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Transsylvanischer Tarock

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04.11.2006
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Transsylvanischer Tarock

Das rundliche Gesicht mit seinen hervorquellenden, leicht bläulich verfärbten Tränensäcken lieferte eine präzisere Diagnose als EKG, Leberwerte und Cholesterinspiegel. Dr. Staubfeind schüttelte demonstrativ den Kopf und bemühte sich um brutalst mögliche Bedeutsamkeit: "Wenn Sie so weitermachen, gebe ich Ihnen noch zwei Jahre!"
"Meinen's wirklich, Herr Doktor?", fragte Franz Xaver Girglbauer und glitt ächzend von der Behandlungsliege. Er stopfte das Hemd in die Hose und sah dem Kardiologen mit der Treuseeligkeit eines Dackels, der vor seinem leeren Futternapf steht, in die Augen. Der Arzt ergriff die fleischige Hand des Patienten und schüttelte diese zum Abschied.
"Ich meine es ernst: Ihr Herz versteht keinen Spaß!"

Die Prachtstraße war als optische Achse senkrecht zum Fluss angelegt, überspannte ihn mit einer Brücke und strebte direkt auf das Zentrum kurfürstlicher Macht zu. Zu beiden Seiten breiteten sich herrschaftliche Gebäude aus, die an Zeiten erinnerten, als das Volk eine Bierpreiserhöhung mit einer Revolution quittiert hatte. Wie immer, wenn er hier in die Landeshauptstadt kam, ärgerte sich Girglbauer über den irrsinnigen Verkehr und noch viel mehr über die Parkgebühren.
Doch im Gegensatz zu sonst ließ er diesmal die Architektur in ihrer Erhabenheit auf sich wirken. Vielleicht war es auch das Bedürfnis, nicht sofort an seinem Ziel anzukommen, das ihn ohne jede Hektik durch die belebten Gassen der Altstadt laufen ließ, bis er schließlich vor einer repräsentativen Glasfassade stand.
Hinter dieser empfing ihn echter norwegischer Granit, auf Hochglanz poliert, in Mengen, die ein Vermögen gekostet haben mussten. Girglbauer zog anerkennend die Luft zwischen den Zähnen ein und sah sich um.
"Womit können wir Ihnen dienen? Haben Sie einen Termin vereinbart?", fragte ihn ein halbverhungertes Geschöpf in perfektem Hochdeutsch. Es versteckte seinen Oberkörper in einer hochgeschlossenen Bluse, während ein hüfthoher Granitblock die untere Hälfte verdeckte. Girglbauer ging hinüber zur Anmeldung. Das Lächeln der Empfangsdame behielt seine professionelle Freundlichkeit und zeigte sich unbeeindruckt von Lodenjacke, Haferlschuhen und einem aus der Nähe deutlich wahrnehmbaren Schweißgeruch.
Girglbauer registrierte mit detektivischer Detailverliebtheit die unnatürlich langen Wimpern, eine perfekt geglättete Haut, dunkelviolett lackierte Fingernägel und ein eng anliegendes Röckchen. Doch die Zeit, da ihm ob eines solchen Anblicks das Blut in Wallung geraten wäre, lag Tausende von Schweinsbraten mit Knödeln zurück.
"Termin? Ja um 15:30. Habe die Ehre, Girglbauer, Franz Xaver Girglbauer."
Mit einem fast unmerklichen Nasenrümpfen, das ihr Gegenüber wohl bemerkte, aber ignorierte, verkroch sich die junge Frau in ihrem Terminkalender.
"Korrekt, 15:30. Bitte nehmen Sie doch noch einen Augenblick Platz. Sie können in der Zwischenzeit gerne einen Blick auf unseren Flyer werfen."
Sie drückte ihm einen dünnen Hochglanzprospekt in die Hand und deutete auf die chromblitzende Sitzgruppe, die sich in sicherem Abstand in der gegenüberliegenden Ecke des Empfangsbereiches befand. Girglbauer machte sich schwer atmend auf den Weg dorthin.
Ächzend ließ er sich ins Polster fallen, atmete tief durch und nahm dann den Prospekt zur Hand: Hochglanzpapier, Vierfarbdruck, viele Abbildungen. Er ließ die Bilder an sich vorbeiziehen, las Bruchstücke geschwollen klingender Textpassagen. Papier war geduldig, dachte er sich, auch wenn man in diesem Fall offensichtlich einiges dafür ausgegeben hatte. Geld, das irgendwoher kommen musste.

"Herr Girglbauer, bitte." Die Empfangsdame hatte die Sicherheit ihrer Anmeldung verlassen, um den Besucher einen Stock höher zu führen. Leise ächzend verfolgte Franz Xaver das flüchtende Rehlein, um in der ersten Etage, heftig schnaufend in einem halb abgedunkelten Raum anzukommen. Hier war Holz das stilgebende Element. Dunkles Holz, von weit her gebrachte Bäume, die anders rochen als die heimischen Fichten. Die Rezeptionistin hatte ihm Platz angeboten und mit einem befreiten Lächeln den Raum verlassen. Girglbauer harrte seinem Schicksal entgegen und ließ prüfend seine Hand über die Oberfläche des Tischchens gleiten. Mahagoni?

"Herr Girglbauer?" Franz Xaver blickte auf. Eine Frau hatte sich vor ihm materialisiert und der Klang der beiden Worte, die sie fragend an ihn gerichtet hatte, wies sie als von weit her kommend aus. Im Gegensatz zu dem Schatten ein Stockwerk tiefer, war sie aus Fleisch und Blut, trug ein barock verziertes, orangefarbenes Kleid, das von den Schultern herab bis fast zum Boden floss. Sie mochte um die Anfang fünfzig sein, war an beiden Armen mit schweren silbernen Armreifen behängt und besaß auf den ersten Blick das Selbstbewusstsein und die Oberweite einer langjährigen Kellnerin auf dem Oktoberfest.
"Willkommen bei Karmastro. Mein Name ist Aleksandra Tapasch. Was kann ich für Sie tun?"

Girglbauer, hievte sich symbolisch halb vom Stuhl hoch, streckte ihr seine Rechte hin und nickte freundlich. Aus Preisgründen beschloss er, direkt zur Sache zu kommen. "Also mein Hausarzt ... ich hab's mit dem Kreislauf ... oder eben nicht mehr. Jedenfalls meint er, es geht vielleicht noch zwei Jahre."
"Und Sie wollen von uns eine genauere Datierung?" Seiner Gesprächspartnerin war ein sichtliches Missfallen anzusehen, sie zog die Augenbrauen zusammen und die orangefarbenen Fransen ihres Kleides schienen erregt zu zittern. Girglbauer beobachtete, wie sich ihr nur halb verhüllter Busen hob und senkte, wobei er sich vorkam, als hätte er im Bierzelt gewagt, ein Alkoholfreies zu bestellen.
"Nein, Frau Aleksandra. Ich mach' mir halt Gedanken um die Zukunft. Die Kinder, die Enkelkinder und wer alles einmal erben soll ..."
Ein Leuchten stieg ihr ins Gesicht, das den ganzen Raum zu erfüllen schien und alle Dunkelheit des Holzes überstrahlte.
"Wenn das so ist, dann sind Sie bei uns genau richtig", flötete sie, setzte sich und beugte sich nach vorne. Aus den weit geöffneten, dunklen Augen glänzte Girglbauer die kumulierte Gastfreundschaft Transsylvaniens entgegen. Während er versuchte, mit seinen Blicken hinter den Rand des orangefarbenen Stoffes vorzudringen, hatte sie ein Pack Karten hervorgezaubert und angefangen diese zu mischen.

"Was haben wir denn hier? Das ist interessant. Ein talentierter junger Mann, vielleicht musisch begabt ..." Sie legte die Karten aus. Girglbauer beobachtete ihr Gesicht. Sie hatte braune Augen, große Pupillen. Die dunklen Locken trug sie offen, nur leicht gebändigt durch einen silbernen Haarreif. Girglbauer fiel ihr bedeutungsvoll gerundeter Mund auf, zart rosenfarben koloriert, wie um dem Eindruck des Verwelkens entgegenzuwirken. Auf der rechten Wange saß an prominenter Stelle ein Leberfleck. Was hatte sie gesagt? Ein talentierter junger Mann? Ja das könnte sein Enkel Max sein, der seit zwei Jahren Latein und Griechisch lernte, und gesungen wurde schließlich auch im Internat, drunten in Regensburg.
"Gibt es in Ihrem Leben eine weise Frau?" Girglbauer strich vorsichtig mit den Fingern über das Tischchen, das er mittlerweile lieb gewonnen hatte. Holz war eine ehrliche Sache, lebendiges Baumaterial, das er von frühster Kindheit an kannte. Der Geruch war einmalig, je nachdem, ob man Bäume fällte, Bretter schnitt, hobelte oder schliff. Er kannte alle Facetten, waren doch Wald, Sägewerk und Tischlerei das gewesen, was er von seinem Vater übernommen hatte.
"Eine sehr geistige, spirituelle Person ... mit Hang zum Übersinnlichen vielleicht? So etwas, wie eine Ratgeberin meine ich." Sie hatte auf die zuletzt gelegte Karte gedeutet und die Bedeutsamkeit in ihrer Stimmgebung sichtlich gesteigert. Spirituell? Eine innerliche Heiterkeit erfüllte Girglbauer während er die Reihe der Frauengestalten in seiner näheren Umgebung durchging: Theresia, Magdalena, Marie. Frau und Zanksucht waren zwei Dinge, die zusammenpassten, aber Frau und Weisheit? Und was war bitteschön Spiritualität?
Nichts von alledem ließ er sich anmerken, als verhandle er um den Preis von 20 Hektar Staatsforst, nahm sein Gesicht einen nachdenklichen Ausdruck an und er meinte schließlich: "Übersinnlich? Ja, da könnt ich mir durchaus jemanden vorstellen ... aber bittschön, Frau Aleksandra, sagn's mir doch, was hat des alles zu bedeuten?"

Theresia Girglbauer hatte den Kuchen in das Backrohr geschoben und wischte sich die mehligen Hände an ihrer Schürze ab. Es war vollbracht, die Form in der transformierenden Dunkelheit des Gasherds verschwunden. Backen hatte für Theresia etwas Meditatives, ja beinahe Mystisches. Es bedeutete für sie, zur Ruhe kommen können. Immer wenn sie sich über etwas ärgerte, dann buk sie.
"Oma?"
Sie blickte in die weit geöffneten Augen des kleinen Blondschopfs, der durch die Terrassentür hereingeschlichen war und gelangweilt die Schaukel im Garten verlassen hatte. Das herrliche Sommerwetter und die Blüte der Rosen im perfekt gepflegten Garten interessierten einen Viereinhalbjährigen herzlich wenig.
"Kilian, was gibt's?"
"Wo ist denn der Opa?" Eine ahnende Traurigkeit, dass es heute keinen Besuch im Sägewerk mehr geben würde, war dem kleinen Dreikäsehoch anzusehen.
"In München, zum Kartenspielen", antwortete Theresia und spielte selbst mit dem Gedanken, nochmals Teig anzurühren.
"Mit wem denn?" Kilian ließ nicht locker, Kinder konnten grausam sein.
"Mit einem alten Spezl. Der aus dem Ministerium."
"Was ist ein Ministerium?"
Theresia seufzte: "Kilian, geh doch noch mal raus, schaukeln. Und wenn ich mir die Hände saubergemacht hab' und die Schürze ausgezogen, dann erzähl' ich dir eine Geschichte."

Girglbauer ließ sie reden. Mittlerweile empfand er den Klang ihrer Stimme als angenehm. Er hatte sich an das rollende „r“ gewöhnt, ebenso wie an die Härte, mit der manchmal Vokale und Konsonanten aufeinander prallten. Er nickte zustimmend, während sie ihr Schlussplädoyer hielt: Sein Leben ändern, Abnehmen, Zeit mit seinen Enkeln verbringen … Nur halb nahm er ihre Worte war, galt doch seine eigentlich Aufmerksamkeit ihrem Gesicht, den halb geschlossenen Augen mit deren verdeckte Hälfte sie in unbekannte Welten zu spähen schien. Eine Angestrengtheit war ihr anzusehen, die erst verschwand, als sie geendet hatte, die Augen geöffnet und ihn anlächelte.

"Sag'n Sie mal bittschön, Frau Aleksandra, glaub'n Sie da eigentlich selber d'ran? Also an das, mein' ich, was Sie da den Leuten erzählen?"
Girglbauer sah sie tief Luft holen. In ihren geweiteten Augen konnte er die Dunkelheit der transsylvanischen Wälder erahnen. Es waren wilde Wälder, voller Wölfe und besser wagte man sich des Nachts nicht vor die Türe, zumindest unbewaffnet.
"Aber natürlich, warum fragen Sie, Herr Girglbauer?" Mit diebischer Freude registrierte Girglbauer ihr fast unmerkliches Zurückweichen und das leichte Zusammenfallen des Schultergürtels. Verschwunden war die unangreifbare Sicherheit, mit der sie sein Leben ausgelegt hatte: die Vergangenheit, die Gegenwart und was in der knappen verbleibenden Zeit noch zu tun war.
"Ja wenn des so ist, dann funktioniert's auch anders herum!" Die Finger, mit denen er soeben noch liebevoll die dunkle Holzplatte gestreichelt hatte, griffen sich das beiseite gelegte Kartenpack. Noch bevor sie protestieren konnte, hatte er die Karten gemischt. Er fächerte mit leuchtenden Augen den Stapel auf und zog eine Karte heraus. Aufgedeckt schob er sie zur anderen Seite des Tisches hinüber.
Der Überraschungsangriff hatte nur wenige Sekunden gedauert. Während dessen hatte Aleksandra mit offenem Mund dagesessen, sprachlos. Für einen Sekundenbruchteil sah sie zu der aufgedeckten Karte, dann mit unverhohlenem Entsetzen wieder zu Girglbauer. Das Abbild eines Mannes lag auf dem Tisch, aus ihrer Sicht aufrecht stehend, mit dem kleinen Schönheitsfehler allerdings, dass ein Strick an seinem Fuß befestigt war, der wiederum zu einem Ast gespannt war. Der zugehörige Baum wuchs vom Himmel zum Boden.
"Den ham's aufg'hängt", meinte Girglbauer trocken.

"Und für wann soll ich Ihnen einen Nachfolgetermin eintragen?" Mit verständnislosem Blick musterte Girglbauer das bemitleidenswert unterernährte Geschöpf hinter der Anmeldung.
"Ach lassen's mal gut sein. Ich meld' mich dann, wenn mir das Schicksal Bescheid gibt", anwortete er grinsend.
Der Steinquader symbolisierte die Trennung zwischen dem Reich der Rezeptionistin und dem Kundenbereich. Girglbauer befühlte seine polierte Oberfläche, sie wirkte kalt. Wie konnte man an dieser Stelle nur Stein verbauen? Holz wäre viel passender, dunkles heimisches Holz, vielleicht Nussbaum. Er stützte sich mit den Händen auf und beugte sich nach vorne, wie um der Empfangsdame etwas ins Ohr zu flüstern. Diese wich mit schwer verhohlenem Schrecken zurück und suchte Sicherheit hinter ihrem Monitor.
"Ach noch was", fügte er gedämpft hinzu, und spähte kurz über die Schulter zu der Treppe hinüber, die zu Aleksandras Reich hinaufführte, "So ein blitzsauberes Madel wie Sie ... warum suchen Sie sich nicht eine anständige Arbeit?"

Es war Sommer. Biergartenzeit. Die Madeln zeigten Fleisch, zwar in transparenterer Verpackung als früher, aber trotzdem nett anzusehen. Girglbauer schlenderte durch die Altstadt. Nur keine Hektik, nicht zu sehr schnaufen müssen. Der Nachmittag war durchaus amüsant gewesen. Und sein Geld wert. Versonnen sah Girglbauer einem wippenden Blondschopf nach, der auf Inline Skates an ihm vorbeirollte. Ja, er hatte durchaus anregende Ideen erhalten, was die Zukunft seines Sägewerks und des Installationsbetriebs betraf, nicht zu vergessen die 35 Hektar Bauland und die Zimmerei. Auch für Aktiendepot und einige Immobilien gab es interessante Optionen.
Aber bevor er daran gehen würde, auch nur eine winzige Kleinigkeit in seinem Leben oder seinem Testament zu ändern, wollte er erst einmal seinen alten Freund Quirin treffen. Ein ordentlicher Schweinsbraten würde dazugehören, etwas zu trinken und dann müsste er ihm natürlich erzählen, was es an Neuigkeiten gab.
Bei dieser Gelegenheit würde er dann auch Quirin auf seine Verbindungen zum Polizeipräsidium ansprechen und herausbekommen, ob sich vielleicht jemand im Betrugsdezernat für Karmastro interessiere. Und wenn dem nicht so wäre, ließe sich da sicher nachhelfen, schließlich waren ja Prophezeiungen dazu da, in Erfüllung zu gehen.

 

Hallo AlterEgo,

schön geschrieben, etwas langatmig für meinen Geschmack. Ich dachte am Schluss kommt der Hammer, aber es war nur ein Hämmerchen. Im vorletzten Satz sind zweimal denn, beide würde ich streichen. Ansonsten habe ich keine Fehler gesehen noch gesucht.:)

lieben gruß weltflucht

 

Hallo Weltflucht,

herzlichen Dank für deinen Kommentar. Zum Thema Langatmigkeit: Naja, die Geschichte war als Charakterstudie gedacht, die Handlung (und potentielle Hämmer) deshalb eher Nebensache. Danke fürs Lesen,

schönen Gruß,

AE

 

Hallo Rosta,

herzlichen Dank für deine positive Rückmeldung. Besonders gefreut hat mich die Szene mit dem Yogi-Tee, rate mal, was bei uns im Küchenschrank steht *g*.

Deine Änderungsvorschläge habe ich größtenteils übernommen. Aber was Lodenjacke betrifft bleibe ich niederbayrisch stur, standesgemäße Kleidung muß schon sein, auch zur Biergartenzeit.

Ansonsten könnte es durchaus sein, dass du meinem Prot. einmal live begegnest. Wenn er noch keinen Schlaganfall erlitten hat, gibt es ihn noch, allerdings hat er im richtigen Leben nichts mit Holz zu tun ...

Liebe Grüße,

AE

 
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Hallo Rosta,

vielleicht doch besser noch ein kleiner Nachtrag:

Weshalb hat sich eigentlich noch niemand an Tarock gestört, wo doch im deutschen Sprachraum eher Tarot verwendet werden soll?

Muss dir in diesem Punkt leider widersprechen. Erstmal ein Zitat aus unserer allzeit gut informierten Wikipedia:

Tarock ist die Bezeichnung für eine große Familie von Kartenspielen, die in weiten Teilen Europas gespielt werden. Die verwendeten Karten haben eine gemeinsame Geschichte mit jenen, die auch zum Wahrsagen hergenommen werden. Zur besseren Unterscheidung hat man sich im deutschen Sprachgebiet darauf verständigt, die Kartenspielfamilie Tarock zu nennen und alle Aspekte, die mit Esoterik zu tun haben, als Tarot zu bezeichnen.

Das ist aber aus Sicht der Autorenintention leider vollkommen die falsche Fährte.

"Tarock" bezeichnet im bayrischen Sprachraum ein konkretes, zu dritt ausgeführtes Kartenspiel mit festem Regelsatz. Das zugehörige Verb lautet "tarocken".

Natürlich geht dieser Name -ebenso wie Tarot- auf das gleiche italienische Wort zurück: Tarocchi = Spielkarten.

Interessanterweise kommen die üblichen zur Unterhaltung dienenden Kartenspiele ohne die 22 Karten des großen Arkana aus, die im Tarot das zum Wahrsagen verwendet wird unbedingt enthalten sind.

Man könnte nun zwei provokante Thesen aufstellen:

-22 individuelle Karten mit einzelnen Sonderfunktionen sind für den Biertisch unpraktikabel
-Es fand im Laufe der Geschichte eine "Verweltlichung" der Kartenspiele statt. Die üblicherweise genutzten Systeme mit den 4 Farben und der strengen Systematik sind sozusagen die säkulare und zumindest kirchlicherseits tolerierte Variante.

Ein interessantes Detail noch zum Abschluss: Von meinen obigen Behauptungen gibt es eine Ausnahme. Die Figur des Jokers hat es geschafft, die Welten zu wechseln. Sie kann eindeutig dem Narren aus dem großen Arkana zugeordnet werden.

Im Tarock hat sie, wie sollte es anders sein, allerdings nichts zu suchen.

Lieben Gruß,

AE

 

Hallo AlterEgo,

hm...hm...hm...deine Geschichte hat etwas Rosstäuscherisches an sich.

Die Figuren, speziell den Girglbauer, hast du in fast vollendeter Weise gut beschrieben. Wie ein Film lief vor meinen Augen das Geschehen ab und die Protagonisten waren sehr lebendig. Das hat du also sehr gut gemacht.

Den Gaul haste also gut gestriegelt und die Mähne gekämmt. ABER wenn man ihm ins Maul guckt, sind die Zähne schlecht und alt.

Denn, was du als Plot gewählt hast, ist dürftig. Und das in vielerlei Hinsicht:

was bitteschön will ein Girglbauer bei einer Wahrsagerin, wenn er ihr doch nicht glaubt? Das stellt sich in dem Moment als Frage, als er Aleksandra fragt, ob sie selbst an ihre Karten glaubt. Dann wiederum gibt er den Karten Wichtigkeit, als er selbst vor ihren Augen eine zieht? Ist das logisch? Und, dass er am Ende meint, die Prophezeihung müsse sich doch erfüllen lassen, ist nun so überhaupt nicht passend für ihn. Er ist kein Fiesling! Kein Hasser von Wahrsagerinnen. Also das ist nicht rund. So gar nicht rund.

Denke dir doch einfach eine andere Handlung aus und zwar ab dem Zeitpunkt, ab welchem er bei dieser Frau sitzt.

So wirkt es auf mich, um vom Rosstäuschen mal wegzukommen wie eine Suppe, die auf bestem Suppenfond gekocht wurde, aber als Zutaten wirfst du nur schäbiges Gemüse rein. Der Fond wird nach wie vor noch gut rauszuschmecken sein, aber das olle Gemüse macht fast alles wieder zunichte.

Dann verstehe ich nicht ganz, wieso die Ehefrau so besorgt und für meine Begriffe resignierend wirkt. Was ist denn los, dass sie so fühlt? Nach einigen Ehejahren ist man doch nicht mehr so neidisch oder unduldsam, wenn der Partner mal einen kleinen Ausflug macht. Da fehlt mir die Gelassenheit des Alters bezüglich des Fühlens. Wenigstens wirkte die Frau auf mich nicht rund.


Und nachfolgend hab ich noch ein paar Bemängelungen, nur für den Fall, dass du diese Story so stehenlässt:


aus Fleisch und Blut, trug ein fransiges, orangefarbenes Kleid, das von den Schultern herab bis fast zum Boden floss. Sie mochte um die Anfang fünfzig sein,

Ich kann mir schlichtweg unter einem fransigen Kleid nix vorstellen. Bodenlange Fransen sind einzelne mehr oder weniger dicke Fäden, die lose also unverbunden nebeneinander hängen. Ich kenne Teppichfransen, die manch eine penible Hausfrau extra kämmt, damit sie schön grade nebeneinander liegen.
Oder war nur der Saum des bodenlangen Kleides ausgefranst, so wie es eine Zeit lang Mode war das am Boden längsschlurfende Ende der Jeans nicht mehr einzufassen? Oder war der Halsausschnitt fransig?
Ich bin deswegen in diesem Punkt so penetrant, weil ich denke, du kannst es besser. Immerhin bin ich von deinen Protagonisten schwer begeistert, weil du sie gut beschrieben hast.

Und dann íst da noch was: "um die Anfang fünfzig"...das ist meines Erachtens kein dudensicheres Deutsch. Jedenfalls hab ichs nicht in dem Werk so vorgefunden, aber da lasse ich mich auch eines Besseren belehren.


Auf der rechten Wand saß an prominenter Stelle ein Leberfleck.
Interessant...lach...du meinst gewiss die Wange.

Der Geruch war einmalig, je nachdem ob man Bäume fällte, Bretter schnitt, hobelte oder schliff.
Ich und Kommas, aber hier würde ich nach "nachdem" eins setzen.
Übrigens könntest du auch gerne mehr von dem Geruch beschreiben. Eine gute Geschichte ist nicht nur Augenschmaus, sondern bietet auch der Nase, den Ohren und dem Tastsinn etwas.

Er stütze sich
stützte

Die Bezeichnung Rezeptionistin finde ich misslungen. Das erinnert mich so an österreichische Krimis und die dortige Sprache. Ich weiß, du willst nicht laufend Empfangsdame schreiben, wegen der Wortwiederholungen. Aber dann lass sie doch einfach nur mal eine Frau, eine Dame oder ein Mädchen sein oder das Rehlein.

Ich hoffe, du bist jetzt nicht am Boden zerstört, weil ich mit deinem Plot nicht zufrieden bin. Das sollste auf jeden Fall nicht sein. Aber du weißt ja hoffentlich, dass ich mir erlaube, dich eine Spur härter zu kritisieren, damit es mit deinen Fortschritten schneller geht. :D Und ich weiß auch, dass du es abkannst. Ist also in bester Absicht kritisiert.

Lieben Gruß
lakita


Achso und dann noch ein kleiner Nachtrag: was ist denn nun mit der sog. Bierrevolution??? Rosta bleibst du die Antwort schuldig. Mir auch? :D

 
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Hallo lakita,

danke erst mal fürs Ausgraben. An der inhaltlichen Kritik werde ich ein Weilchen zu knabbern haben, der Kleinkram ist ausgebessert.

In einigen Kleinigkeiten muss ich dir widersprechen. Das betrifft einmal die Darstellung der Frau Girglbauer. Sie ist eine Randfigur. Sie ist die einzige Ergänzung, die es an der Seite eines hyperaktiven supergeschäftstüchtigen Hinterweltlers jahrzehntelang ausgehalten hat. Stell' dir vor wieviel Zähigkeit dazu nötig ist. Da darf sie auch etwas resignierend wirken. "Ma kanns eh' net ändern ..."

Das Zweite ist die Handlungsweise des Prot. Nein, er ist kein Wahrsagerinnenhasser. Aber er ist ein Spieler. Jemand, der ungeachtet seines lters auch noch zu einem Scherzchen aufgelegt ist. Außerdem jemand der aufgrund seiner Geschäftstüchtigkeit extrem empfindlich gegenüber jeder Art von Beschiss ist. Und diese Eigenschaft kommt durch, eher spontan als geplant ...

Das alternative Ende der kleinen Charakterstudie, auf jedene Fall eine Überlegung wert, falls ich mich zu der EInsicht durchringe, dass die Geschichte damit zu retten ist.

Lieben Gruß und herzlichen Dank,

AE

P.S.: Die Bierpreisrecolution ... Rosta hat Antwort per PM erhalten. Für die Allgemeinheit: die Märzrevolution von 1848 in Bayern hatte neben der Affäre des Königs mit der Tänzerin Lola Montes auch die pikkante Komponente, dass das Volk gegen eine zeitgleich stattgefunde Bierpreiserhöhunh rebellierte ... so zumindest das spärliche Restwissen aus meinem Geschichtsunterrricht.

 

Hallo Alter Ego,
schöne Geschichte! Kritikpunkte hab' ich dennoch.

Kleinigkeiten:
"Es waren wilde Wälder, voller Wölfe und besser wagte man sich des Nachts nicht vor die Türe, zumindest nicht? unbewaffnet".
Naja, glaube nicht, dass die Transylvanner nachts nur mit Kalaschnikow vor die Türe gehen.

"'Aber natürlich, warum fragen Sie, Herr Girglbauer?' Mit diebischer Freude registrierte Girglbauer ihr fast unmerkliches Zurückweichen und das leichte Zusammenfallen des Schultergürtels. Verschwunden war die unangreifbare Sicherheit, mit der sie sein Leben ausgelegt hatte: die Vergangenheit, die Gegenwart und das, was in der knappen verbleibenden Zeit noch zu tun war".

Ein etwas größerer Kritikpunkt ist, dass ich die Passage mit der Ehefrau als überflüssig sehe. Oder soll das "Kartenspielen" ein unverzichtbarer Hinweis sein? Da dachte ich sogar kurz, der Franz sei verdeckter Ermittler!

Der letzte Absatz fängt mit "Es war Sommer. Biergartenzeit" an. Da bisher nichts über Zeit und Wetter berichtet wurde, nahm ich an, der Abschnitt spielt Tage, Wochen, Jahre (?) später. Kann nur die Wirkung beschreiben. Diese Angaben wären aus meiner Sicht früher zu machen.

Insgesamt aber echt gern gelesen! Treffende Sprache - da hatte ich Spaß dran!

Gruß
Kasimir

 

Hallo Kasimir,

danke für's Ausgraben. Deine Anmerkungen setze ich doch gerne um.

Die Passage mit der Ehefrau ... an dieser Geschichte ist ja von einigen anderen bereits berechtigte Kritik geäußert worden. Ja, du hast Recht, für das unmittelbare Fortschreiten der Handlung ist sie unnötig.

Bezweckt habe ich damit, dem Helden einen Hintergrund zu geben, eine starke Frau und eine Heimat. Die Anspielung mit dem Kartenspielen ist absichtig doppeldeutig und das Motiv mit dem verdeckten Ermittler vollkommen zutreffend herausgeahnt, siehe auch den Schluss der Geschichte.


Lieben Gruß,

AE

 

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