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Tacheles

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18.11.2008
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Tacheles

So einen Ton hatte er nicht erwartet, erst recht nicht aus ihrem Mund. Er fühlte sich erdrückt und enttäuscht von sich selbst.
Sein Kopf war kurz davor zu zerbersten, seine Haut kribbelte an Stellen, an denen es besonders unangenehm war, seine Hände hielten nicht mehr still, einzelne Teile seiner Gliedmaßen ließen sich nur noch schwer unter Kontrolle halten. Tränen schossen aus seinen Augen. Dabei war es nur eine normale Aufforderung, wie er sie schon oft gehört hatte, wie er sie ständig anderen Menschen ins Gesicht sagt und es ständig von anderen Menschen ins Gesicht gesagt bekommt. Doch hat keine dieser Äusserungen einen solchen Ton inne, wie die, die ihm an den Kopf geworfen wurde.

"Halt die Klappe!" hatte sie gesagt. Nicht gesagt, geschriehen. Mit einem Gesichtsausdruck den er bei ihr noch nie gesehen hatte. Einem Gesichtsausdruck, der noch einmal bestätigte, wie ernst es ihr mit dieser Aufforderung war. Ein Gesichtsausdruck, der voller Wut, Verzweiflung und sogar Hass war. Dabei liebte sie ihn. Er wusste es einfach. All die Küsse und Berührungen konnten nicht gespielt sein. Er hatte Erfahrung mit Mädchen, die sowas nur vorspielen. Er hatte es bei anderen Mädchen ja selbst oft genug nur vorgespielt. Doch dieses Gefühl bei einzelnen Berührungen, dieses Gefühl, bei dem man jeden Nerv unter der Haut spürt, das konnte einfach nicht gespielt sein. Er wusste es. Und doch war Hass in ihrer Stimme zu hören.

Er fragte sich, wie es soweit kommen konnte. Er ging eine Sekunde lang zurück in der Geschichte.

Sie trafen sich, alles war wie immer. Naja, fast wie immer. Früher war es nicht so schön, wie heute. Früher, in der Zeit in der sie sich nicht liebten.

Sie gingen durch die Stadt, immer mit einer Berührung beim anderen. Mal war es nur der kleine Finger, mal waren sie eng umschlungen. Sie genossen die Stadt und ihre Lichter. Es war kalt draußen, doch froren sie nicht. Und wenn doch, kam der andere näher, um den Frierenden zu wärmen. Neckisch sagten sie dann sowas wie "Frostbeule" oder "Wärmflasche" zu einander. Immer mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen und nicht ohne sich mit einem Kuss zu entschuldigen, wo doch eigentlich keine Entschuldigung nötig gewesen wäre.

Irgendwann setzten sie sich dann auf eine Bank am Alexanderplatz und beobachteten die Menschen. Sie lästerten und lachten, sie erzählten sich was sie die letzten Tage gemacht hätten, wurden dabei auch mal ernst und gaben sich dann gegenseitig Halt und Trost, wenn es nötig war.
Irgendwann saßen sie einfach nur still da und beobachteten die Menschen. Kein Wort. Sie genossen einfach nur das Beisammensein. Sie kuschelten, fingen an sich zu küssen und neckten sich dabei mit ihren kalten Händen, die sie sich gegenseitig unter die Kleidung schoben, um sich noch näher zu sein. Sie lachten und küssten sich, genossen nur den Moment.
Irgendwann sagte sie, dass sie Hunger habe. Er bestätigte und sie gingen zu McDonalds und setzten sich dort an die Fensterfassade, da man von dort aus die hecktisch vorbeiströmenden Menschen beobachten konnte.

Als sie fertig waren gingen sie über den Hackeschen Markt und der Oranienburger Straße zum Tacheles und setzten sich dort in eine Bar, lauschten der Musik, den internationalen Gästen, genossen das Zusammensein und redeten über dieses und jenes, tranken vielleicht auch das ein oder andere.

Gut gelaunt gingen sie zur Friedrichstraße in Richtung Bahnhof, damit sie von dort aus nach Hause fahren konnten, dass heißt zu ihr, wie immer. Er hat zwar auch eine eigene Wohnung, doch wirklich eingezogen ist er dort nie. Er schlief bei ihr und hatte die wichtigsten Dinge auch bei ihr einquartiert.

Auf den Weg zum Bahnhof Friedrichstraße hielten sie an einem kleinen Imbiss-Stand um noch einen Snack zu sich zu nehmen.
Da passierte es.
Eine Gruppe augenscheinlich betrunkener Türken kam an ihren Stehtisch, ignorierten ihn und machten sich mit geschmacklosen Sprüchen an sie ran. Er versuchte sie erst ruhig und mit Worten von ihr fernzuhalten, doch die Jungs blieben hartnäckig. Er wurde noch lauter, seine Wortwahl wurde deutlicher. Sie hörten nicht. Er drohte ihnen, einer lachte ihn aus. Er schlug zu, der geschlagene fiel, stand aber sofort wieder auf. Die Jugendlichen wurden ruhig, entschuldigten sich mit einem scheinheiligen Grinsen und gingen. Er fand noch einige deutliche Worte und rief ihnen schließlich "Ihr scheiß Türken!!" hinterher.

Da war es geschehen.
Sie fing an zu weinen. Er entschuldigte sich, fragte ob es ihr gut ginge. Sie bejahte, doch weinte sie noch immer. Er fragte nochmal - dann geschah es.
"Halt die Klappe!" hatte sie gesagt, geschriehen. Mit Hass in Augen und Stimme.
Manchmal vergaß er, dass ihre Mutter aus der Türkei stammte. Das war es also. Sie fühlte sich beleidigt. Unbeholfen versuchte er sich für das Gesagte zu verteidigen. Seine Entschuldigungen klangen nun fast genauso scheinheilig, wie die der Jungs.
"Das waren noch nicht mal Türken. Das waren Araber", sagte sie.
Er war geschockt. Sie schwiegen sich an. Er dachte nach, was in ihn vorgegangen war. Er mochte doch immer das Internationale an Berlin.
Er war enttäuscht. Von sich. Wut fraß sich langsam hinter seine Augen. Wut auf sich selbst. Eigentlich hasste er Rassismus. Die Tränen wärmten seine Wangen. Plötzlich wurden seine Beine schwach und er setzte sich ungewollt auf den kalten Boden und starrte ins Nichts. Er war enttäuscht. Enttäuscht von sich...

Eine zarte Berührung auf seiner Haut. Sie hatte sich mittlerweile besonnen.
"Is' schon OK, Schatz. Komm, lass uns gehen."
Sie stand direkt vor ihn und hielt seine Hände um ihn hoch zu helfen. Er nahm dieses Angebot dankbar an. Schwach fiel er in ihre Arme. Sie umarmten sich und seine Tränen begannen langsam zu trocknen und seine Haut zu spannen.
Schweigend fuhren sie Heim...

 

nur zur Info für alle nicht Einheimischen: das ganze spielt in Berlin und alle vorhandenen Orte sind real.

Das Tacheles ist ein Kunsthaus (eben mit Bars usw) und die Oranienburger Straße führt direkt zur Friedrichstraße, das Geschehen findet also quasi um die Ecke statt.

Das nur als Info für alle nicht-Berliner... ;)

 

hey... danke für deine schnelle Kritik.

ich muss ehrlich gestehen, dass ich diesen Text auch nicht wirklich sonderlich gut finde, allerdings hab ich mir gedacht, dass das ein ganz guter einstiegstext hier sein könnte (ich schreib hauptsächlich fortsetzungsgeschichten, die hier ja leider nicht erlaubt sind ^^).

zu deinen kritiken:
im ersten abschnitt sollte es einfach nur eine vorbereitung auf das folgende sein. wenn für dich der eindruck von einem kleinkind entstand, dann ist das gar nicht so falsch, weil sich jeder in großen stresssituationen (oh gott: ein wort mit drei S :P) wie ein kleinkind verhält. zumindest wenn man sich die details anschaut ;)

die ganzen verliebtheitsbeschreibungen sind wichtig um die reaktion von der freundin zu verstehen. wenns nur irgendwer wär, der das sagt, dann wärs ja nicht so zerschmetternd.

Zitat:"Ihr scheiß Türken!!"

Dumm. Dumm, dumm. Wieso haben sie ihn nicht verprügelt? Obwohl ... speziell diese Türken, die Araber waren, haben sich ja schon Scheiße aufgeführt.


da versteh ich jetzt nicht, was du mir damit sagen willst...

 

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