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Tahiti

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28.10.2004
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Tahiti

So genau wußte irgendwie niemand mehr, wann die ganze Sache eigentlich angefangen hatte. Vielleicht vor drei Jahren, im Winter, als Max den BMW seines Vaters im Rückwärtsgang gegen die Natursteinmauer der damals noch heißgeliebten Nachbarn gesetzt hatte (3 Gartenzwerge fanden den Tod und – darauf legte Herr Schnubel bei seiner Aussagen im Prozess stets besonderen Wert – zwei wurden lebenslänglich arbeitsunfähig, weil ihre abgetrennten Arme für immer im Gartenteich versanken).

Man könnte den Auslöser natürlich auch in Herrn Schnubels Kettensägenorgien suchen, bei denen er jeden Samstag morgen mit deutscher Pünktlichkeit um 8:00 Uhr unmittelbar vorm Schlafzimmer seiner Nachbarn unschuldiges Hochwaldholz in kleine Scheibchen teilte. Durch diesen akkustischen Terrorismus zog er wohl endgültig den Zorn der Meiers auf sich – jedenfalls führte eines zum andern, und so wurde aus der Natursteinmauer ein formschön-funktioneller Betonwall, der zerbeulte BMW (fortan ein Zweitwagen) wurde demonstrativ vor dem Gartentor der Nachbarn geparkt und die Kettensägenprovokation führte zur Anschaffung eines ferrariroten (und ferrarilauten) Rasentraktors.

Jetzt war Max Meier, der vor einem Jahr seinen Führerschein verloren hatte (er rammte im Rückwärtsgang trotz Einparkhilfe einen auf Streife befindlichen Polizeiwagen) von dem einzigen Gefährt gefallen, das er noch hatte fahren dürfen. Führerlos und auf sich alleine gestellt war der betreffende Rasentraktor einige Meter weiter gefahren, hatte dabei das Rosenbeet von Frau Meier zwar verschont, dafür aber die Schnubel'sche Kräuterspirale durchpflügt und schließlich das Panoramafenster, an dem zu jeder Tageszeit mindestens ein Familienmitglied die Nachbarn argwöhnisch überwacht hatte, in Millionen kleiner Scherben zersprengt.

„Euer Traktor steht in unserem Wohnzimmer!“, verfluchte Herr Schnubel die Mitglieder der Familie Meier, die sich um den am Boden liegenden Max versammelt hatten.
„Und ihr habt meinen Max umgebracht – und Martha's Kräuterspirale!“, fauchte Familienoberhaupt Peter Meier, dem die Aussicht, die Spaghetti seiner Frau von nun an ohne Basilikum überstehen zu müssen, so sehr zusetzte, dass er nach Luft ringend zu Boden ging.
„Wahrscheinlich hat euer Max bloß wieder den Rückwärtsgang gesucht!“, antwortete Frau Schnubel hämisch.

Hätte ein vernünftiger Nachbar nicht geistesgegenwärtig den Rettungsdienst und die Polizei alamiert, wären die beiden verfeindeten Clans wohl früher oder später mit wahllos aufgefundenem Gartengerät aufeinander los gegangen. So aber unterbrach die Sirene des nahenden Krankenwagens den Streit vorzeitig, weil es für ordentliche Beleidigungen einfach zu laut war). Dem kurz darauf anrückenden Notarzt blieb nichts anderes übrig, als den Tod des jungen Traktorfahrers festzustellen. Was hätte er auch anderes sagen sollen? Schließlich steckte in der Brust des Opfers ein bis zum Griff hinein gerammtes Kartoffelmesser, das den Anwesenden bis zu diesem Augenblick nicht einmal aufgefallen war.
„Das ist Deines, Paul! Du hast meinen Sohn auf dem Gewissen!“, brüllte Martha Meier aus Leibeskräften. Hätten sie nicht gleich zwei Polizisten zurückgehalten, dann wäre sie wohl endgültig auf ihren Nachbarn losgegangen .
„Der hatte doch bloß euren Vorgarten satt! Dreimal in der Woche mußte er ihn mähen – da ist doch gar kein Gras mehr übrig!“, antwortete Paul Schnubel brüllend. Das er selbst bis zu den Knöcheln im Matsch stand, hatte er dem günstigen Rasensamen aus dem Sonderangebot im Baumarkt zu verdanken – er mußte sparen, schließlich beabsichtigte er längst selbst die Investition in einen Rasentraktor, um es den Meiers richtig zu besorgen. Eigentlich hätte ihn schon dieser Plan als potentiellen Mörder disqualifiziert, doch für Kriminalkommisar Oberacker war der Fall trotzdem klar, sprachen die Indizien doch eindeutig gegen die Schubels.

Wenn, ja wenn da nicht Herr Schneider gewesen wäre: Jeder im Dorf wußte, dass seine Frau vor einem Jahr mit einem dieser „Ausländer“ nach Tahiti durchgebrannt war, weil sie es auf unerklärliche Weise nicht mehr im heimischen Domizil ausgehalten hatte. Seitdem hatte kaum jemand im Dorf mehr Herrn Schneider zu Gesicht bekommen -bis jetzt.
„Ich habe alles gesehen!“, verriet nun ausgerechnet dieser Herr Schneider dem glücklichen Polizeibeamten. Denn Kommissar Oberacker sah sich selbst schon auf einer Stelle im Innenministerium, weil er einen weiteren Mordfall so schnell gelöst hatte.
„Sie haben gesehen, wie Herr Schnubel mit dem Messer auf Max einstach und wie dieser dann vom Traktor fiel?“, fragte er begeistert darüber, jetzt auch noch einen Zeugen für die Anklage gefunden zu haben.
Doch Herr Schneider schüttelte den Kopf.
„Nein, wissen sie, das war anders. Also...“, begann er zu erzählen.
„Wir rufen sie an!“, wimmelte der Kommisar ihn ab, denn schließlich hatte sich der Pressefotograf endlich am Tatort eingefunden und Paul Schnubel konnte somit im Blitzlichtgewitter abgeführt werden.

„Aber nicht doch! Er war es nicht!“, rief Herr Schneider noch, doch da schloß sich die Tür des grün-weißen Peugeots bereits, mit dem der nun reifenquietschenlassende und blaulichtleuchtende Kommissar den Tatort verließ.
„Ich weiß wer es war! Ich habe es genau gesehen! Ich hab ja auch die Polizei gerufen! Will das denn keiner wissen?“, brüllte Herr Schneider den Rettungssanitäter an, der die leere Trage wieder in den Krankenwagen schob. Natürlich fing es genau in diesem Moment stilecht an zu regnen, wie es sich für einen kleinen Mord gehört.
„Ich habe es gesehen! Ich weiß es!“, schrie Herr Schneider aus Leibeskräften. „Ich war dabei!“

Doch da war keiner mehr, der ihm hätte zuhören können – außer dem Fahrer des langgestreckten Mercedes-Leichenwagens, der ihn nicht einmal ansah (denn wegesehen gehörte zu seinem Job dazu).
„Ich habe es getan! Ja, ich war es! Ich hatte das ewige Gemähe satt, und die Kettensägerei, und die Gartenzwerge, und alles! Es sollte ihnen eine Lehre sein!“, platzte es aus Herrn Schneider heraus. Doch niemand außer dem Bestatter hörte ihn – und der zuckte nur mit den Schultern.
„Ich hab ja schon so einiges gesehen – aber der Typ ist wirklich verrückt“, sagte er zu seinem Beifahrer, als er ins trockene Wageninnere gestiegen war.
“Dabei sah die Gegend hier doch völlig normal aus...“, stellte sein Kollege lapidar fest.
Herr Schneider aber blieb alleine zwischen Rasentraktor und Rosenbeet im Regen stehen. Er zuckte mit seinen Schultern und wischte seine blutigen Hände an seinem Mantel ab, bevor er nach Hause ging.
Er würde Urlaub machen. Vielleicht auf Tahiti.

 
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Doc_Snuggles schrieb folgendes zu seiner Geschichte:

Hallo Leute,

das ist meine erste Kurzgeschichte hier im Forum. Normalerweise schreibe ich "normale" Artikel für die Zeitung, diese Story hier entstand auf einer langweiligen Bahnfahrt am letzten Wochenende. Etwaige garantiert noch übersehene Rechtschreibfehler bitte ich zu entschuldigen.

Ich freue mich auf eure Meinungen und Vorschläge und hoffe, dass euch die kleine "Kriminal-Satire" ein wenig zugesagt hat!

Liebe Grüße,

Michael

 

Tach, Doktor Snuggles!

Erstmal herzlich willkommen auf KG.de! :)

Deine Story lässt mich zwiespältig zurück. Stilistisch ist sie ziemlich gut geschrieben, ein paarmal musste ich bei einigen Formulierung doch derbe schmunzeln (die arbeitsunfähigen Gartenzwerge z.B. haben mir gut gefallen). Auch die Grundidee, den ewigen Nachbarschaftskrieg in sauberen deutschen Wohngegenden aufs Korn zu nehmen ist zwar nicht rasend originell, aber zumindest im Ansatz nett umgesetzt.

Der Haken ist, dass die Story doch arg holpert. Am Anfang ist alles recht wirr - ich zumindest blicke da nicht so recht durch, wer da wann wenn womit wo rein gefahren ist und warum - der Tod des Traktorfahrers kommt sehr plötzlich und unmotiviert und wird leider auch in der Folge nicht wirklich zufriedenstellend erklärt. Denn der Mörder ist nach allem, was ich als Leser sehe, ja am Tatort gar nicht zugegen, er taucht als Figur erst auf, als alles schon lange vorbei ist. Das ist ein böser Logik- bzw. Aufbaufehler, der an den Grundfesten der Geschichte sägt. Auch der Schluss ist unbefriedigend, denn der Ansatz von satirischer Überspitzung ist zwar gut gedacht aber schlecht erzählt.

Insgesamt fehlt dem Text leider der für eine Satire sehr wichtige Zusammenhalt - je überspitzter man vorgeht, desto wichtiger sind ein klarer Erzählfaden und innere Schlüssigkeit des Geschehens. Insgesamt also sprachlich gelungen, aber mit argen Schnitzern im Aufbau!

Gruß,
Horni

PS: Evtl. Anmerkungen zur Geschichte bitte immer in ein separates Posting!

 

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