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Tommy Haberlandt und die Invasion der Zombies
Ich riskierte einen Blick nach draußen. Der Asphalt schien regelrecht zu glühen.
In regelmäßigen Abständen kreuzten sperrige Panzer die Straßen, zogen ihre stählernen Ketten über die Wege. Sie hinterließen sichtbare Spuren bis hinunter in die Stadt, wo die Krisensitzung eine Spezialeinheit der Polizei stationiert hatte, um diesen Wichsern den Zugang zu den Docks zu versperren. Dabei dachte ich immer, die Typen seien zu blöde um ein Schiff zu steuern. Granaten explodierten und rissen den tapfersten der Soldaten die Beine ab, hier und da schrie einer in Todesangst nach seiner Mutter oder schluchzte vor sich hin; beteuerte den Verlust eines Armes, seiner Beine oder vielleicht auch den Tod eines alten Kameraden. Von dort oben heraus, aus dem Fenster einer verbarrikadierten Wohnung, auf sicherer Distanz, wirkte das alles eine Spur zu skurril als dass man hätte Mitleid haben können; auf mich wirkte es mehr wie die Nachricht einer Flutwellenkatastrophe oder eines Erdebebens irgendwo auf einem anderen Kontinent: Man weiß, dass man sich solidarisch zeigen sollte, spürt aber keine direkte Betroffenheit. Die ganze Geschichte mit dem Virus, verfaulten Körpern, Dreck, Gestank - Nichts davon war in seinem Ursprung reell genug, um von meinem Gehirn nicht in die Kategorie „nebensächlich“ eingeordnet zu werde. Die Katastrophe begann Ende Januar; die ersten Meldungen über sonderbare Todesfälle mit Bisswunden an Hals und Arm von Leichen erreichten die öffentlichen Medien; unmittelbar darauf stieg der Umsatz des örtlichen Waffenladens um das tausendfache.
Die Militärs stellten Maschinengewehre und Sprengstoff zur Verfügung, außerdem wurde jeder angehalten, mindestens hundert Liter Wasser in seinem Keller aufzubewahren. Wofür? Falls der Bürgermeister auf die grandiose Idee kommen sollte; die Wasserleitungen abkapseln zu lassen, um die City zu überschwemmen? Aber wer weiß- vielleicht waren diese Zombies ja schlechte Schwimmer.
Der Gedanke an willenlose, verfressene Hirntote, die entgegen aller Naturgesetze immer noch frei herumliefen, anstatt in ihrem Sarg zu vermodern, flößte mir mehr oder weniger Angst ein; insgesamt betrachtet aber genoss ich die Vorteile des Ausnahmezustands in vollen Zügen: Morgens in aller Ruhe ausschlafen, keine Stellenanzeigen mehr durchblättern, gemütlich die Blumen gießen und direkt vor der eigenen Wohnungstür den realistischsten Horrorfilm frei Haus. Gegen Mittag ließ ich mich auf der Wohnzimmercouch nieder, schaute mir die neuesten Nachrichten an (auch wenn der Informationsgehalt nach Tagen nach wie vor derselbe war) und ließ mir vom Bass der Panzerschüsse und dem Krachen der Tretminen der Rücken massieren.
„Zeugen zufolge haben die Militärs das Einkaufszentrum der Stadt mithilfe von Plastiksprengstoff und schwerer Artillerie wieder unter Kontrolle bringen können.
Für den Fall, dass Sie von einem Infizierten gebissen wurden, rufen Sie bitte umgehend die technische Servicehotline der Stadtverwaltung an oder erstechen Sie sich im Zweifelsfall mit einem Holzpfahl. *krrrcchhzz* Oh, wie ich gerade höre, wurde unsere Anfrage nach einer öffentlichen Rede des Ministerpräsidenten abgewiesen, Hintergrundinformationen zu den Auswirkungen der Seuche hält der Krisenstab nicht für öffentlichkeitstauglich.“
Mir gegenüber wohnte Laurence, ein ehemaliger Kriegsveteran in seinen besten Jahren. Verfaulte Zähne, dreckige Kleidung; meistens spärlich bekleidet in Unterhose und offen stehendem Hemd. Ein verkommener, schmutziger Bastard. Angeblich hatte er schon immer geahnt, dass diese „Voodoowichser aus Haiti“ eines Tages kommen und die Menschheit vernichten werden.
Seine Frau starb vor einer halben Ewigkeit bei einem Autounfall; sie blies ihrem Boss nach dem Geschäftsessen den Schwanz, der wiederum war voll bis oben hin und knallte gegen einen Baum; seitdem lebte er (abgesehen von der Hausdienerin und meinen Besuchen) relativ einsam und allein in seiner Bude. Manchmal kam er gegen Nachmittag auf einen Kaffee vorbei, oder wir trafen uns der Eckkneipe zwei Straßen weiter. Laurence sammelte mit großer Leidenschaft Pornographie aus dem zweiten Weltkrieg, er ging seinem Hobby nach wie ein Detektiv seinem nächsten Fall, ordnete die Fotografien nach Kategorie, alles in chronologischer Reihenfolge.
Man könnte fast sagen, er machte eine Wissenschaft daraus. Kurz nachdem die Amerikaner den Vietnam verlassen hatten, nahm der Anteil der Natursektspiele in US-Pornos drastisch zu, wohingegen die Vietnamesen damit anfingen, Vergewaltigungsszenen nachzustellen. Laurence nannte diese skurrilen Erscheinungsformen des Tauschhandels auf pornographischer Ebene einen „kulturellen Austausch“, seiner Meinung nach dienten die sich gegenseitig anpissenden Amerikaner der Völkerverständigung. Laurence erzählte stundenlang von seiner Zeit in Qui Nihon, er führte einen Fußtrupp durch den Dschungel oder so, jedenfalls ging die gesamte Truppe bei einem Bombenangriff drauf, ausgenommen natürlich er selbst und ein konvertierter Chinese, der seine eigenen Verwandten in einer Strohhütte eingesperrt und drei Magazine auf sie abgefeuert hatte, um seine Landsleute mit dem amerikanischen Traum vertraut zu machen. Ehrlich gesagt hielt ich Laurence für einen verbitterten alten Zyniker, einen notgeilen Wichser mit ausgeprägtem Hang zum dramaturgischen. Trotzdem waren mir seine überspitzt pathetischen Lügenmärchen um einiges lieber als die ewig traurigen Meldungen in den Nachrichten, und letzten Endes waren all meine anderen Freunde entweder tot oder längst berufstätig.
Ich zog mir einen dicken Wollpullover über den Kopf, schlüpfte in meine Turnschuhe und macht mich mit einer rostigen Heckenschere bewaffnet auf den Weg zu Laurence´ Haus.
Auf einer Entfernung von zwanzig Metern sollte man im Falle einer Zombieinvasion mit ungefähr zwei dieser Viecher rechnen, wenn man sich den Geschäftspassagen im Inneren der Stadt näherte, wurden es bis zu dreißig.
Auf halber Strecke hielt ich inne: Eine Armlänge vor mir stand eine rundliche Frau in Polizeiuniform, mit der rechten Hand umklammerte sie eine Tüte mit Schmalzgebäck. Ihr Gesicht war verkrampft und faltig, die Augen waren blutunterlaufen und quollen aus ihren Höhlen heraus; sie schwankte mit zunehmender Erregung auf mich zu. Ihre Stimme, oder besser gesagt, das was davon übrig geblieben war, nachdem ihre Stimmbänder im Zuge der Mutation verfault waren, kam mir auf unangenehme Weise bekannt vor... Plötzlich entsann ich mich meiner Schulzeit: diese fette Schlampe war keine geringere als Catherine Bornham, die leibeigene Tochter des regionalen Polizeioberkommissars. Im Haus vor mir öffnete sich ein Fenster, Laurence streckte seinen Kopf heraus und schrie zu mir runter. „Soll ich dir behilflich sein? Du hast eh kein Mumm in den Knochen, mein Freund. Dieser Schlampe zeig ich den Weg ins Jenseits...“ Ich vernahm ein dumpfes Geräusch, es hallte die Straße hinunter, Laurence lehnte sich aus dem Fenster heraus, als würde er sein Werk dadurch noch intensiver genießen können. Aus dem Lauf seiner Schrotflinte stieg Rauch hinaus. Catherine lag mich dem Gesicht zum Boden neben mir, ihre widerlichen Speckrollen schienen noch in Bewegung zu sein; mir kam unweigerlich das Bild vom schwarzen Meer in den Sinn, das bei meiner Großmutter in der Küche über dem Herd hing, ich dachte an die Hippiezeit meiner Eltern und ihre Erfahrungen mit halluzinogenen Substanzen, ich dachte an den pummeligen Nachwuchs einer Eisbärmutter am Nordpol, und wie er unbeholfen durch eine Eisscholle kracht und im Meer versinkt; einfach untergeht, und fragte mich, ob er jemals den Meeresgrund erreichen würde oder vorher von einem Hai oder so gefressen wird. Ich dachte an die Papierschere in meiner Hand, und wie freundlich sie in Catherines schwabbeligen Hintern wirken würde, verwarf den Gedanken mit einem Kopfschütteln und ging durch die Haustür, die Wendeltreppe hoch zu Laurence Wohnung.
Laurence hockte mit sichtbar erleichtertem Gesicht vor der Glotze im Wohnzimmer, er hatte seine Schrotflinte auseinander gebaut und säuberte mit großer Hingabe jedes der Bauteile einzeln. Kein Wort rann über seine Lippen. Ich lehnte mich ans Fenster und verfolgte das Treiben auf der Straße; ein paar Autos standen in Flammen, Kinder flitzten mit Baseballschlägern hin und her, benutzten die Köpfe der Zombies beim Fußballspielen als Leitplanken. Laurence steckte sich eine Pfeife an, hob den Kopf und musterte mich lächelnd, als wäre ich gerade erst bei ihm eingetroffen. „Was mir wirklich Freuden bereitet bei so einer Invasion, also richtig klasse finde ich, du weißt schon, ich bin ja kein richtiger Sadist, aber diese gehirnlosen Fleischfresser sind besser als jedes Freiwild, das sag ich dir.“ Innerlich hatte ich mich bereits auf einen Vergleich zwischen dem Stöhnen asiatischer Huren und dem der Zombies eingestellt, zu meiner Überraschung hielt er sich mit schmutzigen Vergleichen aber zurück. Lediglich sein verstohlenes Grinsen, als die Nachrichtensprecherin von weiteren 300 zivilen Opfern berichtete, erinnerte mich daran, dass ich im Wohnzimmer des gestörtesten Kriegsveteranen südlich von Kanada saß. Sein Gesicht war von einem breiten Grinsen entstellt; Laurence hatte aus welchen Gründen auch immer kaum noch Zähne im Mund. „Die Toten wollen auferstehen, um die Lebenden zu fressen. Nicht mit mir, mein Freund. NICHT MIT MIR!“ Sein Grinsen wurde immer breiter. Dieser Mensch war das Böse in Person. Die gegenwärtige Situation, diese sinnlose Ohnmacht, das alles war viel zu angenehm, als dass sie hätte länger andauern können.
Aus meiner Hosentasche heraus drang das Klingeln eines Handys in mein Ohr. Meines Handys. Ich schaute aufs Display. Weder der Kerl vom Sozialamt, noch der Gerichtsvollzieher. In mir stieg die Hoffnung auf, dass sie beide tot sind. Aber wer zum Geier wollte mit mir reden, lechzte nach einem weisen Rat aus meinem Munde, in dieser letzten, auswegslosen Situation der Menschheit, in der wir alle zu Sterben verdammt waren?
„Haberlandt?“
„Hey, Tommy! Ich bin´s, Mom. Du musst uns unbedingt helfen, Tommy, hörst du!“
„Scheiße, was ist denn überhaupt los, warum schreist du so?“
„Dad und ich wollten uns ein paar Sachen mitnehmen, ich mein...“
„Hör mal zu, entweder du sagst mir jetzt was los ist oder...“
„Wir sind im Einkaufszentrum, in der Kleiderabteilung, das Wachpersonal...“
„WO seid ihr?“
„Im Einkaufszentrum. Tommy, hör zu, ich kann nicht länger mit dir sprechen!“
Im Hintergrund fiel ein Schuss, die Leitung war tot.
Laurence dreht sich zu mir: „Was gibt´s, Sportsfreund?“
Seine Flinte lag zusammengebaut und wie aus dem Katalog auf seinem Schoß. Wenn mich nicht alles täuschte... nun ja, ich glaube gesehen zu haben, wie er sie zärtlich streichelte. Laurence war nun mal ein Psychopath, das war ne Tatsache, da gab es nichts zu rütteln dran. „Meine Eltern sind im Einkaufszentrum, sie verlangen von mir, dass ich sie rette oder so...“ Ein paar erschütternde Worte, beileidserregend, meine Erzeuger waren dem Tode geweiht, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie von blutrünstigen Zombies zerfleischt und die Stücke gerissen werden würden. Nicht so für Laurence, sobald er ein Wort auch nur ansatzweise mit Tod oder Krieg assoziieren konnte, lud er voller Vorfreude auf ein Blutbad filmgerecht seine Knarre durch. Eigentlich war er seit je her eine potentielle Gefahr für seine Mitmenschen, aber unter den gegebenen Umständen konnte uns seine Schießwut nur behilflich sein, am Ende würde ihm seine Schusswaffenausbildung mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben retten. Oder kosten.