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Tod eines Eichhörnchens
Alle Fünfe von sich gestreckt, lag es rücklings auf dem grauen Asphalt. Außer einer blutigen Nase waren keine größeren Verletzungen zu erkennen. Das tiefere Profil der frisch aufgezogenen Winterreifen hatte keinerlei Spuren hinterlassen. Und es war auch noch nicht Eins geworden mit der Straße, so dass man es mit einem Spachtel von dieser hätte trennen müssen.
Nein, es sah ganz friedlich aus, beinahe wie dieses Plüschtier mit dem sich meine Tochter immer in den Schlaf kuschelt. Doch ich weiß, es war kein schmerzfreier Tod. Vor wenigen Minuten erfreute es sich noch bester Gesundheit und flitzte durch die angrenzenden Gärten. Wahrscheinlich war es gerade auf dem Weg zum Frühstück oder in sein Bett nach einer durchzechten Nacht.
Das Unglück geschah innerhalb eines Sekundenbruchteils. Mit annähernder Lichtgeschwindigkeit brach das kleine Fellknäuel genau in dem Moment aus der Hecke, als ich an dieser vorbei fuhr. Ein Ausweichen war unmöglich. Es kam mir fast wie ein Selbstmordversuch vor, bei dem ich als Tötungswerkzeug missbraucht wurde.
Im ersten Moment dachte ich noch, dass das suizidale Tier kein Glück mit seiner Aktion gehabt hatte. Das muntere Zappeln, was ich im Rückspiegel verfolgen konnte, hinterließ den Anschein, dass das kleine Ding gut drauf ist und sich des Lebens freut. Als der buschige Schwanz nach einigen Sekunden zur Ruhe kam, wurde mir schlagartig bewusst, dass der fröhliche Tanz den es vollführt hatte nur der Todeskampf des armen Geschöpfes war.
Der tödliche Unfall ereignete sich auf dem Weg zum Kindergarten. Dieser war bereits in Sichtweite und Louis und Amelie, die in ihren Kindersitzen auf der Rückbank saßen, waren schon freudiger Erwartung.
Als ich ihnen erzählte, dass der Papa gerade dieses kleine Wesen überfahren hatte, sahen sie mich voller Entsetzen mit ihren noch müden kleinen Augen an. „Wieso?“ war die erste Frage. Ich versuchte die Situation gleich für einen Appell in Sachen „Verhalten im Straßenverkehr“ zu nutzen. Ich erklärte, dass das Eichhörnchen selbst schuld sei, da es nicht nach links und nach rechts geschaut hatte, bevor es die Straße überquerte.
Am Kindergarten angekommen, fragte Louis: „Wo liegt es denn? Kann ich es mal sehen?“
Ich zeigte auf den kleinen Flohzirkus in etwa 70 Meter Entfernung, den man mit bloßem Auge nur erahnen konnte.
Anschließend verstummten die Beiden und wir gingen in den Kindergarten. Das Thema war abgeschlossen.
Aber ich glaube das Ganze wird noch ein Nachspiel haben. Möglicherweise machen die Kinder nach dem Frühstück einen Spaziergang durch den Ort. Und was wird nach nur wenigen Schritten die Blicke ihrer neugierigen Augen auf sich ziehen? Genau, ein auf dem Rücken liegendes, niedliches, scheinbar schlafendes Eichhörnchen. Natürlich wird der Louis die anderen Kinder darauf hinweisen, dass dieses süße Ding nur dort liegt, weil es nicht nach rechts und links geschaut hat, bevor es die Straße überquerte. Ganz nebenbei wird er sicher erwähnen, dass sein Papa für den Tod des kleinen Nagers verantwortlich ist.
Und morgen früh werden mich dann 20 Augenpaare beim Betreten des Kindergartens vorwurfsvoll anschauen und 20 kleine Zeigefinger werden auf mich zeigen und alle Kinder werden rufen: „Da ist er, der Eichhörnchenmörder! Holt die Polizei!“