- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 24
Tag der Schlacht
Über den Rand ihres Schildes hinweg konnte sie es sehen. Das feindliche Heer, aufgestellt und kampfbereit. Der Himmel über ihren Köpfen glühte blutrot, der Wind peitschte ihr ins Gesicht. Strähnen ihres Haars, die unter dem Helm hervorgerutscht waren, flatterten, in ihrer Magengrube kribbelte es. Diesen Moment, das wusste sie, würde sie nie vergessen.
Unter ihr tänzelte unruhig das Pferd. In den nun folgenden Stunden würde sie ihre Bestimmung erfahren.
Jahrelang hatte sie geübt. Zuerst mit Waffen aus Holz, dann, als sie älter wurde, mit welchen aus Stahl. Sie hatte Rüstungen poliert, wo andere Mädchen Kleider genäht hatten, sie hatte Schwerter geschliffen, anstelle das Sticken zu lernen. Sie war eine Kriegerin, keine Lady, und hier, im Angesicht des Feindes, erkannte sie den Sinn der ganzen langjährigen Ausbildung. Sie erkannte, warum ihre Eltern sie als ganz kleines Mädchen zum Orden des Schwertes geschickt hatten, und sie war ihnen dankbar dafür. Am Anfang hatte sie Heimweh gehabt nach ihren Puppen und ihrem Zuhause, aber unter dem blutroten Himmel schienen all jene Gefühle ausgelöscht, als hätte es sie nie gegeben. Selbst, wenn sie hier sterben würde, dann würde sie nicht umsonst gestorben sein. Alle, die hier starben, starben...
„Für Blut, Sieg und Tod“, gellte die Stimme des Kommandanten zu ihrer Rechten. „Für Blut, Sieg und Tod“, donnerte die Antwort des Heeres. Ihre eigene Stimme mischte sich grell mit dem dumpfen Klang der Männerstimmen.
Dann - der lang erwartete Hornstoß. Ein langer, dunkler Laut, ein Aufruf zum Sieg. Sie drückte dem Pferd die Sporen in die Flanken, es bäumte sich wiehernd auf und stürmte vorwärts, gleichzeitig mit all den anderen Pferden, auf die dunkle Reihe der feindlichen Krieger zu. Die Hufe donnerten über den Boden, und in der Ferne lag laut und erregend der Klang der riesigen Kriegshörner.
Sie hatte ihre Decke zu einem Wulst zusammengeknüllt und saß rittlings darauf, meilenweit fort von hier in irgendwelchen Träumen. Sanft strich ich ihr über die Stirn. Sie hatte ihr Gesicht an die Decke gedrückt, als gelte es ihr Leben. Ihr langes Nachthemd war hochgerutscht und entblößte fast ihr gesamtes Bein.
Im letzten Moment hatte sie den Kopf zurückgeworfen und sich geduckt, deshalb schnitt die Klinge, die ihr den Kopf von den Schultern hatte schlagen sollen, nur ihre Stirn auf. Panisch stach sie mit ihrem Schwert auf den Angreifer ein und wurde damit belohnt, dass sie seinen Helm traf. Die Klinge drang durch das Visier. Als sie sie wieder herauszog, folgte der tote Ritter ihrem Schwung noch ein Stück weit und rutschte dann von seinem Pferd. Sie drehte den Kopf, wischte sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah sich nach neuen Gegnern um. Warmes Blut rann ihr in die Augen. Sie sollte besser sein als sie! Sie hatte ihr Leben lang trainiert, sie war eine Elitekriegerin, aber langsam dämmerte es ihr, dass andere das vielleicht auch getan hatten.
Ich versuchte, sie von ihrer Decke zu schubsen, aber sie klammerte sich mit beiden Händen daran fest, mit einer erstaunlichen Kraft für so ein kleines Mädchen. So würde sie sich sicher erkälten, also versuchte ich, sie am Bein zu packen und sie über ihre Deckenwurst hinwegzuschieben.
Plötzlich war da jemand rechts von ihr, der ihr Bein packte, um sie vom Pferd zu stoßen. Schon hatte sie den Steigbügel verloren, dann stürzte sie. Geschickt rollte sie sich ab und rappelte sich wieder hoch, das Schwert erhoben, den Schild auch – gerade rechtzeitig, um einen furchtbaren Schlag eines mehr als acht Fuß großen Hünen zu parieren. Sie fühlte einen stechenden Schmerz und blickte nach unten - der Schildarm hing schlaff herab – er musste gebrochen sein. Denn als sie versuchte, den Schild wieder zwischen sich und den Feind zu bringen, zuckte grelle Pein hinter ihren Augen auf. Sie brüllte ihre Qual hinaus und parierte seinen Angriff, das Schwert zuckte wie ein silberner Blitz zwischen ihr und ihm. Das Pferd stand hinter ihr, wenigstens würde niemand sie von dort attackieren können.
Ich betrachtete sie. Sie war so jung, in ihrem Gesicht arbeitete etwas, als würde sie etwas träumen, das ihr sehr wichtig sei. Vorsichtig zog ich die Decke über sie. Dann verließ ich den Raum.
Das Pferd strauchelte und fiel – es kippte in ihre Richtung, und sie war nicht schnell genug. In Todesanst raste ihr Herz. Das Tier klemmte sie ein, von der Brust bis zu den Füßen, sie konnte sich nicht mehr bewegen.
Sie lag auf dem Rücken, den Blick in den Himmel gerichtet, der rot war wie Blut, wie ihr Blut es sein würde, wenn der Feind es vergießen würde.
Über ihr tauchte seine Silhouette auf, ein Todesengel vor dem roten Himmel. Jetzt würde er sein Schwert heben, zustoßen und sie wäre tot.
Aber ihr Gegner warf ihr einen Blick zu, lachte ihr ins Gesicht. Offenbar dachte er, sie sei erledigt, denn er ging und ließ sie liegen.
Sie wand sich hin und her, ein bisschen Platz hatte sie doch, wider Erwarten. Das Pferd war tot – ein verirrter Pfeil stak in seiner Brust. Dass ein Pfeil ausreichte, um so ein gewaltiges Tier zu fällen…
Da spürte sie, wie einer der Riemen an ihrer Beinschiene riss. Sie fasste neuen Mut, drehte das Bein hin und her. Dieser Belastung war das mürbe Leder nicht gewachsen. Ihr Bein hatte ohne die Rüstung mehr Spielraum, und sie schaffte es, die andere Schiene auch zu lösen.
Zoll für Zoll arbeitete sie sich unter dem Kadaver des Pferdes hinaus. Sie rappelte sich auf, wie durch ein Wunder war sie unverletzt geblieben. Ihr Schwert war ihr aus den Fingern geglitten, als sie gestürzt war, und es war fort.
Mit Tränen in den Augen löste sie die Riemen des Schildes, der Arm hing schlaff herab und sah aus, als gehöre es zu einem der Toten, die hier überall herumlagen. Sie warf schnelle Blicke um sich, suchte nach etwas, aus dem sie sich eine Schlinge basteln konnte
Ein großer Mann lag in der Nähe. Er hatte zur Streitmacht des Feindes gehört, aber im Angesicht des Todes spielte das keine Rolle mehr. Sie schleppte sich zu seiner Leiche, mit den Zähnen und der rechten Hand riss sie einen Streifen Stoff aus seinem ehemals prächtigen, wallenden Umhang.
Ob er eine Frau hatte? Kinder?
Sie knotete den breiten Streifen zusammen und bastelte sich eine provisorische Schlinge. Es tat weh, den Arm hineinzustopfen, aber als er erst einmal sicher vor ihrer Brust lag, fühlte sie sich gleich besser.
Die leblosen Finger des Kriegers zu ihren Füßen umkrampften einen Streitkolben. Sie entwand ihn seiner Hand, die noch warm war, er konnte noch nicht lange tot sein.
Wann hatte sie aufgehört, ihn als einen Feind zu betrachten, und angefangen, einen Menschen in ihm zu sehen? Sie konnte es nicht sagen, fasste den Streitkolben mit der gesunden Hand. Er war zu schwer für sie, sie wusste, in einem Kampf mit dieser wuchtigen Waffe würde sie unterlegen sein, denn sie hatte keine zweite Hand, mit der sie sie besser kontrollieren konnte. Sie fühlte ein Schluchzen in sich aufsteigen und unterdrückte es, indem sie sich auf die Lippen biss.
Dann gellten die Hörner. Dumpfes Klagegeschrei rief eine der beiden Seiten zurück. Jetzt war es so oder so vorbei. Egal, welche Seite gesiegt hatte - sie könnte aufhören zu kämpfen. Sie hatte sich schon in ihren Tod ergeben, als sie das siegreiche Schwertbanner wehen sah. Dankbar ließ sie die Waffe fallen und legte sich auf den nackten, zertrampelten Boden. Es würde gut tun, eine Weile zu rasten.
Ich betrat das Kinderzimmer und sah, dass sie sich schon wieder freigestrampelt hatte.
Mit einem Lächeln deckte ich sie zu, jetzt schlief meine Tochter ganz ruhig.
Als sie die Augen wieder aufschlug, lag sie in einem weichen Bett. Ihr Arm war geschient und tat nicht mehr weh. Beruhigt schloss sie die Augen wieder und schlief ein.