sich aus seiner Starre, stiess die Zimmertür auf und brüllte: „Und Mike?“
„Du musst dir das ansehen!“, erwiderte sein Kumpel.
Bei Mike angekommen, achtete Bud nicht primär auf ihr Fluchtauto, sondern auf seinen leichenblassen Freund. „He, was ist?“
„Zwei Reifen sind wirklich platt. Die stehen bis zu den Felgen im Schlamm. Aber der Kofferraum...“
Bud verschlug es die Sprache.
„Was ist mit dem Kofferraum, Mike?“, schrie er.
Aber er konnte nicht auf die Antwort warten. Dieser Tag wurde immer ungemütlicher und Bud verlor allmählich seine Ruhe. Er schaute sich den Kofferraum selber an.
Zunächst sah er nichts. Doch als Mike seinen Autoschlüsselbund aus der Hose nahm und ihm vor das Gesicht hielt, kapierte er. Einer der beiden Autoschlüssel war abgebrochen. Buds Gesicht war nun ein einziges Fragezeichen.
Er wurde sehr nachdenklich und ruhig, dann sagte er zornig: „Es ist mir egal, ob jeder in diesem gottverdammten Staat unsere Gesichter kennt. Nimm die Waffe und halte Ausschau nach Autos auf der Straße. Wir müssen den erstbesten anhalten und schleunigst weg von hier. Auch wenn es gefährlich ist. Die Bullen werden bald antanzen. Die nächste Stadt ist eine Stunde von hier entfernt. Wir haben demnach schon viel zu lange gewartet.“
„Ok, Bud. Wenn du meinst.“
„Höre ich da etwa Zweifel?“
„Ne..Nein!“
„Gut. Und denk dran,“ Bud tippte mit dem Lauf der Waffe auf seinen Kopf, „bis jetzt hat mein schlaues Köpfchen uns immer aus dem Dreck gezogen, okay?“
Mike nickte.
Bud rannte schnell durch die schlammigen Pfützen ins Zimmer Nr.8 zurück.
„Was in Gottes Namen hast du an unserem Kofferraum gemacht?“
„Ich war nicht an eurem Kofferraum!“
„Wer denn dann?“ Bud schaute nach links und rechts. „Ich sehe hier keinen, ausser einer gefesselten Frau, die mir eben das Licht auspusten wollte.“
Sie grinste ihn ganz kurz an.
Erst jetzt machte sich bemerkbar, wie eiskalt sie wirklich war.
Ihre Beute war in diesem Kofferraum. Sechs Millionen Dollar. Mehrere Sporttaschen voller Geld wären an der Rezeption zu auffällig gewesen. Mrs Phillys´ Schweigen brachten Buds Nerven zum Bersten.
„Du wagst es mich so altklug anzugrinsen, Schlampe?“ Er gab ihr eine Ohrfeige.
Plötzlich stand Mike hinter ihm im Türrahmen. Er sah auf eine irgendwie skurille Weise, trotz seines gestählten Körpers, schwach aus. „Bud, die Bullen kommen.“
Es war vorbei. Acht Polizeiwagen rasten auf das Gelände. Ihre Sirenen erzeugten einen ohrenbetäubenden Lärm.
Mike und Bud gaben sofort auf. Sie waren nun mal keine Draufgänger.
Als die Polizisten Zimmer Nr.8 stürmten fing Mrs Phillys sofort an, hysterisch zu weinen.
Sie schrie die Polizisten an: „Diese beiden Gangster haben meinen Mann umgebracht!“
Ein Schaudern fuhr durch die Bankräuber, die bereits in Handschellen vor dem Polizeiauto standen, welches sie abtransportieren sollte. Sie schafften es ihre bleichen Gesichter ein letztes Mal zu ihr zu drehen.
Bud und Mike konnten den Wahnsinn in ihren Augen anscheinend als Einzige sehen. Doch bevor sie das Gegenteil behaupten konnten, wurden sie bereits auf den Rücksitz gequetscht. Das Polizeiauto machte sich auf den langen Weg zum Präsidium.
Erst als sie sich beruhigt hatte, besaß Mrs Phillys die Kraft mit einem der Polizisten zu sprechen.
„Officer, sie haben meinen Mann getötet! Seine Leiche liegt im Kofferraum! Ich habe alles gesehen!“, sie fing wieder an zu weinen und schrie.
Der Officer gab die Information an einen der Sergeants weiter.
„Sie haben uns sehr geholfen, Mrs Phillys. Dr. Faraday wird sich nun um sie kümmern.“
Einer der Polizisten öffnete den Kofferraum mit einer Brechstange und fand die drei Tennistaschen voller Geld unter der Leiche von Mr. Phillys. Er war mit zwei Schüssen in den Brustkorb ermordet worden. Zwei Reifen des Fluchtautos waren zerstochen worden. Die Felgen standen im Matsch.
Die Polizei hatte keine weiteren Fragen. Die Spurensicherung brauchte zwar noch zwei Stunden, vor allem für Raum Nr.8, aber dann war Mrs Phillys alleine. Ein Arzt namens Dr. Faraday war der letzte, der sich um sie kümmerte. Er war es, der der Polizei klarmachte, dass weitere Vernehmungen von Mrs Phillys verschoben werden müssten, da sie noch unter Schock stand. Er verordnete ihr Ruhe und begleitete sie ins Schlafzimmer in ihren Privaträumen. Als er sich versicherte, dass Mrs Phillys eingeschlafen war, verließ er das Haus und fuhr davon.
Sie konnte die Augen erst öffnen, nachdem der Wagen des Arztes nicht mehr zu hören war. Gott sei Dank, hatte Dr. Faraday das blutige, zerschossene Kissen nicht bemerkt, welches sie unter das Bett gelegt hatte. Es hatte den Schall der zwei Schüsse gedämpft, als sie ihren Mann umgebracht hatte..
Bill war ein Trinker und schlug und misshandelte sie. Ihr Körper war zwar mit den Jahren stärker geworden, aber ihre Narben würden nie heilen. Schon gar nicht die seelischen. Das wußte sie. Immer wenn ihr Mann mit Pete, dem Trucker, in der Stadt war, um sich volllaufen zu lassen, nutzte sie die Gelegenheit, um in Ruhe Mordpläne zu schmieden.
Die Gangster waren laut den Nachrichten bewaffnet. Das kam ihr sehr gelegen. Sie hatte sich nicht getraut ihn aus der Nähe zu töten, denn wäre der Mordversuch misslungen, wäre seine Bestrafung für sie verheerend gewesen. Doch nun war sie frei.
Zum Glück hatten die Gangster Mrs Phillys´ Wagen, der hinter dem Haus stand, nicht gesehen.
Ein Gefühl durchströmte sie. Pures Glück. Sie staunte immernoch über ihre schauspielerische Leistung. Perfekter konnte man eine unter Schock stehende Frau nicht spielen.
Bud, der schon eine ganze Weile auf seiner Seite des Rücksitzes schwieg, drehte sich zu seinem Kumpel um.
Jetzt gab für ihn immerhin alles einen Sinn. Überraschend ruhig sagte er zu Mike: „Sie hat uns benutzt. Wir hatten Pech. Das war es. Wir waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Wir hatten verdammtes Pech. Aber ich hab nie gedacht, dass das Pech an solch einem abgelegenen Ort auf einen lauert.“
Sie schwang sich aus dem Bett und schaute aus dem Fenster. Die Sonne brach aus dem Meer aus grauen Wolken. Ein alles erhebendes Gefühl der Freihheit durchdrang sie. Bill hatte sie jahrelang dafür bestraft, dass sie überhaupt existierte. Nun hatte sie ihn bestraft.
Sie ging wie auf Wolken zu ihrem Wagen. Sie setzte sich in ihren Pinto und startete den Motor.
´Ohne diese Bankräuber hätte ich es nie geschafft.´ Es brauchte immer ein Quentchen Glück im Leben. Sie war lange der Überzeugung, daß das Glück sie verlassen hatte.
"Schau nicht zurück!", sagte sie zu sich selbst.
Mrs Phillys beschloss ab jetzt, ihren alten Mädchennamen wieder anzunehmen. Nur sie kannte ihn, da niemand in ihrer Familie mehr lebte. Ab jetzt würde sie eine Namenlose sein - eine reiche Namenlose.
´Was werde ich mit meinem kleinen Anteil der Beute machen?`, fragte sie sich und betrachtete die Geldbündel, die unter dem Beifahersitz herausragten.
Möglichst weit wegfliegen. Am besten auf eine einsame Insel. Versuchen ein neues Leben anzufangen.
Sie legte den ersten Gang ein, lies die Kupplung kommen und drückte aufs Gas.
Ende
Alle Urheberrechte 2005 bei M. Klemt, zuletzt geändert am 23.08.2005
Sunshine Motel Version 2.0