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Terror (Ein schlechtes Lied ist immer zu lang.)

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03.05.2004
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Terror (Ein schlechtes Lied ist immer zu lang.)

Karla kam immer später nach Hause. Ihr Nachname auf dem Klingelschild glänzte nur noch verschwiegen. Ich begann zu vermuten, dass sie ihr Job mehr beanspruchte als geplant. Karla war dienstbeflissene Journalistin, ihr Ehrgeiz trieb sie eisern. Ich fragte sie beim Frühstück, wie sich ihr seltenes Erscheinen in unseren vier Wänden begründen würde, klopfte ein Ei auf. „Ich habe da etwas entdeckt.“, sagte sie und warf sich einen Schal um. Meine berufliche Situation beanspruchte mich nur mäßig, ich begann damit, immer häufiger den Fernseher als Zeitvertreib zu bemühen, sah Terroristen, lange Bärte und allerlei Buchstaben, die mir seltsam anmuteten, als hätte sie jemand aus Langeweile in einen karierten Block gezeichnet. Karla und ich aßen zu Abend, als in den Nachrichten eine Berichterstattung im Fernsehen lief. Im Medienfokus war ein gesuchter Terroristenführer. Als ich Karla erzählen wollte, wie seltsam mir die Buchstaben erschienen, legte sie ihre Hand auf meinen Mund. Als der Beitrag sein Ende fand, ließ sie das Messer fallen, warf sich einen Schal um und verschwand. „Sie hat da etwas entdeckt.“, dachte ich.
Als ich vier Tage später gegen frühen Vormittag auf dem Weg von meiner vorübergehenden Arbeitsstätte nach Hause ungewohnt früh Karlas Wagen vor dem Haus stehen sah, dachte ich mir nichts dabei. Zwei grüne Gummistiefel standen auf dem Flur. Der Terroristenführer, den ich seit meiner Berufsbeschäftigung ausführlich in den Nachrichten bei Schießübungen und Kriechen durch Erdschächte beobachten konnte, saß auf der Couch und sah mich an. Da saß er, wie ich dort saß, als ich ihn im Fernsehen beobachtete, wie er durch Erdschächte kroch. Neben ihm auf der Lehne lag Karlas Schal, der Mann musste sich damit verhüllt haben, damit ihn niemand erkennt. Den Schal hatte ich ihr geschenkt. Der Führer blickte mich erschrocken an.
Der Mann wurde mir durch Karla als „Amut“ vorgestellt, und seine Unterbringung in unserer Wohnung nannte sie „das journalistisch cleverste Manöver und menschlich unbedingt notwendig“. Ein Terroristenführer in unserem Haus, ich gewöhnte mir an, mein Fahrrad abzuschließen. Wie demselben entsprungen, saß er zwei Tage lang vor dem Fernseher, zeigte auf Punkte in Karlas Weltkarte und sprach in ihr Diktiergerät. Als er mich am zweiten Tag beim Rasieren im Bad überraschte, sahen wir uns an (Welche Sprache sprechen Terroristenführer?), bis ich ihm meinen Rasierapparat unter die Nase hielt. Er schüttelte verständlich den Kopf und ging ins Wohnzimmer um den Fernseher einzuschalten. „Als würde er wieder hineinspringen“, dachte ich. „Nur um wieder durch Erdschächte zu kriechen und Terroristendinge zu tun.“ Ich empfand ihn als egozentrisch und verschwiegen, nicht ganz richtig.
Als ich am frühen Vormittag die Haustür aufschloss, war er verschwunden, das Sofa sah verlassen aus, ich müsste es wieder einliegen. „Amut ist jetzt wieder weg.“, verkündete Karla. Der Teppich wies erdfarbene Flecken auf, wo einst seine Stiefel standen. Ob man beim Kauf von Reinigungsmittel für Flecken dieser Art auf einen besonderen Vermerk am Packungsetikett achten müsste? „Darum kümmere ich mich.“, sagte Karla beim Öffnen der Wohnungstür und warf mir eine Kusshand zu. Aber wo war ihr Schal?
Die Flecken waren vollständig verschwunden, ich staunte nicht schlecht, eher überrascht. Als in den Abendnachrichten ein Beitrag über Amut gesendet wurde, dem Mann, der zwei Tage lang unser Sofa militärisch besetzt hatte, stieß ich Karla mit dem Ellenbogen in die Seite. „Was soll das denn?“, fragte sie, als wüsste sie nichts von Amut, als wäre es nicht ihre Weltkarte und nicht ihr Diktiergerät gewesen. In den folgenden zwei Wochen zeichneten sich zwei unverkennbare Entwicklungen ab. Die Beziehung zwischen Karla und mir verschlechterte sich zusehends, selbst nach Amuts Verschwinden bekam ich sie nur selten zu Gesicht, wir verbrachten kaum noch Zeit miteinander, einmal gab sie mir beim Verabschieden die Hand. Sie bekam tiefe Augenringe. Und noch etwas zeichnete sich ab: Karla ließ durchscheinen, dass die Unterbringung von Amut in unserem Haus niemals passiert war. Die Flecken waren vollständig verschwunden. Karla schüttelte heftig den Kopf, ließ sich auf keinerlei Diskussionen mit mir ein, sie müsse jetzt auch los und ich muss mir mal einen vernünftigen Job suchen. Sie verlor das Interesse an mir, was mir nicht nur logisch, sondern auch nachvollziehbar erschien. Karlas fliegende Kusshände blieben aus, wurden vielmehr zu einem immer fortwährenden Winken, und als ich sah, dass ihr Name von unserem Klingelschild entfernt wurden war, beschloss ich, unsere Beziehung zu beenden. Ich stand im Hausflur (All mein Hab und Gut war in einer großen Kiste, einem Koffer und meiner rechten Hosentasche verstaubar.), Karla mahnte mich an den Türrahmen gelehnt: „Du rufst mich an, wenn du etwas brauchst.“ Kein Wort über den bärtigen Amut mit den grünen Gummistiefeln. Eine fliegende Kusshand zog zielstrebig an mir vorbei, zeigte mir den Weg nach draußen. Es war Winter, und ich hatte keinen Schal, um ihn mir umzubinden.
„Karla lässt dich grüßen!“, sagte Barbara am Abendtisch. „Es geht ihr gut, sie hat eine neue Beziehung.“ Karla und Barbara verstanden sich gut, ihre Beziehung zueinander war als überaus kollegial zu beschreiben, was den Umständen diente, dass die Beiden Kollegen waren, Barbara war ebenfalls Journalistin, arbeitete für das gleiche Tagesblatt. Unser Kennenlernen ist als ein Unfall zu beschreiben. Auf meinem neuen Dienstweg fuhr ich ihrem grünen Cabriolet auf und es funkte. Barbara maß mir Aufmerksamkeit zu, machte keine sarkastischen Bemerkungen über meinen Job, hörte sogar zu, wenn ich ihr davon erzählte. „Ich bringe Pakete von A nach B.“, sagte ich, und „Mein Chef trägt grüne Schlangenlederstiefel.“. Unsere Beziehung entwickelte sich zukunftsversprechend, und bald klebte ich unsere Namen auf das glänzende Klingelschild. Hin und wieder beobachtete ich Amut den Bärtigen im Fernsehen, wie er Terroristendinge tat, dachte an Karla. Besonders, als Barbara damit begann, später nach Hause zu kommen. Am Ende der zweiten Woche alleinigen Abendessens und Zubettgehens, zog ich mich in den Flur, als Barbaras Schlüssel im Schloss nach Halt suchte. Als sich ihr Kopf an der Türkante vorbeischob, sagte ich leise: „Ich möchte nicht, dass du Terroristen nach Hause bringst, Barbara.“ Im Fernsehen war Amut der Bärtige zu sehen, wie er eine langstielige Waffe anhob und betrachtete, neben ihm lag Karlas Schal. „Drehst du durch?“, fuhr Barbara mich an. Ich erzählte ihr von Karla und Amut, dem Sofa und den grünen Gummistiefeln und letztenendes auch von den verschwundenen Flecken. „Unsinn.“, sagte Barbara und blinzelte mir zu, „Ich bringe keine Terroristen von der Arbeit mit nach Hause.“
Meine neue Arbeitsstätte verlangte meine vollständige Aufmerksamkeit und sicherte mir gewiss ein entsprechendes Maß an Freizeit. Vielleicht war es die daraus entstehende Langeweile, gemischt mit verhaltenen Misstrauensansätzen, die mich auf die Idee brachte, Barbaras abendliches Arbeitsleben zu beobachten. Durch die Unterbringung von Amut dem Bärtigen in meiner Wohnung war ich misstrauisch geworden. Barbaras grünes Cabriolet stand ausdauernd mit geschlossenen Dach auf dem dafür vorgesehenen Parkplatz. Ich stand frierend ohne Schal (Das Cabriolet war im klaren Vorteil.) auf einer Rasenfläche im Schnee, bis ich beschloss, mir ein Auto zu kaufen. Ich wartete darauf, dass Menschen mir Mohrrüben und Kohlen ins Gesicht steckten. Das Licht in Barbaras Büro erlosch, war es im Kampf zu Boden gefallen? Ich schüttelte mir den Schnee aus dem Gesicht und lief auf das Bürogebäude zu, stieß unsanft mit Barbara zusammen. Von der lautstarken Folgediskussion lässt sich berichten, dass wir beschlossen, ich müsste einen Abstand zu Barbaras Job gewinnen, keine Gespräche mehr darüber. Fortan waren am Abendtisch nur noch meine Joberzählungen zu hören. „Ich bringe Pakete von A nach B.“, sagte ich, und „Mein Chef trägt grüne Schlangenlederstiefel.“. Als wir aus der Firmenparkplatzausfahrt ausbogen, sah ich im Außenspiegel, wie Karla das Bürogebäude verließ und die Tür verschloss. Sie und Barbara waren die wohl letzten, die noch recherchierten.
In den folgenden Wochen verliefen meine Tage sicher strukturiert, meine physische Verfassung konnte sich beruhigt zurücklehnen, wo die psychische bereits faulenzte. Ich brachte Pakete von A nach B, beobachtete Amut den Bärtigen mit dem Schal im Fernsehen (Wie konnte Karla den Vorfall nur bestreiten?), und wenn Barbara von der Arbeit kam, stellte ich keine Fragen und ließ meinen Joberzählungen freien Lauf. Barbara hörte mir zu, fragte nach und ich erzählte, dass mein Chef grüne Schlangenlederstiefel trägt und wie ich Pakete von A nach B bringe. „Kinderleicht.“, winkte ich ab.
Eines Abends sah ich Karlas Schal im Fernsehen. Amut der Bärtige schien ihn herumzutragen, als würde er ihn in der kahlgeschlagenen Wüstenszenerie benötigen. Ob Karla mit Amut geschlafen hatte? Barbara öffnete die Wohnungstür und schlug einen Stapel von Papieren vor mich auf den Tisch. Im folgenden Gespräch stellte sich heraus, dass mein alltäglicher Job daraus bestand, „als Drogenlieferant vom großkalibrigen Punkt A, dem ersten Glied in der Kette, nach Unterhändler B“ hinter mich zu bringen. „Du meine Güte.“, sagte ich. Barbara deckte einen großen Fall auf, Exklusivbilder (Keiner der Männer auf den erschienenen Fotos trug Schlangenlederschuhe.), Prestigegewinn und Beförderung. Und so, wie von schuldigen Männern Fotos für polizeiliche Akten gemacht wurden, entfernte ich meinen Namen vom matten Klingelschild. Das meinerseitige Beenden unserer Beziehung war eine erklärte Reaktion auf die Tat Barbaras, ihr berufliches Voranstreben schien ihr mehr zu bedeuten, als mir lieb war. Karla. Barbara. Ich fuhr zu Mama.
Meine Stiefmutter lebte fernab der Stadtmitte auf einem Bauernhof und hegte keinerlei publizistische Ambitionen. Ich begann damit, so lang zu schlafen, wie es meine Müdigkeit verlangte und steigerte meinen Fernsehkonsum, bis mir noch mehr als überaus schlecht für meine Gesundheit erschien. Einen Job suchte ich mir vorerst nicht. Als ich meine Stiefmutter nach dem Grund des häufigen Türschellens und der leichten Musik in den Abendstunden fragte, konfrontierte sie mich mit der Tatsache eines im Bauernhof errichteten Bordells (Daher auch die Leuchtschrift „Erotik-Arche“ auf dem Dachgiebel.), „die wirtschaftliche Tieflage lässt einer Frau in meinem Alter ohne Ausbildung nichts anderes möglich sein.“, erklärte sie mir. „Du meine Güte.“, sagte ich. Ich mischte mich nicht weiter ein und drehte den Fernseher lauter, erklärte es mir als die Originallautstärke (Fußballspiele waren total laut.), und hielt mich weitestgehend aus den Geschäftsabwicklungen meiner Mutter. Karla und Amut der Bärtige, Barbara und der Schlangenlederbestiefelte und deren journalistisches oder kriminelles Bestreben rückten auf weite Sicht von mir ab. Bis ich Bernhard im Hausflur traf.
Bernhard und ich trennten uns vor vielen Jahren als Schulkameraden. Nachdem er Germanistik und Journalismus studiert hatte, überzeugte er als leitender Redakteur die Verantwortlichen eines auswärtigen Wochenblattes (Seinen Recherchen zufolge wurden einige regionale Fehlfinanzierungen und kleinere Politskandale aufgedeckt.), bevor er die Redaktion des Tagesblattes übernahm, für das auch Karla und Barbara arbeiteten. All das schien ihm graue Haare zu bescheren. Ich fragte ihn nicht, was er dort machte, und er fragte nicht, was das für Wäsche war, die ich dem Korb herumtrug. Bernhard der Graue besuchte fortan regelmäßig das Bordell meiner Mutter, und ich verdiente Geld damit, im Haus als Mädchen für alles greifbar zu sein, wusch Wäsche und hängte sie zum Trocknen auf, wechselte Glühbirnen aus oder kaufte Batterien, orderte Kataloge über das Internet. Traf ich Bernhard den Grauen im Treppenhaus oder im Wartesaal, so fragte ich ihn nicht, was er dort machte, und er fragte mich nicht, wozu die Batterien benötigt wurden, was gut war, denn darüber war ich mir selbst nicht im Klaren. Wir verstanden uns gut, einmal machte Bernhard Fotos von mir, auf denen ich einen Wäschekorb hoch über mich hielt. Mit jemandem zu reden, der keinerlei arglistige publizistische Hintergedanken zu hegen schien, war für mich eine wohl benötigte Abwechslung zum Fernsehprogramm, so auch die Meinung einiger Fernsehpsychologen. Ich war mir sicher mit Bernhard dem Grauen.
Ich machte es mir zur Angewohnheit in den Abendstunden die Männer zu beobachten, die mit den Frauen auf dem Hof sprachen, bevor sie mit ihnen auf’s Zimmer gingen oder kopfschüttelnd den Motor anließen. Für meinen eigenen Zeitvertreib notierte ich mir Autokennzeichen, fotografierte die Halter und archivierte die Unterlagen, nannte es das „Arche-Archiv“. Ich war sehr gelangweilt.
Ich erfuhr aus den Nachrichten, dass Amut der Bärtige untergetaucht war, seit Tagen bereits gab es kein Zeichen des weltweit gesuchten Terroristenführers. An seinem letzten spartanisch eingerichteten vermuteten Aufenthaltsort wurden verschiedene Landkarten und andere für die Ermittlungen irrelevante Sachgegenstände gefunden, so auch ein Schal. Es war nicht Karlas Schal, den Soldaten in einem Erdloch gefunden hatten. Amut schien offenbar an diesem Schal zu hängen. Als ich nach dem Ringen des Telefons den Hörer mäßig passioniert in die Hand nahm, um in die Muschel zu sprechen, sagte mir Karla, dass es sie es wäre, Karla. Mir blieb keine Zeit, davon zu berichten, wer ich war. Sie erzählte davon, wie es ihr geht und dass das auch gut so ist, dass sie an einer mindestens regional interessanten Titelgeschichte recherchiere und dass sie mich betrogen hätte. „Mit Amut“, sagte ich, „Dem Bärtigen.“ Karla ging nicht auf meine Bemerkung ein, sagte, dass ihre häufigen Überstunden darin begründet waren, als dass sie verhältnismäßig häufig mit ihrem Chef geschlafen hätte, weil sie meine psychische und physische Verfassung als nur wenig anziehend empfand. „Du meine Güte.“, sagte ich, „Der Graue.“ Es klopfte an der Tür, ich beendete das Telefonat und öffnete die Tür. Der Mann im Flur sagte, er wäre Teil eines Sondereinsatzkommandes, das über staatlich genehmigte Befugnisse verfügt. „Mein Kollege kommt gleich“, sagte er, blickte in den Raum. Ich hatte mir nicht mal die Zähne geputzt. „Viel Platz ist ja nicht“, sagte der Mann mit den blinkenden Zähnen. „Aber wenn wir eng zusammenrücken.“
Sein Kollege brachte wenig später einen Schnurbart und eine Waffe mit. Ich ließ mir vom Zähneblinkenden sagen, dass es eine Waffe mit Halbautomatik wäre, der Schnurbärtige wäre seine rechte Hand in einem Fall, dessen Verantwortung und Ausführung in den Händen einer der Kriminalpolizei übergeordneten Organisation läge. Ich dürfte sicherheitsregelbedingt nichts über den Auftragsinhalt erfahren, noch dürfe der Aufenthalt der beiden Männer in meiner Wohnung Dritten verraten werden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich schaute den Schnurbärtigen an, „Halbautomatik.“, sagte der, tippte auf die Waffe mit der Halbautomatik. „Halbautomatik“, sagte ich. „Ich schätze, das bedeutet weniger Arbeit.“ Der Schnurbärtige zuckte mit den Schultern, wobei ihm die Waffe von der Schulter rutschte. Ich hielt mir die Ohren zu und ging in die Knie. Ob sie hier waren, um Bernhard zu observieren, die Verbindung zu Karla, der Frau, die Amut den Bärtigen, Amut dem untergetauchten Terroristenführer, Aufenthalt in meiner Wohnung gewährt hatte? Der Zähneblinkende stellte ein Fernrohr am Fenster auf.
In den folgenden Tagen besetzten die beiden Männer mit staatlicher Befugnis mein Sofa, richteten sich in meiner Wohnung ein, bedienten sich aus meinem Kühlschrank, waren zuweilen recht betrunken und sangen schmutzige Lieder. Einmal urinierte der Schnurbärtige in meine einzige Vase. Und wenn sie nachts in meinem Bett schliefen, übernachtete ich auf dem Sofa. Der Schnurbärtige sagte „Halbautomatik“ wenn ich ihn ansah und Boris der Zähneblinkende nickte, sah dabei nicht vom Fernseher auf. Wir gewöhnten uns aneinander, bereits nach einer Woche schliefen wir zusammen in meinem Bett oder betranken uns, wir waren sehr spontan. Der Schnurbärtige erledigte die anfallenden Einkäufe (Er verlor darüberhinaus in jedem Gesellschaftsspiel.), und wenn ich abends mit Boris vor dem Fernseher saß, servierte der Schnurbärtige die leckersten Mahlzeiten, bevor er sich dazusetzte. Später deckte er den Tisch ab und wir gingen zu Bett. Oder wir betranken uns. Es war wunderbar.
Am selben Tag, an dem mich meine Stiefmutter vor die Entscheidung stellte, mir einen richtigen Job zu suchen oder auszuziehen, erhielt ich einen Brief von Karla, die Briefmarke sendete kryptische Zeichen. Feiner Sand rieselte aus dem Umschlag, ich fand darin ein Flugticket und einen Brief. Sie recherchierte an einer Geschichte, die für sie als Journalistin den nationalen Durchbruch bedeuten würde, schrieb Karla gekrakelt, ich es solle es mir ansehen, es wäre unglaublich. Und auch, wenn mich ihr überpassionierter Journalismus-Trieb in Vergangenheit in nicht unerhebliche Schwierigkeiten gebracht hatte, erschien mir „unglaublich“ wesentlich attraktiver als das Beantragen meiner Lohnsteuerkarte. Ich bat Boris, mich zum Flughafen zu fahren (Der Zähneblinkende sagte, dass er jetzt nicht Autofahren könne, dafür wäre er erheblich zu betrunken.), sah dann auf den Umschlag. Die Briefmarke sendete kryptische Zeichen. Ich blickte zum Fernseher. Amut war zurück. Im Internet war ein Film aufgetaucht, auf dem der Führer eine Ansprache vor frenetisch Jubelnden hielt. Frieren würde er dabei nicht, Karlas Schal flatterte winkend um den Hals des Bärtigen.
Als ich einige Stunden später mit dem Koffer an der Hand (Ich hatte mehrere langbeinige Hosen und recht bunt bedruckte Hemden eingepackt, und – sollte das Wetter mitspielen – einige bedruckte Bermuda-Shorts.) und Boris an der Seite auf seinen grünen Kleinbus zuging, sah ich den Schnurbärtigen am Fenster stehen und winkte ihm zu. Er schien keine Versuche zu unternehmen, mir herunter zu winken, deshalb winkte ich in die Richtung Boris’, doch als auch der nicht entsprechend reagierte, ließ ich das Winken sein, es erschien mir albern. Ich zog die hydraulische Schiebetür zur Seite und stellte meinen Koffer in den Bus. Als ich mich zum letzten Mal umsah, sah ich wie der Schnurbärtige das „Arche-Archiv“ anhob und nach hinten forttrug. Ich dachte nach. Hatte ich die Shorts mit dem roten „Surfers suck“-Aufdruck eingepackt? Ich wusste es nicht. Das Flugticket ragte ungeduldig aus meiner Hemdstasche in den Wind. Er wehte von Süden her.
Nach der Landung staunte ich überrascht, als Barbara mich im Flughafen empfang. Sie trug einen Schal um den Hals, aber es war nicht Karlas Schal, der da um ihren Hals wehte. Ich berichtete Barbara ausgedehnt von meinem Flug, beschwerte mich über den Komfort, und als ich vom Essen erzählte (,das in keinem Bezug zu dem Ticketpreis stand), wurde ich wütend, wieso sie das nicht hinbekämen, sagte ich laut. Ich war noch nie geflogen. In einem 80 Jahre altem Jeep fuhren wir über staubige Sandwege, als mir Barbara erzählte, dass Karla sie ins Vertrauen gezogen hätte, sie wäre die Einzige gewesen, der sie bei derart Sensationellem vertrauen würde, sie wäre wirklich großartig und verlässlich, eine wunderbare Kollegin und es wäre ja auch wirklich die Story. Na sowas. Bei dem Versuch, Barbaras verlorene Zigarette aus dem Fußraum des klapprigen Geländewagen aufzuheben, stieß ich mit dem Kopf unsanft gegen die verdreckte Handschuhfachunterseite und verlor das Bewusstsein. Ich hatte noch nie das Bewusstsein verloren. Das war das erste Mal. Es war total dunkel.
Nachdem ich den Zustand der Empfangshalle des Flughafens gesehen hatte und mir auch der des Geländewagens negativ aufgefallen war, wunderte ich mich nicht über den Zustandes des Zimmers, in dem ich mein Bewusstsein wiedererlangte. Ich war enttäuscht, und dabei hatte ich meine bereits geringen Erwartungen auf bloße Standards reduziert. Der Raum war verdunkelt, nur durch die Spalten der Fensterbeschläge quetschte sich das Licht einer Laterne. Ich sah zur Tür. Durch den Spalt schien blaues Fernsehflimmerlicht, Fernsehstimmen surrten herüber. Ich stemmte mich aus dem Bett nach oben und spähte durch den Türspalt. Auf einem ausgefransten Teppich wankte ein alter Holzstuhl, auf dem ein Fernseher trohnte, die beiden Antennen ragten irrsinnig in die Luft um unzuverlässig ein Programm miserabel zu empfangen. Langsam zog ich die Tür auf. Boris der Zähneblinkende kauerte dem Fernseher zugewandt auf einem schäbigen Sofa. Neben ihm saß Amut der Bärtige. Als wäre er dem Fernseher entsprungen, auf den er starrte und hätte jederzeit die Möglichkeit, dorthin auch wieder zu verschwinden. Auf der Lehne ruhte Karlas Schal, darunter ihre Krokodilslederstiefel. Ich zog die Tür ganz auf. „Amut?“, sagte ich. Der bärtige Führer drehte sich um und blickte mich erschrocken an.


edit von maus: link entfernt

 

Terror (Ein schlechtes Lied ist immer zu lang.)
Punkt weg
"Ich habe da etwas entdeckt.", sagte
Punkt weg
mein Fahrrad abzuschließen. Wie demselben entsprungen
Wie? er war dem Fahrrad entsprungen?
Hi Poldi Blamage,
das Ende ist viel zu abprupt.
Der Schreibstil gefällt mir ganz gut, und anfangs würde es wunderbar in Satire passen. Aber Alltag geht natürlich auch. :)
:heilig:

 

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