Träume
Ich blickte auf das Wasser. Oft schon hatte ich mir das Spiegelbild des Mondes angesehen und Trost gefunden. Ich fand das Spiegelbild schon immer schöner als die Wirklichkeit. Nicht nur, was den Mond anbetrifft. Auch mein Leben ist im Spiegelbild, in meiner Phantasie, so viel schöner.
In der Wirklichkeit saß ich hier an der Klippe im nasse Gras unter bewölktem Himmel in einer kalten Nacht. In meiner Phantasie saß ich an der Grenze zur Unendlichkeit auf dem Feld der Illusion, das von so vielen Träumen nass war, die hier unten als Tropfen bald verblassten, doch dort oben am Himmel noch klar hinter den Schleiern der Realität leuchteten.
Ich blickte hinauf, wo meine Träume waren. Meine Hand glitt durch das Gras und als ich sie hob, perlte ein Tropfen an meinem kleinen Finger. Ein einzelner Traum, wie jener, den ich in den letzten Tagen geträumt hatte. Im Tropfen schimmerte ihr Angesicht. Es war wie ein Traum, die Tage, in denen sie mich anlächelte. Es war wie ein Traum, als sie mich berührte.
Der Tropfen löste sich und fiel. Er fiel und nahm sie mit sich. Wie er verschwand auch sie. Weil sie mich nicht so mochte. Weil ich ihr nicht genug bedeutete. Ein Traum zerplatzte und vermischte sich mit den anderen Träumen, die auf der Wiese schimmerten. Und sie flossen zusammen, bis sie ihren Weg in die Unendlichkeit fanden.
Mit meinem Blick folgte ich meinem Traum. Ich wollte sie nicht gehen lassen. Ich streckte meine Hand aus. Ich wollte ihn fangen, als er vom Stein in die Tiefe fiel. Er tropfte in meine Hand. Ich beugte mich weit in die Unendlichkeit um meinen Traum zu retten, denn er war es wert. Doch er glitt durch meine Finger. Ich griff noch einmal zu, doch der Tropfen fiel.
Ich streckte mich, ich musste ihn fangen. Ich durfte meinen Traum nicht loslassen. Ich würde sie verlieren, für immer. Ich griff zu, immer und immer wieder. Die Unendlichkeit kam immer näher. Ich fühlte mich wie im freien Fall, doch solange ich meinen Traum hatte, war es mir egal.
Ich streckte meine Hand aus. Ich spürte, wie das Nass meinen Finger bedeckte, wie mein Traum mich umhüllte. Ich lächelte. Ich hatte sie wieder. Dann stieß ich auf die Unendlichkeit und alles wurde schwarz.