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Tördel

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21.01.2009
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Tördel

Der Erste, der „hossa!“ brüllt, wenn Tördel den Imbiss betritt, bekommt von ihm ein Bier spendiert. Und heute war Olli am schnellsten.
Wir sitzen in Kaisers Grill-Station. Freitagabend gegen sechs, draußen hat es zu regnen begonnen. Tördel kommt an unseren Tisch und schiebt Olli einen halben Liter zu. Tördel ist Maler und Lackierer und trägt seine üblichen Arbeitsklamotten.
„Gestern im Schwimmi gewesen“, sagt Tördel. „Fu geil, Alter. Mit Bärenauge auf Beckenrand und so.“ Dann prostet er uns zu und geht rüber zum Flipperautomaten.
Es ist nicht viel los um diese Zeit bei Kaiser. Hinten beim Durchgang zu den Toiletten sitzen drei Jugendliche und stopfen sich gackernd Pommes und Currywürste rein. Ihren Augen nach zu urteilen haben sie in den letzten Stunden mehrere Gramm Shit geraucht. Kaiser steht hinterm Tresen und liest in der Morgenpost.
„Jedenfalls kann das doch nicht der Sinn des Lebens sein“, meint Olli. „Geburt, Schule, Arbeit, Tod.“
„Tja, ich weiß auch nicht“, sage ich.
„Ich mein‘, überleg‘ doch mal, das ist doch ne grausame Vorstellung.“
Ich nicke und trinke von meinem Bier.
„Der alte Lohmann zum Beispiel. Hat fünfzig Jahre als Polsterer geschuftet, und einen Tag nach seinem Fünfundsechzigsten fällt er tot vom Hocker. Herzkasper.“
„Lohmann?“
„Ein Nachbar meiner Eltern“, sagt Olli.
„Ach so.“
Tördel traktiert den Flipper und flucht.
„Lass den Kasten heil, sonst fliegst du raus!“, ruft Kaiser.
Kaiser lispelt und erinnert mich an einen altgewordenen Halbstarken aus den Fünfzigern. Vermutlich liegt es an der schütteren Elvis-Locke, die ihm mittig zwischen den ausgeprägten Geheimratsecken in die Stirn fällt.
„Nee, das kann nicht der Sinn des Lebens sein“, schüttelt Olli den Kopf. Er steht auf, geht zum Tresen und kommt mit zwei Gläsern Apfelkorn zurück.
„Wie lange arbeitest du schon bei diesem Entrümpler?“
„Seit drei Wochen“, sagt Olli und steckt sich eine Filterlose an. „Jeden Tag irgendwelche Wohnungen, Keller, Dachböden oder Garagen ausräumen. Echte Drecksbuden zum Teil. Versüfft und zugemüllt und stinkend. Neulich haben wir eine ausgeräumt, in der drei Wochen lang ne tote Oma lag. Ich sag’s dir, Mann, da kriegst du das Kotzen.“
„Und wieso?“
„Wieso wieso? Weil die am verwesen war. Und das stinkt nun mal.“
„Nee, wieso machst du den Job?“
„Scheiße, weil das Bafög nicht reicht. Miete, Essen, Trinken, der Citroen – das kostet nun mal.“
Wir prosten uns zu und kippen den süßen Apfelschnaps in unsere Hälse.
„Wieso muss es so’n alter Citroen sein? Tut’s nicht auch n Polo oder sowas?“
„Wie bitte?“ Olli sieht mich entgeistert an. „Verdammt, weil das ein Citroen DS ist, Baujahr zweiundsiebzig. Du weißt doch, was es bedeutet in so einem Auto zu sitzen.“
„Naja, aber die Kosten …“
„Verdammt, ich scheiß was auf die Kosten, Mann. Das ist ne Frage des Stils, verstehst du? Was soll ich mit so’ner Polo-Grützgurke? Also ehrlich, Mann.“
Tördel setzt sich neben Olli auf den Stuhl.
„Und das willst du die gesamten Semesterferien durchhalten?“, frage ich skeptisch. "Wohnungen ausräumen?"
Olli nickt und zuckt mit den Achseln.
„Alter, drei Tage noch, dann pflüg ich ab nach Lloret“, sagt Tördel.
„Du machst was?“
„Bärenauge an Strandbar. Alter, lass jucken Freunde. Tördelmäßig nöken. Ich schwör’s euch.“
Ich stehe auf und gehe zum Tresen und lasse mir drei Apfelkorn geben.
„Da studiert man wie blöde, quält sich rum, lernt irgendeinen Schwachsinn, malocht in irgendwelchen beschissenen Jobs, um die ganze Wichse zu finanzieren, nur um die nächsten fünfundvierzig Jahre für die Rente zu knechten, Kinder aufzuziehen, Hypotheken abzuzahlen, zweimal im Jahr in den Urlaub zu fahren und dann als degenerierter Tattergreis in einem Pflegeheim zu verrecken. Oh Mann, was ne Scheiße“, sagt Olli.
„Drei Wochen hast du schon hinter dir“, grinse ich.
„Verdammt, erinner mich nicht daran.“
Wir stoßen an und kippen uns den Korn rein. Tördel geht rüber zur Musikbox und drückt was von den Pet Shop Boys. Ich hasse die Pet Shop Boys.
„Guck dir Heiko an“, sagt Olli. „Der arbeitet seit acht Jahren als Zahntechniker. Fertigt Gebisse an. Brücken, Kronen, Zahnklammern, was weiß ich. So wie ich den einschätze, macht er das in dreißig Jahren immer noch. Das ist doch der blanke Horror. Ich glaub, ich schmeiß den ganzen Scheiß hin und geh nach Kanada in die Wälder oder fahr zur See oder tramp durch Europa oder was weiß ich, Mann.“
„Zwei Wochen Strandnixen pauschalbürsten“, sagt Tördel, als er sich wieder neben Olli setzt. „Und jede Menge Ballerwasser und guten Kram dampfen.“
„Ich glaub, dass Heiko seine Kauleisten ganz gern macht“, sage ich.
„Keine Ahnung, Mann. Mein Alter hat fünfzig Jahre in der Behörde abgesessen und war zufrieden damit. Aber ohne mich, Mann. Ich frage mich ernsthaft, warum ich Jura studiere? Damit ich als Richter oder Staatsanwalt ebenfalls in einer Behörde vor mich hin sieche? Oh Mann, mir wird schlecht. Ich muss raus hier. Lass uns ans Wasser fahren.“
Wir zahlen unsere Zeche und verlassen Kaisers Grill-Station. Trotz des Regens ist es angenehm mild. Wir steigen in Ollis Citroen, Olli schiebt Led Zeppelin in den Rekorder, und dann fahren wir runter nach Övelgönne, kaufen zwei Sechserpack Bier und setzen uns an die Elbe und der Regen hat aufgehört und der Himmel reißt auf und die Sonne versinkt und auf dem Fluss gleitet ein fetter Containerfrachter vorbei. Ich zieh die schwarze Filmdose aus der Jackentasche und dreh uns was zu rauchen.
„Das ist echt schön.“
Olli und ich sehen uns an. Tördel hat Recht.

 
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Hallo

Mal davon abgesehen, dass die Geschichte nicht schlecht geschrieben ist, aber mir teils doch etwas wie die Imbissbudenvariante eines gewissen Herrn Bukowskis rüberkommt, fällt mir doch irgendwie auf, dass die Handlung fehlt. Die Herren geben ihre pessimistischen Meinungen über den Sinn des Lebens zum Besten, was zwar ganz interessant, aber letztlich nicht einziger Inhalt der Geschichte sein kann und in einer Imbissbude auch etwas abstrust und vielleicht auch nicht gerade poetisch wirkt, wie ich finde ^^ Dennoch schaffst du an manchen Stellen einen gut lesbaren Fluß und doch etwas wie Interesse an diesen verschrobenen, mitunter etwas einseitig geratenen Charakteren und trotz allem auch eine gewisse Glaubwürdigkeit. Allerdings bevorzuge ich eine aussagekräftige Handlung oder Charaktere mit Tiefe...

Viele Grüße

 

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