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Surfen mit Goethe

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24.08.2007
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Surfen mit Goethe

Die großen Magier unserer Zeit sind die EDV-Spezialisten. Wie durch ein Wunder zentrieren sich unsere Texte, geben wir das magische Wort richtig ein. Schon eine kleine Leertaste zuviel, der Zauber verfliegt ins Nichts, und wir sitzen vor dem, was einmal unser Text gewesen ist, halb offenen Mundes wie ein Idiot. Darüber sollten wir uns nicht grämen, denn auch unsere großen Vorgänger im literarischen Schaffen hatten so manches Mal ihre liebe Not im Umgang mit der Technik.

Viele Autoren der Goethezeit schrieben noch mit der Hand, so wie Schiller, der uns, wenn wir uns sein Bildnis vor unser geistiges Auge rufen, nicht allein an die Schillerlocke erinnert, sondern auch an die Schreibfeder.

Im nahegelegenen Haus am Frauenplan hingegen war man weitaus moderner eingerichtet, denn der Kosmopolit war auch technisch seiner Zeit weit voraus. Erst heute, zu Zeiten des Personal Computers, konnte es einer sehr kleinen Gruppe von Germanistinnen gelingen, durch stringente Anwendung der Hermeneutik die Entstehungsgeschichte des Gedichtes "Der Zauberlehrling" nahezu lückenlos zu rekonstruieren:

„Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben“, murmelte Goethe zufrieden vor sich hin, als Eckermann am Samstagnachmittag fort ging, seine Mutter besuchen. „Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben.“

Goethe schrieb nicht mit der Hand, der wohlhabende Geheimrat hatte einen Sekretär. Darauf stand sein Computer, und davor saß nicht Goethe in persona, sondern besagter Eckermann, und der ließ sich schon lange nicht mehr in die Feder, sondern in die Tastatur diktieren. Das durfte natürlich niemand wissen, denn das hätte dem Image des Olympiers bei seinen weiblichen Fans durchaus geschadet. Alle dachten, der große dunkelhaarige Dichter mit den schönen braunen Augen säße zu nächtlicher Stunde allein hinter seinem Fenster, blickte versonnen zum Mond, eine Schreibfeder in seiner kraftvoll-männlichen Hand drehend, und wartete auf den zärtlich-inspirierenden Kuss einer Muse. Jede stellte sich dabei vor, wie es wohl wäre, diese Muse zu sein, war es aber nicht und verdächtigte heimlich eine andere, und so sollte es auch bleiben. Folglich fuhr Eckermann jedes Mal nach getaner Arbeit den Computer ordentlich herunter und verwahrte ihn hinter verschließbaren Klappen.

[Exkurs:]Die Romantiker waren, wie wir alle wissen, schon eine Generation weiter. Eichendorff, der oft und gerne den Mond besang, setzte sich beherzt selbst an seinen PC, dessen Initialen sich ausgeschrieben als "personal computer" entmystifizierten, also etwas ähnliches wie ein Tagebuch, nur seinem Besitzer zugänglich. „Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort!“, soll er ausgerufen haben, als er nach vielen vergeblichen Versuchen endlich beim Surfen auf „Youtube“ landete. Und ist das nicht so viel romantischer als „Bin ich schon drin?“ (sic!)

Aber schon Goethe ließ es an jenem Samstagnachmittag nicht an Selbstvertrauen fehlen. „Seine Wort und Werke merkt ich, und den Brauch, und mit Geistesstärke tu ich Wunder auch“. Entschlossen drehte er den Schlüssel im Schloss seines Sekretärs.

Draußen ging Christiane vorbei. Sie sollte natürlich nicht merken, was er vorhatte, denn sonst hätte sie sich womöglich dazugesellt und zuschauen wollen. Kein Mann, der auf sich hält, will eine Frau bei seinem Computer-Waterloo dabei haben. „Und nun komm, du alter Besen“, täuschte er geistesgegenwärtig anderweitige Verpflichtungen vor, solche, die seine Lebensgefährtin möglicherweise hätten erfreuen können. Und richtig, beim Fegen seiner Stube wollte sie ihn nicht stören und ging ohne ihn zu Mainz05.

Endlich allein. Er drückte den Power-Knopf, und der Rechner fuhr hoch.

Statt jedoch das erwartete weiße Blatt auszubreiten, das Goethe immer sah, wenn Eckermann sich anschickte, ein neues Kapitel von „Dichtung und Wahrheit“ zu Monitor zu bringen, wollte der Computer zuerst etwas von ihm wissen. Goethe überlegte angespannt, musste sich aber letztlich der bitteren Erkenntnis stellen: „Doch ich merk es, wehe, wehe, hab ich doch das Wort vergessen!“ Zorn übermannte ihn, doch nichts half, kein Fluchen, kein Rütteln, kein Dagegentreten - „Oh, du Ausgeburt der Hölle!“ - kein Aus- und wieder Einschalten, kein Suchen nach dem Wort unter der Tastatur, nichts.

„Ach, nun wird mir immer bänger…“, flüsterte Goethe da und suchte anderenorts nach Weisheit: “Helft mir, ach, ihr hohen Mächte! Herr, die Not ist groß!“

Da ging knarrend die Haustüre auf, Schritte tappten durch den Hausflur, langsam kam jemand die enge Stiege herauf: „Seht, da kommt er schleppend wieder“, Es war Eckermann, vorzeitig zurück, denn seine Mutter war ebenfalls allein zu Mainz05 gegangen, „Und nun kann ich hoffen, und ich atme frei.“, seufzte Goethe, versperrte rasch den Sekretär, griff hastig nach Besen und Feudel.

„Nass und immer nässer wird´s im Saal und auf den Stufen“, bemerkte Eckermann indigniert und trat, als habe er nichts bemerkt, an den Sekretär, öffnete die Klappen. Er fuhr den Rechner hoch, tippte das Passwort in die Tastatur, und ein aufmerksamer Beobachter hätte hören können, wie er leise in sich hineinlachte: “Denn als Geister ruft euch nur zu seinem Zwecke erst hervor der alte Meister.“

Und der Dichter, ganz erfüllt von den aufregenden Geschehnissen dieses Samstagachmittags, hub an, sein neuestes Werk zu diktieren: "Hat der alte Hexenmeister..."

 

Hallo Enigma,

eine Zitatensammlung legst du uns hier vor ...

Als ich den Anfangssatz

Die großen Magier unserer Zeit sind die EDV-Spezialisten.
las, dachte ich mir. Auweia, ein Essay. Dieser Eindruck verdichtete sich nach den ersten Zeilen.

Am Ende der Geschichte angekommen, hast du einige alte Dichter (bevorzugt Goethe) zitiert und mit den Requisiten der Moderne (Computer + Internet) ausgestattet.

Was du uns damit eigentlich erzählen wolltest, habe ich aber leider nicht verstanden. Die zahlreichen Zitate erwecken den Anschein einer Persiflage, sind in jedem Fall aus ihrem eigentliche Kontext in eine Moderne verpflanzt, so dass am Ende nicht klar ist hast du Goethe und seine Zeitgenossen in unsere Zeit gebeamt oder unsere heutige Ausstattung in ihre?

Ohne darauf herumreiten zu wollen, dass sowas vielleicht eher in Richtung Fantasy passen würde, fehlt mir der Inhalt. Es passiert nicht, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und einige transplantierte Zitate keine Geschichte.

Liebe Grüße,

AE

 

Hallo Enigma, ich fand es eigentlich ganz witizg. Ich frage mich nur, ob du ERST die Zitate hattest und dann die Geschichte drumrum geschrieben hast, oder anders herum?
Denn es kommt mir so ein bisschen konstruiert vor, fast so wie eine Schreibaufgabe, so viele Goethe Zitate wie moeglich in einen modernen Rahmen zu bringen. Allerdings hast du die dann gut geloest, ich finde die Idee originell, besonders dass der arme Eckermann noch ein bisschen Glanz und Glory abbekommt!
gruss, sammamish

 

Hallo AlterEgo und Sammamish,

vielen Dank für´s Lesen und Kommentieren. Das hat mir sehr geholfen, ich habe die Geschichte entsprechend überarbeitet.

Die Geschichte bezieht sich auf das Gedicht "Der Zauberlehrling" von Goethe, sämtliche Zitate sind von dort (außer dem von Eichendorff natürlich, der spielt sich selbst).

Hat man das Gedicht nicht präsent oder aufgeschlagen daneben liegen, so hat man von der Geschichte wenig bis gar nichts, denn sie spielt mit den Versatzstücken des Gedichtes und transponiert sie in einen anderen, fiktiven Kontext. (Mist, fiktiv hätte ich nicht sagen dürfen - jetzt ist das schöne Dissertationsthema für immer dahin...)

Die Kongruenz zwischen Goethes Zauberlehrling und den missglückenden Versuchen eines modernen EDV-Adepten, der sich zu viel zutraut, ist meiner Meinung nach evident. "Hab ich doch das Wort vergessen" kann ja gar nichts anderes bedeuten als das vergessene Passwort.

Und so kann ich nicht sagen, was zuerst war. Zeitlich natürlich das Goethe-Gedicht.


Vielen Dank und liebe Grüße

enigma


PS: Hi Sammamish, dein nick regt zum Nachdenken an. Hat er etwas mit den Amish people zu tun? Wie dem auch sei - auf Eckermann!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo enigma,

der gute Geheimrat hat es verstanden, zeitlose Stoffe zu schreiben. Über die vielleicht zeitabhängigen Plots werden bei ihm Fragen von bleibender Gültigkeit abgehandelt.
Die wallenden Besen des Zauberlehrlings wären heute vielleicht Reinigungsmaschinen gewichen, die Geister, die wir rufen, können uns aber auch heute noch auf der Nase herumtanzen.
Das gilt für die Stoffe, die wir als Autoren schreiben, genauso, wie für die wissenschaftlichen Entdeckungen, deren Nebenwirkungen uns noch nicht bekannt sind und deren Ausmaß wir nicht im Mindesten ahnen.
Insofern erscheint mir der Ansatz deiner Geschichte leider so plausibel wie unsinnig und leider auch unlogisch, denn in Ermangelung des Passwortes konnte Goethe ja in Abwesenheit des Eckermann die Geister nicht rufen, sondern musste der Versuch schon vorher aufgeben, während der Zauberlehrling die Geister zwar rufen kann, ihm aber dann das Passwort zur Beendigung des Spuks fehlt. Die Parallele zum verwendeten Gedicht ist also nicht stimmig in deiner munteren Spielerei.
Ich stellte mir die gleiche Frage wie AlterEgo. Wozu wird mir die Geschichte erzählt? Trotz flotten Stils war mir der Plot leider nicht unterhaltend genug, was aber natürlich eine reine Geschmacksfrage ist.

Ich kann noch nicht mal sagen, dass es mir nicht gefallen hat, nur hinterließ es bei mir gerade wegen meiner Kenntnis Goethes Gedichts leider eher Leere.

Trotzdem einen lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim,

danke für Deine Antwort und dafür, dass Du Dich ernsthaft inhaltlich damit beschäftigt hast.

Was Du aus meinem launigen Text nicht herauslesen kannst, ist, dass mich Goethes Werk schon mein ganzes denkendes Leben über begleitet und sehr fasziniert. Genau wie Du sehe ich die Überzeitlichkeit im Zauberlehrling, den wir heute zum Beispiel auf die Umweltproblematik beziehen können, die Gentechnologie, die Gewinnung von Wasser aus eiszeitlichen unterirdischen Seen, um swimming pools in Phoenix, Arizona zu befüllen, und vieles mehr. Wir sind die Zauberlehrlinge.

So ernsthaft wollte ich jedoch nicht einsteigen; wer mag das schon lesen?

Dein Einwand, dass es unlogisch sei, ist vollkommen richtig und quasi ein K.O.-Kriterium.


Nicht trotzdem, sondern gerade deswegen einen lieben Gruß

enigma

 

Liebe enigma,

die Vorstellung, der 'Zauberlehrling' sei entstanden, während Ekermann seine Mutter besucht, die sich, wie Christiane, bei Mainz05 vergnügt und Goethe sich klammheimlich an Eckermanns PC versucht, finde ich nun wirklich lustig und - ob logisch oder nicht - durchaus so geschrieben, dass ich einen heiteren Tagesbeginn an meinem Schreibtische nicht verleugnen kann und durchaus auch und mit Genuss dem tieferen Hintergrund nachzusinnen bereit bin. :lol:

Liebe Grüsse,
Gisanne

 

Grüß Dich enigma,

mit großem Amusement den Versuch mit Goethe zu surfen gelesen. Mich verwundert ein bisschen, dass die meisten Kommentare nichts vom heiligen Unernst der Geschichte haben, schon die Einleitung verrät doch, dass hier nichts mit Bierernst daherkommt, sondern eine kleine, feine Humoreske mit einem gelungenen Einschub von Exkurs.

Außer ein paar Schnitzern bei der wörtlichen Rede (es fehlen zwei oder drei Kommas, über die meine Kleinkrämerseele gestolpert ist, schau einfach noch mal rein) gibt’s nix zu bemängeln, außer, dass der Alte wahrscheinlich gar nicht surfen, sondern sein neues Werk niederschreiben wollte. Darum empfehl’ ich, damit der Titel Bestand habe im vermuteten Falle –

denn „der Kosmopolit war auch technisch seiner Zeit weit voraus“, nannte darum wahrscheinlich auch Platten-, CD-, Video-, DVD und sonstige „Player“ sein eigen –

dass er sich die Beach Boys auf- oder einlegte, denn dann wäre auch die Arbeit mit dem Besen flott von der Hand gegangen bei „Surfin’ USA“ oder „Good Vibrations“.

Mir hat’s gefallen!

Gruß

friedel

 

Doo-bi-di-dooo, doo-di-doo-doo...

Good vibrations, achja, Friedrichard, das trifft es genau. Die Kommalein verteil ich noch, danke für den Hinweis.


Liebe Gisanne, da hast du exakt den Grund benannt, warum ich diesen Text geschrieben habe: damit du lächelst. Oder andere, denen der Text gefällt. Danke schön - ich hätte es nicht besser erklären können.

Es ist mir wichtig, ein Lächeln auf die Gesichter zu zaubern; nicht nur hier im Forum.


Euch allen liebe Grüße

enigma

 

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