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Tischbein

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06.01.2005
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Tischbein

Ich saß also herum und brütete über dem Konzept meines Abgangs. Ich hatte da viele interessante Ideen, die meisten wahrscheinlich aus Quentin Tarantino Filmen geklaut, oder einfach nach gängigen pseudo B-Movie Schemata ausgelegt. Manchmal lief ich auch betont cool durch die Stadt, mit Musik im Ohr, und malte mir aus wie das so wäre, in einem Film. Eigentlich müsste in einem Film zu, ich sag mal, zwanzig Prozent, nur gelaufen werden. Zu Musik. Ich mag das ziemlich. Zurück zum Thema: also ich saß rum, und verspürte plötzlich den Drang aufzustehn. Gesagt, getan.

Hose an, Jacke an, Fenster kontrollieren, Tür abschließen, Knopf ins Ohr, Musik an, start walking. This dude is made for walking. Ich lief also so und dachte an nichts Böses, da begegnete mir eine wunderschöne Frau. Ich war sehr scheu und sprach sie nicht an. Stellte mir jedoch vor wie sie von einem Mann mit mehr Courage als ich sie aufweise, sehr, sehr wild geliebt wird. Wie er ihr seinen Stempel aufdrückt. Warum nicht ich? Sehr, sehr schade. Ich bin ein guter Kerl, ich sorge mich darum, dass die Frau beim Akt kommt. Ich denk nich nur an die eigene Lust. Wo denkt ihr hin?

Es war ziemlich weit oben, nach einem ziemlich langen Marsch, gespickt war dieser mit Juckattacken. Lasst mich erklären: mich juckt's. Als ma. Der eine sagt: Waschen. Ich sage: Nein. Nein. Das kommt nicht vom nicht Waschen. Schwierig. Vor allem aber: unangenehm. Wie kleine Bisse. Wie gern hätte ich an den Nippeln der schönen Frau geknabbert. Nicht verlaufen. Wo war ich? Ah, ziemlich weit oben. Wo will ich eigentlich hin?

Ein bißchen zerstreut wirkt das ganze, ich gebe zu, es fällt mir nicht leicht Gedanken zu bündeln, noch weniger, diese in Worte zu fassen. Eine andere Szene: ich stellte mir vor, nur noch zu laufen. Um der Zeit zu entkommen, den Fragen, der Hilflosigkeit, dem Unbewussten, dem Ungewissen, meinem Gewissen, manchmal meiner Libido. Und so zog ich für einen kurzen Moment in Erwägung wieder nach Hause zu gehen und mir kräftig einen runterzuholen. Ich ließ den Gedanken fallen und setzte mich da oben auf eine Parkbank. Innehalten ist bei weitem nicht das Schlechteste.

Also, fassen wir zusammen: Gelangweilt machte ich mich auf den Weg und lief herum, ich traf eine Frau, die sofort Bestandteil meiner Phantasie wurde, es juckte mich fürchterlich und ich dachte es sei besser sich zu setzen. Eine ältere Dame setzte sich neben mich. Guten Tag. Manchmal überkommts mich und ich rede mit älteren Leuten, weil ich denke, die sind dann dankbar. Heute nicht. Keine Lust.

Ich lief weiter. Besser so. Begann zu überlegen ob ich mir etwas zu essen kaufen sollte. Nein. Zu trinken? Nein. Ein Mann und eine Frau unterhielten sich. Ich konnte aufgreifen: “Wir brauchen noch Brot.” “Ich geh jetzt erst zum Metzger”, erwiderte die Frau. Ob die Frau zum Metzger geht um Wurst zu kaufen? Oder aus anderen Gründen? Einen kurzen Moment denke ich an allerlei Wurst = Penis Witze, schmunzle verschmitzt und zucke mit den Augenbrauen. Ich kann nicht nur mit einer, sonst hätte es, auch zwecks coolness natürlich “mit der Augenbraue” geheißen. Is aber nicht. Ampeln begegneten mir nicht viele, und wenn, waren sie zumeist grün. Ich war sehr dankbar dafür. Ich mag Ampeln nicht so arg. Da hab ich meist ein schlechtes Gefühl, fühle mich so angekuckt. Viel mehr war da eigentlich nicht. Allein drehte ich meine Runde und sie neigte sich langsam aber sicher wieder dem Ende zu. Wie fast jeden Tag.

Zuhause angekommen stieß ich mir den großen Zeh am Tischbein des Küchentischs. Es tat sehr weh, ich war unglücklich mit meiner Situation und fluchte laut, kochte mir einen Tee und setzte mich verärgert nieder, auch gereizt, genoß aber das langsame Abklingen des Schmerzes als emotionalen Höhepunkt meines Tages. Ich muss mehr auf meine Zehen, meine Füße achten, sie ermöglichen mir die täglichen Runden nach oben und wieder hinab, die ich so dringen brauche, zur Reflexion, zum Wohlfühlen, zum Zeit vergehen lassen, einfach als meinen Lebensinhalt. Ich muss umsichtiger sein, nicht in unnötiger Hektik meine Zehen am Tischbein stoßen. Das ist kein gutes Ende. Und schon gar kein guter Anfang. Aber am Anfang mache ich mir eh meist Gedanken über meinen Abgang.

 

Hi tuco,

es gibt Geschichten, die erzählen nichts und dabei bleibt es auch. Ein Stück Alltag wird widergekäut, so bedeutungslos, wie er eben ist, und als Leser frage ich mich am Ende: Warum hat er mir das erzählt?
Das ist ein schlechter Einstieg für eine gute Kritik: denn bei deiner Geschichte ist es nicht so. Ich fürchte nur, die Menschen, die mit Nichts nichts erzählen, werden den Unterschied zu deiner Geschichte nicht sehen.
Dein Text ist strukturiert, so chaotisch er auf den ersten Blick auch wirkt. Er setzt einen täglichen Spaziergang für das Leben, in dem auch spärliche Ereignisse letztlich keine sind, weil der Protagonist sich nicht traut. Er verharrt unzufrieden in seiner Einsamkeit und kann noch so viel laufen und gehen, er findet keinen Weg hinaus, landet immer wieder in seiner Wohnung und in seinem Leben. Er dreht sich im Kreis. Und in diesem kreis erlebt er den Kontrast zwischen dem, was er gern wäre und dem, was er in sich sieht. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen. Nebenbei reflektiert er die Schwierigkeiten männlicher Rollenfindung nach der Emanzipation, muss den Platz suchen, der ihm zwischen anerzogener Höflichkeit (manchmal rede ich mit Alten, ich glaube, sie freuen sich darüber; ich bin ein guter Kerl, sorge mich darum, dass die Frau beim Akt kommt) und männlichen Selbstbewusstseins (Warum drücke ich ihr nicht meinen Stempel auf?)
Der Ton ist lässig, um Coolness bemüht, die der Prot gern hätte, aber nicht im gewünschten Maße aufweist. Und damit steht er für viele männliche Masken und für eine Gesellschaft, die sein möchte, aber nur scheinen darf.

Bei deinem Eingangssatz habe ich irgendwie an Stuhgang gedacht. Es fehlen noch einige Kommas, zum Beispiel bei

Begann zu überlegen, ob ich mir etwas zu essen kaufen sollte
und manchmal fehlt es in dem schnodderigen Ton an Präzision, etwa bei
Ampeln begegneten mir nicht viele
, was ausdrücken würde, dass die Ampeln auch laufen.
Wenigstens einen "Wurst = Penis Witz" hätte ich gern gelesen, das muss aber nicht sein. Ich finde es auch so eine gute Geschichte.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo tuco

Du lieber Himmel, beim Lesen wollte ich deinem Prot zuschreien, dass er mal anhalten und eine Entscheidung treffen soll! Und somit endlich anfängt, wirklich zu leben.
Als er sich setzt und "Innehalten ist bei weitem nicht das Schlechteste" zu lesen ist, denke ich: Gott sei Dank!
Doch er steht auf und geht weiter. Und immer noch keine geordneten Gedanken und Entscheidungen.
Und so schnell er geht, so schnell liest man, und so verwirrt seine Gedanken sind, so verwirrt liest man selbst und wartet darauf, dass Ordnung einkehrt und er aus diesem Kreis, in dem er weder für ich noch für andere etwas erreicht, herauskommt.
Und dann ist der Höhepunkt des Tages der Schmerz im großen Zeh und man weiß, was du sagen willst.
Eine gute Geschichte.
Liebe Grüße,
Loerschgi

 

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