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Tiefseefische

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19.03.2010
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Tiefseefische

Tiefseefische und ihre Nachbarn

Seit Elises Beerdigung von drei Jahren saß er oft hier. Er vermisste sie. Er vermisste ihr Lächeln und noch mehr ihre Lebendigkeit und ihre Traurigkeit und das er für sie da sein durfte.
Trübsinnig starrte er auf die leeren Hinterhöfe und dunklen Fenster seiner Nachbarn. In den gegenüberliegenden Fenstern war fast nie jemand zu sehen. Nur manchmal leuchtete in dem einen oder anderem Fenster ein Licht auf; Tiefseefische, die mit ihrem leuchtend gelben Leib nur für einen kurzen Augenblick aus der Dunkelheit des Meeres auftauchten. Doch die Lichter verschwanden wieder, bevor Meyers sich dazu durchringen konnte, ein Lächeln oder einen Gruß zu riskieren. Und so winkte er schüchtern in die Dunkelheit.

Es war ein Mittwoch, Meyers Badetag und er stand gerade splitterfasernackt auf dem Flickenteppich vor seinem Bett, als er sah, dass er vergessen hatte die Jalousie herunter zulassen. Entsetzt starrte er aus dem Fenster.

Gegenüber war das Schlafzimmer einer Frau, die ungefähr in Elises Alter war. Und manchmal hatte Meyers ihr beim Bettenmachen oder staubsaugen zugesehen. Und nie hatte er sich dabei was gedacht.
Und ausgerechnet jetzt stand sie in ihrem Schlafzimmer. Wenn es nur das gewesen wäre, wenn sie wenigstens nur die Betten gemacht hätte, aber nein, auch sie stand splitterfasernackt in ihrem Schlafzimmer. Panisch ließ Meyers sich aufs Bett fallen.

Da lag er nun, wie Gregor Samsa der sich in einen Käfer verwandelt hatte und schaffte es nicht einmal seine Unterhose die auf dem Fußboden lag, zu erreichen. Mehrmals spähte er aus dem Fenster, zog aber jedes Mal erschrocken den Kopf zurück, wenn sie ihn dabei ertappte. „Verdammt“, fluchte er leise, „warum zieht sie den Vorhang nicht zu?“ Aber den Gefallen tat sie ihm nicht. Im Gegenteil. Plötzlich stellte sich nackt wie sie war ans Fenster.

Es ist ihm nie klar geworden warum sie das tat, genauso wenig, wie er wusste, warum er selbst plötzlich aufstand und ans Fenster ging. Nackt wie er war.
Nachdem sie sich lange angesehen hatten, merkte Meyers, das sich bei ihm was regte, das war seit Jahren nicht mehr vorgekommen, genau genommen, seit Elises Tod nicht mehr. Schüchtern winkte er ihr einen Abschiedsgruß rüber und als sie zurück winkte, ließ er zögernd die Jalousie runter.

Seit dem treffen sie sich jeden Mittwoch am Fenster und auch heute steht Meyers am Fenster. Aber es ist nicht mehr wie früher. Nein, jetzt steht Meyers voller Vorfreude am Fenster.

Endlich geht bei ihr das Licht an. Sie kommt kurz ans Fenster, zieht die Vorhänge auf und verschwindet wieder. Es dauert einen Augenblick bis sie wieder auftaucht, dann schüttelt sie das Bett auf und räumt irgendwas im Zimmer hin und her. Frauen sind wohl so, denkt er, während er darauf wartet, dass sie endlich ans Fenster kommt. Aber, vielleicht ist das gar nicht mal so dumm, wie sie das macht. Vielleicht kann sie so die Nachbarn täuschen, indem sie ihnen die schusselige alte Dame vorspielt, die nur aus Senilität die Vorhänge nicht zu zieht, während sie sich auszieht.

Nächste Woche würde er das auch so machen, denkt Meyers, denn bei ihm war in den letzten vier Wochen schon zweimal die Polizei. Irgendwelche Nachbarn hatten ihn nackt am Fenster stehen gesehen und sich beschwert.

Die Warnungen der Polizisten und die Beschwerden der Nachbarn werden bedeutungslos, als Meyers sieht, dass die Frau von Gegenüber langsam beginnt sich, wie zufällig, am Fenster auszuziehen. Endlich steht sie nackt vor ihm und sieht ihn an. Meyers muss sich zusammenreißen, um nicht die Hände nach ihr auszustrecken. Wie gerne würde er jetzt die Wärme ihres Körpers spüren, sein Gesicht in ihre langen braunen Haare drücken und sie riechen, sie umarmen und fühlen wie sehr sie lebt und das er selbst auch lebt.

Doch, das ist natürlich Unsinn und er weiß das auch. Es war Elise, seine verstorbene Frau, die er nicht vergessen konnte. Sie hatte es nicht verdient, wenn er sie jetzt einfach weg schmeißen würde, wie man ein Paar alte Socken weg schmeißt, nur weil sie alt und löchrig geworden waren und sie einem nicht mehr passten. Elise hatte immer zu ihm gepasst und das würde sich auch nicht ändern. Meyers Hände verkrampften sich.

Obwohl ihre Beerdigung schon drei Jahre her war, hatte er immer das Gefühl, den schwarzen Anzug von Elises Beerdigung zu tragen. Meistens war das ein tröstliches Gefühl, weil er dann sicher war, sie nicht vergessen zu haben. Doch in letzter Zeit wusste er manchmal nicht mehr was richtig oder was falsch war. Manchmal kam es ihm so vor, als ob er mit dem Kopf im Ärmel feststeckte und die Hose falsch herum an hatte.

Energisch schiebt Meyers die verwirrenden Gedanken weg und winkt der Frau von Gegenüber zu. Auch wenn er sich nicht mit ihr treffen kann und möchte, liebt er es doch, ihr beim ausziehen zu zusehen. Und genauso schön ist es, dass sie ihn beim ausziehen beobachtet. Das sie seinen alten Körper anscheinend, schön findet und sich nicht an seiner hängende Altmännerbrust stört und daran, dass er einen Bauch bekommen hat. Das ist wie ein Wunder für ihn. Ein wunderschönes Wunder. Und Meyers spürt auf einmal, ganz tief in sich drin, dass er ihr gerne Blumen schenken möchte.

Lange stehen die beiden sich gegenüber und genießen den Augenblick. Meyers überlegt, ob es nicht besser ist sich langsam zu verabschieden, als sie ohne Vorwarnung verschwindet. Einfach so.

Das Klingeln der Türglocke reißt ihn aus seiner Verwunderung. Ist sie das etwa? Aber dann hätte sie doch Winken müssen, ihn Vorwarnen. Schon wieder klingelt es. Schnell schlüpft er in seine Hose. Keine Zeit mehr die Socken anzuziehen. Meine Güte, weist er sich zu Recht, sie hat mich schon so oft nackt gesehen, da kommt es auch nicht mehr drauf an, ob ich ordentlich angezogen bin oder nicht.

Als er die Tür aufreißt, sieht er sich zwei Polizeibeamten gegenüber. Ohne ein Wort mustern sie ihn von Kopf bis Fuß, wobei einer von ihnen Meyers nackte Füße fixiert, als wären sie etwas Unanständiges. Na, dann pack mal ein paar Sachen ein, Alter Mann. Wir haben dich gewarnt. Wenn es noch eine Beschwerde von deinen Nachbarn gibt, nehmen wir dich mit. Hastig ging Meyers ins Schlafzimmer, noch einmal sieht er lange aus dem Fenster, aber gegenüber bleibt alles dunkel.

Wir sind wie zwei Tiefseefische, die die Sonne sehen wollen. Bei diesem Vergleich musste Meyers unwillkürlich lächeln. Vielleicht haben sich auch ihre Nachbarn beschwert, denkt er und holt seinen alten Reisekoffer vom Kleiderschrank.
„Und das in eurem Alter! Habt ihr denn nichts Besseres zu tun?“ ruft ihm einer der Beamten hinterher. „Nein, haben wir nicht“, denkt Meyers trotzig. Die Kreuzworträtsel sind schon gelöst, für den Tanztee sind wir noch nicht tot genug und eine Heizdecke habe ich schon und die würde auch für die Frau von Gegenüber reichen. Aber, das würde die beiden Beamten wohl kaum interessieren.

Schweigend macht seinen Koffer zu und zieht seinen schwarzen Anzug an. Den, den er auch auf Elises Beerdigung getragen hat. Er wusste nicht wo sie ihn hinbringen würden, aber er wusste, dass er wieder kommen würde.

 

habe das mit den Anmerkungen und dem Extra-Post gerade erst gesehen... hehe, also hier noch mal.


Hallo zusammen, bin neu hier und dachte, ich stell mal direkt ne Geschichte ein. ;-) Freu mich über Kommentare. LG, Boje

 

Willkommen boje,

hier bei KG.de.

Dein Einstand hat für mich vor allem zwei Schwächen Zum einen hängt die Logik mächtig durch, zum anderen die Länge. Dabei finde ich ich die Idee - diese eigenwillige Romanze der beiden Alten gar nicht übel.

Was die Logik betrifft, verzettelst Du Dich irgendwie zwischen Vorhängen und doch keine, zwischen der Möglichkeit den anderen zu sehen und doch wieder nicht. Und ich glaube nicht, dass die Polizeibeamten ihn ins Heim bringen dürfen, nachdem sich Nachbarn darüber beschweren, dass er nackt am Fenster steht. Das Ende ist schwach und sollte unbedingt geändert werden. Denn diese Pointe ist echt nicht gut ;). Bleib bei den beiden Alten ... und ihrem Mittwochtächtelmächtel.

Dann verlierst Du den Leser, wenn Du da ständig mit den Vorhängen rummachst. Stell einfach klar, dass die beiden sich sehen können und gut ist. Das heißt, Du könntest einbauen, dass er sich so Stück für Stück ans offene Fenster traut. Erst im Schutze der Vorhänge, später kurz und dann vor dem Fenster bereits wartend. Eine Steigerung einbauen.
Und der Einleitungsabsatz ... mmh ... braucht es den wirklich? Das solltest Du Dich Satz für Satz durch die Geschichte fragen. Intensität statt Kaugummi ... und der Leser bleibt dran ;).

Für mich würde die Geschichte und die schöne Idee dadurch echt gewinnen.

Dir viel Freude hier.

Beste Grüße Fliege

 

Hallo ihr zwei,

vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren. Ich werde mich gleich noch mal dran setzen, denke ihr habt beide recht und ich werde mal gucken, wie ich das umgesetzt kriege.

LG und natürlich vielen Dank fürs Lob. ;-)
Boje

 
Zuletzt bearbeitet:

So, nun habe ich mal versucht dem ganzen noch mehr Intensität zu geben und gleichzeitig den Aufbau klarer zu machen. Also, ich glaube, ich habe eure beiden Anregungen umgesetzt. Auch dass du Jynx gedacht hast, es gibt die Frau gegenüber gar nicht, hat mich weiter gebracht. Ich hoffe, ich konnte es nur klarer machen. Und auch das Ende habe ich verändert. ;-)

Wobei es alles eher kleine, unauffällige Änderungen sind, von denen ich trotzdem denke, dass sie viel ausmachen. Würde mich über ein erneutes Feedback sehr freuen. Da mir die Geschichte natürlich am Herzen liegt.


LG
Boje

 

Alles in allem hat mir die Geschichte gefallen. Am Anfang hatte ich die Befürchtung, du wirst dich den ganzen Text hindurch in der (für meine Begriffe doch etwas weit hergeholten) Metapher mit den Tiefseefischen suhlen. Zu unrecht. Deine Erzählung hat Rhythmus.

Seit Elises Beerdigung von drei Jahren saß er oft hier. Er vermisste sie. Er vermisste ihr Lächeln und noch mehr ihre Lebendigkeit und ihre Traurigkeit und das er für sie da sein durfte.
  • Der Einstieg wirkt wie eingeschlafene Füße. Variation schadet ihm bestimmt nicht, zum Beispiel vermissen - sich sehnen nach.
  • Rechtschreibung das/dass >> und dass er für sie da sein durfte.
  • Auf mein Unverständnis stößt auch, dass er ihre "Traurigkeit" vermisst. Das hat mich stutzig gemacht.

Wenn es nur das gewesen wäre, wenn sie wenigstens nur die Betten gemacht hätte, aber nein, auch sie stand splitterfasernackt in ihrem Schlafzimmer. Panisch ließ Meyers sich aufs Bett fallen.
  • Dieses "aber nein" gibt etwas theatralisch Übertreibendes zu diesem Satz. Das passt nicht zu dem ansonst nüchternen Grundtonus. Vorschlag >> Wenn es nur das gewesen wäre, wenn sie einfach nur die Betten gemacht hätte. Jedoch stand sie ebenfalls nackt da in ihrem Schlafzimmer.

Da lag er nun, wie Gregor Samsa der sich in einen Käfer verwandelt hatte und schaffte es nicht einmal seine Unterhose die auf dem Fußboden lag, zu erreichen.
  • Meine persönliche Meinung: Solche Queranspielungen auf fremde Werke sollten im Kontext der Geschichte einen eigenen Sinn haben. Ansonsten mag der Verfasser allein seinem Ego schmeicheln indem er sich vorstellt, wie der Leser in einem die Lippen erzitternd machenden Aufschwall von Ehrfurcht denkt: "Boah, der hat ja Kafka gelesen, Wahn!sinn!!"

Es ist ihm nie klar geworden warum sie das tat, genauso wenig, wie er wusste, warum er selbst plötzlich aufstand und ans Fenster ging. Nackt wie er war.
  • Ja, ich weiß, dass dein Protagonist nackt ist, du brauchst es nicht ständig wiederholen :)

Nächste Woche würde er das auch so machen, denkt Meyers, denn bei ihm war in den letzten vier Wochen schon zweimal die Polizei.
  • Hier wird mir zuviel aufeinmal gezählt, obwohl das gar nicht so wichtig ist. vier Wochen - Monat (welcher?)

Sie hatte es nicht verdient, wenn er sie jetzt einfach weg schmeißen würde, wie man ein Paar alte Socken weg schmeißt,
  • Koonjunktiv >> Sie hätte es nicht verdient, (schmisse er sie); Wortvariation weg schmeißen - entsorgen

Abgesehen von den zahlreichen Rechtschreibfehlern, von denen ich nicht alle aufgezählt, habe ich die Geschichte gern gelesen.

Und: Herzlich willkommen auf KG.de!


-- floritiv.

 

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