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Text zur Entwicklung von Figuren in Romanen und längeren Erzählungen

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13.07.2015
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Text zur Entwicklung von Figuren in Romanen und längeren Erzählungen

Hallo
Ich habe hier einen Text für eine Schreibwerkstatt zum Thema Charakterentwicklung.

Ich wäre überaus dankbar, wenn ihr die Ratschläge vielleicht kurz lesen könntet und mir ein kurzes Feedback gäbet.
Der Überbegriff ist eigentlich:

So wird's was!

Und sollte unter dem Aspekt der Hilfestellung betrachtet werden, nicht als Standardwerk oder besserwisserische Abhandlung.

Vielen Dank
Grüsse
Ozy

Charakterentwicklung in Romanen

Kennen Sie Dorian Gray von Oscar Wilde? Quasimodo von Victor Hugo?
Nein?
Was ist mit Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle? Oder James Bond von Ian Fleming.

Die Liste liesse sich noch etwas länger fortführen. Wobei, so lange würde die Liste auch nicht, denn gute literarische Figuren sind selten. Und wisst ihr weshalb? Weil sie LEBEN müssen.

Das mag merkwürdig klingen, wie soll denn eine erfundene Figur leben?

Lassen Sie mich das begründen:
„Was keinen Fehler hat, hat wahrscheinlich auch keinen Charakter.“
Dieses leicht abgeänderte Zitat von Paul Newman ist grundsätzlich dem realen Leben gewidmet, lässt sich jedoch wunderbar auf das literarische adaptieren.
Denn wie im richtigen Leben muss Charakter GESPÜRT werden, wenn sie verstehen was ich meine. Sie müssen SPUREN hinterlassen in der Geschichte.
Ich möchte euch einige Anhaltspunkte näher bringen, die meines Erachtens essenziell sind, um euren Figuren etwas mehr Leben ein einzuhauchen.
Fangen wir gleich an.

Stärken durch Schwächen!

Frage: Was ist interessanter? Ein funkelnagelneues Buch oder ein zerfledderter, alter Schinken?
Antwort: Beides, es hängt davon ab, was drin steht.

Genau das ist der Clou. Es kommt darauf an, was in der Figur drin abgeht. Alte Bücher haben meist eine spannende Geschichte und somit Gebrauchsspuren. Bei neuen Büchern hat man die Chance unter den glänzenden Einband zu blicken.
Was ist spannender, als ein Held mit fragwürdiger Vergangenheit? Mit gravierenden Schwächen? Ein Bösewicht mit guten Seiten?

Beispielsweise kann Batman keinen Menschen töten und sei er noch so böse. Und zwar weil er als Kind den Tod seiner Eltern mit ansehen musste. Macht ihn das schwach? Vielleicht. Aber es macht ihn gleichzeitig auch tiefgründig und vor allem: LEBENDIG.
Ich behaupte, dass sich ein spannender Charakter nur aus Schwächen entwickeln kann. Wie diese aussehen ist voll und ganz dem Autor überlassen. Depressionen? Trinksucht? Eitelkeit? Misanthropie? Zynismus? Oder alles zusammen? Die Liste an möglichen Problemen für euren Charakter ist schier endlos. Lasst euch dabei vielleicht auch von bereits bestehenden literarischen Figuren inspirieren, die sich durch ein interessantes Innenleben auszeichnen.

Beispielsweise hatte der berühmte Komponist sein Leben lang mit fortschreitender Ertaubung zu kämpfen. Diese Tatsache machte ihm offenbar sehr zu schaffen, denn er war bekannt für seinen launischen und rastlosen, manchmal sogar aufbrausenden und schroffen Charakter.

Aber: Er war einer der einflussreichsten Komponisten der Geschichte.
Solche Charakteren mögen auf den ersten Moment eher abschreckend wirken, verbergen jedoch eine meist tiefe Komplexität, deren Aspekte gut als Inspirationsquelle dienen können.

Hier kommen meine Tipps für diesen Punkt:

Würzt eure Figur mit Mängeln! Danach gut abschmecken!
Ein depressiver Komiker, ein verzweifelter Anführer, ein arroganter Millionär, ein ängstlicher Soldat.
Es gibt auch hier unzählige Beispiele für eine interessante Konstellation. Hier könnt ihr euren Figuren ordentlich Pfeffer verliehen 

Kocht eure Figur nicht weich!
Keine Schwächen machen eine Figur „rund“. Und nichts ist schlimmer, als solche plakativen Figuren, die keine Mängel zu haben scheinen. Das wirkt zutiefst unglaubwürdig. Billig, um ein etwas derberes Wort zu benutzen.

Ja, stellen Sie sich einmal vor, der Held ihres Buches kann alles, weiss alles und hat für jedes Problem die richtige Lösung parat. Dazu hat er keine nennenswerten seelischen Konflikte.
Wie klingt das für Sie?

Langweilig? Eindimensional? Würde ich so unterschreiben.

Und genau da liegt das hüpfende Komma! Schwächen, Unsicherheiten und Zweifel machen das Leben eurer Figur aus, glaubt mir. Sie sind das Salz in der Suppe.
Meiner Erfahrung nach können sich Leser sehr selten mit dem typischen, fehlerlosen Superhelden identifizieren. Der Mensch ist schliesslich auch nicht perfekt oder?


Das führt mich zu einem weiteren Punkt:

Persönlichkeit in kleine Würfel schneiden, gut durchbraten
Stellen Sie sich immer die Frage: Wieso ist ihr Protagonist so, wie er ist? Woher kommen seine Schwächen? Welchen Einfluss hat das auf seine Handlungen?
Wie bei uns auch, hat jede charakterliche Ausprägung ihre Ursachen. Erklären Sie sich!

Fragen Sie sich dabei immer:

Glaube ich meiner Figur?
Denn wenn Sie es nicht tun, wie soll es dann der Leser tun?
Ihre Figur muss ein Stück weit auch ihren Charakter gemäss handeln. Wir wechseln ja auch nicht unbedingt von einem Tag auf den anderen unser Wesen. Wenn Sie ihrer Figur abkaufen, was sie tut und erzählt, ist die Chance gross, dass sie ihnen gelungen ist. Es ist wie beim Kochen. Schmeckt ihnen die Suppe, ist es gut möglich, dass auch ihre Gäste sie gerne essen.

Mit Entscheidungen ablöschen und ziehen lassen
Eine verflossene Liebe, eine neue Leidenschaft, eine schwere Entscheidung oder ein plötzlicher Schicksalsschlag. All dies kann/muss einen massgebenden Einfluss auf die Persönlichkeit ausüben. Erlebt ihre Figur Veränderungen, muss dies für den Leser in ihrer Charakterentwicklung spürbar sein. Und zwar nachvollziehbar!
Anders gesagt:

Entscheidungen und Veränderungen müssen zu charakterlichen Konsequenzen führen!
Die Veränderung hängt natürlich von der Veränderung innerhalb der Geschichte ab.

Wichtig:
Veränderung im Charakter einer Figur MÜSSEN eine URSACHE und MEHRERE FOLGEN haben! Diese müssen für den Leser nachvollziehbar sein!

Ein Beispiel:
Muss nun ein moralisch integrer König die Entscheidung fällen, seine Männer in den unabwendbaren Krieg zu schicken, so müsste er an dieser Entscheidung schwer zu tragen haben. Zweifel kämen ihm, er würde nach anderen Lösungen suchen, vielleicht sogar darüber seine frühere Fröhlichkeit verlieren, schneller altern. Was auch immer.
Aber für die Veränderungen des Königs muss eine Ursache vorliegen! Und sie müssen im Text nachlesbar sein!

Ein ewiger Zweifler wird nicht plötzlich zum selbstsicheren Anführer und umgekehrt. Wie im echten Leben gibt es für jede Veränderung eine Ursache.
Diesem Kausalzusammenhang muss meiner Meinung nach viel Bedeutung beigemessen werden. Kann der Leser der Figur nicht mehr folgen, verliert er sie.

Also:
Veränderung im Charakter einer Figur MÜSSEN eine URSACHE und MEHRERE FOLGEN haben! Diese müssen für den Leser nachvollziehbar sein!

Doch da ist noch mehr.
Zeigen, nicht verraten
Ich gebe zu, dieser Spruch ist nicht von mir, sondern vom amerikanischen Fantasy-Schriftsteller Brandon Sanderson.
Der Vollständigkeit halber das englische Original:

„Show, don’t tell!“
Der Satz mag nach wenig klingen, hat jedoch eine unglaubliche Wirkung. Lasst den Leser eure Figur entdecken und nehmt nicht alles auf den ersten Seiten vorweg. Das macht es extrem spannend glaubt mir. Macht es ähnlich, wie wenn ihr kocht. Werft in eurer Geschichte Zutat um Zutat in den Topf, bis das vollständige Menü vor euch steht.
Wie oben erwähnt, machen Schwächen eure Figur spannend. Wenn ihr diese im Prolog schon alle erzählt habt, dann bleibt für den Leser nicht mehr viel übrig und das wäre schade, nachdem ihr euch (hoffentlich) so viel Mühe mit ihr gegeben habt.

Ich möchte kurz veranschaulichen, was ich damit meine:

Sherlock Holmes ist berühmt für seine Beobachtungsgabe. Aber explizit gesagt, wir das vom Autor nie. Sondern der Leser entdeckt die Fähigkeiten von Holmes über andere. Beispielsweise erkennt Holmes am Stock von Watson, wo er im Krieg gedient hat, seinen Beruf und einiges mehr.

Oder Watson ärgert sich über das Chaos, das ständig in der Wohnung der Baker Street herrscht. Das zeigt dem Leser, dass Holmes ein Chaot ist.

Solche kleinen Bausteine sind wie Brotkrumen für eure Figur.
Somit ist die Interpretation grösstenteils dem Lesenden überlassen und das macht die Figur interessant. Versuchen Sie es auch!
Kurz gesagt:
Eine spannende Figur wird ENTDECKT, nicht GELESEN!


Leben, alles andere ist Beilage
Je nach Umfang der Geschichte, die ihr schreibt, kann eine Figur auch statisch sein, das heisst, kann sich vielleicht nicht so umfassend entwickeln, wie dies in langen Romanen möglich wäre.
Was sich jedoch in jeder kürzeren Erzählung einbauen lässt, nenn ich folgendermassen:

Hobbies!

Eure Figur hat vielleicht einen Beruf, eine Familie und eine Aufgabe im Text.
Was sie aber auch braucht ist: Eine Geschichte ausserhalb der Geschichte.
Das mag doof klingen, aber für eine Figur macht das sehr viel aus. Darin lassen sich nämlich gekonnt gewisse Charaktereigenschaften verstecken.

Beispiele:
-Jagd (Die Figur mag den Nervenkitzel, ist gern allein, Naturliebhaber, etwas kauzig etc.)
-Schach (Vorliebe für geordnete Tätigkeiten, Intelligenz, Organisationstalent)
-Casino (Spielt gern, risikofreudig, ist gern in Gesellschaft, trinkt vielleicht, flüchtet sich vor etwas ins Spiel etc.)
Nur damit wir uns richtig verstehen:
Die Hobbies müssen nicht ins kleinste Detail ausgearbeitet sein. Trotzdem bietet es sich an, diese in eine Geschichte einfliessen zu lassen, um beispielsweise einen Kontrast zu schaffen (Beim Schach ein Genie, im Leben absolut überfordert) oder dem Leser die Möglichkeit einer eigenen Interpretation offen lassen.
Denn erst in der eigenen Vorstellung erwacht eine Figur zum „Leben“. Der Autor ist jedoch dafür verantwortlich, dass das überhaupt funktioniert. Eben in dem er Brotkrumen ausstreut.

Last but not least:

Holt euch Feedback!
Alleine zu Hause in eurer Kammer kommt sicher vieles gut, aber noch besser ist es, wenn ihr euch jemanden sucht, der die Geschichte gegenliest und beobachtet, wie sich eure Figuren verhalten und euch ein EHRLICHES Feedback gibt.
Dabei gilt: Nicht persönlich nehmen und vielleicht den Rat von mehreren Personen einholen. So erhaltet ihr ein umfassendes Bild.

Ich möchte meine Tipps nochmals zusammenfassen:

- Ein lebendiger Charakter hat Fehler (Stärken durch Schwächen)
- Versucht keine „runden“, also fehlerfreien Figuren zu erschaffen
- Stellt eure Figur immer wieder in Frage (Glaube ich ihr?)
- Entscheidungen müssen Konsequenzen haben und den Charakter verändern
- Nachvollziehbare Erklärungen für Veränderungen liefern
- Leben ausserhalb der Geschichte (Hobbies!)
- Feedback
Zu guter Letzt:
Lasst euch nicht entmutigen – Schreiben bedeutet Arbeit ;)

 

Hej ozymandiaz,

der Text ist superanschaulich aufgrund der Beispiele. Er ist ansprechend zu lesen, gut gegliedert.

Was mich irritiert ist die wechselnde Ansprache. Erst in der dritten Person Plural, dann wieder zweite Person Singular, sogar zweite Person Plural. Muss da so? :hmm:

Gruß, Kanji

 

Hallo Kanji

Vielen Dank :)
Oh..nein, das sollte es eigentlich nicht...danke für den Input!

Würde er dir helfen, wenn du nun Rat suchend im Internet stöbern würdest?

Grüsse
Marco

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ozy,

die Idee ist gut, alles zum Thema "Charakterentwicklung" zu sammeln. :thumbsup:
Auch der Inhalt ist gut, wenn er auch nichts Neues enthält (wenn man denn schon mal vorher Ratgeber gelesen hat). :shy:

Wer soll denn die Zielgruppe sein?
Von welcher Schreibwerkstatt sprichst du?

Wir haben ja hier auch eine solch ähnliche Sammlung bzgl. Romane, an der Asterix gerade mit voller Hingabe arbeitet ...
Passt es vielleicht da rein?

LG, GoMusic

 

Ja, denke schon. Ich würde auch schon auf dieses "Show, don't tell" hingewiesen. Und es ist leichter gesagt. Du gibst expliziten Beispiele und Hinweise. Das ist super.

Die Interaktion mit mir Leser ist gut. Du beantwortest meine Fragen.

Und zum Glück kann ich kochen. ;)

Gruß, Kanji

 

Hallo,

danke für deine Schreibhilfe. Mir hat es jetzt geholfen, und das zaehlt erstmal. Vorallem diesen Zusammenhang, die Ursache der Veraenderung, die geht mir etwas bei meinem Romanprojekt ab. Da ist es schoen ein paar Beispiele zu lesen, die Tipps nochmals ins Gehirn rutschen zulassen.

Grueße,

schwarze sonne

 

Hallo :)
Ja ich weiss, wirklich innovativ ist es leider nicht...und ich hab einfach versucht aufzuschreiben, was nun genau für mich wichtig ist an einem Charakter.
Es geht eigentlich um einen Text, der auf einer Website aufgeschaltet wird, die selber nicht die Zeit haben, etwas zu schreiben.

vielen Dank für die Rückmeldungen

 

Vermisst ihr irgendwas am Text? Etwas, worauf ihr zwar Fragen habt, aber keine Antwort?

 

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