Szene am Küchentisch
"Ich hätte gar nicht gedacht, dass du noch kommst", sagt der Kindsvater zur Kindsmutter über den Kopf des Kindes hinweg, während die Großmutter, im wörtlichen Sinne, Mutter des Vaters und große Mutter auch gerne für das Kind, in der Küche steht und es gut meint. "Ich habe doch gesagt, dass ich komme", antwortet die Kindsmutter entgeistert und der Meinung, dass solche Gespräche nicht in Anwesenheit des vom Kindsvater in seiner Verständigkeit unterschätzten Kindes geführt werden sollen. Gedeckt wird für drei Personen, Mutter, Vater, Kind, wobei die Rolle der Mutter im Haushalt des Vaters, der eigentlich Haushalt der Großmutter ist, nicht von der Kindsmutter, sondern von der größeren Mutter gespielt wird. Die Kindsmutter sitzt dem Kind gegenüber, das vom Vater einen Teller mit der von der Großmutter zubereiteten Mahlzeit, und von der Großmutter selbst Anweisungen zum Essverhalten erhält. Das Kind beginnt sogleich, die kleinen Nudeln und Wurststücke mit seiner Kindergabel aufzuspießen und in den Mund zu stecken. Dies tut es aber nicht richtig genug, so dass die große Mutter in Erfüllung ihrer Pflicht tadelnd eingreift, iss deine Nudeln bevor sie kalt werden. Und das nähme ich übel, sagt sie nicht, ist aber so, ihre Stimme lässt keinen Zweifel an der Wichtigkeit der Einhaltung der gegebenen Vorgaben für das persönliche Wohlbefinden der Großmutter.
An die Mutter gewandt erfolgt die Entschuldigung, man habe nicht mit ihr gerechnet, nicht ohne den üblichen Vorwurf in der Stimme, dass mit der Mutter ja im großen und ganzen und allgemeinen nicht gut zu rechnen sei. Aber es ist ihr auch ganz recht, der großen Mutter, bei ihr ist das Kind ohnehin viel besser aufgehoben, weiß sie doch einzig und allein über Erziehung und Formung kleiner Kinder Bescheid, wie sie sogleich eindrucksvoll anhand einiger im öffentlichen Bus erlebter unerhörter Zwischenfälle mit Kindern im Alter des Kindes zu bestätigen weiß. Und wem das noch nicht genügt, dem sei gesagt, dass die große Mutter ihren Namen völlig zu Recht verdient hat allein durch die Tatsache, selbst drei solcher Plagen eigenhändig zur Welt gebracht, aufgezogen und zu Menschen gemacht zu haben, und all dies völlig ohne jegliche Unterstützung, die anzunehmen darüber hinaus auch nicht zur Debatte gestanden hätte, denn wie hätte das denn ausgesehen, vor den Leuten.
Wie für den außenstehenden Beobachter unschwer zu erkennen, weiß die Kindsmutter mit dem heuchlerischen Verhalten der Großmutter nicht umzugehen, da die große Mutter ihre Macht dadurch hält und sich dadurch unangreifbar macht, in Gegenwart der Kindsmutter kein böses Wort fallen zu lassen und sich zu ergehen in der Rolle der Leidenden, Duldsamen. Die Atmosphäre in der Umgebung jener Frau ist vergiftet, modrig, falsch, der Gestank der Fäulnis haftet ihr an. Der Kindsvater riecht von alldem nichts und möchte es auch nicht riechen, steht die Mutter ihm doch auf einem Sockel schier unendlicher Idealisierung. Die Mutter, die Mutter.
Die Kindsmutter erträgt nicht länger die Atmosphäre nichtsahnender, aufrichtiger Falschheit und zieht geschlagen vom Felde.
Mögen diese Leute gut für mein Kind sorgen.
Jedoch. Panik befällt: Die Mutter, beim Beobachten der innerlich verwesten Person namens Großmutter mit ihren Fingern im Gesicht ihres Kindes dümmlich lachend und in beleidigtem Tonfall Seinsverordnungen aussprechend, denn so gehört sich das doch nicht, denn so gehört sich das, denn so ist man doch nicht, denn so ist man aber, komm die Oma zeigt dir, wie man richtig damit spielt.
Die Mutter schreit innerlich, wo sie äußerlich leicht schwindelig wird. Sie ist ob der Brutalität der Schattengewalt der Großmutter ins Wanken geraten. Das übersteigt die Grenzen des Vorstellbaren. Und wenn ihr Schweigen bricht, wird es sein wie immer. Man tuschelt hinter vorgehaltener Hand. Die Mutter übertreibt, sie spinnt, sie ist leider völlig hysterisch, die Ärmste.
Während die Großmutter aus dem Tal der Ahnungslosen kommt und ungehemmt im Namen der Gerechtigkeit zerstört, manipuliert und verunsichert, bricht die Kindsmutter. Ich bin nicht hysterisch, ich merke was, denkt sie noch und wird verrückt.