Mitglied
- Beitritt
- 18.11.2005
- Beiträge
- 9
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 3
Teufelsspiel auf dem Theater
Teufelsspiel auf dem Theater
Von Daniel Partzsch
Ich betrat die Bühne und alles war still. Ich konnte nichts hören, ich konnte nichts riechen und alles um mich herum war verschwommen. In wundervoll bizarren Formen und Mustern lagen die verkohlten Leichen der Theaterbesucher über dem Boden verteilt. Nichts regte sich; ich stand einfach nur so da. Dann war es soweit. Das Ende einer großartigen Vorstellung war gekommen. Ich hob den Revolver mit dem einen Arm, den ich noch hatte, steckte ihn mir in den Mund und drückte ab. Ich war tot.
Ich betrat die Bühne. Die schwarze Masse vor mir verstummte. Das Orchester hörte auf zu proben. Ein unbeschreibliches Gefühl der Ruhe umhüllte mich. Ich fiel in einen ewigen Abgrund. Der rote Samtvorhang flatterte in den Saal hinein; Schneeflocken, Geister, Engel und Flammen flogen mir um die Ohren. Alles wurde eingesogen; nur ich blieb da und fiel weiter. Dann kam alles zurück. Die schwarze Masse hatte sich gerührt. Ich sammelte mich und sprach mit ruhiger Stimme. Katharina Kaskajowa, die das Gretchen in meiner „Faust“- Inszenierung spielen sollte, war verschwunden. Gemurmel. Ich verschob die Premiere auf den nächsten Tag und verließ die Bühne.
Kurz darauf saß ich im Auto. Es regnete. Ich war hochkonzentriert. Ich fuhr mit weit geöffneten Augen, den Blick starr geradeaus gerichtet. Tausende Gedanken prallten von meiner Windschutzscheibe ab. Keiner davon blieb mir in Erinnerung. Ich hatte mich im Irrgarten des Nichts verirrt. Leute am Straßenrand winkten mir zu. Wollten sie mir ein Zeichen geben? Ein Blitz krachte vom Himmel herunter. Dann war es stockfinster.
Ich hielt vor einem großen Anwesen, schaltete den Motor ab und stieg aus. Der Regen streifte mich. Wasser lief über mein Gesicht. Ich griff in meine Tasche und holte einen weißen Zettel heraus, den ich auf Katharinas Garderobentisch gefunden hatte. Erst hatte es so ausgesehen, als ob er leer wäre, aber als ich ihn zufällig ins Licht gehalten hatte, konnte ich ein kleines Wasserzeichen in der Mitte des Blattes erkennen. Es stellte sich als ein Emblem heraus. Das selbe Emblem hatte ich jetzt groß vor mir – es war auf einer Messingplatte an die Tür des Anwesens genagelt. Ich klopfte. Ein alter Mann öffnete mir und fragte mürrisch, was ich wolle. Ich fragte ihn nach Katharina, aber er konnte mir keine Antwort geben. Er wollte die Tür schon wieder schließen, als ich ihn noch um einen Kaffee bat. Ich würde auch bezahlen. Er ließ mich herein.
Ich wurde in einen riesigen Säulensaal geführt. Prachtvolle Vorhänge schmiegten sich an die Mauern; überall waren Kerzen angezündet; exotische Düfte stiegen mir in die Nase. Die Luft war nebelgeschwängert und warm. Ich konnte sie schmecken. Ich versuchten alles auszukosten, jedem meiner Sinne diese Atmosphäre zuteil werden zu lassen, aber es war zu viel. Das letzte, was ich sah, war das blöde Grinsen, des alten Mannes. Dann fiel ich in Ohnmacht.
Ich befand mich wieder im Nichts; war nur von unendlich vielen Sternen umgeben. Ich versuchte sie zu fassen, aber es gelang mir nicht. Gerade als ich aufgeben wollte kam ein kleiner Stern von oben angeschwebt und landete genau auf meiner Schulter. Ich nahm ihn in die Hand und sah ihn mir genau an. Plötzlich begann er zu glühen. Er wurde immer heller und heller und heller und verglühte schließlich in meiner Hand; und brannte sie mir samt Arm weg.
Ich kam wieder zu mir. Ich nahm meine Umgebung nur verschwommen wahr. Eine Frau beugte sich über mich. Da kam der Schmerz. Ich schrie aus vollem Halse. Ich schrie so laut, dass beinahe mein eigenes Trommelfell platzte. Ich schrie meinem Arm hinterher. Die Frau hatte mir meinen rechten Arm abgenommen und trug ihn nun weg. Die Wunde war riesig. Mein eigenes Blut war überall. Ich wollte der Frau hinterher springen, stellte allerdings mit Schrecken fest, dass ich festgebunden war. Es befanden sich außerdem mehrere nackte Frauen in dem Saal, die irgendwie unheimlich aussahen. Zuerst konnte ich mir nicht genau erklären, was sie so unheimlich erschienen ließ, doch dann sah ich es: Sie alle hatten keine Gesichter. Wunderschöne Körper, aber keine Gesichter. Ich wollte gerade noch lauter schreien, als sich die mächtige Holztür des Saales öffnete und noch mehr wunderschöne gesichtslose Frauenkörper hereinkamen. Sie zogen scheinbar mühelos eine weitere Frau über den Boden, die sich aber heftig dagegen wehrte. Es war Katharina. Ihr war eine Augenbinde angelegt worden.
Dann ging alles ganz schnell. Der alte Mann kam endlich wieder. Auch er trug nichts weiter außer einem langen schwarzen Samtumhang. Katharina wurde auf einem Tisch am anderen Ende des Saales gefesselt und geknebelt und dann dem alten Mann vor die Füße gestoßen. Noch ehe ich alles richtig realisiert hatte, herrschte plötzlich Totenstille.
Der alte Mann, der mit dem Rücken zu mir stand und jetzt wie ein Priester aussah, begann etwas in einer Sprache zu verkünden, die ich nicht verstand. Er sprach sehr lange. Die gesichtslosen Frauenkörper blieben während der gesamten Zeit über vollkommen regungslos. Dann plötzlich erfüllte ein langandauerndes dumpfes Geräusch den Saal. Die Tür ging auf und die Frau, die mir meinen Arm abgenommen hatte kam herein – mit meinem Arm in der Hand. Sie ging mit langsamen Schritten auf den alten Mann zu und überreichte ihm meinen Arm. Vollkommen emotionslos nahm er ihn an sich und lief, den Arm vor seinen Bauch haltend, zu dem Tisch auf dem Katharina lag. Er drehte sich herum und erst jetzt konnte ich sehen, dass sie ein Messer in meine Hand gelegt hatten. Der alte Mann hob meinen Arm in die Luft und verkündete, dass Katharina der Kindestötung angeklagt werde und dafür nun die Todesstrafe erhalte. Katharina wollte schreien und sich losreisen, schaffte es aber nicht. Der alte Mann schlug mit voller Wucht zu und schlitzte ihr die Bauchdecke auf. Blut und Gedärme schossen nur so heraus und verteilten sich über den Boden. Sie dreht den Kopf in meine Richtung und streckte den Arm aus. Obwohl sie immer noch die Augenbinde trug, schien sie doch genau auf mich zu deuten, so, als gäbe sie mir die Schuld für ihren bevorstehenden Tod. Der alte Mann holte ein zweites Mal aus und schlitzte ihr die Kehle auf. Dann wurde es ganz finster.
Ich wachte mitten in der Nacht in meiner Wohnung auf. Der Regen fiel noch immer in Strömen und es blitzte und donnerte am Stück. Ich glaubte, nur geträumt zu haben. Ich hoffte es. Aber ich brauchte mir nur meinen Armstummel anzuschauen und wusste genau, dass dem nicht so war. Ich musste sofort ins Theater. Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass mich dort etwas erwarten sollte.
Während ich zum Theater lief, war ich absolut ruhig. Ich weis nicht wieso, aber ich musste an nichts mehr denken. Der Regen störte mich nicht. Alles schien so einfach. Es kam mir vor, als ob es keine Probleme gäbe. Ich vertraute darauf, dass sich alles von allein klären würde.
Als ich vor dem Theater ankam, regnete es so stark, dass man kaum noch etwas sehen konnte. Ich wollte gerade die Treppe zur Eingangstür hinaufsteigen, als plötzlich direkt neben mir ein Blitz einschlug. Es krachte, es wurde heiß und unerträglich laut. Ich wurde geblendet; konnte nichts mehr sehen außer weis und schwarz.
Es war ganz still geworden. Der Regen hatte aufgehört zu fallen. Nichts bewegte sich mehr. Kein Blatt. Keine Autos fuhren vorbei. Ich befand mich mitten in einem riesigen Vakuum, in dem ich frei und ruhig atmen konnte.
Und plötzlich wurde alles vollkommen klar. Ich erinnerte mich an meine Affäre mit Katharina, an ihren nackten Körper, daran, wie sie mir während einer Probenpause hinter den Kulissen mit tränenunterlaufenen Augen gestand, dass sie schwanger von mir sei und wie ich sie daraufhin ausgeschimpft hatte und ihr vorwarf, meine Inszenierung so verantwortungslos zu ruinieren. Ich erinnerte mich an ihre häufigen Nervenzusammenbrüche, an ihr Leiden, dass ich immer zu ignorieren versuchte und daran, wie sie mir kurz vor ihrem Tod den Arm entgegenstreckte.
Schwach und schwindelig wachte ich auf einem Stuhl im Inneren des Theatergebäudes auf. Alles schmerzte. Ich hatte am ganzen Körper schwere Verbrennungen davongetragen und blutete aus vielen Wunden sehr stark. Auch mein Armstummel hatte wieder angefangen zu bluten. Ich konnte meine Umgebung nur vage wahrnehmen. Meine Augen brannten, alles war verschwommen, ich konnte kaum etwas hören. Von weit her drang ein leises Geräusch von Menschenmassen an mein Ohr. Die Vorstellung! Es war mittlerweile Abend geworden und die schwarze Masse wollte unterhalten werden. Ich versuchte aufzustehen, kippte dabei um und fiel hart auf den Boden. Jetzt erkannte ich, dass ich mich wieder in Katharinas Garderobe befand. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dahin gekommen war; allerdings interessierte mich das in dem Moment auch kaum. Mit aller Kraft richtete ich mich wieder auf und taumelte zum Spiegel.
Mein Gesicht war feuerrot, die Augen blutunterlaufen. Sämtliche Kopfhaare, sowie meine Lippen und nahezu meine gesamte linke Gesichtshälfte waren weggebrannt worden. Ich war bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Gerade, als ich mit all der Kraft, die ich noch hatte einen Verzweiflungsschrei ausstoßen wollte, stieß mir etwas wie ein Dorn ins Auge. Vor mir auf dem Garderobentisch lag wieder ein weißer Zettel. Er lag an genau derselben Stelle, an der auch schon der erste gelegen hatte. Doch dieser Zettel hier war anders. Es war etwas draufgekritzelt worden; es sah aus wie mit Blut geschrieben. Ich hielt ihn ganz nahe an mein Auge; und plötzlich konnte ich erkennen, was da stand: „Der Stuhl hinter Dir – um Vollendung meiner Inszenierung wird gebeten. Der Teufel.“
Ich blinzelte. Ich überlegte. Ich drehte mich um. Ich schaute auf den Stuhl, wo ich gerade noch gesessen hatte...
BLACKOUT ... ein Formaldehydbehälter ... winzig kleiner Fötus ... ein Schrei ... Licht, Schatten, Schreie ... langer Gang ... eine Mutter, mit ihrem Kind ... ein Wachmann ... ein Knall ... ein Revolver ... Menschen ... langer Gang ... schwarz, rot, Schreie ... ich rieche Gas ... Samtvorhänge ... ich sehe Feuer... ich höre Schreie ... ich sehe Feuer ... ich rieche Feuer ... ich höre Schreie ... ich sehe Schreie ... eine Mutter läuft mit ihrem Kind ins Feuer... Tod.
Ende.