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Sve smo mogli mi

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03.10.2007
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Sve smo mogli mi

Der Krieg ist vorbei. Zum ersten Mal, seit fast zehn Jahren, wagen wir es, nach Bosnien zu fahren. Im Auto, einem VW-Polo mit Viergangschaltung, befinden sich mein Vater und ich. Das kleine Fahrzeug ist voll bepackt mit überquellenden Koffern, riesigen Sporttaschen mit kaputten Reißverschlüssen und abgeklebten Kartonschachteln, in denen sich Geschenke und das, was wir für Geschenke halten, befinden. Während mein Vater - obwohl er nicht einmal einen Führerschein besitzt - vom Beifahrersitz Instruktionen erteilt, wie ich das Auto gefälligst zu fahren hätte, versuche ich meine Angst und meine Aufregung zu verbergen, indem ich einfach schweige.
Meinen Führerschein besitze ich hingegen erst seit ein paar Jahren, bin also blutiger Anfänger, dessen längste Fahr-Strecke etwa 78 Kilometer beträgt, dies entspricht nämlich genau der Entfernung Pöchlarn - St. Pölten - Retour.
Dafür aber bin ich ein vorsichtiger, um nicht zu sagen ein ängstlicher Fahrer, der wiederum noch nie eine Strafe bekommen hat oder sonst in irgendwelche Unfälle verwickelt war. Diese Tatsachen beeindrucken meinen Vater aber nicht im Geringsten, glaubt er doch vielmehr, dass nur seine wachsamen Augen und seine entschlossenen Reaktionen, uns bisher vor dem Schlimmsten bewahrt hätten.
Es ist Mitte Oktober, drei Uhr morgens, auf der Autobahn herrschen neblige und trübe Sichtverhältnisse und vor uns liegt eine rund eintausend Kilometer lange Reise voller Ungewissheit.
Bereits nach den ersten hundert Kilometern verpassen wir die erste Abfahrt und fahren unbeirrt in Richtung Wien weiter. Meine panische Angst, wir würden in der Bundeshauptstadt landen und könnten aus eigener Kraft nicht mehr herausfinden, quittiert mein Vater mit bosnischer Gelassenheit und saftigen Flüchen.
Irgendwie schaffen wir es umwegig doch, den richtigen Anschluss zu finden, womit der restliche Weg bis zur österreichisch-slowenischen Grenze ohne nennenswerte Schwierigkeiten verläuft - abgesehen von einem kleinen Zwischenfall, als mein Vater sich mit brühend heißem Kaffee den Mund verbrennt, woraufhin er meine Mutter verflucht.
Es ist noch finster, als wir den Grenzübergang in Spielfeld erreichen. Es gibt keine Autokolonnen, keine Warteschlangen, nichts. Der ganze Platz wirkt wie ausgestorben, fahren wir doch außerhalb der Hauptferienzeit. Als der junge Zollbeamte unser vollbepacktes Auto sieht, deutet er mit einer Handgeste, dass wir weiterfahren können. Man Vater freut sich, da er glaubt, genau diese Reaktion des Zollbeamten prophezeit zu haben.
"Man muss ihnen", sagt er, "einen Köder legen." Da ich diese Logik nicht nachvollziehen kann, frage ich nach, was er damit meine.
"Siehst du die funkelnagelneue Computerschachtel am Rücksitz? Da drin befinden sich ein paar wertvolle Sachen. Aber erst unten, fast am Boden. In der Mitte ist auch irgendwelcher Ramsch, aber ganz oben liegt ein zerschlagenes Marmeladenglas - samt Marmelade. Na, den Zollbeamten möchte ich sehen, der in unseren Sachen weiter wühlen möchte, nachdem er sich die Hände mit der Marmelade deiner Mutter besudelt hat."
"Und was ist, wenn er sich die Hände an den Scherben zerschneidet?", frage ich.
"Berufsrisiko", sagt er an seinem Kaffee nippend. "Ist wie Lottospiel, du weißt nie, in welchem Koffer und in welcher Schachtel sich das Marmeladenglas oder die Reisnägel befinden."
Nachdem wir ohne Weiteres die slowenische und kroatische Grenze passiert haben, fahren wir nach einer kurzen Pause weiter in Richtung Bosnien. Die Autobahn A1 (auch Dalmatinska autocesta oder schlicht Dalmatina genannt), auf der wir uns befinden, wurde noch zu Titos Zeiten gebaut. Sie ist die längste kroatische Autobahn und ist im Vergleich zur Westautobahn, in hervorragendem Zustand. Mittlerweile ist es zehn Uhr; die Sonne scheint und auf dem Himmel ist keine Wolke zu sehen. Ein perfekter Augusttag in Oktober.
Mein Vater ist gut gelaunt, witzelt doch die meiste Zeit und vergisst auch nicht, mich für meine Fahrkünste zu loben. Immerhin bin ich - theoretisch gesehen - der zweitbeste Fahrer im Auto.
Um sich von der Sonne zu schützen oder doch unbemerkt seine Augen zu schließen, setzt er eine riesige Sonnenbrille auf, die er liebevoll McCloud nennt, benannt nach einem Serienheld aus den siebziger Jahren.
Ich hingegen würde am liebsten alles liegen und stehen lassen und davon laufen. Mit jeder Minute und jedem Baum, der an uns vorbei zieht, werde ich unruhiger und mein Unbehagen größer.
Zu meiner Enttäuschung gibt es auf der kerzengeraden Autobahn keinerlei Abwechslung, keine Ablenkung durch penetrante Drängler, keine Autopannen, keine Staus, nichts. Die ganze Reise wirkt für mich wie ein vom ÖAMTC dokumentierter Bilderbuchratgeber für Migranten.
Der Tacho zeigt mittlerweile 680 gefahrene Kilometer an. Es dauert also nicht mehr lange und wir sind angekommen.
Während der ganzen Fahrt haben mein Vater und ich kein einziges Mal über Bosnien gesprochen. Das Unausgesprochene begleitet uns bereits seit Österreich, es überquert, unsichtbar, wie ein blinder Passagier, sämtliche Grenzen und lässt sich nicht abschütteln. Ich wünschte, ich könnte meinem Vater sagen, dass ich Angst habe, Angst von der Begegnung mit dem geliebten Land, mit den Menschen, die mir gezwungenermaßen fremd geworden sind. Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass ich nicht mehr weiß, wer ich bin und wo ich hingehöre. Stattdessen sage ich nur: "Ich glaube, die Grenze kommt."

Am letzten Grenzübergang, an der kroatisch-bosnischen Grenze, ist wider Erwarten nichts los. Mein Vater erzählt mir, dass man vor ein paar Jahren, noch bevor die Brücke über die Save gebaut wurde, bis zu 48 Stunden auf die Fähre warten musste. Aber auch dann war es nicht immer sicher, ob man einen Platz auf dem Trajekt bekam. Normalerweise ist die Brücke voller Fahrzeuge, Radfahrer und Fußgänger, die aus dem kroatischen Slavonski Brod, nach Bosanski Brod, auf der bosnischen Seite, pilgern, um dort billig einzukaufen.
Aber jetzt ...
"Bitte den Motor abstellen", sagte der bosnische Zollbeamte.
Ich stelle den Motor ab.
"Reisepass, Führerschein, Zulassungsschein", zählt er auf, um dann zu ergänzen, "die Grüne Karte auch."
Zum Glück wussten wir schon vorher, dass bei der Einreise die sogenannte Versicherungskarte verlangt wird. Erst viel später wird uns bewusst, warum.
Nachdem er einen kurzen Blick auf die Papiere geworfen hat, beugt er sich zu mir ins Fenster, und fragt: "Haben Sie was zu verzollen?"
Noch bevor ich darauf antworten kann, prescht mein Vater vor: "Nein, nix. Nur ein bisschen Lebensmittel für die Verwandten."
Der Zollbeamte ignoriert ihn. Über meine Schulter erblickt er dann am Hintersitz Vaters Pyramide. „Was ist in der Computerschachtel drin? Ein Computer?"
"Wo denken Sie hin", meldet sich mein Vater wieder. "Sehen wir so aus, als könnten wir uns solche Sachen leisten?"
Der Mann geht einen Schritt zurück, dann befehlt er höflich: "Steigen Sie bitte aus dem Wagen aus".
Als mein Vater mir zuvorkommen will, weist der Zollbeamte ihn zurück."Bleiben Sie bitte sitzen! Nur der Fahrzeuglenker soll aussteigen."
Ich entledige mich mit zittrigen Händen des Sicherheitsgurtes und steige unbeholfen aus dem Wagen aus.
Der Zollbeamte steht schon hinter dem Auto und begutachtet skeptisch meine Rücklichter.
„Machen Sie bitte den Kofferraum auf!“, sagt er, als würde er keine Widerrede dulden.
Der Kofferraum ist randvoll mit allen Unmöglichkeiten. Es ist ein Gesamtkunstwerk, bestehend aus bunten BILLA und Spar-Sackerln, unverwüstlichen Baumax-Taschen, schwarzen und blauen Müllsäcken, Schuhschachteln, und obendrein, als eine Art Dekoration, liegen vereinzelt alte Herrenschuhe, Gummi-Sandalen und halb tote Birkenstock-Schuhe, verstreut.
„Führen Sie Ihren gesamten Hausrat mit?“, die Stimme klang nicht mehr so ernst.
„Wenn ich ehrlich bin“, stammle ich, „weiß ich nicht einmal ...“
„Hören Sie“, unterbrach er mich, „Sie haben keinen Länderaufkleber auf Ihrem Fahrzeug angebracht. Hier in Bosnien aber brauchen Sie einen solchen Aufkleber, wenn Sie aus dem Ausland kommen. Sonst weiß niemand, woher Sie kommen.“
Ich wollte sagen, dass man in Österreich überall von mir verlangt, zu wissen, woher ich komme. Dass dieser Trend sich bis nach Bosnien durchgesetzt hat, überrascht mich ein wenig.
„Es ... es tut mir leid“, ich versuche mich zu entschuldigen, „ich wusste nicht, dass ...“
„Hier rechts“, er deutet mit der Hand auf einen kleinen Kiosk, „dort können Sie einen Aufkleber kaufen. Vorausgesetzt, es gibt noch österreichische.“
In dem kleinen Laden, leere, weiß gestrichene Wände, ein Tisch, ein Sessel, dahinter sitzt ein Verkäufer und löst Kreuzworträtsel.
„Ich ... ich ... habe blöderweise diesen Aufkleber zuhause vergessen. Und jetzt ... brauche ich ...“
„Für welches Land?“, unterbrach er mich.
„Österreich“
„Zehn Mark“, sagt er gelangweilt.
Draußen bringe ich den Aufkleber vor den Augen des Zollbeamten an.
„Normalerweise dürfte Sie ich ohne dieses Ding gar nicht ins Land hineinlassen“, er flüstert verschwörerisch.
„Ich weiß das sehr zu schätzen“, sage ich demütig, „Sie haben mir sehr geholfen. Wenn ich bloß wüsste, wie ich Ihnen danken könnte.“
„Hier links“, er deutet auf das verglaste Büro, „ist mein Schreibtisch. Sehen Sie ihn?“
Ich nicke bejahend.
„Auf dem Tisch steht eine Kaffeetasse. Gehen Sie hinein und legen Sie mir ein kleines Trinkgeld unter die Tasse.“
Einige Minuten später steige ich wieder ins Auto ein. Mein Vater wirkt angespannt
„Und?“, fragt er. „Was war los?“
„Nichts. Ich musste nur fünfzehn Euro Eintritt zahlen. Dafür gab es aber einen tollen Autoaufkleber. Nun wissen alle, dass wir aus Österreich kommen. Willkommen nach (in) Bosnien.“


Das Land sieht aus wie ein Mund voller verfaulter Zähne. Überall zerstörte Häuser, ruinierte Straßen, dazwischen riesige, funkelnagelneue mehrstöckige Villen, wie Goldzähne in diesem Schlund voller Fäulnis. An vielen Straßenecken bieten Menschen ihre Waren feil, selbst gemachten Käse und Marmelade, Holz- und Eisenwaren, Teppiche, Fleisch, Tiere und sich selbst. An großen Kreuzungen haben Händler überdimensionale Stände aufgebaut, wo man Musik, Filme und Software kiloweise verkauft.
Die Entfernung zwischen Bosanski Brod (also dem Grenzenübergang) und der Hauptstadt Sarajevo ist verhältnismäßig klein, doch aufgrund desaströser Straßenverhältnisse, mit gewaltigen Schlaglöchern, aufgerissenem Asphalt, kilometerlangen Rillen und kaum vorhandener Straßenmarkierung, ist daraus eine gefährliche und nervenaufreibende Reise geworden.
Radfahrer, Fußgänger, Kleinbauern mit ihren Schafen und Ziegen, überqueren an jeder beliebigen Stelle die Straße. Pferdefuhrwerke und Ochsenkarren tauchen wie aus dem Nichts auf, worauf sich innerhalb weniger Minuten lange Autokolonnen bilden. Der Asphalt ist so abgenutzt, dass er glänzt, die Reifen können deshalb nicht richtig greifen und quietschen als würde man auf einer verschneiten Straße fahren.
Die Beschilderung wiederum ist so schlecht, dass einem nichts anderes übrig bleibt, als nach Gefühl zu fahren. Sprich: Da, wo es möglich ist, gibt man einfach Gas. Einmal ist beispielsweise eine 70-km-Geschwindigkeitsbegrenzung zu sehen, die sich nach einigen Metern in die Aufhebung der 30er Zone verwandelt.
Alles, was einen Motor hat, fährt. Rostige, verbeulte Ladas, Yugos, Ficos, geflickte Skodas, Autos ohne Türen und immer wieder das Nationalauto: Der VW-Golf. Das Auto hat im Krieg alles geschluckt, in dem das Wort Öl ansatzweise beinhaltet war.
Eine Straßenverkehrsordnung scheint nicht zu existieren. Ganze Autokolonnen überholen gleichzeitig schwächere Verkehrsteilnehmer und zwingen sie auf diese Weise, ihre eigene Spur zu verlassen. Teilweise wird dann auf der Straße mit zwei Fahrstreifen dreispurig gefahren. Die mittlere Spur ist dann die Überholspur.
Ich komme aus dem Staunen nicht mehr raus. Das Land ist nicht mehr wieder zu erkennen. Es ist so, als wäre ich in einer exotischen Welt gelandet, die ich nur aus dem Fernseher kenne. Nichts erinnert mich an mein Heimatland, aus dem ich damals entwurzelt wurde. Ich fühle mich plötzlich wie ein Fremdkörper: abgestoßen, abgetrennt, ungewollt. Nirgendwo auf der Welt ist jetzt mein Zuhause.
Mein Vater hat seine Sonnenbrille abgenommen. Wie gelähmt sitzt er auf dem Beifahrersitz und kann sich nicht einmal über die Autofahrer, die uns immer wieder an den Straßenrand drängen, aufregen.
Ich weiß nicht, was in ihm vorgeht, doch spüre ich sein Entsetzen und seine Enttäuschung. Sein Haus, das er einst Ziegel für Ziegel und Stein um Stein selbst gebaut hatte, ist weg. Seine Nachbarn sind tot, seine Freunde ebenfalls. Das alte Leben, an dem mein Vater so sehr hing, existiert nur noch in seiner Erinnerung, und die scheint mit jedem Tag ferner und unwirklicher.
Plötzlich reißt mich Vaters Stimme aus dem Sinnieren zurück: „Vorsicht, Polizei.“
Tatsächlich, zwei Polizisten stehen im Schatten eines Baumes. Einer von ihnen deutet mit der Hand, ich soll rechts ranfahren.
„Guten Tag“, sagt der Untersetzte, während sein Kollege in das Dienstauto einsteigt.
„Guten Tag“, antworten Vater und ich fast unisono.
„Führerschein, Zulassungsschein, die Grüne Karte und Ihren Ausweis, bitte.“
Ich händige ihm meine Dokumente aus, dann sage ich: „Tut mir leid, ich habe keinen Ausweis.“
„Aber einen Reisepass werden Sie schon haben. Geben Sie mir den!“
Ich beginne in meiner Dokumententasche, die ich mir schon in Pöchlarn um den Hals umgehängt habe, nach meinem Reisepass zu suchen. Und schon höre ich meinen Vater sagen: „Tschuldigung, Herr Polizist, können Sie uns sagen, was wir getan haben? Warum werden wir angehalten?“
„Sie, beziehungsweise der Fahrzeuglenker ist zu schnell gefahren.“
„Wie kann das sein?“, mein Vater erhob seine Stimme, „wir waren doch in einer Kolonne. Und wenn mein Sohn zu schnell unterwegs gewesen wäre, dann wären das die anderen doch auch, oder?“
„Sie müssen nicht gleich laut werden“, sagt Danny de Vito. „Mein Kollege hat die Geschwindigkeit gemessen. Sie waren insgesamt 20 Stundenkilometer drüber.“
„Was?“ Mein Vater schrie jetzt und stiegt aus dem Auto aus. „Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Abgesehen davon, dass man hier nur im Kommunistentempo fahren kann, sind Sie nicht einmal in der Lage, die tatsächliche Geschwindigkeit zu messen. Los zeigen Sie mir doch auf dem Scheißding, wie schnell wir wirklich waren.“
Der Polizist blieb ruhig. „Das kann ich Ihnen gerne zeigen. Doch Sie sollen sich wieder ins Auto zurücksetzen. Sie sind nur der Beifahrer.“
Mein Vater ist jetzt außer sich. „Verflucht nochmal“, schreit er, „Sie haben uns nur aufgehalten, weil wir Ausländer sind. Das ist es doch, oder nicht?“
Mit einem Ruck riss er sein Hemd auf, sodass alle Knöpfe davon flogen. „Sehen Sie diese Narbe? Ich bin am Herzen operiert. Ich bin schwer krank. Sie wollen uns doch nur schikanieren ...“
Ich bin mittlerweile auch schon ausgestiegen und versuche, meinen Vater zu beruhigen.
„Bitte, geh wieder ins Auto zurück. Wir werden schon eine Lösung finden.“
Seine Unterlippe zittert. „Wir wurden nur aufgehalten, weil wir Ausländer sind“, sagt er und nahm platz wieder auf dem Beifahrersitz.
Der Polizist wischt sich mit dem Ärmel seiner Uniform über die Stirn und sagt: „Kommen Sie bitte mit.“
Im Polizeiwagen versuchen die zwei Polizisten zu erklären, was ich falsch gemacht habe.
„Sie waren zu schnell unterwegs“, stellt de Vito fest. „Nun, das Gesetz sieht eigentlich vor, dass wir eine Anzeige machen und Sie werden dann beim Richter landen.“
Ich stammle etwas wie Gesetz ist Gesetz und dass es keine Entschuldigung für das Benehmen meines Vaters gibt, als plötzlich ein Handy klingelt.
Danny de Vito zieht aus seiner Hosentasche sein Mobiltelefon, spricht einige Minuten
temperamentvoll hinein und beendet das Gespräch anschließend mit den Worten „verfickter Dummkopf.“
Einige Augenblicke herrscht Stille im Polizeiauto. Dann bricht de Vito erneut das Schweigen. „Weißt du, meine Schwester baut gerade ein Haus. Aber ihr Mann, mein Schwager, ist ein kapitaler Pisskopf, absolut lebensunfähig. Heute hat er vergessen, Ytong zu bestellen, aber die Maurer stehen schon seit heute Morgen auf der Baustelle und bringen nix weiter. Was hat sie an dem Wichser bloß gefunden?“
Ich staune über die sozialarbeiterischen Fähigkeiten des Polizisten, wie schnell er doch Beziehungsarbeit leisten kann. Zuerst siezt er mich, erzählt mir etwas von seiner Familie, und schon sind wir per du.
„Na ja“, er ist wieder bei mir. „Was machen wir jetzt? Ich meine, ich müsste dich doch anzeigen und ...“
„Ach was“, unterbrach ich ihn. „Für Sie bedeutet das sicherlich viel Papierkram und so. Wir werden schon eine Lösung finden.“
Erstmals meldet sich auch der Kollege des Untersetzten: „Wir sind doch alle Menschen. Und wo Menschen sind, dort gibt’s auch Probleme. Und wo Probleme sind, dort müssen Lösungen gesucht werden. Ich meine, du bist zu schnell gefahren. Und wir müssen uns an die Gesetze halten ...“
„Jetzt mach‘ doch mal ein Punkt“, de Vito fällt seinem Kollegen ins Wort. „Damit du mit deinem Vater weiterfahren kannst und wir unsere Arbeit wieder aufnehmen können, schlage ich vor, du zahlst uns ein gutes Mittagessen und die Sache ist gegessen.“
„Ja, okay“, willige ich ein, „das ist doch am vernünftigsten. Was ... ich meine ... wie viel kostet hier ein gutes Mittagessen?“
Einige Minuten später, als ich wieder in unserem Auto sitze, fragt mich mein Vater „Was war da los?“
„Nichts“, sagte ich. „Sie hatten nur Hunger.“

Als wir schließlich in Sarajevo ankommen, ist es spät am Nachmittag. Die Reise hat mehr als dreizehn Stunden gedauert. Hätten wir einen Bus genommen, wären wir genauso schnell (oder langsam) gewesen. Wir kommen, einer typisch bosnischen Manier folgend, unangekündigt. Unsere Verwandten stürzen sofort aus dem Haus, als sie uns entdecken, weinen bitterlich, sind regelrecht erschüttert, uns nach zehn Jahren Exil lebend wieder zu sehen. Plötzlich ist der ganze Hof voller fremder Menschen, alles Nachbarn unserer Verwandten, die uns ebenfalls begrüßen und beglückwünschen wollen. Sie alle sind, genauso wie meine Tante und ihre Familie, Flüchtlinge aus allen Teilen Bosniens. Hier in Sarajevo haben sie ihre Zuflucht gefunden. Sie leben in großen Siedlungen, in wild gebauten Häusern ohne Fassaden, haben keinen offiziellen Status und sind überwiegend sich selbst überlassen. Einige von ihnen werden von der Diaspora unterstützt. Und Diaspora, das sind wir, im Ausland lebende Flüchtlinge, die manchmal bösartig als die Nabelschnur beschimpft werden. Die Unliebsamkeit der Diaspora könnte unter Umständen darauf beruhen, dass es ihr manchmal an Feinsinnigkeit fehlt. Vor allem jüngere Menschen, die aus dem Ausland kommen, definieren ihr Anderssein durch Zurschaustellen neuster Statussymbole wie protzige Autos, neueste Handymodelle und Markenklamotten.
In den kommenden Tagen erzählen wir immer wieder unsere Fluchtgeschichten, lassen die Bilder des Kriegsbeginns wieder aufleben, machen mit kleinen Anekdoten jene Menschen wieder lebendig, die nicht mehr unter uns weilen.
Unsere Verwandten berichten uns hingegen von ihrem Flüchtlingsalltag, von den harten Lebensumständen in Sarajevo, von den Menschen, die jegliche Menschlichkeit verloren haben und von einem Albtraum, der einfach nicht aufhören will.
Mein Vater entpuppt sich indessen als wahrer Lebensretter. Gleich zwei Nähmaschinen hat er aus Österreich angeschleppt, die er meiner Tante und einer ihrer Nachbarinnen schenkt. Seine Jackentaschen sind voller wertvoller Sachen, wie ein Zauberer verblüfft er die vielen Besucher, wenn er aus ihnen ein passendes Geschenk hervorzaubert.
Mal ist das ein gebrauchtes Handy, ein Rasierset, ein Parfüm oder ein Feuerzeug, mal eine Halskette, eine Packung Malstifte oder einfach etwas Geld.
Etwa zwanzig paar Schuhe, in allen erdenklichen Größen, hat er in Österreich an den diversen Flohmärkten erstanden, diese verschenkt er jetzt an die Nachbarschaft in Bosnien. Es hat sich auch schnell herumgesprochen, dass er vor dem Krieg handwerklich nicht unbegabt war. Einige Male muss er ausrücken, um tropfende Wasserhähne oder defekte Lichtschalter zu reparieren.

Die Stadt sieht aus wie ein nicht zu Ende gegessener Maiskolben. Überall zerstörte Häuser, verbrannte Gebäude, durchlöcherte Fassaden, kahl geschlagene Parks. Dazwischen spotten riesige Glasmonumente und Nachkriegsneubauten. Die Straßen sind vernarbt durch unzählige Granateneinschläge, in Sarajevo nennt man sie liebevoll Tatzen, weil sie an die Prankenabdrücke eines Raubtieres erinnern.
Aus den meisten Fassaden vieler Hochhäuser ist sämtliche Farbe entwichen. Es sind graue Kolosse, von deren zahlreichen Balkonen zum Trocknen aufgehängte Wäsche flattert. Betrachtet man diese Szene lange genug, wirkt sie wie ein schwarz-weißes Motiv einer Postkarte. Im Gegensatz zum Rest der Stadt ist Bascarsija, die Altstadt von Sarajevo, ein buntes Kaleidoskop geblieben.


Abgesehen von den vielen UNPROFOR-Soldaten, die aus allen Herrenländern stammen, begegnen wir immer wieder verdutzten Touristen, die schier fassungslos den Erklärungen des Guideführers lauschen, man könne in unmittelbarer Nähe der orientalischen Altstadt sowohl Moscheen, serbisch-orthodoxe Kirchen, die römisch-katholische Kathedrale, und dazu auch noch eine Synagoge finden.
„Shalom Sarajevo!“, skandiert eine Gruppe aus Israel und zieht dann zur nächsten Sehenswürdigkeit weiter.
Aber nicht die zahlreichen UNPROFOR-Soldaten oder Touristen haben die Stadt im Griff, sondern die vielen jungen Frauen und Mädchen. Egal, wo man hinschaut, sieht man Mädchen- und Frauengruppen, beim Einkaufen, in den Caféhäusern, einfach überall. Männer sind traurigerweise unterrepräsentiert.

An jeder Ecke sehen wir Menschen, die Müllcontainer nach Essbarem durchwühlen; ältere Männer und Frauen, die eine Handvoll Feuerzeuge oder Kugelschreiber zum Verkauf anbieten; Roma, die Artefakte aus den Zeiten, als das Land noch Jugoslawien hieß, für ein paar Pfennige los werden wollen.
Gelebte Nostalgie in Form alter Schulbücher, wertloser Geldscheine, belangloser Militärabzeichen und immer wieder: Tito-Bilder und Figurinen.
Die Vergangenheit scheint ohnehin viel lebendiger zu sein, als Zukunft und Gegenwart zusammen. Wir treffen immer wieder Menschen, die starke Sehnsucht nach ihrem alten Leben verspüren. Sie trauern den alten Zeiten nach und wünschen sich die alte Vielfalt wieder zurück. Dann heißt es: „Im Ozean kann man die Fische auch nicht nach Art und Farbe sortieren.“
Während des Aufenthaltes in Sarajevo werden wir zwei weitere Male von der Polizei angehalten. Mittlerweile wissen wir, dass das deshalb passiert, weil wir aus der Diaspora kommen. Die Menschen, die dann an uns vorbei fahren, zeigen sich solidarisch. „Bruder“, schreien sie dann aus ihren Autos, „du musst blechen, weil du Ausländer bist.“
Und überhaupt scheint in Bosnien sehr wichtig zu sein, wer kommt, woher und warum geht, wer wohin. Damit Bosnier, Kroaten und Serben nicht wieder aneinandergeraten, hat der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina angeordnet: Die Autokennzeichen bosnischer Autofahrer dürfen nicht verraten, aus welchem Teil Bosniens die Fahrer stammen. An den Nummerntaferln sind wahllos angeordnete Nummern und Buchstaben zu sehen. Mein Onkel sagt aber, dass man trotzdem weiß, ob ein Autofahrer aus der Republika Srpska komme, weil diese kein Bosnien und Herzegowina-Länderaufkleber an ihren Fahrzeugen anbringen wollen.

Am Tag der Abreise, treffen wir einen Bekannten, der an jenem Tag, als der Dayton-Friedensvertrag bereits unterschrieben war, von einem Heckenschützen in die Wirbelsäule getroffen wurde, seitdem sitzt er querschnittgelähmt im Rollstuhl.
„Menschen sind Menschen“, sagt er. „Sie werden sich wieder aufrappeln. Aber sehen sie sich die Stadt an. Die Schönheit wurde geprügelt, vergewaltigt, verschandelt, entehrt. Man biss ihr die Minarette ab, verbrannte ihre kostbaren Bücher, verwandelte ihre Stadien in Massengräber. Das hübsche Gesicht wurde mit Blut verschmiert. Trotz allem erkennt man ihre Schönheit. Die ist unvergänglich.“


Auf dem Rückweg herrschte die gleiche Stille, die uns auf dem Weg nach Bosnien begleitet hatte. Ich spürte eine Traurigkeit in mir, als wäre ein geliebter Mensch von mir gegangen.
So habe ich mich damals gefühlt, als ich aus Bosnien fliehen musste. Oft muss ich an den Mann denken, der uns damals im Zug nach Österreich, ein Marmeladenglas voller Erde gezeigt hatte. „Das ist Bosnien!“, sagte er stolz. Was für eine traurige Symbolik: Bosnien, ein gefangenes Land, das sich in den Händen obskurer Menschen befindet, welche über dessen Schicksal entscheiden.
Niemals hätte ich damit gerechnet, dass man mich in Bosnien, wie hier in Österreich, mit einem Fragezeichen versehen wird. Ich werde überall gefragt, woher ich komme? Daran ändert auch ein Länderaufkleber nichts.
Mein Vater entschloss sich, um die Stille zu vertreiben, etwas Musik zu hören. Er schob eine Kassette, die er gemeinsam mit Titos Bild einem Rom abgekauft hat, ins Radio. Statt der erwarteten Sevdalinka ertönte ein Lied, dass zum Soundtrack unserer Reise wurde.
Die junge Sängerin sang, sve smo mogli mi. Alles wäre machbar gewesen. Bosnien wird immer das Land bleiben, dessen Möglichkeiten nur im Konjunktiv existieren.
Sve smo mogli mi, könnte ein Teil der bosnischen Hymne sein. Es ist eine Möglichkeitsform, die weder Erfolg noch Misserfolg ausschließt.
Wir sind, ob wir das wollen oder nicht, die optimistischsten Pessimisten der Welt, denen ununterbrochen Schlechtes passiert, die aber dennoch optimistisch bleiben, denn: Alles könnte noch viel schlechter sein.

 

hallo!

alles in allem fand ich die Geschichte ziemlich gelungen. Trotzdem wirkt es auf mich alles ein wenig distanziert, was aber wahrscheinlich in der Natur der Sache liegt, nämlich, dass ich meine Heimat und Wurzeln woanders habe. So sehr mich der Text anspricht und berührt, so wenig habe ich nach dem Lesen deiner Geschichte das Gefühl, dem näher gekommen zu sein. Ich hätte mir etwas mehr Einblicke in die Gedankenwelt des Protagonisten gewünscht, etwas, das mich verstehen lässt, warum er sich so fühlt. Natürlich ist es schlimm zu erleben, dass das Heimatland aufgrund des inzwischen schon etwas weiter in der Vergangenheit liegenden Krieges völlig heruntergekommen ist, natürlich fühlt man sich dort erst einmal fremd, aber zum Beispiel erfahre ich nicht, warum er sich abgetrennt fühlt und das wäre meiner Ansicht nach das wirklich interessante daran. Damit könnte ich mich besser in die ganze Situation hinein versetzen und zumindest andeutungsweise nachvollziehen, was es bedeuten muss, so etwas zu erleben.
ein anderes Beispiel ist die Situation mit dem Vater, der seine Geschenke verteilt. Er verblüfft die Leute damit, aber das war's, ich kann es nicht sehen. Wie zeigt sich das? Was passiert, wenn er der Nachbarin die Nähmaschine schenkt? Was tut sie, was sagt sie?

Ein wenig gestört hat mich dann ehrlich gesagt der Schluss. Ich kann das sicherlich nicht gut beurteilen, aber da steckt was gespielt abgeklärtes drin, das mich fast schon abstößt. Das wirkt irgendwie so kokett fatalistisch. Das mit diesem Lied habe ich glaube ich auch schonmal in einem Film gesehen, irgendwie erinnert es mich außerdem ein bisschen an den Grand Prix, ich weiß auch nicht.

Sevdalinka musste ich nachschlagen. Sehr interessant, aber in der der Geschichte setzt du damit ganz schön was voraus. Vielleicht gelingt es dir, dass Wort in zwei oder drei knappen Sätzen etwas zu umreißen, denn so sagt es wahrscheinlich den wenigsten etwas.

Noch einige Kleinigkeiten:

Die Straßen sind vernarbt durch unzählige Granateneinschläge, in Sarajevo nennt man sie liebevoll Tatzen, weil sie an die Prankenabdrücke eines Raubtieres erinnern.
ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand die Spuren von Granateneinschlägen weil man sie lieb hat (liebevoll) als Tatzen bezeichnet. Das sie irgendwie bezeichnet werden, ist schon in Ordnung, aber liebevoll geht es dabei sicherlich nicht zu.

Soldaten, die aus allen Herrenländern stammen,
meintest du Soldaten aus aller Herren Länder?

Und überhaupt scheint in Bosnien sehr wichtig zu sein, wer kommt, woher und warum geht, wer wohin.
das klingt leider sehr umständlich. Vielleicht passt woher man kommt und aus welchem Grund man wohin geht etwas besser?

Ich habe die Geschichte gerne gelesen.
Georg

 

Hallo, Georg

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren.
Der Text (eine Auftragsarbeit) wurde - vor einem Monat oder so - im Rahmen einer Bosnien-Ausstellung in Wien vorgelesen.
Leider musste ich den Text aufgrund des Zeitlimits stark einschränken, weshalb sehr viele Details einfach fehlen (die du berechtigterweise auch angesprochen hast).
Für eine Kurzgeschichte ist die Thematik natürlich viel zu umfangreich. Wer weiß, vielleicht schreibe ich eines Tages eine längere Version der Geschichte.

Was mich aber total erstaunt hat, war die (live) Reaktion des Publikums. Es waren viele Bosnier, Serben, Kroaten, aber auch Deutsche und Österreicher anwesend. Sie alle haben die Zerrissenheit des Protagonisten wahrgenommen, auch der Schluss fand Gefallen, da er einen versöhnlichen Beiklang hat.
Es ist echt interessant, wie der Text (zum Teil) unterschiedlich wahrgenommen wird.

Die Straßen sind vernarbt durch unzählige Granateneinschläge, in Sarajevo nennt man sie liebevoll Tatzen, weil sie an die Prankenabdrücke eines Raubtieres erinnern.

Um das zu verstehen, muss man tatsächlich den (Bosnien)Krieg miterlebt haben. Die Menschen in Sarajevo haben (während) und nach dem Krieg eine gewisse Bizarrheit entwickelt, die sich in Form einer zynischen, nüchternen, morbiden und sarksastischen Sprache manifestiert.
Das bosnische Wort šapa (Tatze), klingt weich und ist gleichzeitig eine Art "Verniedlichung der Realität". Solche Phänomene sind aber für Menschen im Krieg gar nicht unüblich.

Nochmals vielen Dank für die sehr konstruktive und interessante Anmerkungen (Korrekturvorschläge werden gleich eingearbeitet)

lieben Gruß aus Österreich

ich

 

Hallo so,

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ich war gerade vor kurzem im Kosovo und ich will nichts verallgemeinern, aber einiges kam mir sehr bekannt vor. Besonders, was der Polizist von seinem Schwager und dem Hausbau erzaehlt, fand ich sehr bezeichnend. Im Kosovo sind zum Glueck nur wenige Kriegsruinen zu sehen, dafuer aber ueberall die Skelette von halb fertiggestellten Haeusern. Wenn die Menschen dort etwas Geld haben, fangen sie einfach an zu bauen, obwohl die Gesamtfinanzierung nicht gesichert ist. Sie hoffen einfach, dass irgendwann wieder Geld reinkommt. Insofern sind viele dieser Skelette, die oft schon wieder zerbroeseln, Zeichen dieses Optimismus aber eben auch des Scheiterns.
Aber zurueck zu Deiner Geschichte: Es gefaellt mir, dass Du Dir beim Erzaehlen Zeit nimmst (es ist allerdings nicht unbedingt ein bildschirm geeigneter Text). An einigen Kleinigkeiten koennte man noch feilen, aber einige Feinheiten wie "Sporttaschen mit kaputten Reissverschluessen" und "halb tote Birkenstocksandalen" haben mir gut gefallen. Mir ist aufgefallen, dass Du fuer die zerstoerte Stadt zwei verschiedene Metaphern gebrauchst, die des zahnlosen Mundes und die des halb abgenagten Maiskolbens. Ich finde beide Metaphern schwaechen sich gegenseitig. Es wirkt als koenntest Du Dich nicht entscheiden oder als faendest Du im Grunde beide inadaequat. Ich wuerde empfehlen, das mit dem Maiskolben rauszunehmen. Was mir auch nicht gefallen hat, war der Danny de Vito Vergleich. Gut der Polizist ist dick, aber irgendwie will mir Danny nicht zur Stimmung des Textes passen und bringt mir daher als Bild nichts.
Den Schluss finde ich sehr gut. Es beleuchtet den Nolstalgie-Begriff noch einmal von einer anderen Seite. Nicht nur als das Sehnen nach einer verlorenen Vergangenheit sondern auch nach einer nicht realisierten Zukunft. Svetlana Boym hat ein Buch ueber Nostalgie geschrieben in dem sie eben dieses ineinander von Retrospektive und Prospektive erklaert und auch die Aesthetik der Ruine bespricht. Ich kann es sehr empfehlen.

lg
feirefiz

 

Hallo so_04,

ich habe deinen Text mit grossem Interesse gelesen. Von Bosnien habe ich - ich gebe es zu - null Ahnung; war nie dort, werde wohl auch nie hinfahren und muesste wohl auch eine peinliche Sekunde zu lange zoegern, um es sofort auf der Landkarte zeigen zu koennen.
Deine Geschichte aber hat mein Interesse geweckt. Es ist alles sehr bildlich beschrieben, erinnert auch streckenweise leicht an das das Ende der DDR, und ist so ein Misch Masch aus Aufbruchsstimmung, Bilanz ziehen und Nostalgie.
Doch, hat mir gut gefallen.

gruss,
sammamish

 

Hallo so_04,

auch mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Das Abgeklärte, Nüchterne ebenso wie der für mich offensichtliche Zwang der Hauptfigur, durch emotionale Distanz eventuell aufkommende Nostalgie abzuwehren. Dass man in manchen Details etwas mehr in die Tiefe hätte gehen können, haben bereits meine Vorredner erwähnt.

Möchte noch einen Vorschlag machen:

Die Straßen sind vernarbt durch unzählige Granateneinschläge, in Sarajevo nennt man sie liebevoll Tatzen, weil sie an die Prankenabdrücke eines Raubtieres erinnern.
Um das zu verstehen, muss man tatsächlich den (Bosnien)Krieg miterlebt haben. Die Menschen in Sarajevo haben (während) und nach dem Krieg eine gewisse Bizarrheit entwickelt, die sich in Form einer zynischen, nüchternen, morbiden und sarksastischen Sprache manifestiert.
Das bosnische Wort šapa (Tatze), klingt weich und ist gleichzeitig eine Art "Verniedlichung der Realität". Solche Phänomene sind aber für Menschen im Krieg gar nicht unüblich.
  • Ich würde dann das "liebevoll" bewusst abheben >> Die Straßen sind vernarbt durch unzählige Granateneinschläge, in Sarajevo nennt man sie tatsächlich liebevoll Tatzen. // nennt man sie šapa [bzw. Mz.], Tatzen und das ist tatsächlich liebevoll gemeint.

So weit, so gut,
habe sie gern gelesen.


-- floritiv.

 

@ feirefiz: in Bosnien wird nach wie vor wild gebaut. Die Menschen leben in halbfertigen Häusern (manche Familien zahlen nicht einmal Strom oder Wasser), können aber jeder Zeit auf die Straße landen, wenn die Regierung die Räumung der Siedlungen beschließt. Traurig.
Was die von dir angesprochene Metapher angeht: ich verwende zwei Metaphern, für zwei unterschiedliche Sachen. Da ist einmal der Mund voller verfaulter Zähne (das Land) und ein ein nicht zu Ende gegessener Maiskolben (die Stadt).
Indem in der Stadt alles viel dichter ist, erschien mir der Vergleich mit dem Maiskolben passend. Aber du hast recht, irgendwie stehen sich die zwei Vergleiche im Wege.
Danny de Vito-Vergleich erscheint mir auch unpassend. Wird deshalb korrigiert.
Vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren :)


@ sammamish: ich werde immer wieder gefragt: wo liegt Bosnien? Ist auch irgendwie normal, denke ich.
Es freut mich aber, dass dir die Geschichte gefallen hat :thumbsup:

@ floritiv: dein vorschlag ist echt spitze, passt eigentlich viel besser und verdeutlicht die eigentliche aussage noch viel mehr. vielen dank für diese anmerkung :D

 

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