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Tempinimicus

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24.01.2004
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Tempinimicus

XII.

Zwei Schüsse zertrümmerten das Ticken, zwei Projektile bohrten sich in Bernds Brust und durchschlugen die Glastür, die hinter ihm langsam ins Schloss glitt. Sein Messer fiel zu Boden, er folgte ihm, sank auf die Knie, kippte vornüber und stürzte auf das Gesicht.
Der Uhrmacher löste seinen Finger vom Abzug, hielt das Gewehr aber weiterhin im Anschlag und zielte auf die Stelle, an der Bernd gestanden hatte. Er wartete, bis das Dröhnen in seinen Ohren einem leisen Pfeifen gewichen war, dann senkte er den Lauf, legte die Waffe beiseite und beugte sich über den Tresen. Bernds linker Arm zuckte in der langsam wachsenden Blutlache und erstarrte, als ihre ersten Ausläufer nach seiner Hand griffen.
Der Uhrmacher schüttelte den Kopf, ließ sich auf einen Stuhl fallen, der hinter der Kasse stand, griff nach einer Schachtel Zigaretten und beobachtete einen schwingenden Fleck Abendlicht, den das Pendel der Standuhr an die Wand malte.


I.

Bernd drehte den Schlüssel im Schloss, hängte die Türkette ein, drückte auf den Lichtschalter und ging ins Wohnzimmer, das einem Schlachthaus glich – ausgeweidete Uhren lagen zwischen ihren Innereien; Armbänder, Zeiger und Zifferblätter, Batterien, Scherben und Plastikteile knirschten, knackten und brachen unter seinen Schuhen, als er zum Couchtisch ging, ein zertrümmertes Radio von der Holzplatte fegte, den Inhalt seiner Plastiktüte auf die freie Fläche kippte, Puder, Lippenstift und Lidschatten aus dem Haufen kramte und zum Schlafzimmer eilte, die Tür aufschloss und Sandra zunickte, die, mit dem Rücken am Bett, auf dem Boden hockte, leise schluchzte und zusammen zuckte, als er neben sie trat und das Make-up auf die Matratze warf.
„Hallo“, sagte er.
Sandra sah an ihm hoch; ihr Gesicht war bleich, die Augen gerötet, eine aufgedunsene Fratze, von Verzweiflung entstellt. Bernd wendete den Blick ab, konnte es nicht ertragen.
„Schmink dich.“
„Warum ... warum machst du das? Was soll ... verdammt ... was soll das alles“, kreischte sie und schlug gegen sein Bein, doch er merkte es kaum.
„Du bist hysterisch.“
„Ich ... bitte lass’ mich doch ... warum?“
„Du weißt, warum.“
Bernd setzte sich auf das Bett und seufzte. Sie verstand es nicht, wollte nicht verstehen, konnte nicht verstehen, war nicht anderes als die Anderen, aber er würde sie retten, denn er gönnte dem Feind keinen weiteren Sieg.
„Schmink dich.“
„Du ... du bist völlig wahnsinnig, völlig ... du ... du verdammtes ...“ Sandras Stimme ertrank in Tränen.
Bernd betrachtete sie aus dem Augenwinkel. Diese Falten.
„Du bist es, die wahnsinnig ist. Du kapitulierst vor dem Feind. Nein ... du ignorierst ihn.“
„Welcher ... es gibt keinen ... keinen Feind.“
Sie war blind.
„Es ist bald vorbei. Bis dahin“, sagte er, lehnte sich zurück, sammelte das Make-up ein und legte es neben Sandra auf den Boden, „bekämpfe ihn so gut es geht.“
Bernd stand auf, trat an die Wand, betastete eine Delle in der Tapete, sah zu Boden und stupste mit seinem Schuh einen zerschmetterten Wecker an, bückte sich, hob ihn auf und presste das gesprungene Glas an sein Ohr, denn nichts klang besser als das Schweigen einer Uhr, die unendliche Stille stehender Zeiger.


II.

Ring Ring Ring
Bernd hob die verklebten Augenlider und starrte an die Decke
Ring Ring Ring
Sandra reckte sich neben ihm, stand auf, schlurfte um das Bett und schaltete den Wecker aus.
„Morgen“, sagte sie.
Bernd nuschelte etwas, ohne zu wissen, was er sagte, während das Weiß der Decke vor seinen brennenden Augen verschwamm und sein Bewusstsein füllte. Nur Weiß, grenzenloses Weiß.
„Willst du heute wirklich zur Arbeit?“
„Ja“, sagte Bernd, obwohl er es nicht meinte. „Ich denke schon.“
Er wollte nicht zur Arbeit, wollte nicht liegen bleiben, wollte nicht wollen, wollte nicht nicht wollen, also war arbeiten genauso gut oder schlecht wie alles Andere.
Bernd zwang seine Beine aus dem Bett, stemmte den Oberkörper in die Höhe und blieb auf der Kante sitzen.
Drei Beerdigungen innerhalb eines Monats – Vater, Mutter, bester Freund; Krebs, Schlaganfall, Leitplanke.
Er rieb sich die Augen. Keine Tränen mehr, keine Trauer; nichts, was die Leere füllen konnte. „Ich mach’ dir Frühstück, ja?“
„Nur Kaffee.“

Dreistöckige Wohnhäuser erbrachen ihre Bewohner auf den Bürgersteig, ein kühler Wind trieb Hände in Jackentaschen und Mützen tief in die Gesichter. Fenster glotzten in Fenster, gläserne Augen in grauen Fassaden, getrennt durch die Straße. Autos krochen über den Asphalt, Scheinwerfer leuchteten bleich im dunstigen Zwielicht. Motoren brummten träge, die Glocke der nahen Kirche dröhnte, verscheuchte Taubenschwärme aus den Regenrinnen.
Bernd sah zum Kirchturm, der auf dem Dach des gegenüberliegenden Hauses zu sitzen schien wie ein Schornstein. Acht Uhr.
„Der Bus kommt schon wieder zu spät“, sagte jemand.
„Da hinten ist er doch“, erwiderte ein Anderer.
„Wurde auch Zeit.“
Die Türen öffneten sich zischend, entließen warme, verbrauchte Luft. Bernd stieg ein, quetschte sich in die weiche Masse und streckte seinen Arm nach einer Haltestange aus. Der Bus fuhr weiter.
Die alten Gebäude rüttelten und schaukelten vorbei, wichen einem weiten Feld, auf dem Einfamilienhäuser wuchsen, von Gerüsten umwucherte Fassaden, rot blühende Ziegeldächer, dann ein Stück Landstraße, hinaus aus der Stadt. Bäume rasten vorbei, bis auf der linken Seite das Industriegebiet auftauchte. Der Bus bog ab, rollte auf den Parkplatz und hielt an. Die Masse, die an unzähligen Haltestellen in Bewegung geraten war, Menschen ausgespuckt und aufgenommen hatte, quoll hinaus in die blassrote Dämmerung. Endstation.
Bernd betrat das Fabrikgelände, passierte die Stechuhr, nickte dem Pförtner zu und schlurfte in den Umkleideraum. Er ging durch den Mittelgang, vorbei an Bänken und Spindreihen, erreichte seinen Schrank und schloss ihn auf.
„Morgen.“
Bernd zuckte zusammen und sah sich verwirrt um.
„Mein Beileid.“
Eine große Hand legte sich auf Bernds Schulter. Er blickte zur Seite, sah an dem Mann hoch, der ihn um einen Kopf überragte.
„Danke.“
„Schlimme Sache.“ Franz zog seinen Pullover aus und strich sich Fusseln aus den Haaren, die seinen Oberkörper wie Gestrüpp bedeckten.
„Ja“, sagte Bernd, streifte die Schuhe ab und holte seinen blauen Overall aus dem Spind.
„Wirst wohl keine Lust haben, am Wochenende mal wieder um die Häuser zu ziehen, oder?“
„Ja.“ Bernd knüllte Jacke, Hose und Pullover zusammen.
„Was ja?“
„Keine Lust.“
„Kann ich verstehen.“ Franz würgte den Schieber des Reißverschlusses ächzend über seinen Bauch, der mit seiner ganzen Masse dagegen hielt. „Vielleicht ein anderes Mal. Leben geht ja weiter.“
„Ja.“ Die Vorstellung war absurd.
„Kopf hoch. Wird schon wieder“, sagte Franz, klopfte Bernd auf die Schulter, schlug die Spindtür zu, schloss ab und stapfte davon.
Bernd sank auf die Bank, lehnte seinen nackten Rücken gegen den kühlen Metallschrank und wartete, bis die letzte Tür zugefallen, das letzte Lachen verhallt war, dann schlüpfte er in seinen Overall und verließ den Umkleideraum.
Das Dröhnen der Maschinen schlug ihm entgegen, als er die Halle betrat. Elektromotoren brummten, Blechstanzen schlugen kraftvoll den Takt. Pneumatikventile zischten im Rhythmus der Metallsägen, Förderbänder ratterten, stoppten und ratterten weiter oder ratterten pausenlos.
Die Dosensymphonie, wie Bernd sie nannte, hatte sich in all den Jahren kaum verändert. Neue Maschinen hatten die Tonart verändert, der Rhythmus war aber stets der selbe geblieben. Das Orchester spielte und spielte und spielte, ohne jemals aus dem Takt zu kommen.
Bernd nahm ein Paar Schutzkopfhörer von einem Haken, zog die Muscheln auseinander und ließ sie auf seine Ohren schnellen, während er zu seinem Arbeitsplatz ging.
Er löste einen Kollegen ab, stellte sich an das Fließband und starrte auf den gleichmäßig fließenden Strom aus Blech, griff gelegentlich hinein, zog beschädigte Dosen heraus und warf sie in einen großen Plastikkübel, der neben ihm stand, ohne die Augen vom Band abzuwenden. Reihe für Reihe, Dose für Dose, stumpf schimmernd im Neonlicht, ein paar schnelle Griffe, irgendwann ein neuer Kübel, dann Mittagspause. Der stampfende Rhythmus der Maschinen packte Bernd, zog in durch die Halle und in Richtung Kantine.
Er hatte nie viel zu tun; ihm blieb nur das, was die elektronische Qualitätsprüfung übersah, was sie ihm gönnerhaft vor die Füße warf. Bald sollte eine bessere Maschine angeschafft werden. Bernd rieb sich die Augen. Und wenn schon.
Er betrat die Kantine, in der es besser roch, als das Essen für gewöhnlich schmeckte und setzte sich an den äußeren Rand eines der langen Tische. Das Stimmengewirr klang gedämpft, das Klappern und Klirren von Tellern und Besteck dumpf und unwirklich, so als würde er seine Kopfhörer immer noch tragen. Er steckte seine Zeigefinger in die Ohren, drehte sie hin und her.
„Mahlzeit.“ Franz stellte sein Tablett ab und setzte sich neben Bernd. „Nichts essen?“
Bernd zog seine Finger heraus und wischte sie am Hosenbein ab.
„Was“, fragte er.
„Willst du nichts essen?“
Bernd schüttelte den Kopf. Er wollte weder essen, noch reden.
„Stör’ ich dich?“
„Nein ... ich ... ich bin nur ein wenig, na ja ... du weißt schon.“ Konnte er ihn nicht in Ruhe lassen? „Gleich wieder da.“
Bernd stand auf, ging an den Getränkeautomaten vorbei und betrat das Klo. Er schloss sich in einer Kabine ein und wartete, bis die Sirene erneut erklang, dann eilte er zurück an seinen Arbeitsplatz.
Starren, aussortieren, starren, neuer Kübel, starren, aussortieren, starren, Feierabend. Bernd zog sich um, verließ das Fabrikgelände, wartete, bis der Bus auf den Parkplatz rollte und stieg ein.
Dunkelheit legte sich wie Öl über die Felder, verwandelte die Busfenster in einen schwarzen Spiegel, dann tauchten die Lichter der Stadt auf, Straßenlaternen, erleuchtete Fenster, das glühende Werbeplakat an der Haltestelle.
Die Türen zischten, der Bus fuhr weiter und verschwand.
Bernd schloss den Reißverschluss seiner Jacke, heftete den Blick auf seine Schuhe, ging die Straße entlang und sah erst wieder auf, als er seine Haustür erreichte und das Treppenhaus betrat.


III.

Bernd ging in die Hocke, fasste an Sandras Kinn und drehte ihr Gesicht dem seinen zu; geschminkte Züge zerflossen, Wimpertusche malte blaue Streifen auf ihre Wangen, Lippenstift verformte den Mund, schmierte ihn unter die Nase und auf ihr Kinn, aber es musste reichen, bis alles vorbei war, bis der Feind am Boden lag, also nickte er zufrieden, richtete sich auf, verließ den Raum, verschloss die Tür und ging ins Wohnzimmer, zum Fenster, schob die Gardinen auseinander und sah hinaus, sah nach oben, zu den Wolken, die über den Dächern hingen und den Himmel verdeckten, ihn auslöschten, fast greifbar waren, eine weißgraue Masse, die verschwand, als Bernd die Gardinen schloss und zum ersten Mal seit einigen Wochen wieder lächelte.


IV.

Bildfetzen folgte Schwärze folgten Bildfetzen, Stimmen und Musik zerrissen zu einem Tonstakkato; Talkshows, Wetterberichte, Nachrichten und Filme. Von Anfang bis Ende und dann wieder von vorne, Programm für Programm für Programm.
Sandra setzte sich auf die Sessellehne, nahm Bernd die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher aus.
„Das bringt doch nichts“, sagte sie leise und legte ihre weichen Finger auf seinen Arm.
Er hielt still und ertrug ihre Berührung, ihre ausfüllende Nähe, die ihm entgegen quoll, den Geruch nach Schweiß und verdunstenden Parfüm, nach Haarfärbemittel und billiger Hautcreme. Er drehte den Kopf weg, sah zum Fenster.
„Wenn du darüber reden willst ...“
Das hatte sie nach jeder Beerdigung gesagt, immer und immer wieder und nie hatte er es weniger gewollt, als in diesem Augenblick. Es war nicht der Gedanke an die mit den Worten verknüpfte Erinnerung, die Trauer, die ihn abschreckte, sondern ihre Abwesenheit. Wenn er wenigstens würde weinen könne, schreien, die Welt verfluchen. Aber da war nichts außer träger Gleichgültigkeit.
Er schüttelte den Kopf.
„Das ... das muss wirklich schlimm für dich sein. Ich kann ... ich meine, ich versuche, dich zu verstehen ... aber ... du musst dich furchtbar fühlen. Ich ... wollte nur sagen, dass ich immer für dich da bin und ...“
„Danke.“
Sandra rutschte von der knarrenden Sessellehne und löste ihre Finger von Bernds Arm. Er atmete tief ein. Endlich.
„Da kommen wir schon drüber hinweg ... du und ich. Das ... das Leben geht ja...“ Sie unterbrach sich und schwieg einige hektische Atemzüge lang, während sie ein Haarbüschel um den Zeigefinger drehte. „Na ja, die Zeit heilt bekanntlich alle Wunden und ... du weißt schon.“
Die Floskel war lächerlich. Das einzige, was die Zeit tat, war die Wunden zu schlagen; mit Heilung hatte sie nichts zu tun.
„Ich ... ich bin dann in der Küche ... und ... mache Abendessen. Was willst du ... “
„Irgendwas.“
„In Ordnung“, sagte sie, „obwohl ich glaube, dass wir Irgendwas grade nicht da haben.“ Sandra versuchte erst gar nicht zu lachen, sondern stand schweigend neben dem Sessel, seufzte irgendwann und schlurfte davon.
Bernd stand auf. Er musste raus aus der tapezierten Enge seiner Wohnung, raus aus der stickigen Luft.
Er ging in den Flur, stopfte sich in eine schwarze Steppjacke, stolperte die Treppe hinunter und ins Freie.
Der Abend war kühl, Sterne hingen blass schimmernd am Himmel; uraltes Licht über dem Leuchten der Stadt. Fenster glühten schweigend in den Fassaden, Dunkelheit hatte die Menschen in ihre Wohnungen getrieben.
Bernd steckte seine Hände in die Jackentaschen und schlenderte los, an den Häuserreihen entlang, die sich an die Gehwege drängten, vorbei an Türen, über Nebenstraßen, vorbei an Fenstern und Zigarettenautomaten, während Plastikschilder die Hausnummern herunter zählten, dreizehn, elf, neun, sieben, fünf, dann ein Uhrmacher, dahinter die Bushaltestelle.
Bernd blieb stehen und lehnte sich gegen die Glasscheibe des Wartehäuschens. Gegenüber leuchtete der Kirchturm, dahinter dampfte die Stadt; schweflige Wolken hingen am Dachhorizont, zerfaserten über der Haltestelle, trieben langsam davon und verblichen. Die Lichter der Straßenlaternen zerflossen auf dem feuchten Asphalt, vereinzelte Scheinwerferlachen trieben vorbei, färbten sich rot und verschwanden hinter der Kurve.
Bernd trat gegen eine leere Getränkedose. Sie Sprang vom Bordstein, kullerte über die Straße und blieb hinter dem Mittelstreifen liegen. Verbraucht und weggeworfen. So endete alles. Und jeder. Irgendwann würde ein Angestellter der Straßenreinigung die Dose entsorgen und irgendwann, früher oder später, würde der Angestellte entsorgt werden. So war der Lauf der Dinge.
Bernd legte seinen Kopf in den Nacken und betrachtete den Himmel. Es war erschreckend, wie ein einziger Monat ein ganzes Leben in Frage stellen, Vergangenheit und Zukunft zerstören konnte.
Er schloss die Augen und pfiff vor sich hin, kein Lied, nur Laute, pfiff, bis Kälte in seine Kleider kroch, dann stieß er sich ab, ging auf die Straße, hob die Getränkedose auf, warf sie in den Abfalleimer, der am Haltestellenschild hing und trat den Rückweg an.
Am Schaufenster des Uhrmachers stoppte er und wandte sich der Scheibe zu. Das Nachtlicht erhellte die Auslage, im Inneren erkannte Bernd die Umrisse des Tresens und der Kasse, Reflexionen schimmerten auf Vitrinen und Zifferblättern.
Er hatte hier nie etwas gekauft, nie etwas reparieren lassen, hatte, obwohl er seit Jahren fast täglich an dem Geschäft vorbei gegangen war, keinen Gedanken daran verschwendet, es nicht mehr bewusst wahrgenommen.
Bernd presste Hände und Nase gegen das Schaufenster und betrachtete Chronographen und Digitaluhren, günstige Exemplare und vierstellige Preisschilder, Plastikarmbänder und solche aus Metall.
Er drehte den Kopf und drückte sein Ohr gegen sie Scheibe. Ob er das Ticken hören würde?
Dong Dong Dong
Bernd wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen eine Straßenlaterne.
Dong Dong Dong


V.

Dong Dong Dong
Die Glocke der Turmuhr durchbrach die Barrieren seiner Hände und drang in seinen Kopf; früher hatte sie geläutet, jetzt schlug sie, dröhnte, brüllte sie, vier Mal, fünf Mal, dann war es vorbei und Bernd sank auf die Knie, zitterte und verfluchte die Uhr, denn er war ihr ausgeliefert, aber nicht mehr lange, dachte er, beruhigte sich, stand auf und eilte in die Küche.


Bernd schlief ein.

Nackt auf nacktem Boden. Geröllstechen im Rücken, kalte Sonnennadeln in der Haut. Erstarrt lag er da, in der lichtüberfrorenen Einöde, die am Horizont in den Himmel floss.
Über ihm wuchs die Sonne, wurde heller und heller, ihr blassgelbes Gleißen entzündete kalte Feuer in seinen Augen, trieb Tränen über sein Gesicht und einen stummen Schrei in den Mund, als er merkte, dass es keine Tränen waren – Augen kochten in ihren Höhlen, liefen heraus und tropften auf den Boden, dennoch sah er, sah Körper auf der Erde liegen, ein dichter Fleischteppich, der die Einöde bedeckte, sah, wie Nasen über Wangen und in die Münder liefen, wie Gesichter zusammensackten, sich nach innen wölbten und aus den schmelzenden Ohren rannen. Torsos zerkochten zu Brei, dampften, sprudelten und zischten, flossen in Gliedmaßenpfützen. Fleischlachen vereinigten sich zu einem rötlichen Meer flüssiger Körper, das brodelnd und schmatzend im Boden versickerte, bis nichts zurück blieb, außer Steine und Sand.
Das eisige Licht verblich, kroch zurück in die blassgelbe Sonne, die schließlich hinter eine Wolke trat und verschwand.

Und dann wachte er auf.


VI.

„Wenn du wenigstens saufen würdest.“ Sandra stütze sich mit beiden Händen auf das Fensterbrett und sah zwischen ihren Armen hindurch auf den Boden. „Oder schreien. Heulen. Oder ... was weiß ich. Irgendwas tun. Seit Tagen hockst du nur da und blätterst in diesen verdammten Fotoalben.“ Sie richtete sich auf und streckte ihren Rücken durch.
„Ich weiß, wie schrecklich das alles für dich ist, aber ... aber glaubst du, mir geht’ s besser? Glaubst du, mich macht diese ganze ... diese ganze Scheiße nicht fertig?“
Bernd hatte Mühe, Sandra anzusehen. Ihr Gesicht zuckte, Hautfalten warfen sich um die abwechselnd zusammengekniffenen Augen herum auf. Die Furchen in ihrer Stirn wurden zu Wellentälern, wenn sie die Brauen hochzog und an ihren Wimpern zupfte oder sich durch die rotgefärbten Haare strich, die fettend auf ihre Schultern herab hingen.
Bernd neigte den Kopf einem Fotoalbum entgegen, das auf seinem Schoß lag, den schwarzen Einband auf seinen Schenkeln. Sandra und er, kurz nachdem sie hier eingezogen waren. Wie schön sie damals war. Schlanker. Und jünger. Vor allem jünger.
„Verdammt, sag’ endlich was. Rede ...“
„Was soll ich denn sagen“, fragte er, ohne aufzusehen.
„Jetzt leg’ dieses beschissene Ding weg.“ Sie stampfte auf ihn zu und fegte das Album von seinem Schoß. Es schlug gegen die Wand und fiel aufgeschlagen auf den Teppich, die Fotos nach unten.
Bernd überlegte, ob er aufstehen und es aufheben sollte, doch Sandra, die schweratmend vor ihm stand, so nah, dass ihre Brüste fast sein Gesicht berührten, zerschmetterte den Gedanken mit ihrer Stimme: „Wie soll das weiter gehen?“
Bernd zuckte mit den Schultern.
„Wann gehst du wieder zur Arbeit? Ich ... ich meine ... jeder hat Verständnis, dass du ‚ne Pause brauchst, aber irgendwann ... verdammt, du verlierst deinen Job, wenn du deinen Arsch nicht bald hoch bekommst. Du kannst dein Leben nicht einfach wegwerfen“, flüsterte sie, brüchig und heiser, gurgelte fast mit unterdrückten Tränen.
„So bald wie möglich.“ Nie wieder würde er auf den Blechfluss starren, nie wieder seinen Tag von der Sirene einteilen lassen. Kein Wecker mehr, keine Abhängigkeit von Uhren. Der Gedanke, sein bisheriges Leben wieder aufzunehmen, trieb ihm beinahe das Mittagessen die Speiseröhre hinauf.
„Wann ... wann ist `sobald wie möglich`?“
„Irgendwann.“
Sandra winkte ab und drehte sich um. Bernd hörte, wie sie schluchzte, bevor die Küchentür zuschlug und beheizte Stille zurückließ, in die nur das Ticken der Wanduhr tropfte.
Er stand auf und bückte sich nach dem Album. Ein Foto war herausgefallen und lag auf dem Teppich. Bernd hob es auf und ging zum Sessel zurück, legte das Album auf seinen Schoß und presste das Bild erfolglos auf die alten Klebstreifen. Die Couch rutschte immer wieder herunter und mit ihr Vater, Mutter und Sandra, der Tisch und die Sektflaschen, der Umzugskarton in der Ecke und Warhols Suppendose an der Wand. Erstarrt auf Papier, erstarrt in Gedanken. Sandra heulte in der Küche, die Suppendose vergilbte im Flur, der Rest war Vergangenheit.
Bernd rieb mit dem Zeigefinger die Reste der Fotoecken ab, dann erhob er sich, während das Abendessen aus der Küche strömte und das Zimmer füllte, durchwühlte Schubladen nach einer kleinen Plastikflasche, quetschte Lösungsmittel in den Bratwurstgeruch und Klebstoff auf die Albumseite. Er drückte das Foto in die dickflüssige Pfütze und wartete, bemerkte irgendwann, dass das Bild schief lag, schob seine Fingernägel unter das Papier, löste es ein kleines Stück und durchtrennte zähe Klebstofffäden, bis seine Fingerkuppen unter dem Foto verschwanden, dann legte er den Daumen darauf, zog und zeriss es. Er fluchte, streifte ein Stück Fußboden an der Tischkante ab, dann kratzte, rubbelte und riss er den Rest des Fotos von der Seite, klappte das Album zu und schleuderte es auf die Couch, wo es liegen blieb, den schwarzen Einband auf der Sitzfläche.
Bernd rollte die Fotofetzen zu einer Kugel und warf sie über seine Schulter, legte er die Füße auf den Tisch und lehnte sich zurück.
Du kannst dein Leben nicht einfach wegwerfen, hatte Sandra gesagt und Recht damit gehabt, obwohl sie es anders gemeint hatte. Selbstmord war nie mehr als ein ferner Gedanke gewesen. Sein Leben war alles, was er noch hatte, alles was zählte.
Bernd fasste sich an die Brust, spürte den Herzschlag. Und er hörte das Ticken, das Ticken, das Ticken, das Ticken ...


VII.

Würstchen klebten in kaltem Fett, der Kühlschrank brummte wie ein Fliegenschwarm um seine innere Verwesung, verpestete die Luft, doch Bernd achtete kaum darauf, riss Besteckschubladen auf, schloss sie wieder, sah sich hektisch in der kleinen Küche um, griff in die Spüle, fand, zwischen Tellern und Schmutz, ein Messer und zog es heraus.


VIII.

... das Ticken, das Ticken, das Ticken, hörte es, spürte es. Nur dieses Ticken.
„Sei still“, brüllte er, trat gegen das Tischbein, schlug auf die Sessellehnen ein und sprang auf. Sandra, die aus der Küche gekommen war, wich vor ihm zurück und drückte sich gegen die Heizung, während Bernd die Uhr von der Wand riss und unter seinen Sohlen zertrümmerte.
„Hör auf. Bitte ... hör auf“, wimmerte Sandra.
Der Videorekorder zerbrach, blutete Kabel und Platinenteile auf den Teppich.
„Bitte ...“ Sie zerrte an seinem Hemd, riss es auf und Knöpfe ab. „Bitte.“
Ein Stoß, ein Schrei, ein dumpfes Klatschen; ein Sprung über Sandra, die am Boden lag und hinter Bernd zu schluchzen begann, als er den Fernseher vom Schrank trat, dabei das Gleichgewicht verlor, mit dem Rücken gegen die Couch prallte und sich an ihrer Lehne festklammerte.
Bernd sank auf die Knie und schloss die Augen. Sein Herz raste, pumpte Feuer in sein Gesicht. Er versuchte, sich beruhigen, hob langsam die Augenlider und sah sich um, sah, was er getan hatte – Sandra hockte auf dem Fußboden, rieb sich den Rücken und heulte; Tränen liefen aus roten Augen über ein bleiches Gesicht. Um sie herum Zerstörung.
Bernd zog sich ächzend an der Lehne hoch, torkelte mit wackeligen Beinen zu den Resten der Wanduhr und setzte seinen Fuß auf das zerbrochne Glas. Kein Ticken mehr, nur sein Herzschlag; lauter als je zuvor. Er lebte und musste leben, denn sein Blut floss in den Adern der Erde, sein Herz schlug in ihrem Kern.
„Warum machst du das?“
„Hör auf zu heulen.“ Es gab keinen Grund mehr für Tränen.
Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an der Digitalanzeige des Radios hängen, auf der die Uhrzeit leuchtete.
Bernd ging zum Wohnzimmerschrank und kramte einen Hammer aus der Werkzeugschublade.
„Was ... was hast du vor?“ Sandra war aufgestanden und hing zitternd am Fenstergriff.
„Verdammt, halt endlich die Klappe.“
Bernd riss das Radio vom Regal, trug es zum Couchtisch, holte aus und schlug zu, Plastik brach, holte aus und schlug zu, Sandra schrie, holte aus und schlug zu, bis die Einzelteile die Tischplatte besudelten, dann ließ er den Hammer fallen.
„Gib mir deine Armbanduhr“, sagte er, ohne Sandra anzusehen.
„Meine ... meine ... aber, warum ...“
„Mach schon, sonst ...“
Die Türklingel unterbrach ihn.
„Scheiße“, flüsterte er. Lärm zog Nachbarn an wie ein Kadaver die Ratten. „Sei still, hörst du? Kein Mucks.“
Bernd ging in den Flur und öffnete die Tür.
„Ja?“
„’n Abend.“ Herr Krause stand auf der Fußmatte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt und starrte auf die Türschwelle. „Ich habe Lärm gehört und ...“ Er hob den Kopf, dann die Augenbrauen, als sein Blick Bernds Oberkörper traf, die nackte Brust, das zerrissene Hemd „Oh, ich verstehe“, sagte er und lächelte.
„Gut.“ Was verstand er?
„Geht ganz schön zur Sache, was?“
„Wie bitte?“
Herr Krause rückte seine Brille zurecht und zwinkerte Bernd zu.
„Ich will Sie nicht länger stören.“ Er trat einen Schritt zurück. „Wünsche noch viel Spaß. Aber versuchen Sie, trotzdem etwas leiser zu sein, ja?“ Er legte seinen Zeigefinger auf den lächelnden Mund, hob die Hand und ging.
Bernd schlug die Tür zu und schüttelte den Kopf. Schlimmer als Ratten, viel schlimmer.
Auf dem Weg ins Wohnzimmer löste er seine Armbanduhr, warf sie Sandra vor die Füße und hielt die Hand auf.
„Her damit.“
„Wa... Was ...“, stammelte sie.
Bernd bückte sich nach dem Hammer und ließ den Kopf auf seine Handfläche klatschten.
„Deine Uhr.“
Sandra sah mit feuchten Augen durch Bernd hindurch, ihr Gesicht bebte als würde es auseinanderbrechen. Sie griff an ihr Handgelenk, nestelte an der Uhr herum, löste den Verschluss und ließ sie von ihrem Arm gleiten.
Bernd nickte. „Geh’ ins Schlafzimmer.“
Sandra schlug die Hände vors Gesicht.
„Hör auf zu heulen und geh’“ Er konnte es nicht mehr ertragen, konnte sie nicht mehr ertragen.
Bernd legte den Hammer auf den Tisch, packte Sandras Arme, riss ihr die Hände vom mit Tränen, Rotz und Sabber beschmierten Gesicht und zerrte sie ins Schlafzimmer.


IX.

Bernd wischte die Messerklinge mit einem Handtuch ab, stürmte aus der Küche, zur Schlafzimmertür, klopfte, wollte etwas rufen, wusste aber nicht, was, klopfte stattdessen noch einmal und eilte aus der Wohnung.


X.

Konserven, Wasserflaschen und Schminkutensilien zerrten an den Tragegriffen der Plastiktüten. Bernd schwitzte trotz der Kälte, lief trotz der Last, die bei jedem Schritt gegen seine Beine schlug.
Die Welt zerfloss brennend im Schweiß, der in seine Augen rann. Er blinzelte und lief.
Vergessene Blumen faulten in Kästen unter den Fenstern, hinter denen Menschen verfaulten, lebendig verwesten, in zerfallenden Häusern, hinter tätowierten Fassaden. Durchfurchter Putz, durchfurchte Gesichter, Krückstöcke auf rissigen Gehwegen, auf wuchernden Fugen. Lärmende Kinder im Lärm der Autos, rannten über die Straße, verschwanden im Haus, das durch seinen Schornstein verdampfte, weiß in den Himmel stieg, der an den Dächern festgefroren war und am Kirchturm, der sich unter seiner Last zu ducken schien.
Bernds Atem dampfte stoßweise in die kalte Luft, seine Füße wichen den Rissen im Gehweg aus. Die Zeit lief weiter, alles zerfiel. Es reichte nicht, Uhren zu zertrümmern. Er musste mehr tun, musste die Quelle finden und zerstören.
Bernd wechselte die Straßenseite. Bremsen und Hupen. Er sah hinüber. Der Uhrmacher stand vor seiner Ladentür, eingehüllt von Zigarettenqualm, eine Krawatte locker um den dürren Hals gelegt. Er streckte den Arm aus und klopfte glühende Asche auf den Gehweg, dann schob er sich das Mundstück zwischen die Lippen.
Bernd trat an die Bordsteinkante heran und beobachtete, wie ein kräftiger Zug die Wangen des Uhrmachers einfallen ließ, wie er die Zigarette auf den Bürgersteig warf, sie austrat, nach rechts blickte, die Straße hinunter, dann nach links, sich die Hände rieb, umdrehte und in seinen Laden ging.
Die Türglocke läutete, während der Himmel vor Bernds Augen zu tauen begann und von der Regenrinne auf den Gehweg tropfte.


XI.

Der Uhrmacher lud sein Gewehr durch und legte es auf den Tresen. Gleich war es soweit. Er sah auf die Uhr, verfolgte die Zeiger, zählte leise die Sekunden mit. Dann griff er nach dem Gewehr, legte an und zielte auf die Eingangstür.

 

Hi MrPotato!


Erstmal Restessen (so kurz nach Weihnachten):

Sie verstand es nicht, wollte nicht verstehen, konnte nicht verstehen, war nicht anderes als die Anderen, aber er würde sie retten, denn er gönnte dem Feind keinen weiteren Sieg.
... war nicht anders ...

Ring Ring Ring
Bernd hob die verklebten Augenlider und starrte an die Decke
Ring Ring Ring
aus eigener Erfahrung ein Tipp: Das kommt gar nicht gut, schreib einfach, was klingelt. ;)

hier ebenso:

Dong Dong Dong
Bernd wich zurück und stieß mit dem Rücken gegen eine Straßenlaterne.
Dong Dong Dong

„Willst du heute wirklich zur Arbeit?“
„Ja“, sagte Bernd, obwohl er es nicht meinte. „Ich denke schon.“
undeutlich formuliert:
"Möchtest du heute wirklich zur Arbeit?"
"Ja", sagte Bernd, obwohl er es nicht wollte.

Dreistöckige Wohnhäuser erbrachen ihre Bewohner auf den Bürgersteig,ein kühler Wind trieb Hände in Jackentaschen und Mützen tief in die Gesichter. Fenster glotzten in Fenster, gläserne Augen in grauen Fassaden, getrennt durch die Straße. Autos krochen über den Asphalt, Scheinwerfer leuchteten bleich im dunstigen Zwielicht. Motoren brummten träge, die Glocke der nahen Kirche dröhnte, verscheuchte Taubenschwärme aus den Regenrinnen.
Großartige Metapher, großartiger Absatz! *hutzieh*

Die Couch rutschte immer wieder herunter und mit ihr Vater, Mutter und Sandra, der Tisch und die Sektflaschen, der Umzugskarton in der Ecke und Warhols Suppendose an der Wand. Erstarrt auf Papier, erstarrt in Gedanken. Sandra heulte in der Küche, die Suppendose vergilbte im Flur, der Rest war Vergangenheit.
Sehr, sehr schön

Bernd rieb mit dem Zeigefinger die Reste der Fotoecken ab, dann erhob er sich, während das Abendessen aus der Küche strömte und das Zimmer füllte, durchwühlte Schubladen nach einer kleinen Plastikflasche, quetschte Lösungsmittel in den Bratwurstgeruch und Klebstoff auf die Albumseite. Er drückte das Foto in die dickflüssige Pfütze und wartete, bemerkte irgendwann, dass das Bild schief lag, schob seine Fingernägel unter das Papier, löste es ein kleines Stück und durchtrennte zähe Klebstofffäden, bis seine Fingerkuppen unter dem Foto verschwanden, dann legte er den Daumen darauf, zog und zeriss es. Er fluchte, streifte ein Stück Fußboden an der Tischkante ab, dann kratzte, rubbelte und riss er den Rest des Fotos von der Seite, klappte das Album zu und schleuderte es auf die Couch, wo es liegen blieb, den schwarzen Einband auf der Sitzfläche.
1. ist der zweite Satz ja wirklich ein wenig lang geraten (das passiert dir öfters, und Absicht konnte ich nicht direkt erkennen, sieh da nochmal nach, es erschwert das lesen ein wenig)
2. beschreibst du hier etwas eigentlich unwichtiges viel zu genau.

Er versuchte, sich beruhigen, hob langsam die Augenlider und sah sich um, sah, was er getan hatte
... sich zu beruhigen ...

Bernd riss das Radio vom Regal, trug es zum Couchtisch, holte aus und schlug zu, Plastik brach, holte aus und schlug zu, Sandra schrie, holte aus und schlug zu, bis die Einzelteile die Tischplatte besudelten, dann ließ er den Hammer fallen.
Hier solltest du im Schema bleiben:
... holte aus und schlug zu, Einzelteile besudelten die Tischplatte, er ließ den Hammer fallen.


Zuerst alles Postive: Dein Stil ist großartig. Du plazierst deine Metapher (tolle Metapher, nur um das anzumerken) perfekt, sparst an anderer Stelle mit ihnen, nur um einfach zu erzählen und somit die Handlung wieder voran zu treiben. Die Dialoge und somit die Charakterisierung funktionieren toll und der Leser bekommt ohne jegliche Beschreibung des Prots ein klares Bild von ihm. Wie gesagt, ich kann eigentlich nur den Hut ziehen, denn das ist die Art Stil, die ich anstreben würde.

[
Ein Beispiel für die wirklich großartig funktionierende wörtliche Rede:

„Wenn du wenigstens saufen würdest.“ Sandra stütze sich mit beiden Händen auf das Fensterbrett und sah zwischen ihren Armen hindurch auf den Boden. „Oder schreien. Heulen. Oder ... was weiß ich. Irgendwas tun. Seit Tagen hockst du nur da und blätterst in diesen verdammten Fotoalben.“ Sie richtete sich auf und streckte ihren Rücken durch.
]


Wohinter ich jedoch nicht gekommen bin, sind die für mich etwas merkwürdig wirkenden Absätze.
Okay: Der Anfang ist eigentlich das Ende, soweit klar, jedoch der zweite Absatz (Ziffer: I) ist zeitlich doch nicht vor dem dritten (Ziffer: II), oder? Es wäre also schön, wenn du mich hier noch ein wenig aufklären könntest.


Das Ende (die Aufklärung): Beim ersten Lesen hab ich es so verstanden bzw. es mir so vorgestellt, dass der Uhrmacher nun tatsächlich das genaue Gegenstück Bernds ist, sein Feind sozusagen. Dass er die Zeit liebt, dass er möchte, dass sich die Dinge verändern, das die Welt sich weiterdreht. Dass er es nicht ertragen könnte, nicht zu wissen, wie spät es ist.
Woher er jedoch dann weiß, dass Bernd ihm Böses will, weiß ich nicht genau. *g*
Jedoch schmälert das das Lesevergnügen nicht! :)

Ehrlich, großartige Geschichte, spannend sowie wundervoll aufgrund ihrer Dichte.

Tamira

 

Hi Tamira,

vielen Dank für deine Kritik und dein Lob. Ich freue mich wirklich, dass dir die Geschichte gefallen hat. :)

aus eigener Erfahrung ein Tipp: Das kommt gar nicht gut, schreib einfach, was klingelt.

Stimmt, das wird nicht gern gesehen. :D
Mal sehen, beim Wecker werde ich es vielleicht ändern, bei der Uhr hatte ich aber irgendwie das Gefühl, dass Lautmalerei besser passt. Erstmal weitere Kritiken abwarten.

1. ist der zweite Satz ja wirklich ein wenig lang geraten (das passiert dir öfters, und Absicht konnte ich nicht direkt erkennen, sieh da nochmal nach, es erschwert das lesen ein wenig)
2. beschreibst du hier etwas eigentlich unwichtiges viel zu genau.

Mit dem Teil bin ich auch noch nicht ganz zufrieden. Mal sehen, ob ich den Satz lesbarer machen und den Sinn der Fotoalbum-Episode etwas deutlicher herausstellen kann.

Wohinter ich jedoch nicht gekommen bin, sind die für mich etwas merkwürdig wirkenden Absätze.
Okay: Der Anfang ist eigentlich das Ende, soweit klar, jedoch der zweite Absatz (Ziffer: I) ist zeitlich doch nicht vor dem dritten (Ziffer: II), oder? Es wäre also schön, wenn du mich hier noch ein wenig aufklären könntest.

Nein, Absatz I spielt zeitlich nach Absatz II. Ende-Gegenwart-Rückblende-Gegenwart-Rückblende usw.

Achja: diese "kreisförmige" Struktur sollte einen ganz bestimmten Zweck haben. Mal sehen, ob es jemandem auffällt. ;)

Das Ende (die Aufklärung): Beim ersten Lesen hab ich es so verstanden bzw. es mir so vorgestellt, dass der Uhrmacher nun tatsächlich das genaue Gegenstück Bernds ist, sein Feind sozusagen. Dass er die Zeit liebt, dass er möchte, dass sich die Dinge verändern, das die Welt sich weiterdreht. Dass er es nicht ertragen könnte, nicht zu wissen, wie spät es ist.
Woher er jedoch dann weiß, dass Bernd ihm Böses will, weiß ich nicht genau. *g*
Jedoch schmälert das das Lesevergnügen nicht!

Richtig. Der Uhrmacher steht (gemeinsam mit seinem Geschäft) für die Zeit, bzw das, was Bernd subjektiv als Zeit erkennt - die durch die Sterblichkeit hervorgerufene Bedrohung, die seinem Dasein den einzigen Sinn entzieht: sein Dasein.

Woher der Uhrmacher das weiß, hab ich bewusst offengelassen. Vielleicht hat Bernd mit seiner Vermutung ja gar nicht so unrecht... ;)

Ehrlich, großartige Geschichte, spannend sowie wundervoll aufgrund ihrer Dichte.

Vielen Dank. Mit solch einer positiven Kritik hätte ich wirklich nicht gerechnet. :)


Liebe Grüße,

Tobias

 

Ich würde mich natürlich auch über weitere Kommentare freuen, da ich für eine sinnvolle Überarbeitung gerne wissen würde, wo und wie ich die Geschichte noch verbessern kann. ;)

P.S.: Jaja, so tief bin ich gesunken... Jetzt antworte ich schon auf meine eigenen Geschichten... :D

 

Hallo Mr.Potato,

Anders als Tamira bin ich leider nicht sonderlich begeistert von deiner Geschichte. Schon die Grundidee gibt mir nicht viel, ihr fehlt irgendwie der Schuss des Besonderen, um die Geschichte von den anderen über Durchgeknallte positiv abzuheben.

Die Länge ist sicherlich erforderlich, um glaubhaft den Werdegang eines Menschen zum Psychopathen, der in der Zeit und alles was sie repräsentiert einen Feind sieht, zu schildern, und ich finde, das gelingt dir ziemlich gut. Also die Länge halte ich für passend gewählt, sie gibt dem Protagonisten den nötigen Platz, ihn zu einer Figur zu machen, die Tiefe besitzt und sein Handeln verständlich macht.

Positiv auch noch unbedingt hervor zu heben ist das Verhältnis zwischen dem Prot. Und Sandra. Sie, die ihm helfen will und langsam daran zerbricht. Die Szenen in der beide miteinander agieren sind für mich die interessantesten und am besten gelungenen deiner Geschichte.
Die Stelle, wo der Nachbar vor der Tür aufkreuzt, würde ich übrigens ändern. Mir ist klar, dass da irgendeine Unterbrechung in der aus dem Ruder laufenden Situation kommen muss. Aber bitte, das Zertrümmern von Uhren, Fernsehern, usw. hört sich doch für niemanden wie harter Sex an. Lass Bernd den Nachbarn mit irgendeiner anderen Entschuldigung abservieren.
Nur die Stelle ziemlich zu Anfang, wo der Prot. Sandra zwingt, sich zur Schminken, passt für mich überhaupt nicht, sprich ich sehe da keinen Zusammenhang. Hab da was wohl nicht richtig verstanden.
Ansonsten, wie gesagt, find ich ihr Bemühen um ihn aus seiner Trauer zu reißen toll geschildert.

Nun zum Stil, und der hat mich teilweise ganz schön genervt. Anders als Tamira finde ich, dass du viel zu viele Metaphern verwendest. Besonders als er mit dem Bus aus der Stadt raus zu seinem Arbeitsplatz fährt. Da legst du richtig los… Ist mir einfach zu viel des Guten.
Am Arbeitsplatz hat mich die Beschreibung seiner Tätigkeit gestört. Er tut dies, er tut das, dann dies, und dann wieder das… Ist vielleicht ein Mittel um die Sinnlosigkeit, die er in seiner Arbeit (seinem Leben) sieht, zu verdeutlichen – sagt mir aber nicht zu.

Das Ende: Ich weiß nicht recht, was ich dazu schreiben soll. Erst dachte ich, ich hätte irgendwelche Anzeichen für ein Verstricktsein des Uhrmachers in der Story einfach überlesen. Nach deinem Kommentar scheint es aber keine zu geben, und so kommt das ganze dann doch einen Tick zu unerwartet, um mir wirklich gefallen zu können.
Mh, der Uhrmacher könnte für das Schicksal stehen, und insofern weiß er über alles, hat alles eingefädelt… Wenn ich mir’s so recht überlege, hat der Schluss doch was.
Verdammt, ich weiß nicht richtig was ich davon halten soll. Tamira scheint er gefallen zu haben.

Die 12 Kapitel dürften auf die zwölf Ziffern der Uhr verweisen. Und das das 12. am Anfang steht, bringe ich spontan damit in Verbindung, das die zwölfte Ziffer sowohl den Beginn, wie auch das Ende eines Tages darstellt. Kann jetzt aber auch alles Murks sein...

Also, es ist nicht so, dass ich deine Geschichte schlecht finde, das ganz sicher nicht. Sie schafft es meines Erachtens nach aber auch nicht, sich aus der Mittelmäßigkeit irgendwie hervor zu tun. In Schulnöten würde ich ihr eine 3+ geben.

So das war’s von meiner Seite, und jetzt drück ich dir die Daumen, dass nach und nach noch weitere Leser ihre Kritiken abgeben.

 

Hi Eddard,

vielen Dank für deine Kritik! :)

Anders als Tamira bin ich leider nicht sonderlich begeistert von deiner Geschichte. Schon die Grundidee gibt mir nicht viel, ihr fehlt irgendwie der Schuss des Besonderen, um die Geschichte von den anderen über Durchgeknallte positiv abzuheben.

Die Grundidee war einfach, eine Geschichte über jemanden zu schreiben, der sowohl den transzendenten als auch den immanenten Sinn des Daseins verliert. Er erkennt (instinktiv) die Ersetzbarkeit des Menschen (Fabrik, Fotoalbum) und sieht als Konsequenz das Dasein selbst als einzigen Sinn an. Das Dasein ist aber von der Vergänglichkeit bedroht und ohne Sinn ist der Tod nur ein Schritt in die kosmische Bedeutungslosigkeit.

Die Stelle, wo der Nachbar vor der Tür aufkreuzt, würde ich übrigens ändern. Mir ist klar, dass da irgendeine Unterbrechung in der aus dem Ruder laufenden Situation kommen muss. Aber bitte, das Zertrümmern von Uhren, Fernsehern, usw. hört sich doch für niemanden wie harter Sex an. Lass Bernd den Nachbarn mit irgendeiner anderen Entschuldigung abservieren.

Wer weiß, auf was der Nachbar so alles steht... :D
Darüber habe ich noch gar nicht wirklich nachgedacht aber der Einwand scheint mir berechtigt. Werde diese Stelle bei der Überarbeitung nochmal überprüfen.

Nur die Stelle ziemlich zu Anfang, wo der Prot. Sandra zwingt, sich zur Schminken, passt für mich überhaupt nicht, sprich ich sehe da keinen Zusammenhang. Hab da was wohl nicht richtig verstanden.

Er zwingt Sandra, sich zu schminken, um die Zeichen der Zeit auszulöschen. Er verabscheut die sichtbare Vergänglichkeit.

Ansonsten, wie gesagt, find ich ihr Bemühen um ihn aus seiner Trauer zu reißen toll geschildert.

Vielen Dank! :)

Nun zum Stil, und der hat mich teilweise ganz schön genervt. Anders als Tamira finde ich, dass du viel zu viele Metaphern verwendest. Besonders als er mit dem Bus aus der Stadt raus zu seinem Arbeitsplatz fährt. Da legst du richtig los… Ist mir einfach zu viel des Guten.

Oh je, also jemanden zu nerven ist wirklich das letzte, was ich erreichen will...
Dabei habe ich wirklich versucht, mit den Metaphern Sinn zu transportieren und die Bilder einem gewissen "System" folgen zu lassen (z.B. die vielen "Zerfließ"-Metaphern, die ich bewusst an manchen Stellen benutzt habe usw).

Die 12 Kapitel dürften auf die zwölf Ziffern der Uhr verweisen. Und das das 12. am Anfang steht, bringe ich spontan damit in Verbindung, das die zwölfte Ziffer sowohl den Beginn, wie auch das Ende eines Tages darstellt. Kann jetzt aber auch alles Murks sein...

Ja, das auch. Aber die zwölf Kapitel könnten ja auch für die Monate stehen, und da das Ende am Anfang steht, besitzt die Geschichte eine gewisse Kreisstruktur. Und dann ist da ja noch die Sonnensequenz in der Mitte...
Kurz gesagt: mein Hauptanliegen war es eigentlich, eine heliozentrische Struktur zu schaffen.

Also, es ist nicht so, dass ich deine Geschichte schlecht finde, das ganz sicher nicht. Sie schafft es meines Erachtens nach aber auch nicht, sich aus der Mittelmäßigkeit irgendwie hervor zu tun. In Schulnöten würde ich ihr eine 3+ geben.

Da ich selber arge Zweifel an der Geschichte hatte/habe, bin ich mit einer 3+ eigentlich ganz zufrieden. In der Schule hat mir so eine Note eigentlich immer gereicht... :D


Nochmals vielen Dank fürs Lesen und Kritisieren.

LG,

Tobias

 

Hallo MrPotato,


Zitat: Aber die zwölf Kapitel könnten ja auch für die Monate stehen, und da das Ende am Anfang steht, besitzt die Geschichte eine gewisse Kreisstruktur. Und dann ist da ja noch die Sonnensequenz in der Mitte...
Kurz gesagt: mein Hauptanliegen war es eigentlich, eine heliozentrische Struktur zu schaffen

Darüber habe ich lange nachgedacht. Vermutlich viel zu lange. Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass je öfter ich mich mit diesem Gedanken auseinandersetze und je mehr ich versuche, das System zu erkennen, mit dem die Story niedergeschrieben wurde, desto mehr Varianten erhalten ich.

Das Leichteste scheint das Ende zu sein, weil es mit den Lettern VII gekennzeichnet ist. Aber wo ist der Anfang?
Ist es Kapitel I, weil es logisch wäre - nein! Ich glaube, Kapitel I ist mittendrin.
Also vielleicht Kapitel II. Ja, schon, aber ... da ist so ein blöder Absatz.

Zitat: Frühstück, ja?“
„Nur Kaffee.“

Dreistöckige Wohnhäuser erbrachen ihre Bewohner auf den Bürgersteig, ein kühler Wind trieb Hände in

Zuerst habe ich es überlesen und geglaubt, das hat keinerlei Bedeutung. Aber nach langem hin und her, habe ich überlegt, das nach dem Satz "Nur Kaffee" Kapitel VI ausgezeichnet passen würde.

Da heißt es: "Wenn du wenigstens saufen würdest..."

Gehe ich von da aus weiter, käme ich zu Kapitel 8, weil er das Ticken hört.

Am Ende dieses Kapitels befinden sie sich im Schlafzimmer. Aber, was dann?
Kapitel 1 passt in diesem Fall
Er will sie unbedingt schminken.

Zitat: denn nichts klang besser als das Schweigen einer Uhr, die unendliche Stille stehender Zeiger.

Wir kommen zur Sonne, bzw. DONG DONG DONG, Kapitel V

Zitat: Dong Dong Dong
Die Glocke der Turmuhr durchbrach die Barrieren seiner Hände und drang in seinen Kopf; früher hatte sie geläutet, jetzt schlug sie, dröhnte, brüllte sie, vier Mal, fünf Mal, dann war es vorbei und Bernd sank auf die Knie, zitterte und verfluchte die Uhr, denn er war ihr ausgeliefert, aber nicht mehr lange, dachte er, beruhigte sich, stand auf und eilte in die Küche.

Kapitel VII: Würstchen klebten in kaltem Fett, der Kühlschrank brummte

Kapitel VIIII: Bernd wischte die Messerklinge mit einem Handtuch ab, stürmte aus der Küche, zur Schlafzimmertür, klopfte, wollte etwas rufen, wusste aber nicht, was, klopfte stattdessen noch einmal und eilte aus der Wohnung.

Der Fehler in diesem System ist, dass ich Kapitel vier nicht unterkriege und überhaupt ...!
Das kann doch nicht dein Ernst sein ... oder doch?

Schöne Grüße
André

 

Hi Andre,

ich habe mir schon gedacht, dass die Struktur der Geschichte für Verwirrung sorgen kann. Werde mir Gedanken darüber machen, ob ich die Abfolge deutlicher machen kann. Also:

Kapitel XII ist das Ende der Geschichte, obwohl es am Anfang steht.
Kapitel I ist eine "Gegenwartsszene", Kapitel II ein Rückblick, Kapitel III wieder Gegenwart usw...
Die chronologische Reihenfolge ist somit folgende:

II, IV, VI, VIII, X (wenige Augenblicke vor I), I, III, V, VII, IX, XI, XII

Die "Sonnenszene" ist aus der zeitlichen Abfolge herausgelöst. Wichtig ist nur ihre strukturelle Position.

LG,

Tobias

 

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