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Tod auf den Misa Auen
Wie jeden Abend sitze ich auf der Bank vor meinem Haus und schaue zu, wie die Praiosscheibe hinter den Hügeln blutrot versinkt. Kurz bevor sie ganz verschwindet durchbricht ein letzter, schwacher Lichtstrahl mit schwindender Kraft die Wolkendecke. Der Abend ist schön. Doch das ist nicht der Grund, wieso ich hier Tag für Tag den Abend verbringe; obgleich ich das gern glauben würde.
Samtig weich umgibt mich die kühle Nähe der Nacht. Nach und nach verstummen die Vögel. Sie entbieten dem Tag einen letzten Gruß und verfallen dann in Schweigen. Gemächlich rauche ich meine Pfeife und lausche. Ich will es mir nicht eingestehen. Doch tief in mir weiß ich, dass ich auf deinen Schritt warte, der den Weg hinunter kommt. Nach so vielen Jahren noch warte ich darauf, dass du schließlich heimkehrst, mich in den Arm nimmst und flüsterst „Ich bin wieder daheim, Vater.“. Doch du kommst nicht. Du wirst nie wieder kommen. Das weiß ich, denn man überbrachte mir die Nachricht von deinem Tod.
Etwa drei Wochen nach der Schlacht auf den Misa Auen kam ein Mann auf den Hof. Sein Haar war schwarz. Und als er meine Hand nahm, sie sachte drückte, standen Tränen in seinen Augen. „Deine Tochter kehrt nicht heim, Väterchen.“ hat er leise gesagt. Er blieb eine Nacht und zog dann seines Weges. War er dein Geliebter? Trugst du vielleicht sogar sein Kind unter dem Herzen?
Oh Boron, hättest du ihr nicht noch ein wenig Zeit geben können? Sie war doch erst 17 Jahre alt als sie bei der Misa deinen Ruf vernahm. Du hättest mich dafür haben können. Eltern sollten ihre Kinder nicht überleben. Doch was hadere ich mich dem Schicksal, mein Kind? Man sollte nicht mit einem Gott handeln wollen und die Zwölfgötter wollten es eben so. Schließlich gaben sie den Kaiserlichen den Sieg dafür.
Manchmal, wenn ich gerade ins Haus gehen will und die Tür noch nicht ganz geschlossen ist, höre ich deinen Tritt auf dem Hohlweg. Dann eile ich rasch hinaus. Doch das bist nicht du, die ich dann sehe. Sondern der Nebel, der mir deine Gestalt vorgaukelt.
In den Tagen nach der Schlacht, als die Misa noch rot gefärbt vom Blut der Toten floß, kamen viele Überlebende hier vorbei. Ich gab jedem Unterkunft, zu essen und zu trinken. Einen jeden fragte ich nach dir. Entsetzen spiegelte sich in ihren Augen als sie sich zu erinnern suchten. Schreiend wachten sie nachts auf und fanden dann keinen Schlaf mehr. Niemand konnte mir von deinem Ende berichten. Oh Töchterlein, was passierte dort auf dem Schlachtfeld? Welche namenlosen Schrecken nahmen dir das Leben? Nicht mal der Schwarzhaarige konnte mir genaueres sagen. Er meinte er habe dich irgendwann zwischen den Toten gefunden. Dein Hals sei zerfetzt gewesen und deine Augen schreckgeweitet. Er habe sie geschlossen und ein Gebet für dich gesprochen.
Welch underische Wesenheit magst du kurz vor deinem Tode gesehen haben?
Ich bin mir sicher, dass du gut und tapfer gekämpft hast. Hattest du Kors Namen auf den Lippen, als du deine Streiche führtest? Oder magst du vielleicht sogar den Rondras gerufen haben? Möglich ist es ja. Im Felde lernt jeder das Beten und die Leuin war sicher an eurer Seite. Ich hoffe sie war dir gnädig und nahm dich in ihre Hallen auf.
Ich werde nun versuchen dich gehen zu lassen, mein Kind. Nein, ich vergesse dich nicht, denk das ja nicht! Ich werde mich an dich erinnern, mit Freude im Herzen und ohne Gram. An deinem Tsatag werde ich Blumen ins Gras legen. Dort wo du immer so gern gesessen hast.
Man sagte mir, dass du irgendwo im Bornland begraben seist. Die Zeit wird Staub und Erde über dein Grab wehen und Wildblumen werden es schmücken. Aber das zerbrochene Rad wird in Wind und Wetter bestehen. Ich weiß es. Niemals soll man je vergessen, was ihr für das Reich vollbrachtet. Ach, wie gern würde ich dein Grab mit eigenen Augen sehen. Doch das Alter erlaubt mir die Reise nicht. Ich hoffe du verstehst das. Du sollst wissen, dass du in meinem Herzen ewig leben wirst. Und irgendwann werden wir uns wieder sehen. Herr Boron wird das schon richten.
Langsam erhebe ich mich von meinem Platz. Meine müden Glieder schmerzen. Ich schaue auf zum Madamal, das inzwischen aufgegangen ist. Als ich dann die Tür schließen will, höre ich deine Schritte auf dem Weg. Sie entfernen sich und ein befreites Lachen erklingt. Dann schließe ich die Läden.
Letztendlich bist du doch heim gekehrt. Habt Dank, ihr Zwölfe!