Tischbein
Ich saß also herum und brütete über dem Konzept meines Abgangs. Ich hatte da viele interessante Ideen, die meisten wahrscheinlich aus Quentin Tarantino Filmen geklaut, oder einfach nach gängigen pseudo B-Movie Schemata ausgelegt. Manchmal lief ich auch betont cool durch die Stadt, mit Musik im Ohr, und malte mir aus wie das so wäre, in einem Film. Eigentlich müsste in einem Film zu, ich sag mal, zwanzig Prozent, nur gelaufen werden. Zu Musik. Ich mag das ziemlich. Zurück zum Thema: also ich saß rum, und verspürte plötzlich den Drang aufzustehn. Gesagt, getan.
Hose an, Jacke an, Fenster kontrollieren, Tür abschließen, Knopf ins Ohr, Musik an, start walking. This dude is made for walking. Ich lief also so und dachte an nichts Böses, da begegnete mir eine wunderschöne Frau. Ich war sehr scheu und sprach sie nicht an. Stellte mir jedoch vor wie sie von einem Mann mit mehr Courage als ich sie aufweise, sehr, sehr wild geliebt wird. Wie er ihr seinen Stempel aufdrückt. Warum nicht ich? Sehr, sehr schade. Ich bin ein guter Kerl, ich sorge mich darum, dass die Frau beim Akt kommt. Ich denk nich nur an die eigene Lust. Wo denkt ihr hin?
Es war ziemlich weit oben, nach einem ziemlich langen Marsch, gespickt war dieser mit Juckattacken. Lasst mich erklären: mich juckt's. Als ma. Der eine sagt: Waschen. Ich sage: Nein. Nein. Das kommt nicht vom nicht Waschen. Schwierig. Vor allem aber: unangenehm. Wie kleine Bisse. Wie gern hätte ich an den Nippeln der schönen Frau geknabbert. Nicht verlaufen. Wo war ich? Ah, ziemlich weit oben. Wo will ich eigentlich hin?
Ein bißchen zerstreut wirkt das ganze, ich gebe zu, es fällt mir nicht leicht Gedanken zu bündeln, noch weniger, diese in Worte zu fassen. Eine andere Szene: ich stellte mir vor, nur noch zu laufen. Um der Zeit zu entkommen, den Fragen, der Hilflosigkeit, dem Unbewussten, dem Ungewissen, meinem Gewissen, manchmal meiner Libido. Und so zog ich für einen kurzen Moment in Erwägung wieder nach Hause zu gehen und mir kräftig einen runterzuholen. Ich ließ den Gedanken fallen und setzte mich da oben auf eine Parkbank. Innehalten ist bei weitem nicht das Schlechteste.
Also, fassen wir zusammen: Gelangweilt machte ich mich auf den Weg und lief herum, ich traf eine Frau, die sofort Bestandteil meiner Phantasie wurde, es juckte mich fürchterlich und ich dachte es sei besser sich zu setzen. Eine ältere Dame setzte sich neben mich. Guten Tag. Manchmal überkommts mich und ich rede mit älteren Leuten, weil ich denke, die sind dann dankbar. Heute nicht. Keine Lust.
Ich lief weiter. Besser so. Begann zu überlegen ob ich mir etwas zu essen kaufen sollte. Nein. Zu trinken? Nein. Ein Mann und eine Frau unterhielten sich. Ich konnte aufgreifen: “Wir brauchen noch Brot.” “Ich geh jetzt erst zum Metzger”, erwiderte die Frau. Ob die Frau zum Metzger geht um Wurst zu kaufen? Oder aus anderen Gründen? Einen kurzen Moment denke ich an allerlei Wurst = Penis Witze, schmunzle verschmitzt und zucke mit den Augenbrauen. Ich kann nicht nur mit einer, sonst hätte es, auch zwecks coolness natürlich “mit der Augenbraue” geheißen. Is aber nicht. Ampeln begegneten mir nicht viele, und wenn, waren sie zumeist grün. Ich war sehr dankbar dafür. Ich mag Ampeln nicht so arg. Da hab ich meist ein schlechtes Gefühl, fühle mich so angekuckt. Viel mehr war da eigentlich nicht. Allein drehte ich meine Runde und sie neigte sich langsam aber sicher wieder dem Ende zu. Wie fast jeden Tag.
Zuhause angekommen stieß ich mir den großen Zeh am Tischbein des Küchentischs. Es tat sehr weh, ich war unglücklich mit meiner Situation und fluchte laut, kochte mir einen Tee und setzte mich verärgert nieder, auch gereizt, genoß aber das langsame Abklingen des Schmerzes als emotionalen Höhepunkt meines Tages. Ich muss mehr auf meine Zehen, meine Füße achten, sie ermöglichen mir die täglichen Runden nach oben und wieder hinab, die ich so dringen brauche, zur Reflexion, zum Wohlfühlen, zum Zeit vergehen lassen, einfach als meinen Lebensinhalt. Ich muss umsichtiger sein, nicht in unnötiger Hektik meine Zehen am Tischbein stoßen. Das ist kein gutes Ende. Und schon gar kein guter Anfang. Aber am Anfang mache ich mir eh meist Gedanken über meinen Abgang.